Der erwartbare Griff

Donnerstag, der 20. Juli. Gestern bin ich noch einmal in der Bücherei gewesen, drei Bemerknisse gab es dabei. Zum einen eine junge Frau, die ich allerdings nur von hinten gesehen habe, insofern ist meine Einschätzung des Alters nicht unbedingt unter Eid zu bezeugen, aber doch, sie wirkte von hinten jung. Zwanzig bis dreißig, damit also jung aus meiner Sicht. Blond und langhaarig, ich habe ihr Gesicht nicht gesehen, man kann sich im Geiste etwas ausmalen, vielleicht sah sie schön aus, interessant, sympathisch oder wie, ich habe keine Ahnung. Sie hatte jedenfalls nur ein Bein, das andere war amputiert. Sie ging an Krücken, und zwar ausgesprochen kraftvoll und sportlich, ohne irgendeine Anmutung von Krankheit oder Elend. Und sie trug, das fand ich beeindruckend, einen ausgesprochen eleganten Schuh mit hohem, fast könnte ich sagen mit sehr hohem Absatz. Warum sollte sie so einen Schuh auch nicht tragen, nicht wahr. Es war nur nicht der, den ich in diesem Bild erwartet hatte.

Zum anderen stand ein Mann vor dem Regal mit den Mangas, genauer vor dem Regal, auf dem auch das steht, was die Söhne im letzten Jahr noch gelesen haben, One Piece und dergleichen. Der Mann war mit Sicherheit über 80, er war sehr interessiert und hatte einen energischen Zugriff auf die Bände, er suchte nach Bandnummern, und er wusste, was er wollte. Ich habe ihn später noch vor anderen Regalen gesehen und war fasziniert von der zupackenden Art, mit der er sich Bücher aussuchte. Es gibt auch bei so etwas Banalem wie dem Griff nach einem Buch in einem Büchereiregal ein erwartbares Mittelmaß, und es gibt selten zu sehende Abweichungen.

Zum dritten war da ein junger Mann, der mit einem vermutlich älteren und schon etwas schwerhörigen Menschen dort telefonierte, wo man nicht telefonieren darf, weil es doch alle anderen stört, weswegen er zu etwas zischender, gepresster Aussprache neigte und eher nicht verstanden wurde, alles mehrfach und immer lauter werdend wiederholen musste („ICH BIN IN DER BÜCHEREI!“) und schließlich zweimal, dreimal, viermal sagte. Der Mensch, mit dem er da telefonierte, war sehr krank, vermutlich in einem Krankenhaus. Ich konnte gar nicht anders, als das alles mitzubekommen, den anderen um mich herum ging es ebenso, und gut klang es alles nicht, ganz und gar nicht. Aber das Gespräch beendete der Jüngere dann mit einem ebenfalls mehrmals wiederholten: „Lass es dir gutgehen!“

Weil man das eben so sagt, nehme ich an. Aber was für eine Aufforderung, wenn man etwas darüber nachdenkt.

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Ein Kommentar

  1. Diese Bücherei, die Sie oft aufsuchen, bietet meiner schwer gehbehinderten Kusine großartigen Service durch eine Bücherpatin!
    Diese kommt in regelmäßigen Abständen zu ihr, der Vielleserin, nach Hause, als Hol- und Bringdienst für die gewünschte Lektüre.
    Diese Patin macht das ehrenamtlich und ich finde das einfach toll.

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