Weiße Klippen, blaue Vögel

Dienstag, der 12. September. Das Problem beim Reisen ist auch, dass ich dann zu viel schreiben kann. Wir fahren drei Tage nach Helgoland, das ist im Grunde keine romanfüllende Weltreise, aber wenn ich mich gehenlassen würde … dann eben doch. Wobei mir am Ende, versteht sich, die Zeit fehlen würde. Da ab dem Moment des Kofferpackens dieser Sprung aus dem Alltag stattfindet, in dem man auf einmal wieder Aufmerksamkeit für alles hat, jedes Detail registriert, alles bemerkenswert findet und dermaßen auf Empfang ist … ich habe am ersten Tag nicht einmal Notizen gemacht, ich kam mit dem Denken einfach nicht mehr hinterher.

Wäre ich Reiseschriftsteller, was in meinem Fall in Ermangelung chronischen Fernwehs eine einigermaßen absurde Berufsvorstellung ist, ich könnte wohl nur Stop-and-Go-Reisen machen, einen Tag unterwegs sein und hinsehen, einen Tag irgendwo im Zimmer bleiben und dann darüber etwas schreiben, es wäre ein krasser Fall von Slow-Travelling.

Restliches Packen am Morgen jedenfalls. Mit der S-Bahn fahren wir durch eine Stadt im Frühdunst zu den Landungsbrücken. Über der Elbe wabert es, die Hafenbebauungen sind heute freundlich unscharf gestellt und werden erst langsam klarer, während wir auf dem Katamaran nach Helgoland einchecken und das geringe Gepäck abgeben. Es wird nicht sehr voll auf den Decks, die meisten Gäste werden erst später in Cuxhaven zusteigen.

Fluss und Luft haben etwa die gleiche Temperatur. Es sind die Tage, an denen die Hitze für dieses Jahr endet, aber es ist noch spätsommerlich warm, die Stadt glüht nach. Die Farbtöne über der Elbe sind heute besonders geschmackvoll gewählt, ein ausgesprochen freundliches Grau mit einem hellblau angedeuteten Versprechen auf späteres Aufklaren. Man kann den Stand der Sonne schon ahnen, wenn man über die wehenden Wimpel der Schiffe nach oben sieht, aber sie hält sich noch zurück.

Blick über die Elbe Richtung Elphie, vom Deck des Katamarans nach Helgoland aus aufgenommen

Die Fahrt ist ruhig, der auffrischende Wind und das Eintreffen der Kaltfront wurden gerade noch um einen Tag verschoben, es soll uns recht sein.

Wir haben auf der Insel ein Zimmer mit Aussicht auf die Düne im Hotel Rickmers Insulaner, und ich muss den Bezug vielleicht kurz erklären. Das ist hier keine bezahlte Werbung, aber ich habe mit den Betreibern sowohl privat als auch geschäftlich zu tun, ich bin da also auch nicht zufällig. Und es gibt auf Helgoland, Stammleserinnen wissen es seit Jahren, ein Hotelzimmer, das unfassbarerweise nach mir benannt wurde. Wenn Sie im Hotel auf den Hummerklippen nächtigen, können Sie ganz im Ernst das Buddenbohm-Zimmer buchen (es hat einen fantastischen Ausblick), was mir immer noch wie ein besonders attraktiver Literaturpreis vorkommt. Ja, andere haben berühmte Auszeichnungen, schon klar, aber ich habe – hey, ein Zimmer. Wie toll ist das denn.

Blück über den Südstrand auf die Düne vor Helgoland

Zwischendurch haben wir kurz Kontakt mit Sohn II, der gut in England angekommen ist, sozusagen eine Insel weiter, via Dover. Ich denke dauernd an die weißen Klippen, seit ich von seiner Reiseroute weiß, und ich habe von unserem Zimmer aus Blick auf die Fähre zur Düne, sie heißt „Witte Kliff“, ich gehe später an einem Haus vorbei, das ebenfalls „Witte Kliff“ heißt, und ich höre dann eine Weile lang Vera Lynn in Dauerschleife. Den Zeichen im Alltag immer folgen.

In der Wikipedia sehe ich noch den Hinweis, dass die Bluebird aus der ersten Zeile des Liedes in Großbritannien gar nicht heimisch sind, der amerikanische Autor der Lyrics hat es vielleicht nicht gewusst. Aber wer wird es so genau nehmen, in einem gewissen Licht sind fast alle Vögel blau.

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3 Kommentare

  1. Ich wünsche gute Tage auf Helgoland! Ich musste als Kind mit dem Vater in ein Konzert von Karel Gott in der Helgoländer Kurhalle, das erklärt vielleicht, warum mein weiteres Leben verlief, wie es eben verlief. Und wenn Sie zufällig eine Otto-Bartning-Straße sehen, dann hätte ich bitte gerne ein Foto vom Straßenschild. Uropa Otto, Ehrenbürger, dürfte kostenlos u-Bahn fahren, wenn es auf Helgoland eine U-Bahn gäbe. Ich will da schon lange mal wieder hin, trotz Karel-Gott-Trauma, aber es ist halt verdammt weit vom Odenwald.

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