Ein sich langsam füllendes Buch

Dienstag, der 3. Oktober. Wir waren im Heimatdorf der Herzdame noch einmal auf dem Friedhof, um die beiden vorigen Generationen zu besuchen, das machen wir bei jedem Besuch. Ich habe unseren Nachnamen auf Grabsteinen gelesen, so etwas erdet auch.

Alte Menschen aus dem Dorf, die im Nachmittagssonnenschein langsam und sinnend, leise plaudernd zwischen den Gräbern herumgehen und auf Steine oder neue Kränze zeigen, auf verblassende Inschriften und abgelegte Blumen, die sich die Geschichten dazu erzählen. Das war doch der und die war doch die, die Tochter von dem und dann die Frau von. Der war von dem Hof, der ging dann in die Stadt, und der war ja noch ganz jung, und hier, das Kind. Eine sich langsam wandelnde Dorfchronik, ganz normale Geschichten, der Lauf der Welt. Wenn man jede Woche hier mitschriebe, es wäre ein sich langsam füllendes Buch. Seite um Seite, Jahr um Jahr, Mensch um Mensch.

Auf etlichen Grabstellen sehen wir blühende Heide, die gerade gesetzte Herbstbepflanzung in gedeckten Farben, moderlila. Auf dem Grab des Vaters der Herzdame steht Eisenkraut in einer leuchtend blühenden Üppigkeit, die wir im eigenen Garten nie hinbekommen haben. Laut Wikipedia nennt man es auch Eisenbart, Heiligenkraut, Katzenblutkraut, Sagenkraut, Taubenkraut, Wunschkraut. Diese Namenreihen lesen sich wie aus uralten Grimmschen Märchen, bei flackerndem Kerzenlicht auf der Bettkante im November zu lesen. Heute back ich, morgen brau ich, übermorgen pflücke ich Katzenblutkraut.

Ich sehe mich um, vom Friedhof aus kann ich mittlerweile schon vier Solardächer auf den Häusern in der Nähe erkennen, es ändert sich etwas im Dorf. Da werden die Altvorderen aber staunen, wenn sie zu Allerheiligen doch noch einmal nachsehen kommen, was hat es denn bloß mit all diesen Glasplatten auf den Dächern dort auf sich. Rätselhaft, was die Nachgeborenen wieder treiben.

Herbstcontent, wir brauchen mehr Herbstcontent.

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Ich lese weiter in „Das Rätsel der Sandbank“ von Erskine Childers und bin sehr angetan. Ich habe dabei auch das besondere Vergnügen, dass die Jahreszeit der beginnenden Handlung exakt zu der aktuellen passt, fast tagesgenau, es geht da um den Übergang von September zu Oktober, sehr schön ist das. Ein wenig kälter als heute ist es, versteht sich, das war nicht anders zu erwarten. Aber auch die Hauptfigur damals schwamm so spät im Jahr noch im Meer, zur morgendlichen Erfrischung, wie neulich die Reisenden auf Helgoland.

Gelesen mit Katze in Reichweite. Auch mal gut.

Eine schwarzweiße Katze, in einer Korbschale zusammengerollt

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