Was schön war

Lange nicht mehr gehabt, diese Überschrift. Es ist aber nicht so, dass nichts jemals schön war, in der Zeit seit dem letzten Eintrag aus der Reihe, der vermutlich Jahre her ist. Ich hatte das Format aber, warum auch immer, nur noch lesend parat (etwa regelmäßig hier), nicht mehr schreibend. Obwohl gerade diese Rubrik sinnvoll, ausdrücklich lebensbejahend und gute Stimmung verbreitend ist. Daher vermutlich sozial erwünscht und alles. Also bitte.

Es geht aber nur um eine Kleinigkeit. Um eine rein innere Angelegenheit auch noch, und zwar um eine, die nicht einmal besonders auffällig des Bejubelns wert war. Zumindest nicht auf den ersten Blick. Aber eigentlich doch, wenn auch nur für mich. Aber nun, es geht hier um mich, siehe etwa den Titel der Seite.

Und zwar betrifft das Bemerknis das Entstehen des Blogeintrags mit dem Herbstmodenmann, das war dieser hier. Das war nämlich an einem Morgen, an dem ich mit dem sicheren Gefühl aufstand, keine Restnotizen oder Stichworte, keine brauchbaren Erinnerungen und keine auch nur ansatzweise verfügbare Idee für einen Text zu haben. Komplette Ebbe im Hirn.

Was an sich kein großes, bedrängendes Problem ist. Immerhin bin ich keineswegs verpflichtet, jeden Tag zu bloggen. Die Welt da draußen geht gewiss nicht unter, wenn hier einmal kein Text erscheinen sollte. Das Blog ist am Ende leicht entbehrlich, es gehört nicht zur kritischen Infrastruktur, ist nicht systemrelevant und überhaupt nur von marginalem Interesse für die Öffentlichkeit. Wie alle Blogs.

Immerhin aber, und das ist schon schön genug und nicht selbstverständlich, bedauern es zuverlässig wenigstens ein paar Menschen, wenn hier nichts Neues erscheint. Das ist ebenso erfreulich wie großartig. Und zwar auch dann noch, wenn man schon jahrzehntelang bloggt und also denken könnte, man sei mittlerweile halbwegs daran gewöhnt. Es hört aber nicht auf, dass ich mich darüber freue. Es motiviert fortwährend.

Kurz nach meinem allerersten Text im ersten Blog kommentierte damals jemand, zu meiner großen Freude, ich solle doch bitte mehr schreiben. Das mache ich seitdem in stets bemühter Wiederholung. Es ist aber tatsächlich etwas von dieser ersten Freude an der Tätigkeit, an diesem Spaß hängengeblieben, über all die Jahre.

Ich hatte dennoch an diesem Morgen mit dem Herbstmodentext zunächst nur einen eher dünnen Gedanken, nämlich den bemerkenswert wenig geistreichen Satz, dass mir zu warm war. Den schrieb ich dennoch hin, denn man muss irgendwo anfangen. Dann habe ich es etwas weiter erklärt, warum mir zu warm war. Das war die naheliegendste Ergänzung. Man muss sich manchmal warmtippen, auch wenn einem zu warm ist. Bis der Text laufen lernt.

Dann fiel mir dieser Traum ein, dann auch noch, was ich am Abend davor gelesen hatte, und schließlich, welche Musik ich gehört hatte.

Das hat dann gereicht, und es war schön, dass es auf diese Art gereicht hat. Denn immer noch fühlt es sich herrlich befriedigend für mich an, einen Text geschrieben zu haben. Eine Idee, irgendeinen nachweisbaren Gedanken gehabt zu haben. So kann ich mir aus dem Nichts oder nur aus meinem Hirn, manchmal liegen die beiden Begriffe verdächtig nahe beieinander, ein kleines Glück basteln, und offensichtlich kann ich es sogar immer wieder. Selbst an ausdrücklich gebraucht wirkenden, unzumutbaren und eher drittklassigen Tagen kann ich das. Wenn ich schon sonst wenig kann, aber das immerhin. Und es ist nicht nichts.

Einige Menschen mochten den so entstandenen Text in der Folge sogar, mehrere bedankten sich für die Musikhinweise. Es geht aber nicht um die Anzahl der Likes, es geht darum, dass es überhaupt passiert. Darin liegt für mich immer noch das Besondere.

Denn man macht etwas, und man macht es als Autor ausdrücklich ganz allein, ohne jeden Außenkontakt. Man denkt aber, versteht sich, im Hintergrund als Grundrauschen doch zumindest manchmal an andere. Diese anderen Menschen sollen es immerhin lesen, das ist hier kein geheimes Tagebuch. Ich ziehe mich beim Schreiben also in einen seltsam indirekten, aber doch vielfältigen Kontakt mit mir nur zu einem kleinen Teil bekannten Menschen zurück.

Und sich für Kontakte allein zurückzuziehen – wie passend kann eine Beschäftigung für eher introvertierte Menschen denn sein.

Es gibt außerdem diesen Satz, von wem war der jetzt noch, „Ich schreibe mir mein Leben zurecht“, den ich für bloggende und auch anderweitig schreibende Menschen immer noch überaus gelungen finde. Auch wenn der Satz am Ende von mir selbst gewesen sein sollte, ich bin mir gerade nicht sicher und finde keinen Beleg, pardon.

Ich weiß im Erleben oft noch nicht, was später Text werden könnte. Es fällt mir erst hinterher auf, teils mit starker Verzögerung. Es ist manchmal ein beliebig anmutender Aspekt des Tages. Manchmal nur ein winziges Teilchen, ein Gedanke lediglich, eine bloß halbe Idee. Aber das wird dann Text. Also wird es auf eine gewisse Art eine Geschichte, die dann auch meine Geschichte ist. Auf doppelte Art, geschrieben und gehabt.

