Dünnhäutig und unduldsam

Montag. Der Wetterbericht wirkt weiter unbemüht, copy and paste des Immergleichen im Endlos-Loop. Ich bin unzufrieden damit, alle sind unzufrieden damit. Am Morgen sehe ich weiße Flecken unten auf dem Spielplatz, heimlich gefallener Nachtschnee in der Sandkiste und auf den schwarzen Ästen der Eiche. Der wird nicht bleiben, der wird im Laufe des Vormittags noch wegschmuddeln. Die Woche geht mir zwei Stunden nach dem Aufwachen und den ersten paar gelesenen Mails und Nachrichten schon gewaltig auf die Nerven, womöglich bin ich etwas dünnhäutig und unduldsam. März eben.

Bundeskanzler Scholz, ich lese es in den Nachrichten, hat eine positive Bilanz seiner Regierungsarbeit gezogen. Da hat er mir entweder etwas Selbstbewusstsein voraus oder einen gewissen Mangel an Einsicht, ich könnte nicht einmal eine positive Bilanz des letzten Wochenendes ziehen, und das verlief ziemlich normal. So verschieden fallen wir Menschen aus, so verschieden urteilen wir.

Den Radetzkymarsch habe ich immerhin plangemäß und mit höchstem Genuss am Sonntag durchgehört, die Kapuzinergruft, die wesentlich kürzer ist, dann noch wenigstens halb, letztere gelesen von Peter Matic. Die Szenerie der Romane liegt teils in einer Gegend, in der heute wieder geschossen wird, ich werde den Gedanken beim Lesen nicht los. Ich kenne die Bücher schon, ich habe beim ersten Lesen als junger Erwachsener aber sicher nicht daran gedacht, dass Schießen und Kriegstote dort bald wieder gegenwärtig sein könnten. Sehr weit weg war das alles, die Gegenden, die Menschen, die Toten, die Kriege. Ich habe ohnehin erst spät im Leben, das schrieb ich schon einmal, verstanden, wir kurz vor meiner Geburt der letzte Weltkrieg endete, wenn man es in Geschichtsbuchmaßstäben betrachtet. Die paar Jahre Abstand, wenn ich die an mein Erwachsenenleben anlege, dann war das keine enorm lange Zeit. Wie überzeugend die Erwachsenen in meiner Kindheit dargestellt und sich vermutlich auch selbst und gegenseitig geglaubt haben, dass es alles unvorstellbar lange her war, so lange her, dass sich kaum noch jemand an irgendwas erinnern konnte.

***

Gestern erwähnte ich kurz das geschlossene Schuhgeschäft im Hauptbahnhof, heute lese ich prompt in einer Meldung: Mehr als jedes zehnte Schuhgeschäft wurde im vergangenen Jahr geschlossen, so sagt es der Handelsverband. 13% der Geschäfte seien in einem Jahr verschwunden, es geht also schnell. Wenn Sie ein Schuhgeschäft in Ihrer Nähe haben, vielleicht einmal nachsehen, ob es wirklich noch da ist.

***

Pro Tag ein Bild, auch mal irgendeinen Beschluss fassen, der mich ohnehin zu nichts verpflichtet – Vorteil Blog. Hier völlig zusammenhanglos ein Bild aus Hammerbrook, also aus der Gegend, in der das Büro ist, in das ich im Moment zweimal in der Woche gehe. Die anderen Tage bleibe ich im Home-Office, für mich ist das eine angenehme Mischung, das kann meinetwegen so bleiben. Ich bin damit vermutlich erneut tief im Mainstream, nehme ich an, denn das wird doch wieder so etwas Mehrheitsfähiges sein, die Zwei-Tage-Büro-Gesellschaft. Warum die S-Bahn dann morgens aber stets so voll ist wie vor der Pandemie – auch wieder rätselhaft. Wo fahren die denn alle hin? Oder gehen wir jetzt alle gleichzeitig jeweils am Mittwoch ins Büro? Das wird es vielleicht sein. Der Mensch macht, was die Menschen machen.

Häuserfronten an einem Fleet in Hammerbrook, leichter Nebel über dem Wasser, Morgenstimmung

***

Sie können hier Geld in den allerdings nur virtuell vorhandenen Hut werfen, herzlichen Dank! Sollten Sie den konventionellen Weg bevorzugen und lieber klassisch etwas überweisen wollen, das geht auch, die Daten dazu finden Sie hier. Wer mehr für Dinge ist, es gibt auch einen Wunschzettel.

5 Kommentare

  1. schönes bild, danke! der architekt des rechten gebäudes hat den gewonnenen wettbewerb womöglich dem ausdruck „fassade in flechtoptik“ zu verdanken.

  2. Ich kann bestätigen, dass ich auch mittwochs die Bahn in Hamburg nehme, um mich ins Büro zu bewegen – bei ansonsten ziemlich viel Home Office. Das dürfte als Beweis, dass alle Menschen es dann so machen, ja genügen.

  3. Dito, 2 Tage im Büro, wenn auch nicht mittwochs. Da kommen wir uns nicht in die Quere, was eh schwer möglich wäre, da Landleben und automobilisiert.

  4. Bitte nicht nur gucken, ob das Schuhgeschäft noch da ist, sondern vielleicht zur Abwechslung dort kaufen. Vom Gucken allein wird das Geschäft nämlich nicht überleben.
    Ich denke, dass es vielen (nicht allen) Menschen nicht bewusst ist, dass sie mit ihrem Konsumverhalten auch ihre nähere Umgebung gestalten. Schade.

  5. Was sagt es jetzt über mich aus, dass ich bei dem Gebäude als erstes „ah, Leinwandbindung“ denken musste?

Schreib einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert