So macht man das jetzt

Wir waren im Garten und haben das Trampolin abgebaut, wie immer vor der in Kürze anbrechenden Orkan-Saison. Das ist Pflicht in der Kleingartenanlage, aber man sollte es ohnehin tun. Ein ordentlicher Sturm betrachtet große Gartentrampoline gerne als willkommene Schleuderware und ich habe schon gesehen, wie so eines über Hecken und Zäune marodierte, es richtet dann ziemlich viel Schaden an und ist nicht eben leicht einzufangen.

Der kinderbunte Schaumstoff, mit dem die Stangen zum Schutz vor Verletzungen dick umhüllt waren, ist mittlerweile verwittert und zerbröselt bei geringster Berührung in aufwölkenden Mikroplastikstaub, der verteilt sich dann leuchtend im modergrünen Rasen und in den herbstbraunen Beeten, toxisches Konfetti.

Ich habe das Trampolin nie gemocht, es war abgrundtief hässlich, wie alle seiner Art, und es war mir viel zu groß, im Grunde eine Zumutung. Es war aber während der Corona-Hauptzeit besonders einem Sohn doch eine große Hilfe, irgendwo musste seine altersgerecht überbordende Energie ja hin. Er lernte dann auch erstaunliche Kunststücke darauf, lauter absurde Übungen, bei denen wir Eltern beim Zusehen dachten: Ach guck, das konnten wir nie. Aber es gab in unserer Kindheit auch keine Sportgeräte in den Gärten, wir hatten ja nichts. Wir machten damals noch simple Rollen und Überschläge auf dem Rasen vor den Häusern, wie der Nachwuchs der Primaten auf Urwaldlichtungen.

Das Unding hat also doch seinen Sinn gehabt, aber wir bauen es jetzt zum letzten Mal ab. Es kann weg, die Söhne sind am Hüpfen nicht mehr interessiert, es ist alles nur eine Phase. Auch das nur noch abhaken, wegstellen, verkaufen, als Erinnerung speichern, notieren und verbloggen.

Ich gehe vom Garten zu Fuß nach Hause, die U-Bahnen fahren nicht. Gefühlt fährt gerade in ganz Hamburg nichts, es ist alles gesperrt, wird neu gebaut, abgerissen, repariert oder geändert. Man kommt mit keinem Verkehrsmittel noch irgendwo so durch wie gedacht. Man geht am besten immer zu Fuß, im Grunde kommt mir das entgegen. In den Nachrichten die Meldungen zum neuen 49-Euro-Ticket. Es wird sich für mich wohl nicht lohnen, aus dem eher positiv zu bewertenden Grund, dass ich zu viel zu Fuß gut erreiche. Ich würde es nett finden, so ein Ticket zu haben, wegen des sich vermutlich einstellenden Freiheitsgefühls und einer gewissen Lässigkeit in der Planung der Wege, aber es wäre in etlichen Monaten kein gutes Geschäft für mich. Und auf gute Geschäfte muss man achten in diesen Zeiten.

Ich gehe durch einen Park und habe dabei sogar einen dieser goldenen Oktobermomente, von denen alle immer reden. Für ein paar Minuten passt alles, die Sonne steht richtig und im Gegenlicht leuchtet das Laub glühend rot auf, Indian Summer in Hamburg-Borgfelde. Auf einer leeren Bank vor einem verblühten Beet steht mit Edding geschrieben: „Antifa Area“. Ich setze mich einen Augenblick. Schon aus Prinzip.

An einer Altpapiertonne im kleinen Bahnhofsviertel steht einer und stopft Plastikmüll in den Eingabeschlitz, sieht mich an und nickt freundlich, als wolle er sagen: „So macht man das jetzt.“ Mich wundert ohnehin nichts mehr.

Später und schon im Bett lese ich den gerade verstorbenen Wolfgang Kohlhaase, weil auf Twitter jemand (wer war es noch) erwähnt hat, dass „Erfindung einer Sprache“ eine sehr, sehr gute Kurzgeschichte sei. Das ist es tatsächlich, wenn es auch, das liegt aber nur an mir, dafür kann der Herr Kohlhaase nichts, etwas unangenehme Anmutungen von Schulaufsatzthema hat. Ich lese das dennoch gerne, und Twitter taugt auch mal als Feuilleton.

Danach Dörte Hansen, Zur See, es fängt gut an. Aber das lesen ja eh alle gerade.

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