Been there, done that, got the blog post.

Und das verhilft mir schließlich zu einem Zustand der geistigen Aufgeräumtheit. So fühlt es sich wenigstens an. Beweise müssen hier ausbleiben, aber selbst der nur gefühlt aufgeräumte Zustand reicht für mich vollkommen aus, den möchte ich nicht mehr missen.

Genau das war jedenfalls schön. Dass mir das noch einmal so deutlich auffiel, wie es von einem gedanklichen Nichts oder Ungefähr, von einem bloß vagen Wabern blasser Gedanken in etwa einer Stunde zu einem mehr oder weniger strukturierten Text kommen kann. Der dann auch noch andere erreicht und hier und da sogar gefällt.

Eine herrliche und auch beglückende Angelegenheit ist das für mich, immer noch und weiterhin.

Blick über die Binnenalster vom Jungfernstieg aus

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Zwischen Jammer und Action

Es gab ansonsten eine treffende, wenn auch unangenehme Spiegelung gewisser Nachrichten aus den Medien bei uns im Stadtteil, teils gleich vor unserer Haustür. Wieder so, dass man denken konnte: „Ach guck, es ist alles wirklich so.“

Und zwar bezog sich dies auf Meldungen, welche über den Anstieg der menschlichen Aggressionen bei Hitze statistisch unterfüttert berichteten. Steigende Temperaturen bringen der Polizei und anderen Ordnungskräften mehr Arbeit, es ist an Einsatzzahlen und Thermometern deutlich abzulesen. Und vermutlich ist es auch kaum überraschend. Dass ich aber gleich fünf Schlägereien auf meinen Wegen durch die Stadtmitte gesehen habe, in nur einer Woche, es kommt mir doch etwas übertrieben vor. Da trägt die Wirklichkeit erneut zu dick auf und man mag es als Chronist kaum abschreiben, was da vorfällt.

Aber so war es eben. Fünf, fast auf einen Streich, immerhin locker über die Wochentage verteilt. Sämtlich waren sie in gewissen Szenen, die von außen leicht abgrenzbar wirken. Die Menschen, die sich da in die Haare gerieten, waren entweder betrunken oder auf andere Art deutlich erkennbar nicht mehr im Normalzustand. Weder im seelischen noch im sozialen Normalzustand. Bei aller Schwierigkeit der Definition, die man selbstverständlich sofort zugestehen muss.

Es werden jedenfalls bei fast allen Vorfällen in dieser Ausprägung diverse Drogen in Betracht gekommen sein. Ich bin nicht kundig, und Gott sei Dank bin ich es nicht, was hier alles gerade umläuft.

Auch Frauen waren unter den Tätern und Opfern zahlreich vertreten. Fast so viele waren es, dass man als alter weißer Humorist mit abgestandenem Boomer-Humor gar keine Quotenlösung für diese, haha, Freizeitbeschäftigung fordern müsste.

Als Mensch aber, der mit Terence Hill und Bud Spencer großgeworden ist, wundere ich mich immer wieder, wie außerordentlich enttäuschend die Geräusche einer Schlägerei außerhalb von Kinofilmen doch sind. Kein einziges lustiges, knallendes *Smack* hört man da, nicht einmal andeutungsweise. In den meisten Fällen hört man eher etwas, das man sich als dünngedrucktes, in kleinerer Punktzahl ausgeführtes, ausgesprochen blasses, zögerliches *Batsch* vorstellen müsste.

Es ist ein herb enttäuschendes Geräusch. Das vielleicht ein wenig an ins hohe Gras fallende Äpfel im späten Juni erinnert. Aber sie sind unbedingt klein und ein wenig angegammelt, diese fallenden Äpfel, sonst stellt man sich auch dieses Geräusch womöglich noch zu munter vor. Es ist aber nicht munter. Es ist einfach nur trostlos.

Und viele Schläge und Tritte ergeben nicht einmal Geräusche. Weil sie nicht treffen, besonders bei den Opfern des Alkohols nicht. Sie bringen nur die Ausführenden durch den fehlgeleiteten Schwung zu Fall. Was aber auch nicht lustig aussieht, etwa wie in einer alten Schwarzweißkomödie, kurz nach der Stummfilmzeit gedreht. Es sieht lediglich auf eine fürchterlich erwartbare Art nach einem Problem aus. Nach einem sozialen, medizinischen, psychologischen und polizeilichen Problem. Kein Mensch lacht, der das sieht. Wenn es zusätzlich nach einem dentalen Problem aussieht, was schnell und nicht selten passiert, da Betrunkene mit eingeschränkten Reflexen oft aufs Gesicht fallen, verziehen fast alle, die Szenen dieser Art im Vorbeigehen beobachten, das Gesicht in einer Weise, als würde schon das Zusehen schmerzen. Und so ist es wohl auch.

Bei den wenigen besser gezielten Schlägen und Tritten, die ihre Opfer tatsächlich treffen, ist der Impact dann keineswegs so, wie man es sich als Jugendlicher im Kino vorgestellt hat. Damals reichte verlässlich jeweils ein einziger Schlag, um jemanden zuverlässig aus der weiteren Handlung des Films oder wenigstens der Szene zu schalten. Ein Schlag, ein Umfallen, ein Liegenbleiben. So war es doch, und so gehörte es auch.

So ist es aber nicht. Wenn man nicht gerade auf jemanden trifft, der reichlich Kampfsporterfahrungen hat, dann schlagen die Menschen durchweg kunstlos, fast ziellos und lediglich affektgesteuert einfach um sich, in der Regel fast blind. Und sie treffen dabei Oberarme und Schultern, Beine und Brustkorb. Kein Opfer fällt da sofort um und macht dann für den Rest der Handlung nicht mehr mit.

Eine Schlägerei in der Großstadtwirklichkeit ist ein hauptsächlich trauriger Anblick. Wenn man genug räumlichen Abstand zur gerade eskalierenden Szene hat, wirkt das Traurige auch deutlich stärker als das Gefährliche.

Bilder des Jammers also, keine Bilder der Action. Sie werden wenige Minuten lang aufgeführt, höchstens für fünf Minuten. Dann ist die Polizei da und das Ganze wird im Nachgang zu einem womöglich noch trostloseren Akt.

Was noch? Demnächst vielleicht jene Geräusche mit Sorgfalt neu bewerten, welche mit Dringlichkeit verliebte Paare in Büschen und auf Bänken nachts im Park machen, wie man es ebenfalls aus Filmen kennt.

Aber da habe ich erst ein Beispiel aus dieser Saison, das reicht noch nicht.

Ein von innen mit Papier abgeklebtes Schaufenster, auf die Scheibe wurde "Mieten runter, Titten raus!" geschrieben

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Im Traum war ich der Herbstmodenmann

Die Hitze des Sonntags glüht immer noch nach in dieser Wohnung. Nach jedem Sommer vergesse ich diese langanhaltenden Spätwirkungen. Und bin dann im folgenden Juni oder Juli wieder überrascht, dass die Stadt nach einem Tag mit Regen und Wind längst abgekühlt und erfrischt ist, wir in dieser Bude aber weiterhin langsam garziehen.

Wir können diese Jahreszeit nur mit etwas abgesenktem Energielevel durchstehen. Es kann daher leider auch sein und ist fast zu erwarten, dass hier morgens einmal kein Text zur Verfügung stehen wird. Auch für Texte gibt es richtige und falsche Temperaturen, in denen sie gedeihen und sich vermehren können – oder eben nicht. Siehe Säugetiere, Reptilien etc.: Es geht den Texten wie den Leuten.

Bis in die Träume sogar merke ich die Wärmebelastung. So träumte ich etwa von Herbstmode in der letzten Nacht. Und zwar dergestalt, als sei ich da vom Fach, mit ausreichenden Kenntnissen versehen und irgendwie routiniert und bewandert. Sogar auf einem nicht eben geringen Niveau. Mangelndes Selbstbewusstsein ist offensichtlich nicht eben mein Hauptproblem um Mitternacht, wie ich am Rande mit nicht geringem Interesse feststelle. Ich finde es bemerkenswert, dass ich mir im Traum Fachkenntnisse einer fremden Branche in zureichendem Ausmaß per Fantasie erworben zu haben meinte. Was man nachts alles so kann.

So treibt mich die Sehnsucht nach besseren Umständen jedenfalls durch alle Stunden hindurch. Im Traum war ich der Herbstmodenmann, und wie geschmackvoll ging es dabei zu. Mit welcher innerlichen Zustimmung betrachtete ich die von mir verantworteten Kollektionen, wie gemütlich und doch elegant waren die Strickpullover, wie angenehm gedeckt die Farben.

Aber wie auch immer. Die nächsten 30-Grad-Tage sind im Wetterbericht schon zu sehen, da kommen sie auf mich zu. Es geht also noch eine Weile so weiter und ich will gar nicht jammern, ich habe lediglich überhaupt nichts anderes zu berichten.

Denn das Sein bestimmt das Bewusstsein, und mich dominiert im Moment das Zuwarmsein.

Ein Aufkleber mit dem Text "Uns gehts gut?" an einem Laternenmast

Was kann man da tun. Ich lese abends einen Roman, in dem die Liebe so intellektuell und distanziert seziert wird, dass einem davon gewiss nicht wärmer werden kann: „Das Genie und die Göttin“ von Aldous Huxley, Deutsch von Herberth E. Herlitschka. Die Zuschreibung „Meisterwerk“ würde ich nicht unterschreiben, aber der Freundeskreis britischer Roman wird das Buch dennoch genießen können.

Ich höre außerdem wiederholt ein Album, bei dem man Gänsehaut bekommt. Ich lese den Lebenslauf des Künstlers nach, um den es da geht, und bei dem es einem angenehm kalt den Rücken runterlaufen kann. The late great Daniel Johnston, die Wikipedia hier zu ihm. Wieder einer also, der beizeiten into obscurity driftete, es ist wirklich ein Muster in meinem Musikgeschmack und ich erwarte schon nichts anderes mehr, wenn ich die Wikipedia oder andere Erklärbarseiten ansteuere. Ein schwieriges Zeichen ist es aber vielleicht für die Künstlerinnen und Künstler, die noch leben und bei denen so etwas noch nicht steht, denn wen ich mag, der wird verrückt. So sieht es wohl aus.

Das Album enthält Originalaufnahmen und Cover, hier etwa M. Ward mit der fortgeschritten traurigen „Story of an artist“:

We don’t really like what you do
We don’t think anyone ever will
It’s a problem that you have
And this problem’s made you ill.”

Es ist etwas chilling, das zu hören, und das ist hier gerade erwünscht so.

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Weit weg und irgendwie anders

Es kommt ansonsten Brief vom Staat, in dem in dürren Worten darauf hingewiesen wird, dass ein Sohn bald achtzehn Jahre alt wird. Man hat da staatlicherseits einige Anmerkungen zum Kindergeld zu machen. Und auch einige Wenn-Bedingungen aufzuführen, man kennt das auch aus der Programmierung. Die damit verbundenen Sonst-Ausführungen kann man sich dazu denken.

Falls Sie noch kleinere Kinder haben und vielleicht von der nagenden Sorge umgetrieben werden, Sie könnten die Volljährigkeit des Nachwuchses verpassen, weil man ja nicht immer auf alles aufpassen kann und die Zeit so schnell vergeht, wie wir alle sehr gut verstehen, dann können Sie jetzt also beruhigt sein. Der Staat wird Sie rechtzeitig an diesen markanten Termin erinnern. Es ist alles sehr gut und fürsorglich eingerichtet.

Wobei – so gut dann doch nicht. Denn der Staat möchte, so steht es in dem Brief, Bescheinigungen haben. Für die ich wiederum die Schule kontaktieren muss, die dann mir etwas schicken wird, was ich dann wiederum dem Staat weiterreiche … Obwohl die Schule, so denke ich mir, doch auch Staat ist und hier also vermutlich ein Fall vorliegt, in dem man an Prozessoptimierung denken könnte, an Digitalisierung und an dies und jenes, was gelegentlich versprochen wird, Sie kennen das.

In Estland, da kann man recht sicher sein, läuft das besser. Aber Estland ist weit, weit weg und bestimmt auch irgendwie anders, schon klar.

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Ein Dokument aus der Reihe „Hot in the city“: Dort, wo sonst am Morgen, wenn ich früh aus dem Haus gehe, um die erste belebende Runde um den Block zu spazieren, die leeren, manchmal auch zerschlagenen Spirituosenflaschen stehen oder liegen, neben all den Kippen der abendlichen Corner-Runde also, findet man jetzt so etwas hier. Sommerliches, abgefressenes Obst.

Eine Melonenschale

Aber die Flaschen und die Zigarettenreste, versteht sich, sowie auch die Lachgaskartuschen etc., sie liegen nur einen Meter weiter. Denn es ist nun nicht so, dass die Melone etwa die Drinks oder die anderen Drogen ersetzt hätte, das kann man nicht erwarten. Aber im phänologischen Kalender des urbanen Raums können wir das Bild doch auf jeden Fall vermerken, mit Datum und Sorte, wie es sich gehört.

Hochsommer also. Weitermachen.

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Peak 25

Die Gleichzeitigkeit von Hitze und Mittsommer verleitet mich am Wochenende zu saisonal stark verfrühten Hoffnungsgedanken. Im Sinne von „Bald gibt es wieder anständige Jahreszeiten!“ Aber ich weiß natürlich, dass der Sommer noch nicht groß genug war. Nicht einmal annähernd war er das. Die Aperolfraktion möchte noch lange Spaß daran haben, ich höre ihr kreischendes Lachen von der Ausgehmeile um die Ecke bis hier oben unters Dach, wo ich am Schreibtisch sitze. Man muss auch gönnen können und all das.

Ja, ja.

Aber was ebenfalls wahr ist: Im Kalender für alle gibt es den Mittsommer, im Brotberuf gibt es das wichtige Halbjahr. Peak 25 erreichen, vollbringen und verfertigen wir in jedem Fall in diesen Wochen. Eine Zwischenbilanz ziehe ich abseits des Berufs allerdings lieber nicht. Vielleicht bin ich aus dem Alter jetzt auch raus, es wäre sicher wieder ein Fortschritt. Die Jahre einfach unaufgeregt vorbeiziehen lassen.

Keine Rückblicke also, keine Wertung, keine Vorschau. Stattdessen verbringe ich den Sonntag halbwegs entspannt, trotz der bedrohlich wirkenden Backofentemperaturen in allen Räumen, mit Maigret, Musik und einigen Motivationsdienstleistungen.

Letztere aber nicht für mich. Ich brauche gerade keine, denn ich freue mich in dieser Hinsicht schon seit Tagen stillvergnügt über den Refrain dieses Liedes hier. Manchmal hat er doch ein sehr schlichtes Gemüt, der Herr Buddenbohm, und braucht im Grunde stets nur den passenden Song zu allem, dann geht es schon wieder weiter.

Die Dirty Heads mit „Vacation“:

Also nein, Motivation diesmal nicht für mich, sondern für einen Sohn. Der aus jugendromantauglichen Gründen gerade einen staunenswerten Lernmarathon hinlegt und deswegen von mir freundlich ein wenig bebutlert wird. Ich reiche fortwährend zu, woran Bedarf besteht, Chips, Obst, Käse, Schokolade, Eis und belebende Getränke. Was man so braucht. Und dazu noch einige französische Grammatikregeln. Diese aber auf letzter Rille, wenn die Wendung überhaupt noch jemand versteht, denn für seine Klassenstufe reicht mein Wissen kaum noch aus. Da ist nur mit viel Glück noch ein Treffer dabei.

Und außerdem: J’en ai marre, was das Lernen für die Schule betrifft. Ja, ist gut jetzt.

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Abends, nachdem der red rubber ball endlich nicht mehr heizt, gehe ich die Pflichtrunde um den Block. Vor einem Café steht ein Schild, da hat jemand handschriftlich die Tagesangebote notiert. Weil die Hitze wahrscheinlich nicht nur mir aufs Hirn schlägt, sondern uns allen das Denkvermögen etwas herabsetzt, steht da aber nicht „Eisschokolade“, sondern „Eisschollolade“.

Und wenn man das mehrmals nacheinander ausspricht, was da so hingeschrieben wurde, dann braucht man gar keinen Aperol mehr.

Der Innenhof des Rathauses

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Like a red rubber ball

Die erste News-Seite, die ich am Morgen öffne, titelt fett: „Live-Übertragung des Krieges“. In diesem Fall, man muss es leider präzisieren, geht es um den Krieg Iran vs. Israel. Oder andersherum, falls jemand schon mit der Reihenfolge eine Bewertung verbinden möchte. Es war keine mitgemeint.

Man kann darüber hinweglesen, auch weil es an anderen Stellen ähnlich vorkommt. Man kann sich aber auch kurz darauf besinnen, dass diese Schlagzeile von einer Satire, wie man sie sich noch vor wenigen Jahren hätte ausdenken können, nicht zu unterscheiden ist. Wenn Sie vielleicht etwa in meinem Alter sind, stellen Sie sich einen Moment lang Dieter Hildebrandt vor, wie er die Idee dieser absurden Überschrift in einem seiner nur vermeintlich wirren Monologe Stück für Stück entwickelt. Und Sie werden merken, es passt ungemein.

Denn so ist die Welt geworden, liebe Gemeinde. Wir sind längst in diese Satire-Version abgebogen. Nur ist sie leider nicht lustig.

***

Währenddessen findet Mittsommer statt, es ist einigermaßen verblüffend. Und fällt mir überhaupt nur durch eine etwas unwirkliche Erscheinung auf, nämlich durch eine junge Frau in einem nahezu durchsichtigen Hauch von Garnichts als Kleidchen und einem grünweißen Blütenkranz im sehr blonden Haar, die mir in der Fußgängerzone am Abend entkommt, wenn nicht entgegenschwebt. Und zwar dermaßen schräg dort wirkend, als habe man sie, siehe oben die Satire, in wirklichkeitsverfremdender Absicht dort hineinretuschiert.

In etwa so, wie wir früher alle, nehme ich jedenfalls an, mit Schere und Klebestift Bilder aus Zeitschriften und Modekatalogen anders und unsinnstiftend umarrangiert haben. In jenen gestern erwähnten, häufig wiederkehrenden Phasen der Langeweile. Wozu wir es jetzt im aufseufzenden Chor rufen können, denn es stimmt schließlich: „Wir hatten ja nichts.“

***

Aber apropos im Chor ausrufen. Neulich habe ich beim Musikhören gelacht, und da ich nicht oft lache, finde ich das meistens bemerkenswert, was mir da als Grund für die überbordende Heiterkeit durchging, also bemerkenswert im Sinne von: Kannste auch im Blog erzählen.

Das war eine Live-Aufnahme von Leonard Cohen. Dem man die gute Laune auch anhören konnte, bei der er sein Allheilmittel für Beziehungsprobleme mit dem Publikum geteilt hat. Ein erlösendes Mantra, von dem er da behauptete, es würde alle Probleme auf einen Schlag lösen. Und dann sangsprach er es vor und das Publikum stieg ein, etliche Wiederholungen. Hier der er- oder auflösende Zauberspruch:


Das vielleicht mal abspeichern, für etwaige Bedarfsfälle. Und auch in den anschwellenden Ordner mit den sinnigen Texten für den Grabstein übernehmen, versteht sich.

Egal, wo war ich. Mittsommer, genau. Diesen Tag habe ich in der zum ersten Mal in dieser Saison zu heißen Wohnung verbracht, intensiv Musik hörend. Musik saufend könnte man auch sagen, und es wäre nicht abwegig, mein aktueller Drogenersatz.

Passend, aber das ist nur einer dieser sogenannten Zufälle, zum vorhin erwähnten Lösungsmantra, gibt es einen wunderbaren Trennungs-Hit aus meinem musikalisch so ungemein ergiebigen Geburtsjahr, der auch die Sonne besingt, die heute wieder für fürchterliche Hitze in dieser Stadt sorgen wird: Red Ruberball von The Cyrkle. Das war eine Band mit hoffnungsfrohem Start, aus der dann aber doch nichts Großes geworden ist.

Das Stück ist jedenfalls, so kommentiert jemand auf Youtube treffend: „The most cheerful “fuck you” song in history.“

Prüfen wir kurz den Text, es beginnt so:

“I should have known
You’d bid me farewell
There’s a lesson to be learned from this
And I learned it very well
Now, I know you’re not
The only starfish in the sea
If I never hear your name again
It’s all the same to me.”


Den Farewell-Gedanken aus den Lyrics kann man in diesem Fall noch etwas weiterspinnen. Der Song hatte nämlich berühmte Väter, Paul Simon einerseits und Bruce Woodley andererseits. Der ist von The Seekers (das sind die mit „Georgie Girl“ aus dem Jahr 1967), und die hatten 2013/2014 ihre Abschiedstournee, auf der sie auch diesen Song gespielt haben.

Man kann sich diese beiden Videos also nacheinander ansehen, als Mensch aus diesen Jahren, und schon wieder ein wenig über Jahre und Zeiten meditieren. Who knows where the time goes. Aber das war eine andere Sängerin, das gehört hier heute nicht her.

Am Anfang des Videos spricht der Herr ein wenig, und wenn man sich für die Kulturgeschichte der letzten Jahrzehnte interessiert, kann man ruhig kurz zuhören.

Falls Sie den Song noch nicht kannten – nach etwa dreimaligem Hören kommt es einem vor, als habe man ihn immer schon gekannt. Als hätte es ihn immer schon geben müssen, etwa wie einige Beatles-Klassiker. Und so kann man die Qualität eines Songs also auch beschreiben.

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Eine altersschiefe Fachwerkfassade in Hamburg, Sankt Georg. Eines der wenigen Fachwerkhäuser hier, es gibt nur drei, vier.

