Ich entnehme der Berichterstattung zum Block-Prozess, die ich zwar keineswegs engagiert verfolge, die aber leider von einigermaßen unausweichlicher Präsenz in den Hamburger Medien ist, dass es den Begriff „Selbstleseanordnung“ bei Gerichtsverfahren gibt. Alle am Prozess beteiligten Personen werden mit dieser Anordnung aufgefordert, zugewiesene Dokumente selbst zu lesen, also gefälligst selbst zu lesen, so klingt das. Da man all diese Papiere, Belege etc. sonst im Gerichtssaal vorlesen müsste, was erstens unfassbar langweilig sein dürfte und zweitens in speziell diesem Fall erbärmlich lange dauern würde. Deswegen: „Selbstleseanordnung“.
Wenn Ihnen nun bei der Kenntnisnahme dieses Begriffs sofort (sofocht, wie Isa sagen würde, bei gewissen Begriffen habe ich ihre Stimme direkt im Ohr, so etwa auch bei dem von ihr so gerne benutzten Wort „bescheuert“, welches sonst eher selten noch vorkommt, aber das nur am Rande), wenn Ihnen also sofort Situationen in Kinderzimmern, Konferenzräumen oder Call-Situationen einfallen, in denen man zu und zu gerne die Macht gehabt hätte, in Bezug auf gewisse Grundlagen der gerade besprochenen Themen auch so eine Selbstleseanordnung auszusprechen, und zwar mit Dringlichkeit, Schärfe und Autorität, dann haben Sie also auch schon ein paar Jahre Erziehung hinter sich, dann arbeiten Sie also auch in einem Konzern.
Und so etwas verbindet ja enorm.
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In einem Kommentar hier im Blog wies Swuuj darauf hin, vielen Dank, dass ein Text von mir in einem luxemburgischen Podcast vorkommt, nämlich hier bei Spotify oder bei Apple. Es geht um das Nichtstun und um Wartezeiten, also um Themen, bei denen ich allerdings kaum als Experte durchgehen kann. Ich komme da nur als Beobachter in Frage, und so war es in dem dort erwähnten Text auch.
Das war jedenfalls eine schöne und interessante Gelegenheit, einmal dieser Sprache zuzuhören.
Zumal Luxemburg gerade vor ein paar Tagen erst im Büro-Smalltalk vorkam. Und das kam so: Ich habe einen Kollegen, der auch ein Klassenkamerad von mir war. Wir kennen uns also bereits dermaßen lange, dass man es jüngeren Kolleginnen kaum erzählen mag, denn die gucken dann immer so seltsam und rechnen irgendwas im Kopf nach, vielleicht ob Menschen wirklich so alt werden können.
Mit diesem Kollegen jedenfalls sprach ich aus beruflichen Gründen über Luxemburg und erwähnte, eingedenk unserer gemeinsamen Vergangenheit, dass wir da ja einmal waren, einen Tagesausflug lang. Damals, auf jener Klassenfahrt.
Und der Kollege sah mich versonnen an, blickte zurück durch die vielen Jahre – und erinnerte sich nicht. Luxemburg? Also nein, pardon, das war eine Leerstelle, da klingelte bei ihm nichts, dazu hatte er nichts abgelegt Er sei aber selbstverständlich dennoch gerne bereit, so sagte er beflissen, mir das zu glauben. Das wäre dann schließlich nicht die einzige Erinnerungslücke aus jenen Jahren. Da habe man ja einiges mitgemacht, in dieser etwas wilderen Lebensphase, und manches hatte womöglich Folgen.
Dann fing ich aber ebenfalls an zu grübeln und war damit wieder bei dem Thema Zeugenaussagen und Erinnerungen, das mich oft beschäftigt. Luxemburg, Luxemburg, war es denn wirklich Luxemburg? Kann ich mir denn sicher sein, wenn andere mutmaßlich Beteiligte es so deutlich nicht sind? Unscharf erinnerte ich mich noch an einen Ausschnitt einer Stadtsilhouette, an eine große Brücke, an einen Reisebus. An einige Namen von Mitschülerinnen auch, an vage Anklänge von Situationen dort … Und dann auf einmal erinnerte ich mich an nichts mehr. Das Wenige zerfiel in meinem Hirn, noch während ich versuchte, die paar Bilder mühsam etwas schärfer zu stellen.
Vielleicht waren wir in Luxemburg, vielleicht waren wir es auch nicht. Ich bin mittlerweile unsicher. Wir müssten weitere Zeugen befragen, aber wir wollen nicht übertreiben. Wer weiß schon genau, was noch alles war. In jenen exzessiv ausgelebten Jahren, in denen wir 16 oder 17 Jahre alt waren.
Vielleicht fällt es uns wieder ein, wenn wir noch etwas älter werden. So ist es oft mit den alten Erinnerungsbildern, und so habe ich es mittlerweile bei etlichen alternden Menschen mitbekommen: Die Bilder tauchen irgendwann wieder auf. Und mit etwas Glück finden wir das dann sogar unterhaltsam. Wollen wir also hoffen, dass wir in Luxemburg etwas erlebt haben.
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Ich habe keine passenden Bilder für diesen Text, ich restverwerte hier daher einfach Weihnachtliches aus der Grand Hall, formerly known as Wandelhalle.

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Mit dem Erinnern ist es so eine Sache. Meist erzählen uns unsere Jungs von Sachen, an die wir uns nicht erinnern können. Oder man verwechselt Schauplätze. Mein Mann und ich, wir wissen beide nicht mehr, was wir zu unserer Hochzeit den Gästen zum Abendessen angeboten haben. Und auch die Gäste, die noch leben, wissen es nicht mehr. Liebe Grüße Katrin