Süd, Südwest

Es kommt Sturm auf, höre ich am Dienstagmorgen, es heult ums Haus und die Badezimmertür klappert laut, es saust dazu gespenstisch in der Lüftung, so sehr zieht es in der Wohnung, durch die Wohnung. Auch andere seltsame Geräusche höre ich auf der Etage, knarrende Türen, klappende Fenster, der November hängt uns im Soundtrack weiterhin nach. Windstärke 10 draußen an der Küste, so melden es die Wetterdienste, aber für uns in der großen Stadt ist heute auch noch etwas übrig. Möwen in Höchstgeschwindigkeit am Himmel, in großem Bogen um die Kirche herum, deren Wetterfahne unruhig rüttelnd Süd, Südwest anzeigt.

Unten auf dem Spielplatz halten Einsatzfahrzeuge der Stadt, vom Gartenbauamt, nehme ich an. Männer in Orange steigen aus und fegen und harken mal durch, routiniert wirkt es. Ich sehe das gerne, es sieht so nach funktionierendem Staat aus, nach regelmäßigen Terminen und geordnetem Ablauf, es wird sich gekümmert, es wird gepflegt. Mein innerer Wertkonservativer findet das gut und richtig.

Am Nachmittag stehe ich mit Sohn II vor den Auslagen einer Bäckerei im Bahnhof, weil ich den Eindruck hatte, eine Rumkugel würde dem Tag jetzt guttun. Noch während ich mein Rückgeld wegstecke, bestellt der Mann hinter uns in offensichtlicher Eile, sich an uns vorbeidrängend und in energischer, sehr bestimmter Tonlage: „Ich bekomme ein Hanseatenherz!“ „Also meines nicht“, sage ich. Immer alles absichern, immer auch Grenzen setzen.

Gehört: „Der kleine Muck“ von Wilhelm Hauff, das sagte mir eher nichts. Dann „Amerikanisches Tagebuch“ von Siegfried Lenz, gelesen von Burghart Klaussner, das Journal seiner Reise durch die USA im Jahr 1962, zur Zeit der Kubakrise. Er schreibt da unter anderem, dass sich angesichts der Gefahr auch die Opposition hinter die Entscheidungen des Präsidenten stelle, ein Szenario, das heute gar nicht mehr denkbar ist. Aber auch sonst ist das, was er beschreibt, sehr vergangen, in nahezu jedem Aspekt. Nur die aus deutscher Sicht auffällige Smalltalkfreundlichkeit bei Alltagsbegegnungen, die ist wohl heute noch erlebbar. Interessantes Buch, gerne gehört, und es ist noch etwas übrig.

Apropos Hörbuch, Heinz Baumann ist gestorben, es gibt von ihm eine sehr gute Aufnahme von „Ansichten eines Clowns“, Heinrich Böll. Empfehlenswert.

Im Tagesbild noch einmal Hammerbrook. Rechts liegen Hausboote, wobei Boot ein etwas trügerischer Wortbestandtteil ist, es sind eher modern überbaute Badewannen der größeren Art, die mit Booten rein gar nichts mehr zu tun haben, von der Schwimmfähigkeit einmal abgesehen. An den Ufern des Fleets stehen ausschließlich Bürohäuser. Dieses Viertel wurde im Zweiten Weltkrieg komplett ausradiert (Hamburger Feuersturm bzw. Operation Gomorrha, 1943) und dann nicht als Wohngebiet wieder aufgebaut, die Flächen wurden nur gewerblich genutzt. Erst in den letzten Jahren entstanden dort wieder Neubauten mit Wohnungen. Man kann annehmen, dass es wieder ein Wohngebiet wird, wenn man nur weit genug vorausdenkt. Eine Entwicklung Gebäude für Gebäude ist das, die sich in den letzten Jahren etwas beschleunigt hat, es gibt seit kurzer Zeit auch einen ersten Supermarkt in der Gegend. Gleich nebenan die Hafencity und das kleine Bahnhofsviertel, aber im Bewusstsein der meisten Menschen in Hamburg ist Hammerbrook weiterhin eine Nichtgegend. Man fährt nur manchmal durch, wenn man von der Autobahn kommt oder zum TÜV hinten im Gewerbegebiet muss, man sieht kaum hin dabei und nachts, das weiß man, nachts möchte man da ganz sicher nicht herumlaufen.

Blick über einen Fleet mit Hausbooten in Hammerbrook

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5 Kommentare

  1. Darf ich fragen, was sich hinter „Hanseatenherz“ als Backwerk verbirgt? (außer dass es dem von Ihnen beschriebenen Kunden vielleicht fehlt …)

  2. Es gibt diesen DEFA Film vom kleinen Muck, mit dem bin ich groß geworden … danke, das ich mich daran gerade jetzt erinnert habe.
    Und die Hanseatenherz- Geschichte ist herrlich, ich hätte gerne das Gesicht des Herren gesehen!

  3. Vielen Dank für das ausgiebig lange, laute Lachen.
    Ein schönes Geschenk zum Frauen(kampf-)tag.

    Warum der weite Weg bis zum Bahnhof?
    Junge ist doch viel dichter bei.
    Da gibt’s doch auch Rumkigeln, oder nicht?
    Oder sind die im Bahnhof besonders gut?

    Das Privileg des Buddenbohmschen Hanseatenherzens sei der Herzdame von ganzem Herzen gegönnt.
    Wobei ich ihr diesen kannibalischen Zug so aus der Entfernung und Ihrer Beschreibung her gar nicht zugetraut hätte…

  4. Meine Band hatte bis vor einigen Monaten einen Proberaum in Hammerbrook. Erst sehr prominent, fast direkt an der Süderstraße, später ein kleines bisschen weiter davon weg.
    die An- aber besonders die Abreise war dann schon immer recht speziell, denn die führte über den Straßenstricht auf der Süderstraße. Von da aus ging es dann zur Geisterstadt rund um den Bahnhof. Ein bisschen gruselig war das schon immer.

    Inzwischen sind aus dem Bunker an der Süderstraße ausgezogen, in einen frisch sanierten Musikbunker auf St.Pauli. Mein Heimweg führt jetzt über die große Freiheit. Ich bin mir noch nicht sicher, ob das wirklich besser ist, auf jeden Fall ist mehr los als in Hammerbrook.

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