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Vor vielen Jahren, in vielen Jahren

Sie kennen vermutlich dieses Gefühl, wenn Sie auf einer Reise waren, vielleicht ein paar Tage nicht in der eigenen Wohnung, wenn Sie sich zum ersten Mal wieder wohlig aufseufzend in den eigenen Sessel setzen. Wenn Sie sich auf das vertraute Sofa oder in das eigene Bett legen. Dieses außerordentlich schöne, auch auf eine ruhige Art lebensbejahende, angenehme Gefühl, dass da gerade etwas richtig, gewohnt und verdammt gut ist. Und seien es nur die eigenen vier Wände, das gut zugerittene Möbelstück darin. Es ist doch wichtig, merkt man, es ist ein Grundbedürfnis, ein Teil der seelischen Heimat. Und es ist körperlich und seelisch spürbar, man kann es kaum trennen.

Dieses Gefühl hatte ich in letzter Zeit mehrfach in anders gelagertem Zusammenhang, und der emotionale Gleichklang fiel mir markant auf. Nämlich einerseits etwa, als ich die alten Maigret-Folgen mit Bruno Cremer weitersah, die in den Sechzigern des letzten Jahrhunderts spielen. Andererseits zum Beispiel, als ich ein Hörbuch anfing, dass ich schon einmal gelesen habe: „Unterm Birnbaum“ von Theodor Fontane, gelesen von Joachim Höppner.

Das Buch, eine Kriminalgeschichte, beginnt eher unspektakulär. Ich zitiere den ersten Absatz nach Projekt Gutenberg, er fällt im Grunde nicht weiter auf. Michaeli ist Ende September, dann kann man es zeitlich einsortieren:

„Vor dem in dem großen und reichen Oderbruchdorfe Tschechin um Michaeli 20 eröffneten Gasthaus und Materialwarengeschäft von Abel Hradscheck (so stand auf einem über der Tür angebrachten Schild) wurden Säcke, vom Hausflur her, auf einen mit zwei magern Schimmeln bespannten Bauerwagen geladen. Einige von den Säcken waren nicht gut gebunden oder hatten kleine Löcher und Ritzen, und so sah man denn an dem, was herausfiel, daß es Rapssäcke waren. Auf der Straße neben dem Wagen aber stand Abel Hradscheck selbst und sagte zu dem eben vom Rad her auf die Deichsel steigenden Knecht: »Und nun vorwärts, Jakob, und grüße mir Ölmüller Quaas. Und sag ihm, bis Ende der Woche müßt ich das Öl haben, Leist in Wrietzen warte schon. Und wenn Quaas nicht da ist, so bestelle der Frau meinen Gruß und sei hübsch manierlich. Du weißt ja Bescheid. Und weißt auch, Kätzchen hält auf Komplimente.«

Im Maigret wiederum hat der Hauptdarsteller Bruno Cremer für heutige Verhältnisse enorm viel Zeit, unaufgeregt vor der Kamera zu stehen und gar nichts zu machen. Außer an seiner Pfeife zu ziehen und freundlich bis skeptisch andere Menschen anzusehen, die ebenfalls nichts oder kaum etwas machen und wenig reden. Dann fährt vielleicht ein Zug am Bahnhof im Hintergrund ein. Man sieht die Einfahrt dieses Zuges, die sich vermindernde Geschwindigkeit, das langsame Ausrollen, das Ankommen, das Aussteigen, das Koffertragen, das Begrüßen etc. Und alles ist eine einzige Einstellung. Wie gesagt, mit dem Maßstab heutiger Serien gemessen, ist die Länge der Szenen und die Ruhe der Personen geradezu grotesk überstreckt. Ich finde es herrlich, und das will dann wohl etwas bedeuten.

Man weiß als Mensch aus den Zeiten vor dem Internet, dass da etwas dran ist. Die Momente waren früher länger, auch wenn es seltsam klingt. Wir haben Züge noch einfahren sehen, könnte man in meiner Generation sagen. Und zwar von dem Moment an, in dem sie am Horizont kaum erkennbar auftauchten, bis zum durchdringenden Quietschen der Bremsen direkt vor uns. Wir haben uns das manchmal die ganze Zeit so gebannt angesehen, als hätten wir es interessant gefunden. Was nicht der Fall war, es gab nur nichts anderes anzusehen. Und wir hatten vielleicht, das kam häufiger vor, die Zeitung schon gelesen hatten und dummerweise kein Buch dabei.

Ich schreibe es ohne Wertung. Es ist nur eine geschichtliche Tatsache, siehe auch das Aussterben der Langeweile. Da könnten Kinderpsychiater ebenfalls viel dazu sagen. Sie kennen das vermutlich, zumindest wenn Sie auch Kinder haben. Es wurde in den letzten zehn Jahren viel und zu Recht diskutiert.

Aber keine nostalgische Verklärung, nein. Es ist wie es ist, und damals war es eben etwas anders. Eine übermäßig spannende Erkenntnis ist das kaum. Kein Mensch fand damals Langeweile schön, das wäre ein vollkommen abwegiger Irrglaube. Das wäre Verklärung, von der ich manchmal allerdings auch lese.

Nein, gelitten haben wir in Wahrheit unter dieser Langeweile. Häufig, intensiv, vor allem über Stunden und Tage hinweg. In einer Art, die ich etwa meinen Söhnen nicht mehr erklären kann. Weil ihnen jeder Bezug zum Thema fehlt, Langeweile kennen sie nicht. Oder jedenfalls nicht in dieser Dimension. Sohn I ist so alt wie das erste iPhone, das ist leicht zu merken und erklärt erstaunlich viel. Aber das nur am Rande.

