Flirt and fiddle

Am Montagmorgen wird auf der anderen Straßenseite ein Haus abgerissen, es wird weggebaggert. Es ist ein altes, baufälliges, morsches Haus, es gibt schnell nach. Dieser Abriss sieht nicht nach einem schweren Einsatz für die Firma aus, die Woche des Arbeitstrupps beginnt entspannt. Und was ich sehe, wenn ich vom Schreibtisch aufstehe und mich etwas aus dem Fenster beuge, reicht mir schon für das Immerhin des Tages. Das ich jetzt besonders leicht erbeuten kann. Denn andere, so denke ich den ganzen Vormittag über, während drüben die Wände und das Dach fallen, andere sind noch wesentlich destruktiver drauf als ich.

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Aber auch einmal etwas Positives posten. Ich bin ein Fan von altmodisch langen Radioformaten, von Features, Reportagen und dergleichen. Ich finde sie oft besonders lehrreich und inspirierend. Hören Sie etwa einmal diese Sendung hier über das alternde Japan – Szenen aus einem Land im Umbruch bei WDR5. Das sind 53 informative Minuten.

Die schon deswegen empfehlenswert sind, weil es darin einen Abschnitt gibt über eine kleine Stadt, in der man beschlossen hat, ausdrücklich kinderfreundlich zu werden, was in Japan keine Selbstverständlichkeit ist. Die getroffenen Maßnahmen und ihre Erfolge werden dort aufgezählt, und das führt uns gedanklich vielleicht wieder zu einer Erkenntnis, die schon etwas verschüttet wurde – nämlich wie vieles politisch gestaltbar ist. Was alles versucht, getan und erreicht werden kann.

Zweifellos neigen wir kollektiv in diesen Monaten eher dem Freeze-Modus zu, angesichts der politischen Desaster um uns herum. Da ist diese Erinnerung schon etwas wert, möchte ich meinen. Aber auch davon abgesehen habe ich oft den Eindruck, es würde nicht nur meinem, sondern vermutlich dem Denken vieler Menschen weiterhelfen, wenn man auf diese Art die Bedingungen, Möglichkeiten und Handlungen anderswo ab und zu genauer und interessiert zur Kenntnis nehmen würde. Wobei das „anderswo“, so ist es eben bei guten Reportagen, auch schon eine Treppe tiefer sein kann, oder einen Block, ein Bundesland weiter.

Aber apropos Freeze: Ich erinnerte mich an die Stress-, Flucht- oder Panik-Modi Fight, Flight, Freeze und Fawn, wobei ich Fawn erst in den letzten Jahren als Ergänzung gelernt habe, etwa so wie hier dargestellt. In der Wikipedia fand ich aber gerade noch die wunderbaren Ergänzungen  Faint, Fright, Flirt and Fiddle. Wobei sich die letzten beiden dort nur auf Hunde beziehen, was ich aber kraft meiner Menschenkenntnis sofort und auch energisch bestreiten würde.

Wir haben gesamt also, Moment, es wird unübersichtlich: Fight, Flight, Freeze, Fright, Fawn, Faint, Flirt and Fiddle. Das sind die acht Möglichkeiten der Stressreaktion. Allerdings kommen mir Freeze und Fright doch verdächtig ähnlich vor, da kann vielleicht eines raus. Dann sind es nur sieben, das ist auch die viel bessere Merkzahl, siehe Zwerge, Geißlein, Sinne, Weltwunder, Weltmeere, Todsünden etc.

Diese sieben Begriffe kann man spaßeshalber ruhig einmal auswendig lernen und dann damit so ziemlich alles erklären. Auch das seltsame Verhalten der Kolleginnen und Kollegen in Meetings, auch das Benehmen der Kundschaft in der Warteschlange beim Discounter. Oder aber die Reaktionen der Söhne, wenn ich sie morgens wecke.

Man hat ja sonst keinen Spaß.

“Fight, flight, freeze, fawn, faint, flirt and fiddle

Their behaviour is not a riddle.”

Ich schule jetzt einfach auf Songwriting um und werde doch noch reich.

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Blick Richtung Speicherstadt bei Sonnenuntergang

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3 Kommentare

  1. Es gibt je nach Forschungsrichtung auch noch Fuck als Stressreaktion – Fortpflanzung ist ja immer Primat des Lebens, umso mehr, wenn ein Fortbestand gefährdet erscheint. Kann man vermutlich unter Flirt subsummieren, wenn Fuck zu drastisch erscheint.

    Allerdings: Das Leben ist drastisch. Sterben ist nicht optional.

  2. Wenn mir sowas wie “Fight, flight, freeze, fawn, faint, flirt and fiddle – their behaviour is not a riddle.” einfallen würde, würde ich sofort jede Tätigkeit einstellen und den Rest meines Lebens mit Stolzsein verbringen.

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