Donnerstagmorgen

Am Donnerstagmorgen gib es endlich wieder eine überlebbar wirkende Außentemperatur. Was bis dahin geschah, das fiel unter Hitzeterror und Apathie, was bis dahin geschah, ist des Berichtens nicht wert, was bis dahin geschah, ist geschmolzen oder zu Staub zerfallen, wie alles andere auch.

Die Schule fängt wieder an, gestern Abend kamen die erwarteten Schulmails mit den Hausaufgaben für die Eltern. Wir suchen Nachweise für dies und das heraus und legen Papiere und Zeug bereit, wir tragen Termine ein, zählen Geld ab etc., wir suchen College-Blöcke und Hefte aus dem Vorrat heraus und bestätigen dies und das. Die Laune der Kinder sinkt derweil merklich.
Am Donnerstagmorgen schieben wir sie freundlich und unter gutem Zureden aus dem Haus und gehen dann auch zu beruflichen Terminen.

Das welke Laub, das mir letzte Woche nur im Garten aufgefallen ist, es liegt jetzt auch in der Stadtmitte und wird allmählich präsenter. Septemberfarbene Einsprengsel im Straßenbild, die hellbraunen Blätter der Linden, die blassgelben Blätter des Blauregens am Spielplatz, hier und da auch schon ein dezentes Rascheln beim Gehen.

Eine vermutlich drogensüchtige Frau sitzt vor den Stufen der Kirche. Sie schreit und brüllt, sie geifert, sabbert und keift, die Laute sind kaum zu verstehen und klingen teils tierhaft, dazu reißt es ihr die Gliedmaßen hin und her, dass es kaum mitanzusehen ist. Wild wedelnde Arme und Beine, da ist nichts mehr im Griff. Ich weiß nicht, woran es liegt, dass Drogenopfer dieser Art wieder öfter hier zu sehen sind, gibt es einen Bezug zur Hitze, ist ein neues Zeug auf dem Markt, das die Menschen noch schneller ruiniert – keine Ahnung. In gewissen Filmen werden Menschen, die von einem Dämon besessen sind, so dargestellt, wie diese Frau es gerade zeigt. Dieser Dämon ist glaubhaft. Ein Krankenwagen hält vor der Frau, jemand in der Nachbarschaft wird ihn gerufen haben.

Vor der Grundschule steht die Direktorin, begrüßt Eltern persönlich und ist um das Ausstrahlen von Zuversichtlichkeit bemüht. Hinten am Zaun stehen Eltern und linsen heimlich durch die Zweige des Gebüschs, beobachten ihre Kinder beim Spielen oder beim bloßen Herumstehen auf dem Schulhof. Was machen die da? Guck doch mal, da ist sie!

Auf der Straße vor der Schule Blinklicht und Geheul, erst eine Feuerwehrsirene, dann eine Polizeisirene, dann eine Notarztsirene. „Oh, oh“, sagt die Bäckereifachverkäuferin und reicht mir mein Franzbrötchen, „oh, oh.“

Vor einem Studentenwohnheim eine graue Mauer, über und über mit Graffiti gezeichnet, kein einziges davon kann man lesen. Ist das die Bildungsmisere?

An der Tür eines Altbaus ein historischer Türklopfer, darunter ein Zettel, auf dem steht: „Hier bitte klopfen.“ Da wir uns nicht mehr auf eine gemeinsame Wirklichkeit einigen können, wie es einige kluge Menschen im Laufe der letzten zwei wissenschaftsfeindlichen Jahre festgestellt haben, müssen wir die Wirklichkeit neu definieren und erklären, deswegen müssen wir bei einem Türklopfer auch dazuschreiben, dass es ein Türklopfer ist, mit dem an die Tür geklopft wird. Vielleicht sollte man auch noch erklären, dass man durch eine Tür hindurch … oder nein. Das ist schon zu viel, das ist schon Kafka.

An einem großen Werbeplakat an einer potthässslichen und vielbefahrenen Kreuzung steht „Dieses Plakat filtert Schadstoffe aus der Luft.“ Guck mal an, denke ich, das sind vielleicht die neuen Technologien, nach denen diese ausgesprochen unsympathische Kleinpartei immer schreit, diese Lösungen, von denen die dauernd faseln. Fein, fein. Die Werbung, die die Stadt verschandelt, macht die Stadt sauber. Warum auch nicht.

Aber es müsste noch ein wenig mehr passieren, nicht wahr. Ein klein wenig mehr, um die Welt zu retten.

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3 Kommentare

  1. Seit dem 15. bekomme ich das Blog in der dtv-Grossdruck-Ausgabe, andere Schrift, ohne Serifen, dafür sehr, nun, groß. Gut, ich bin älter geworden, aber soll das so?

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