Als älterer Mensch jedenfalls, wenn man aus der Perspektive eines Menschen auf Szenen und Geschehen oder überhaupt auf irgendwas sieht, der nicht mehr primär an Action und Erlebnis interessiert ist, sondern vielleicht allmählich etwas mehr an Ruhe und Kontemplation, ohne damit allzu ambitioniert klingen zu wollen, aus dieser Perspektive, so glaube ich, wirkt die damalige Zeit naheliegenderweise anziehend.

Und bietet, so empfinde ich es, ein immerhin vermeintliches Potential der Ruhe. Welches ich im unruhig zersplitterten Alltag der Gegenwart kaum so wahrnehmen kann. Was also heißt, dass ich abseits von Nostalgie, die meinetwegen auch eine Rolle spielen darf, denn so schlimm ist sie nun auch nicht, die Belebung der Erinnerung an analoge Zeiten als eine Art Wellness-Maßnahme zu empfinden scheine. Wahrscheinlich geht es nicht nur mir so. Wie bekanntlich alle Fragen, die mit „Bin ich eigentlich der oder die Einzige …“ beginnen, kategorisch verneint werden können.

Eine der wenigen goldenen Lebensregeln, die stimmen und die ich für wichtig halte.

Wenn ich also, das wollte ich nur eben sagen, bei Fontane oder bei Maigret ein fast seltsam deutliches seelisches Heimatgefühl habe, das sich derart in wohligem Seufzen ausdrückt, dass ich selbst darüber staune – dann ist das vermutlich passend für wenigstens einen Teil meiner Altersgruppe.

Verrsuche ich aber, nach vorne zu sehen, merke ich, dass ich mir kaum vorstellen kann, worauf sich die Jahrgänge meiner Söhne eines Tages rückblickend wohlig seufzend besinnen werden. Wenn die etwa auf die Sechzig zugehen werden.

Ob das auf mich so hektische wirkende Tiktok dann für ihr gechilltes Herumliegen in der Jugend stehen und also diesen Wellness-Aspekt gewinnen wird, den ich bei den kulturellen Produkten aus der Zeit habe, in der es noch kein Online gab?

Na, ich werde es vermutlich nicht mehr mitbekommen. Aber interessant finde ich es doch.

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Der Brunnen im Innenhof des Hamburger Rathauses, eine der Figuren in Nahaufnahme und von hinten

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Mosaikstücknotizen

Vorweg herzlichen Dank für die freundliche Zusendung von Kurt Vonneguts „Mann ohne Land“ (Perlentaucherlink), Deutsch von Harry Rowohlt. Eine willkommene Ergänzung für den SUB auf dem Nachttisch. Außerdem kam als Geschenksendung die Thomas-Mann-Playmobilfigur, welche auf diese Bücher künftig aufpassen wird.

Vielen Dank, sehr schön!

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Es ist ein weiteres Mosaikstück weltweiter Alltagskultur, das ich auf dem Weg zum Discounter sehe, und zwar zum ersten Mal. Es gibt immer noch erste Male, auch nach vielen Jahren in einem betont globalisierten Stadtteil, in einem melting pot also, jedenfalls für Hamburger Verhältnisse. So wie ich auch in den Läden immer noch ab und zu Gemüse sehe, von dem ich denke: Nie gesehen, was mag das nun wieder sein. Manchmal sehe ich dann Menschen aus bestimmten Gruppen, mit vielleicht verbindenden Merkmalen in der Kleidung und dergleichen, die das reihenweise kaufen, dann kann ich schließen: Ah, das wird wohl aus Indien sein. Oder woher auch immer.

Ab und zu sehe ich auch besonders prächtige Festtagsgewänder, bei denen ich denke, dass sie mir noch nie vorher begegnet sind. Ich berichtete bereits von solchen Sichtungen in Parks an Sonntagen. Die beobachteten Menschen können auch etwa ein Musikinstrument dabeihaben, das mir nichts sagt, das ich nicht einmal aus Dokus kenne. Wenn Menschen aus mehreren Nationen und Gegenden zusammenkommen, hört das Neue so leicht nicht auf.

Und diesmal also eine Frau, welche offensichtlich mit Traditionen von einem Kontinent weiter im Süden lebhaft verbunden ist. Sie trägt ein Sixpack mit großen Wasserflaschen, aber nicht so, wie Sie und ich das vermutlich machen würden, sondern auf dem Kopf.

Ohne es festzuhalten, versteht sich. Und in einer kerzengeraden Haltung, die erstaunlich deutlich so wirkt, als sei sie nennenswert aufrechter als alle Menschen um sie herum. Die sich im Vergleich mit ihr alle eher unbemüht hängenlassen, besonders um die Schultern herum. Wir gehen hier, es fällt einem in solchen Momenten doch auf, tendenziell etwas gebückt. Im Vergleich mit dieser Wasserträgerin schleichen wir kollektiv etwas eingestaucht herum.

Außerdem geht sie da mit einem Gesichtsausdruck entlang, mit einer gesamten Ausstrahlung und ruhigen Selbstverständlichkeit, als sei dies eben die Art, wie Menschen Wasser oder andere Waren nach Hause tragen. So macht man das. Und was ist schon dabei.

Die anderen Menschen um sie herum aber, die routinierten Tütenträger, Rucksackschlepper und Einkaufstrolleyrollerinnen, die schon bei dem Versuch, Wasser auf ihre Art zu tragen, mit großer Sicherheit albern scheiternd herumhampeln würden, sie sehen ihr etwas irritiert nach. Staunend auch, bewundernd, begeistert, teils amüsiert.

Und ein kleines Kind zeigt tatsächlich mit dem Finger auf sie. Damit unbedingt alles so ist, wie man sich solche Szenen eben vorzustellen hat. Vielleicht auch, weil solche Szenen anders gar nicht vorkommen können. Es passt schon.

