Mainstreammarmelade

Sonnabend, der 1. Juli. Ich wache herzinfarktgefährdet auf, denn es klopft energisch von außen an die Balkontür, was bei einer Wohnung unterm Dach doch eher nicht vorgesehen ist, schon gar nicht gegen fünf Uhr am Morgen. Die Rabenkrähe ist es, die vielleicht etwas mehr Hunger hat als sonst und mit dem Schnabel nach drinnen morst: Jetzt! Erdnüsse! Viele! Es sind schlaue Vögel, sie wissen definitiv, wie es läuft. Und es läuft dann auch, also ich in dem Fall.

Es ist ansonsten der einzige gesicherte Regentag weit und breit, die ersten Tropfen auf den Fenstern erscheinen prompt, während ich mir den ersten Kaffee mache. Sehr viel mehr Regen wird es heute noch werden, sagt der Wetterbericht, und ich habe ausgerechnet an diesem Tag zwei Outdoor-Termine, sonst weit und breit keine im Kalender. Wie persönlich soll man alles nehmen? „Wenn ich mal richtig ICH sag, wie viele da wohl noch mitreden können?!“ Rühmkorf hat das damals geschrieben, Phönix voran hieß das Gedicht, ich habe schon oft daraus zitiert.

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Am Morgen gelesen: Der Meeresspiegelanstieg in Thailand. Immer wieder diese bemerkenswerten Stücke im Guardian, auch mal Medien loben. Außerdem: Die rassistische Revolution in einer deutschen Zeitung. Wenigstens auf die taz kann man sich noch verlassen, stabile Haltung da.

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Die Herzdame hat gestern Kirschen gepflückt, viele davon. Die Herzdame braucht nun in logischer Folge Gelierzucker, mindestens fünf Pakete, sagt sie. Im Supermarkt, in den ich weisungsgemäß und wiederum beflissen eile, gibt es allerdings nur noch zwei davon. Ich stehe vor leergeräumten Regalen, denn auch hier gilt vermutlich wieder: Man schwimmt so im Mainstream dahin, auch beim Zubereiten der Marmelade und beim Kauf der benötigten Zutaten.

Aus dem Laden „Kräuterhaus“ auf meinem Weg wurden sämtliche Zimtlatschen gestohlen, in allen Größen und Farben. Ich lese es auf dem Rückweg vom Gelierzuckerkauf, es hängt ein Aushang zum Vorfall im Schaufenster. Man nimmt, so lese ich weiter, zwar an, dass das Karma die Unholde schon richten wird, hat den Diebstahl aber auch ganz konservativ zur Anzeige gebracht. Immer alles doppelt absichern, ich verstehe das.

Ich wusste allerdings nicht, dass es Zimtlatschen überhaupt noch gibt, das Stichwort klingt für mich eher nach 1990. Ungefähr.

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Abends im Bett habe ich noch etliche Gedichte von Karl Krolow gelesen und nicht verstanden. Ich erwähne das ab und zu, damit es vielleicht jemand nachmacht, es ist nämlich vollkommen in Ordnung, Gedichte zu lesen und nichts zu verstehen. Es ist vielleicht sogar großartig verwirrend, und wenn man dann zwei, drei Zeilen findet, die doch irgendwie anklingen, wie schön das dann immer ist – aber es ist leider auch so eine aussterbende Kulturtechnik, fürchte ich, sich von Gedichten irritieren oder betören zu lassen. Lest mehr Lyrik, esst mehr Obst!

Hier noch mehr Rühmkorf.

Ein aufgeschlagenes Buch, der Anfang des Gedichtes "Variaton auf "Abendlied" von Matthias CLaudius

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2 Kommentare

  1. Da lobe ich mir doch die Gedichte von Tucholsky und Kästner. Die lese ich immer wieder mit viel Freude und verstehe sie eigentlich auch immer – meine ich wenigstens.

  2. Meine Güte, Herr Buddenbohm!
    Mit Verlaub: Sind Sie wahnsinnig?!
    Es ist 01:30 nachts, eigentlich wollte ich jetzt schlafen, aber daraus wird nun nichts, weil sich der Puls erst einmal wieder runterregulieren muss.
    Mann mann mann!
    Wissen Sie, was passiert, wenn Sie im Fediverse Ihren Account wechseln? Auf Ihrem alten Account wird das Bild schwarz-weiß. Ja, genau. Schwarz-weiß!
    Solche Schrecke steck ich inzwischen nicht mehr so gut weg. Bitte demnächst Flausen dieser Art mit einem gewissen Vorlauf ankündigen.
    Man ist schließlich keine 20 mehr, nech?
    Puuuhhh…
    Mannomann!
    Der sitzt jetzt aber in den Knochen.

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