Der Buddenbohm-Bot und Konfetti im Regen

Mittwoch, der 2. August, Hamburg, immer wird es jetzt wieder Hamburg sein, also gefühlt jedenfalls. Noch finde ich es auch in Ordnung so.

Hochwasserwarnungen gibt es am Morgen, ganz ohne dazugehörigen Sturm, das ist auch mal originell. Allerdings spielt Katwarn die Meldung alle paar Minuten aus, immer wieder, es nervt etwas und wird wohl eine Fehlfunktion sein. Oder wir gehen unter, noch bevor dieser Text erscheinen wird. Egal, immer weiterschreiben, bei angeblich schnell steigendem Pegel, Selbstbildnis des Autors als Titanic-Bordkapelle.

Später melden die lokalen Medien, dass die Meldung nicht nur zu oft kam, sondern auch noch inhaltlich falsch war, vollkommen sinnlos, es gab überhaupt kein Hochwasser, nirgends. Wie schlecht kann so etwas laufen? Man muss weiterhin fest davon ausgehen, dass wir mit Ernstfällen aller Art überhaupt nicht umgehen können.

Vor einem Hauseingang auf dem Weg zur Bäckerei liegt eine zerdellte Clownsnase auf dem Gehweg, daneben verstreutes Konfetti im Regen, auch die zertretenen Reste einer Tröte. Geschichten, die niemand erzählt. In einem „Zu verschenken“-Karton ein paar Meter weiter sitzt ein ausgesetzter Stoff-Elefant, der traurig über den Papprand der Kiste guckt. Bilder wie aus einem Video für einen deutschen Song der melancholischen Art.

Im öffentlichen Bücherschrank steht immerhin Wolf Haas, Junger Mann, das nehme ich mit, das kenne ich noch nicht. Ich habe gesehen, dass es bald einen zweiten solchen Schrank im Stadtteil geben wird, der Nachschub scheint gesichert zu werden.

Ich lese den Briefwechsel Bachmann-Frisch, „Wir haben es nicht gut gemacht“, und gleich zu Anfang erwähnt sie da die Absicht, sich zu sonnen, um für ihn braun zu werden. Liest sich das für Sie auch schon ungewöhnlich, weil man das so nicht mehr sagt, weil sich niemand mehr sonnt, weil niemand mehr braun werden will, schon gar nicht für jemanden? Für mich klingt es wie ein Satz, der allmählich aus dem spontanen Verständnis fällt, und ich stelle mir vor, dass er auf so junge Menschen wie etwa die Söhne in Zukunft noch seltsamer wirken wird.

Die Herzdame meldet Halsschmerzen. Ich sage „Hühnersuppe“, sie sagt „Bester!“. Sprachliche Verkürzungen in Langzeitbeziehungen, Sie kennen das vielleicht. Ich gehe Zutaten kaufen.

Und übrigens, das ist wieder ein Fall für die Chronik, fällt uns erst spät, sehr spät ein, dass es auch Corona sein könnte und wir noch irgendwo Tests haben … Tatsächlich haben wir beide zuerst nicht daran gedacht, die allgemeine Verdrängung hat uns also mittlerweile auch ergriffen.

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Bei der Artifact-App, ich habe über sie schon einmal berichtet, kann man sich die Artikel jetzt vorlesen lassen, KI-gesteuert, versteht sich, unter anderem auch mit den Stimmen von Gwyneth Paltrow oder Snoop Dog, hier ein Artikel dazu. Die Funktion interessiert mich nicht weiter, ich nehme nur zur Kenntnis, wie sich der Medienkonsum weiterentwickelt. Man könnte sich künftig vermutlich auch dieses Blog jeden Tag mit meiner Stimme vorlesen lassen, ich müsste nur vorher ausreichend Samples aufnehmen, den Rest macht dann die Software. Und es gäbe nie hörbare Schwankungen in meiner Stimme, keine Launen, keine Probleme, keine Krankheiten, auch keinen Tod, es gäbe nicht einmal irgendwelche Hintergrundgeräusche, ich würde immer weiter auf Anfrage alles routiniert vortragen, auch fremde Texte, die ich nie gesehen habe, ein digitaler Zombie am Mikro.

Und eine andere Software, sagen wir ein Buddenbohm-Bot, würde vielleicht auch auf Verlangen immer weiter Texte in meinem Stil schreiben, vielleicht sogar besser als ich, pointierter und regelmäßiger, verlässlicher allemal. Ich stelle mir vor, dass man in der nahen Zukunft auch Jahre nach dem Ableben einer Bloggerin ihre tagesaktuellen Notizen noch imitieren können wird, täuschend echt sogar. Es wäre wohl größenwahnsinnig, das nicht für möglich zu halten. Die Bloggerin wird in der Zukunft immer weiter, bis in alle Ewigkeit gar, die Nachrichten kommentieren und ab und zu auch andere Texte verlinken, so wie es immer war, sie wird launige Anmerkungen schreiben und nach kaum spürbarem Algorithmus hier und da mal bessere und mal schlechtere Stimmung in den Texten verbreiten.

Und wenn es dann, etliche Jahre voraus gedacht, die Leserinnen ebenfalls nicht mehr geben wird, können Programme leicht auch deren Kommentare und Likes übernehmen, es braucht, wenn man es bis zum Ende durchdenkt, zu diesem ganzen Text-Klimbim überhaupt keine Menschen mehr. Fein, fein.

Vielleicht sollten wir uns vorher still und leise aus dem Zirkus entfernen und uns wieder Briefe mit dem Füller schreiben. Rundschreiben, so etwas.

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Ansonsten ist Erdüberlastungstag.

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5 Kommentare

  1. Guten Morgen,

    ich habe mich die ganze Zeit gefragt, wann denn jetzt das Buddenbohm-Boot kommt, Hochwasserwarnung und so. Habe es erst am Ende verstanden.
    Wahrscheinlich bin ich noch nicht wach.

  2. Tja, mir geht’s mittlerweile so, dass ich über mein fortgeschrittenes Alter froh bin, weil ich vieles der schönen neuen Welt nicht mehr miterleben muss. Bisher habe ich zwar immer versucht am Ball zu bleiben, aber die Lust dazu nimmt ab.

    Wolf Haas ist gut. Btw.: Eine Kommentatorin sprach sich hier kürzlich für das Buch „Ich, Eleanor Oliphant“ aus. Ich bin ja immer offen für derartige Empfehlungen und möchte nun bestätigen, dass auch ich von dem Buch hingerissen bin.

    Hühnersuppe hilft auf jeden Fall. Kürzlich begann es auch bei mir mit starken Halsschmerzen. Der Verdacht war sofort da – aber der Test zeigte negativ an. Es war und ist leider immer noch eine veritable Erkältung mit quälendem Husten.

    Gute Besserung der Herzdame!

  3. Hah. Gerade am Sonntag hatten zwei befreundete Teenager:innen einen Bräunungswettbewerb (mit Sonnencreme, immerhin). 15 und 16 Jahre.

  4. oh, das freut mich @Trulla 🙂 (ich habe es durch meinen Lesekreis kennengelernt und als Hörbuch im Original genossen. Prima, dass dann auch die Übersetzung gelungen ist)

  5. Lieber Herr Buddenbohm,

    ich lege Briefpapier und Füller schon mal bereit. Bitte geben Sie rechtzeitig Ihre Postfachadresse bekannt oder die Flugkoordinaten für die Brieftaube oder in Ihrem Fall besser Flaschenpost? Wir werden Wege finden!

    Herzliche Grüße von
    Nelia

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