Da ich aller Wahrscheinlichkeit nach morgen schon wieder in Sachen Kultur und Ambition eine Bühne aufsuchen werde, bzw. den Zuschauerraum davor, weise ich noch eben dankend darauf hin, dass sämtliche Events des Herbstes und Winters hier leserinnenfinanziert ausfallen werden.
Da ich in diesem Jahr von den Trinkgeldern keine Reise im Sommer wie sonst bezahlt habe, ist das möglich. Und da ich das Geld mittlerweile auch für dieses oder jenes Kleidungsstück nutze, denke ich mir jetzt, was andere nicht wissen können, wenn ich ein Theater oder etwas in der Art betrete: Dieser eine Zuschauer wurde ausgestattet und eingeladen von seinem Publikum.
Dann freue ich mich erheblich über den Gedanken und gehe ein paar Meter etwas aufrechter, dafür möchte ich auch ausdrücklich danken. Eine gerade Haltung ist immerhin wichtig, in diesen Zeiten.
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Am Sonntagmorgen ein Spaziergang wie aus einem Reiseführer: Hafen, Dom, Planten un Blomen. Nur dass es unten an den Landungsbrücken kein Postkartenblau gibt. Keine Spur davon, nur ein durch die Schiffe maritim anmutendes Grau, dass etwas nach Weite und etwas nach Arbeit aussieht. Und wenn man das mischt, dann hat man das Hamburger Hafenlicht.
Entsprechend wirkt der Ausblick an manchen Stellen in etwa so, wie man ihn auch von Ölgemälden kennt. Bei dem Anders Zorn neulich etwa, da waren Werke dabei, die hätte man an diesem Morgen neu inszenieren können.


Es ist noch früh, und die Menschen, die später als Ausrufer für die Hafenrundfahrten verlässlich laut werden, sie verräumen noch leise ihre Sachen an den Ständen. Sie sortieren Zeug, rauchen, trinken dampfenden Kaffee und besprechen dies und das. in ruhigem Tonfall, die Kulisse noch nicht zu stören.
Dann zieht ein Schlepper ein großes Schiff vorbei, so wie wir die anbrechende Woche durch die Tage ziehen werden. Man sieht es uns nicht an, aber wir bekommen sie am Ende doch bewegt.

Rauf nach Sankt Pauli. Der Dom liegt still und schweiget, komm auf das totgesagte Volksfest und schau. Hier und da wird schon etwas gewerkelt, etwas hin- und hergetragen. Vor einer Geisterbahn steht eine große Freddy-Krueger-Figur aus Plastik und guckt ins Leere, niemand ist da, sich vor ihr zu gruseln. Vor ihr aber fegt jemand den Weg, und dieser Jemand hat einen Pullover an, der dem der Figur bei näherem Hinsehen etwas ähnelt. Jetzt dreht er sich um und sieht mich an, gleich wird er grüßen, aber ich gehe lieber zügig weiter. Jedes Kind weiß, dass gewisse Filme mit genau solchen Szenen anfangen.
Das Riesenrad dreht sich und ist als einziges Fahrgeschäft in Bewegung, etwas sinnlos wirkend. Ohne Musik, ohne Beleuchtung, ohne Gäste und viel langsamer als sonst. Da wird wohl etwas geübt oder getestet, vielleicht auch repariert. Wie in Zeitlupe kreisen die geisterhaften Gondeln vor dem leeren, bleichen Novemberhimmel. Passend zu manchen Spätherbstgedanken in freudlosen Loops, eine nach der anderen heben sich die Kabinen ruhig ins Blickfeld: Wenn die Trauer Gondeln trägt.

In Planten un Blomen dann die große Novemberdarstellung der Natur, beeindruckend und umwerfend wie immer. Die weggeknickten Stauden, die gefallenen Blätter, die kahlen Äste und Zweige, die hinfälligen Rosen. Der Friedhofsgeruch und die Krähen an den Mülleimern.
Wenige Menschen nur sind im Park, und nicht nur ich bleibe zwischendurch einfach stehen und gucke mir das alles an, wie es vergeht und vermodert.

Auf YouTube übrigens, fällt mir dabei ein, habe ich zehn anwendbare Versionen von Jackson C. Franks „Blues run the game“ zusammengestellt.
“Maybe when I’m older, baby
Someplace down the line
I’ll wake up older
So much older, mama
I wake up older
And I’ll just stop all my tryin‘.”
Es ist sehr leicht, für den November Musik zu finden.
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Am frühen Abend schließlich das Pogromgedenken auf dem Joseph-Carlebach-Platz im Grindelviertel. Es kommen mehr Gäste, als ich erwartet hatte, auch mal positiv überrascht werden. Auf den Hochbunker, der neben dem Platz steht, auf welchem die Synagoge stand, die nun wieder aufgebaut werden soll, werden die Gesichter von Nachbarinnen und Nachbarn des Platzes projiziert, die 1938 dort gelebt haben. Vor Deportation und Mord.


Der Hamburger Kultursenator Carsten Brosda hält eine Rede, und ich nehme als etwas merkwürdiges Immerhin des Tages mit, dass wir da wenigstens einen in der ersten Reihe der Politik haben, dem man zehn Minuten und sogar länger zuhören kann, ohne dabei an Fremdscham eingehen zu wollen, ob der aufgesagten Inhalte.
Es ist aber kein kleines Immerhin, es fällt schon etwas größer aus.
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Ihre Novemberschreibe mag ich sehr, vielen Dank!