Pfeifend vor der falschen Tür

Am Freitagmorgen im Home-Office eine seltsame Situation am Schreibtisch, ich erkenne auf einmal nichts mehr auf meinem Notebook. Ich sehe nicht, was ich schreibe. Das liegt an einem ungewöhnlichen Vorkommnis, die Sonne blendet nämlich. Das ist erstaunlich, weil es morgens also schon Licht gibt und weil dieses Licht auch nicht wie sonst ist, also etwa mittelgrau, dämmerdiesig oder werktagsfahl. Es ist strahlend, gleißend. Ich bin sicher, ich hatte wochenlang keine blendende Sonne mehr auf meinem Bildschirm, vielleicht monatelang nicht. Da wird einem wieder bewusst, was für eine heruntergedimmte, durch und durch trübe Veranstaltung der Winter in Hamburg doch ist. Und dass man mal die Fenster putzen könnte, das auch.

Na, man wird sich wohl wieder umstellen. Das merkwürdige Vorkommnis fand auch nur kurz statt und zeitgleich wurde es wieder kühler, das ist auch besser zur Wahrung der Contenance. Wir werden langsam und behutsam an den Wechsel der Jahreszeit herangeführt, das ist hier alles betont rücksichtsvoll eingerichtet.

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In einem Kommentar zum letzten Text erwähnte Slowtiger die Rolle des Zufalls im Leben. Ich höre oft und gerne Podcasts zur Musikgeschichte, zur Geschichte der modernen Musik im weitesten Sinne, zu einzelnen Künstlern, Bands oder Songs, auch zu Epochen etc. Ich höre das sogar dann gerne, wenn mir das Besprochene nur am Rande etwas sagt, ich mag diese Geschichten.

Und wenn Musik beispielhaft ist, kann man die Rolle des Zufalls auch für den Erfolg an diesen Geschichten klar belegen. Es ist unfassbar oft so, dass an einem Tonstudio der siebenjährige Neffe des Hausmeisters vorbeigeht und etwas pfeift, was der Leadsänger dann spontan aufgreift und in den Song einbaut und zack, überragender Welterfolg, one hit wonder oder Karrierestart erster Klasse. Nur wegen dieses winzigen Moments.

Das ist ein ausgedachtes Beispiel, aber so geht es tatsächlich zu, und zwar erstaunlich oft. Was hatte ich neulich gehört – der Erfolg von Roberta Flack entwickelte sich daraus, dass Clint Eastwood sie im Autoradio hörte, daraus ergab sich dann alles. Viel öfter ist das so, als man zunächst annimmt, denke ich, das Absurde ist vielleicht sogar die Regel und klar, es wird auch ein paar andere Fälle geben, erarbeitete Erfolge nach Plan. Aber ich nehme nicht an, dass sie die Mehrheit darstellen.

Was bedeutet, dass man Gelegenheiten braucht, Situationen, Kontakte, Möglichkeiten. Also neben den so konservativen Werten Fleiß und Ausdauer, die bestenfalls irgendwann in Können münden, womöglich noch unterstützt durch etwas Talent, vielleicht auch Lust.

Also, um es kurz zu fassen: Weitermachen und ab und zu rausgehen. Dann hat man sich ausreichend Mühe gegeben. Der Rest ist Schicksal.

Und, das ist sicher auch richtig, was wir über die Jahrhunderte mittlerweile kulturell alles verpasst haben werden, nur weil irgendwo ein kleiner Zufall fehlte, nur weil der Neffe des Hausmeisters pfeifend vor der falschen Tür stand oder Clint Eastwood zu spät losfuhr. Nicht auszudenken.

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2 Kommentare

  1. „Also, um es kurz zu fassen: Weitermachen und ab und zu rausgehen. Dann hat man sich ausreichend Mühe gegeben. Der Rest ist Schicksal.“
    Ich merke es mir und bemühe mich weiter. Ach, Herr Buddenbohm: Danke !

  2. Die Hälfte der Räuberinnenfamilie existiert nur, weil die Großmutter einer Uroma mal aschenputtelesk auf dem Heimweg nach einer Tanzveranstaltung ein Taschentuch im Schnee verlor, welches ihr dann ein junger Mann hinterherbrachte.
    Ein Taschentuch! Als Grundlage für ca. 100 Leben.
    Immer wieder unfassbar.

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