Über der Schlei der Vogelzug

Über der Schlei der Vogelzug, die fortziehenden Flattermigranten. Die hauen jetzt alle ab, bevor die Grenzen wieder geschlossen werden. So wirkt der wirre Wahnsinn der Tagespolitik selbst dann noch auf die Gedanken, wenn man sich in den letzten Winkel des Landes zurückzieht und kaum noch Nachrichten liest. Man entkommt dem nicht ganz, man hat es immer weiter alles im Sinn, zumindest am Rande.

Unwirklich schöne Bilder sehen wir jedenfalls in Angeln. Strebsam ziehende Gänse und andere Vögel über den sturmgetriebenen Wassern am Tag der Anreise, dekorativ komponiert wie auf Fototapeten und Postern. Dabei ist es umgekehrt, und die Tapeten, Poster und Postkarten richten sich nach eben solchen Bildern hier draußen, etliche Vorlagen könnte ich heute aufnehmen.

Das Nach- oder Nebensaisonale steht der Gegend hier ausgesprochen gut. Die weite, sanft hügelige Leere in Angeln, die schon etwas hinfällige, septembrige Müdigkeit im Grün der Wäldchen und Hecken. Die am Wegesrand schwarz und krumpelig werdenden Brombeeren, die wegknickenden Stockrosen an den Gartenzäunen, die Blüten im Wegsinken noch weit offen. Überhaupt die Stauden aller Art mit den letzten Blüten, etliche aber auch schon schmucklos, starr und in Tarnfarben. Darüber das Bojenrot der Hagebutten und der üppig angerichteten Vogelbeeren. Die Reste vom Fest des großen Sommers.

Schwalben fliegen noch kleinteilig kurvend darüber hin. Aber es wird nur noch um wenige verbleibende Tage gehen, es sind ihre Abschlussrunden, dann ziehen auch sie.

Etwas in dieser Stimmung, etwas im graublauen Licht des aufklarenden nächsten Morgens und in der Ausstrahlung der alten Dörfer und der Reetdachhäuser passt seltsam gut zum zwischendurch gelesenen Uwe Johnson. Obwohl der nicht reich an Naturbeschreibungen ist, aber einige Zeilen zwischendurch treffen für mich doch etwas. Wie auch das eingestreute Plattdeutsch, selbst wenn seine Version von einem anderen Ostseestrand kommt, aus einer östlicheren Richtung.

Das aufgeschlagene Buch "Mutmaßungen über Jakob" auf dem Hotelfrühstückstisch

Es fühlt sich passend an. Und es ist nur schade, dass ich nicht mehr Zeit habe, dem etwas nachzuspüren. Dieses vage Gefühl, ich käme, wenn ich nur etwas länger unter dem großen Birnbaum stünde, unter dessen Ästen es längst fruchtig gärt und herbstlich modert, noch auf etwas.  Auf etwas Wichtiges, Vergessenes oder zumindest auf bisher Unerkanntes. Auf irgendeinen Zusammenhang, der, wer weiß, in diesem Leben noch herzustellen ist. Aber zu greifen ist es doch nicht. Vielleicht noch nicht, und da fängt es auch wieder an zu regnen, ich gehe weiter und ins Trockene. Unklar, dies alles, was auch immer da innerlich wölkt und wabert. Urlaube bringen die Alltagsgedanken durcheinander und stellen vor neue, andere Rätsel.

Vollkommen klar ist dagegen der Blick über die Ostsee beim ersten Strandspaziergang nach dem Frühstück im Hotel. Detailreich die ruhig liegenden Segelboote, gestochen scharf die Möwen im freien Flug nach Dänemark. Eine Luft, eine Fernsicht, als hätte man die Schärfe in der Foto-App ein wenig höher als sonst geregelt.

Ruhende Segelboote auf der morgendlichen Ostsee

Langsam und allein am Strand entlanggehen, über braunen Tang und herbstfarbenen Sand. Dabei ein Gefühl aus der Vergangenheit in den Beinen, ein fernvertrautes Gehen. Längst und vollkommen zu Recht verblasste Erinnerungen fallen mir ein, aber auch wie beruhigend das immer war, Strecke zu machen am Meer entlang. Dieses besondere Küstenlicht des Vormittags, diese umarmende Ruhe abseits der touristisch interessanten Zeiten. Als Erwachsener weiß ich die Abwesenheit von Trubel und Unruhe eher zu würdigen als damals, wie es zu erwarten war.

Ein Gestänge mit aufgehängten, leeren Schaukelbänken auf einem Steg an der Ostsee

Eine tief schweigende Szenerie um mich herum. Nur mit dem leisen Schwappen der kleinen Wellen darin. Die heute in der Windstille am Tag nach dem Sturm niemanden mehr belästigen wollen, die nur äußerst unverbindlich an diesen Strand rollen und in aller Zurückhaltung flüsternd auf den Kieseln vergehen.

Wie die eigenen Gedanken, die nicht weit genug kommen.

Ein leerer Steg an der Ostsee, Steinberghaff

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Ein Kommentar

  1. Moin ,
    Herr Buddenbohm, und Fr. Herzensdame,

    ich winke mal rüber von der anderen Seite der Schlei, in die nahe und weitere Umgebung. Ja, schön hier. Und noch schöner hier zu wohnen.
    Bein uns sind heute am Morgen die Dachfirste gegenüber voll mit Staren.
    Ihren Eindruck der abziehenden Flatterer kann ich damit berstätigen.
    Ich wünsche Ihnen noch schöne Tage hier oben.

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