Eine Dankespostkarte

Rückseite

Ich habe zu danken, begeistert zu danken für die überaus freundliche Zusendung der Tage- und Notizbücher von Patricia Highsmith, hier ist die Verlagsseite dazu. Über 1.300 Seiten, das Buch wird also eine Weile reichen, oder wie sagt man heute, es wird für zwei Wellen reichen oder so. Grandios jedenfalls, ich freue mich sehr! Wenn man selbst Tage- und Notizbücher führt, sind fremde Tage- und Notizbücher ganz außerordentlich interessant.

Vorderseite

Eine Szene wieder, die nicht als klassisches Foto funktioniert, wir brauchen Bewegung und Sound dabei, sonst funktioniert es nicht. Seltsame Postkarten sind das hier! Es ist eine Theaterszene, die vor einem Theater stattfindet, was hier nicht so erstaunlich ist, da ich um die Ecke zwei große Theater habe und dort oft vorbeikomme, es ist einigermaßen naheliegend, dass mir auch vor diesen Theatern einmal etwas Theatralisches auffällt. Wir haben also links im Bild bitte die Fassade des Hamburger Schauspielhauses. Wenn Sie das nicht kennen, so macht das nichts, stellen Sie sich bitte einen einigermaßen prächtigen Theater-Altbau vor, weißwandig und üppig. Über den Türen steht natürlich, was dort abends gegeben wird. Ich weiß es allerdings schon nicht mehr, was da dieser Tage steht. Ich sehe aber auch kaum hin, das Schauspielhaus ist regiemäßig in der Regel eher nicht mein Fall und sowieso habe ich Theater noch nicht wieder in der Planung. Da läuft also irgendwas. Theater eben. Rechts und links von dem Portal Poster mit Szenenbildern in beleuchteten Schaukästen. Vor dem Theater der Fußweg, es ist ein Fußweg ohne besondere Kenneichen. Einen deprimierend schmucklosen U-Bahn-Abgang sehen wir noch ein paar Meter weiter. Es ist später Nachmittag, es dämmert. Das ist alles, mehr Bühnenbild brauchen wir nicht. Im Hintergrund beliebige Großstadthotels, Licht in den Lounges, Details sind nicht notwendig. Einige Passanten vielleicht noch, die sind aber vollkommen egal, es müssen keine bestimmten Typen sein. Die stellen nur die normale Betriebsamkeit der Großstadt dar. Menschen gehen eben durchs Bild, einer hat irgendeinen Hund dabei, einer isst einen Burger, eine fährt E-Scooter, fertig. Haben Sie das?

Vor der Tür des Theaters steht ein Paar auf dem Fußweg und streitet. Es handelt sich bei den beiden Personen nicht um Schauspieler, auch wenn sie recht eindeutig eine Szene machen, und was für eine. Sie haben sich, ich möchte mich da festlegen, nur zufällig vor dem Schauspielhaus zu einer großen Aussprache veranlasst gesehen, manchmal ereilt es einen eben irgendwo. Sie kennen das vielleicht, wenn Sie in einer Paarbeziehung sind. Die beiden reden laut, vor allem die Frau. Etwas zu laut reden sie, man könnte berechtigt vermuten, dass Alkohol im Spiel ist, und zwar eine nicht geringe Menge davon.

Obwohl ich die beiden nur im Vorbeigehen wahrnehme, nicht einmal minutenlang also, reicht die Zeit doch aus, um Grundzüge der Situation zu erfassen. Es verhält sich nämlich so, dass er in arger Bedrängnis ist, denn sie stapelt Argument auf Argument und zählt auf, was in letzter Zeit alles nicht richtig war, und wenig war das nun nicht. Man sagt manchmal spaßhaft, dass jemand bei so etwas immer kleiner wird, und genau das sehe ich hier in ausgeprägter, fast schon slapstickhafter Deutlichkeit, wie der angeklagte Mann nämlich langsam den Kopf einzieht und in der halben Minute, in der ich ihn sehe, deutlich an Größe verliert. Das geht in dieser eindeutigen Form schon als Geständnis durch, nehme ich an.

Sie leitet die Absätze ihres beachtlichen Monologs jeweils mit einem „Und warum?“ ein, wonach dann folgt, was wieso in dieser Beziehung passiert ist, also aus ihrer Sicht, also absolut wahrheitsgemäß, und sie wiederholt diese rhetorisch recht geschickte Frage mit den anschließenden und sich jeweils unterscheidenden Ausführungen mindestens dreimal. Das hört sich übrigens so an, dass es auch im Theater aufgeführt werden könnte. Nicht schlecht für eine private Improvisation, wirklich nicht schlecht.

Nach diesen Anklagepunkten folgt dann der abschließende argumentative Höhepunkt, und es ist wieder einer dieser Sätze, über die ich mich lange freuen kann. Ich werde ihn auch für einen eigenen Ehestreit memorieren, ich möchte ihn nicht vergessen, er ist einfach zu gut. Ich gehe mit der Familie an den Streitenden vorbei, Sohn II und ich sehen uns an und wir wissen beide, das ist einer dieser Sätze, über die kann man etwas schreiben. Wir sind in dieser Hinsicht ein gutes Team, wir können durch die Stadt gehen und wissen zur gleichen Zeit, wann etwas notiert werden sollte. Aus unserer Sicht, versteht sich, andere werden das selbstverständlich anders sehen. Wie es auch bei diesem Satz, von dem ich gleich berichten werde, durchaus zwei Meinungen geben kann. Vielleicht finden Sie den gar nicht gut, ich kann mir das vorstellen.

Die Frau jedenfalls sagt, und es ist manchmal klug, einen Satz so zu beginnen, wie wir alle wissen: „Ich habe auch viel falsch gemacht …“, wonach sie eine äußerst gelungene Kunstpause macht und diesen Anfang dann mit neuem Anlauf und frischer Verve wiederholt. „Ich habe auch viel falsch gemacht“, sagt  sie also noch einmal und dann folgt ein Gedankenstrich, ob Sie es glauben oder nicht, man kann ihn ihn förmlich sehen, diesen Gedankenstrich, und dann erst das vernichtende Schlussargument: „Ich habe auch viel falsch gemacht – aber du hast dich falsch verhalten.“

Mehr nicht. Nur noch Vater und Sohn Buddenbohm, die da vorbeigehen und sich ansehen und verschwörerisch nicken.

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