„Es ziehen Schauer übers Land“, so steht es im Wetterbericht, und es klingt nach Lyrik oder wenigstens nach Volkslied:
Während ich die Liebe fand
zogen Schauer übers Land
Humtata, repeat zwo drei
Es wird doch gerade allgemein über Songtexte debattiert, nicht wahr? Ich habe die entsprechenden Artikel nicht gelesen, ich habe nur die Schlagzeilen gesehen, das reichte mir schon. Ich muss mich nicht für alles interessieren, schon gar nicht im Urlaub. Neulich habe ich, fällt mir dabei ein, auf Spotify einen Roman gehört, in dem es um russische Aussiedler in Deutschland ging, um ein eher sauberes und eindeutig feuilletontaugliches Thema also, aber die Autorin wurde, ich vermute eine schwere Fehlfunktion der Algorithmen, von Spotify in Richtung Porno klassifiziert, eine für sie sicher äußerst unangenehme Situation.
Unter „Ähnlich wie …“ bekomme ich jetzt jedenfalls Vorschläge, also man macht sich keinen Begriff. „Ein Sommer ohne Höschen“ ist noch harmlos. Oder das mich vom Titel her erheiternde „Sommersex – Mach‘s mir im Garten.“ Gib mir Unkrautnamen, denke ich und gehe bemüht kultiviert zu Maupassant über, Boule de suif, heute noch ein Meister- und Lehrstück über Stimmungsänderungen in Gruppen und soziale Ausgrenzung, geradezu gruselig gut ist es. Wie überhaupt der ganze Maupassant noch süffig les- oder hörbar und oft sogar noch gültig ist, siehe etwa auch Tschechow im Russischen, so etwas haben wir im Deutschen wohl nicht. Fontane, Storm oder Raabe jedenfalls haben nicht diese erhalten gebliebene Leichtigkeit des Tonfalls.
Draußen immer noch und immer wieder der stürmische Wind. Eine Schwalbe startet aus dem Nest und bleibt in einer Böe über dem Dach der Scheune kurz stehen, es geht nicht weiter, es kommt ihr einfach zu viel Luft entgegen. Dann kehrt sie um und fliegt schimpfend zurück zum Nest, keine Schwalbe möchte man vor die Tür jagen in diesen Stunden. Ein Schmetterling wird quer über den Hof katapultiert. Es ist mir ein Rätsel, wie Schmetterlinge es bei ihrer Körperkonstruktion schaffen, bei starkem Wind noch zu fliegen. Wieso werden sie nicht Sekunden nach dem Start gegen irgendwas geklatscht und zermatscht, wie steuern sie die wilde Fahrt?
Die Herzdame geht über den Hof, bückt sich und streichelt das Lamm, das dort unverzagt grast. Dem Lamm ist der Wind vollkommen egal, auch die heute eher spätherbstliche Temperatur, es trägt ordentliches Outdoorzeug. In der üppigen Wolle des Schafes aber haben sich Dornen verfangen und die kraulende Herzdame schreit auf, zuckt zurück und besieht sich einen ihrer Finger, von dem Blutstropfen märchenhaft rot ins Gras herabfallen. Sie hat sich an einem kuscheligen Lamm gestochen, das muss man auch erst einmal schaffen. Ich nehme es selbstverständlich als erneuten Beleg ihrer Prinzessinnenhaftigkeit, so viel Märchenland muss sein.
Ein paar Meter weiter ringt ein kleiner Junge mit seiner etwas größeren Schwester um einen leeren Eimer, den eines der Kinder zuerst hatte und unbedingt behalten will, was wohl nur mit Gewalt zu klären ist. Sie schlägt ihn, er tritt sie schließlich, sie fällt hin, in einiger Entfernung zu ihrem Kopf liegt ein großer Stein als Wegmarkierung. Sie zeigt empört darauf: „Davon kann man sterben!“ Der Junge besieht sich die Entfernung, schüttelt energisch den Kopf und sagt: „Davon sterbst du nicht.“
Das hätte ich zur Herzdame mit dem blutenden Finger selbstverständlich auch sagen können. Aber es ist jetzt zu spät und ich möchte ohnehin Freundlichkeit vorziehen, wann immer es mir möglich ist.
Das Lamm kackt, der Hund kommt und frisst auf, was da dann liegt. Kreislaufwirtschaft, denke ich kenntnisreich, das ist auch schön und wichtig.
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„Du böser, böser Giersch!“
„aaahhhh, meine prickelnde kleine Brennessel…“
„oohh du großer Schachtelhalm!“
„kratz mich, Du dornige Distel!“
(Entschuldigung).