Ruppiger Wind

Es ist windig, fast stürmisch, die Böen zerren am Laub der Bäume im Garten und verwuscheln die Büsche, sie holen sich die letzten Magnolienblüten und beschleunigen die herumirrenden Aurorafalter unangemessen stark, sie schießen geradezu durch den Garten. Beaufort 8: „Große Bäume werden bewegt, Fensterläden werden geöffnet, Zweige brechen von Bäumen.“ Ja, sagt die alte Weide, nimm das, und wirft mir Holz vor die Füße, das braucht sie nicht mehr. Im Wetterbericht ist die Rede von „ruppigem Wind“, das passt. Ich sammele Reisig wie ein alter Mann im Märchen, ein ganzes Bündel. Später stehe ich draußen im Windschatten hinter der Laube am Bottich und wasche ab, wobei mich Bill Evans freundlich am Klavier begleitet, you must believe in spring, den Gesangspart übernimmt die Heckenbraunelle: “You must believe in love and trust it’s on it’s way, just as the sleeping rose awaits the kiss of May.” Es gibt auch eine Version von Tony Bennett, aber Vorteil Heckenbraunelle, bei allem Respekt. Sonnenflecken im Abwaschwasser, ich finde alles großartig, auch bei mäßigem Wetter, ich bin eindeutig in Gutfindestimmung, und der Wind kommt suchend um die Ecke, findet mich und heftet mir Eichenlaub aus dem Nachbargarten an die Brust, der Wind dekoriert hier alles eigenwillig neu.

Fenster und Türen geschlossen halten, die Laube als Wärmeinsel, oben auf dem Schlafboden ist es noch mollig. Huck Finn und ich hören Musik und Podcasts, jeder für sich, ab und zu sagen wir uns, wie gut es uns geht. Die Herzdame schickt Nachrichten aus der Wohnung, wir haben also auch eine Wohnung, Huck Finn und ich erinnern uns dunkel, aber es fehlt uns hier nichts und wir antworten nur zögerlich.

Die Lampions an der Leine über der Terrasse vor der Tür schaukeln wild im Sturm und wollen auf und davon, mit dem Wind wollen sie mit, weit weg wollen sie, über die Bille, über die Elbe sogar, das wäre es doch. Und dann am Ende des Tages irgendwo in Fetzen hängen und von vergangener Pracht träumen, wer kennt es nicht.

Ich lege dem Sohn noch einmal Toast in den Sandwichmaker und vor dem Fenster füttert ein Star gerade einen Jungvogel, der noch nicht dieses schicke Metallic-Gefieder hat. Matt und mausgrau ist er noch, aber sehr hungrig und schon so groß wie die Eltern. Die Kohlmeisen picken mit den Staren gleichzeitig an den Meisenbällen. Während sich sonst alle Arten gegenseitig rigoros und ohne Pardon vertreiben, scheint es da einen Pakt zu geben, die tun sich nichts, die dulden sich. Wie so etwas wohl kommt.

Ich lege das „Weiße Leintuch“ wieder weg, denn es ist zwar gut, aber es ist ein Herbstbuch, es braucht dunkle Abende. Und das mache ich später auch mit dem „Saal von Alasto“von Volter Kilpi (Deutsch von Stefan Moster), das, nach den ersten 50 Seiten zu urteilen, tatsächlich so epochal großartig ist, wie es bereits etliche Rezensentinnen befunden haben, aber 1.000 Seiten sind mir im Sommer doch zu viel, auch das gehört in den Herbst, wenn nicht sogar in den Winter, Winter, wie weit ist der Winter.

Am späten Nachmittag fahren wir nach Hause, gehen wir nach Hause, der Sohn auf dem Rad, ich zu Fuß, und dann fremdeln wir in der Wohnung und lesen im Wetterbericht nach, wann es im Garten wohl wieder gut genug fürs Übernachten sein wird.

***

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5 Kommentare

  1. In dem Bottichmoment wehte es mich gestern vielleicht gerade an Hamburg vorbei, der Himmel machte großes Kino bei meinem Weg ans Meer.

    Haben Sie’s gut, wo auch immer – dieses Fremdeln mit dem festen „Drinnen“ kenne ich auch gut – und bin dennoch soeben froh, „Zimmer“ statt „Zelt“ gewählt zu haben. Zu nass, zu kalt, zu windig.

    Für diesmal.

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