Holunder, Diamanten und Konzentrationsdefizite

Felix schreibt über Aberglauben und Heldentaten.

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Ich habe das mit der Holunderreife, die ich gestern erwähnt habe, noch einmal nachgelesen. Es scheint so zu sein, dass sich der Beginn dieser Reife in den letzten paar Jahrzehnten in Hamburg um etwa 14 Tage hin zu einem früheren Anfang verschoben hat. Also mehr und mehr in das hinein, was wir vermeintlich zweifelsfrei und im Rahmen unserer in der Kindheit gelernten Assoziationsmöglichkeiten noch als Hochsommer definieren würden. Fünf Tage pro Dekade nach vorne, diese Angabe fand ich, und es geht sicher noch weiter so.

Aber es wird, versteht sich, regionale Varianten in breiter Vielfalt geben. Ihr beweisführender Holunder ist vielleicht noch nicht so weit oder auch viel weiter als meiner.

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Eine weitere Begebenheit bezüglich der sogenannten Zufälle. Die mir übrigens, aber das führe ich demnächst noch weiter aus, vermutlich auch deswegen vermehrt auffallen, weil ich über sie schreibe und dadurch also in einem gewissen Sinne nennenswert engagierter registriere als andere, die so etwas nicht irgendwie erzählend verwerten. Ich werde mir dadurch sicher einige mehr merken. Und schon habe ich wieder einen Teil der Erklärung meiner gefühlt unsinnigen Zufallsdichte.

Denn Sie haben wahrscheinlich ebenso viele Vorkommnisse im Alltag, die Ihnen drastisch unwahrscheinlich vorkommen, wie ich. Diese Vorkommnisse also, bei denen Sie denken: „Also Wahrscheinlichkeitsrechnung hin oder her, das war jetzt aber echt speziell gerade.“

Ich gehe am Nachmittag um den Block und höre dabei einen Podcast über die Halsbandaffäre in Frankreich, ein WDR-Zeitzeichen, 15 Minuten lang. Hier auch der Wikipedialink zum historischen Kriminalfall, eine interessante Geschichte.

Zwischendurch ärgere ich mich aber, weil ich gedanklich abschweife und deswegen nicht recht verstehe, wer wann wie, mit was oder gegen wen. Und das ist ja bei Krimikonstruktionen meist nicht unwichtig. Ich höre also eine Stelle der Sendung wiederholt an und dann, in einem Anfall von energischem Willen, mich selbst zu mehr Konzentration zu erziehen, auch noch einmal. Denn es kann doch wirklich nicht so schwer sein, korrekt mitzubekommen, wer da nun mit den Diamanten was gemacht hat.

In diesem Moment spricht mich ein Mann höflich an und fragt, ob ich ihm eben helfen könne. Ein Mann, der, wie drückt man es aus, mäßig heruntergekommen ist. Also etwa so, dass man es nicht auf den ersten und flüchtigen Blick bemerkt, doch aber schon beim nächsten Hinsehen nicht mehr ignorieren kann. Die Kleidung ist schadhaft und nicht so sauber, wie man sie etwa in einem Büro erwarten würde. Er riecht auch nicht gut.

„Wissen Sie, wo ich einen Diamanten verkaufen kann?“, fragt mich der Mann. Er habe noch einen, und das wäre jetzt auch dringend, man würde ihn bestehlen wollen.

Ein abgerissener Aufkleber an einem Regenfallrohr, man kann nur noch "ist illegal" lesen

Und ich mache dann schon wieder zwei Sachen gleichzeitig. Ich denke einerseits intensiv über Wahrscheinlichkeiten und die Matrix nach, sage andererseits aber, dass ich auf diesem Gebiet nicht kundig sei. Was auch der Wahrheit entspricht, mein bisheriger Lebenslauf kam noch nicht beim Diamantenverkauf vorbei.

Dann fragt der Mann, was mir viel naheliegender vorkommt, nämlich ob ich wenigstens Kleingeld für ihn hätte. Dann ergänzt er noch betont höflich, als ich verneine, dass er auch Scheine nehmen würde. Ich gehe nach dem kurzen Straßendialog weiter und höre mir die Geschichte bis zum Ende an, aber ich bleibe doch etwas abgelenkt.

Denn das mit dem Zufall, das halte ich zwischendurch immer wieder für ein etwas herausforderndes Konzept.

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4 Kommentare

  1. „Halsbandaffäre in Frankreich“
    … die erste(?) dokumentierte Affäre ausgelöst durch vollkommen falsche Tatsachenbehauptungen und allgemeine Hysterie.
    … wieso muss ich dabei an rechte Medien und die Verfassungsrichter-Wahl denken?
    … ach so und das Credo von Vox News und Konsortien: „einfach so lange mit Dreck werfen, bis etwas hängen bleibt.“

  2. Der Holunder blüht viel früher als ehemals – das vor allem ist mir aufgefallen. Und dann ist er natürlich auch zeitiger reif …

  3. Meine Schwiegermutter erwähnte unlängst, dass der Beginn der Hibiskus Blüte den Spätsommer anzeige. In unserem Garten war das dieses Jahr am 11.7. – ich weigere mich, das als Spätsommer zu bezeichnen.
    Wahrscheinlich müssen wir die überlieferten Angaben anpassen, neuerdings gilt Hibiskus= Hochsommer, Holunderbeeren= Spätsommer

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