Lottrige Kinder und verlauste Affen

Mittwoch, der 6. September. Wir werden am Morgen ungewohnt hektisch wach und springen in unsere Kleidung, denn es riecht ums Bett herum intensiv nach Feuer, nach Hausbrand. Sehr deutlich riecht es danach, kein Versehen ist möglich, es brennt, es muss dicht sein, im Haus, im Nebenhaus vielleicht, um die Ecke – wir wissen leider, wie das riecht, und es gab ja in der letzten Woche erst eine Erinnerung ein paar Häuser weiter, als dort ein Dachstuhl gleich zweimal brannte. Die Herzdame rennt runter und vor das Haus und guckt, wo Rauch herkommt, ob aus irgendeinem Fenster … aber es nicht bei uns, es ist ein Steakhouse am Platz um die Ecke. Da brennt die Küche, und ein kleines Feuer scheint das nicht gerade zu sein, der Rauch zieht weit durch den Stadtteil. Ich sagte es bereits, die Gegend hier ist mir im Moment entschieden zu actionlastig.

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In der Hamburger Morgenpost sehe ich später eine Schlagzeile mit einem trocken lapidaren Update zur Pandemie: „Corona und Grippe – Hamburger sterben wieder früher.“ Es wird uns mit erstaunlicher Beiläufigkeit Lebenszeit abgezogen, aber es macht nichts weiter, es regt niemanden mehr auf. Weit sind wir gekommen in den letzten Jahren, Seltsames haben wir erreicht.

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Donnerstag, der 7. September. Wetterbericht: Mir ist das Headset im Home-Office zu warm.

In den Medien geht es um „lottrige Kleidung“ bei Schülern, ich denke mir diese Wortwahl nicht aus. Wir sind also wieder im Jahr 1968 gelandet, zumindest ungefähr; ich sage meinen Friseurtermin ab und lasse alles wachsen, es wird schon passen. Lottrig! Ich komme gar nicht darüber weg. Wie lange habe ich das Wort wohl nicht mehr gehört.

Ich höre mir mehrfach einen Song von 1970 an, es hilft meiner Stimmung wieder etwas: „Wir sind verlauste Affen.“ Manchmal muss man doch auf die Klassiker zurückgreifen und weiß dann auch wieder, wie und warum sie entstehen konnten. Auch das ist eine Form des Geschichtsunterrichts.

Zur weiteren Erheiterung stellen wir uns bitte vor, dass der Bundeselternrat auf die gleiche Weise zustande kommt, wie alle Elternvertretungen, dass also in einer Menge von nach einer Lehrerinnenansage minutenlang peinlich schweigenden Menschen irgendwann drei, vier endlich aufgeben und gottergeben sagen: “Na gut, okay, ich mach’s“. woraufhin alle anderen sie sofort und sichtlich erleichtert sämtlich per Handzeichen bestätigen, und dann ist der Tagesordnungspunkt erledigt.

Und eine, es ist immer eine Frau, holt dann einen Block und einen Kugelscheiber raus und schreibt auch noch Protokoll.

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Später Elternabend in einem viel zu heißen, viel zu lauten Klassenraum. Ich verstehe die Beschwerden des Sohnes jetzt besser, obwohl ich nur anderthalb Stunden dort war. Jeden Tag acht Stunden dort– eine anstrengende Vorstellung.

Ich halte es ohnehin für einen unterschätzten Aspekt bei all den Schuldiskussionen, dass wir dem Nachwuchs fortwährend Belastungen verschiedener Art zumuten, längst nicht nur bezogen auf Räume, die wir für uns selbst gerne ausschließen möchten. Es ist nämlich so, dass der Nachwuchs das merkt. Problem.

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Sie können hier Geld in den allerdings nur virtuell vorhandenen Hut werfen, herzlichen Dank! Sollten Sie den konventionellen Weg bevorzugen und lieber klassisch etwas überweisen wollen, das geht auch, die Daten dazu finden Sie hier. Wer mehr für Dinge ist, es gibt auch einen Wunschzettel.

6 Kommentare

  1. Danke! Das mit der „lottrigen Kleidung“ hat mich gestern auch ratlos zurückgelassen. Vor allem mit der Idee, die SchülerInnen zum Umziehen nach Hause zu schicken. Bei uns in Brandenburg, wo die Schulwege auch mal ne Stunde lang mit dem Schulbus bedeuten eine Utopie. Kommt dann das T-Shirt der Schande? Und was ist mit denen, wo schlicht keine weitere Hose im Schrank ist? Mal sehen, was das noch wird.
    Schönes Wochenende (ohne Action) wünsche ich
    Ilka

  2. Lustig, dass Sie „lottrig“ als altmodisches Wort einstufen, ich dachte: „Elternratvorsitzende scheint aus Süddeutschland.“ Sie vertritt allerdings MV. Hm…

  3. Zwei Kleidungsvorschriften aus meiner Schulzeit in den frühen 60er Jahren. Ich ging auf ein Mädchengymnasium (sowas gab es damals noch). Jeden Morgen stand unsere Direktorin mit einem Zollstock an der Eingangstür zum Schulgebäude. Bei Röcken, die ihr recht kurz erschienen, machte sie die Probe. Wenn der Rock mehr als 8 cm über dem Knie endete, dann wurden wir auch zum Umziehen nach Hause geschickt.

    Unsere Schule war schon so fortschrittlich, dass wir Mädchen im Winter lange Hosen tragen durften. Nach den Osterferien jedoch gab es eine Versammlung mit allen Schülerinnen in der Aula. Die Direktorin teilte uns mit, dass die kalte Jahreszeit jetzt vorbei ist und ab sofort nur noch Röcke und Kleider getragen werden durften. Wer eine Hose trug, wurde zum Umziehen nach Hause geschickt.

  4. Die Gelegenheit, eine Geschichte aus der alten Heimat aufzuwärmen:
    Als Insterburg & Co. damals in Osnabrück gastierten, wollten sie nach dem Auftritt was trinken und versuchten, in die „Olle Use“ hineinzukommen – was ihnen aber ob ihres „Hippie-Aussehens“ verwehrt wurde. (Die „Olle Use“ war eine Kneipe, hat nix mit Kauffrau Beate U. zu tun.) Lokalfolklore, gern von alten Männern erzählt, die eindeutig das Verhalten des Wirts billigten.

  5. Ich habe das Adjektiv lottrig noch nie gehört, aber „Lotterleben“ durchaus. Passt.

    In der Art, wie es den wunderbaren Insterburgern in Osnabrück erging, erfuhr ich von einem älteren Kollegen noch in den 1970er Jahren, dass der stolz war, seinen Söhnen die Beatlesfrisuren verwehrt zu haben mit der Bemerkung „so lange du deine Beine unter meinen Tisch stellst…“
    Gut, dass diese Zeiten vorbei sind, schlecht, dass die jetzigen auch nicht mehr besser erscheinen.

  6. Geschmunzelt über das Headset, konnte das sofort fühlen. Danke.
    Hier diese Woche auch Elternabend im Chemieraum, wurde vom Kind eindringlich gebrieft: Iss bloß nichts vom Tisch, kein Essen oder Trinken auf den Tisch stellen. Was sich das Kind wohl vorstellt, was Eltern beim Elternabend tun. Jedenfalls habe ich mich nicht mal getraut mein Wasser auszupacken. Und Essen gab es noch nie. Elternvertreterinnen Abstimmung: Würdet ihr das bitte weitermachen? Einstimmig angenommen.

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