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Gehört: Ein WDR-Zeitzeichen über den Zauberer von Oz, über das Buch, die Bedeutungsebenen und den Film: Ein amerikanisches Märchen.

Außerdem wieder etwas für den Freundeskreis Geschichte, ein Zeitzeichen über das Wunder von Dünkirchen (1940). Ferner eines über den Roten Baron, ein paar Jahrzehnte vorher. Es kam auch Snoopy vor, sie haben also alles richtig gemacht.

Und dann noch, diesmal ein paar Jahrhunderte weiter zurück, eines über den Wiener Kongress und abschließend eines über die Vandalen in Rom: Gesittet plündern.

Und mit dieser Absicht, gesittet zu plündern, schreite ich jetzt in möglichst aufrechter Haltung zum Kühlschrank, es gibt Frühstück.

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Die Figur des Sankt Ansgar an der Trostbrücke

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Buden in der Geschichte

Zwischendurch unbedingt auch die kleinen und aufmunternden Hinweise aus den USA beachten, die winzigen Hinweise, die man etwa in Blogs findet, so wie diesen hier.

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Für die geschichtlichen und erweiterten Zusammenhänge dann wieder Orientierung im Rundfunk finden. Um diesen schönen, alten und so eindeutig boomerhaften Begriff noch einmal zu beleben. Etwa in der Zeitzeichen-Sendung über den anderen populistischen und bei uns kaum bekannten Präsidenten der USA, über Andrew Jackson. Wieder etwas gelernt dabei.

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Im Hamburger Obdachlosen-Magazin sah ich einen Artikel zu einem weiteren Randaspekt der diesmal deutschen Geschichte, über den ich zufällig sogar ein wenig mehr weiß, ebenso wie die Herzdame: Über Ley-Buden.

Denn unser Schrebergarten ist in einer Siedlung, die noch von diesen heute seltsam anmutenden Behelfsheimen geprägt ist, es kam hier auch im Blog öfter vor. Wir haben mehrfach zugesehen, wie sie nach und nach abgerissen wurden, diese hundertfach umgebauten, ausgebauten, geflickten und wild zusammengestückelten, manchmal etwas slum-mäßig anmutenden Buden.

Wir haben im Garten auch Menschen kennengelernt, die in diesen Buden dort geboren worden sind, es waren die letzten ihrer Art. Langsam verschwindende Geschichte ist das.

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Ich überflog in einer Arbeitspause im Home-Office die Nachrichten. Ich sah beim Scrollen und nur aus dem Augenwinkel noch knapp das Wort „Hitlerresidenz“. Genauer nahm ich das zunächst nicht wahr. Irgendeine Story zur Geschichte oder zu den Folgen des Dritten Reichs und seiner elenden Hauptfigur wird es gewesen sein. Besonderen Mangel an dergleichen habe ich momentan eher nicht, und man muss auch nicht alles lesen.

Abendstimmung am Alten Wall

Dann fiel mir noch auf, während sich das Wort schon zum Rand meines Blickfeldes bewegte, schon fast komplett verschwunden war, dass da gar nicht Hitlerresidenz stand. Ich sah etwas genauer hin, es hieß Hitzeresilienz. Das ist ein doch etwas anders gelagertes Thema, aber egal. Hitler oder Hitze, Hauptsache Problem.

Mir wäre ohnehin gerade deutlich mehr nach dem, was Herman Dune hier gleich besingt, nach „to tune out for a little bit“. Aber wem wäre in unseren seltsamen Zeiten nicht danach. Während die Medien jeden Morgen neu berichten, wer gerade wen angreift und wer wem und wie Rache schwört.

Als würde man Abenteuerbücher auf dem Niveau für etwa Zwölfjährige lesen. Mit ordentlich Action drin.


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Weller, Springsteen, Taylor and Prine, Songs and meanings

Auch einmal neue Musik hören und sehen, etwa von Bruce Springsteen und Paul Weller. Aber okay, die Sänger sind alt, auch der Song vom Weller ist alt und der vom Springsteen klingt alt. Und gerade deswegen gut.

(Youtube-Link zum Video)

Aus dem umfangreichen Erbe der Bee Gees ist das auf jeden Fall der Song, der mir am liebsten ist. Und den Robin Gibb natürlich im Jahr 1968 mit erheblich mehr Leid in der Stimme gesungen hat. Aber auch Cover haben ihre Berechtigung.

Barry Gibb hat laut Wikipedia im Zusammenhang mit diesem Song gesagt: „There was a lot of psychedelia and the idea that if you wrote something, even if it sounded ridiculous, somebody would find the meaning for it, and that was the truth.“

Wozu mir spontan einfällt, dass die beiden von mir verehrten Songwriting-Giganten John Prine und Chip Taylor gemeinsam einmal eine Art Liedspaß mit dem Titel „Sixteen angels dancing cross the moon“ aufgenommen haben. Eine kleine Perle, die sie betont lässig ausgestreut haben. Und weil es so schön ist, hier ein Interview-Ausschnitt aus einem Gespräch mit Chip Taylor zum Song (Hervorhebung von mir):

“It was wonderful. It’s a little story that encompasses all of who John was. It was eight years ago. I was just off the road from touring Sweden. I met John and his band by chance at Grand Central Station. I was at this little oyster bar there. We started talking about the music in Sweden and one of the top female singers there. Her name is Jill Johnson. In recent years she had huge hits with “Angel of the Morning” and “Angel from Montgomery.”

I started kidding John that we’d have to write another angel song for Jill. That was it. We let it go. One day later I was in my apartment writing words down and playing guitar. This feeling came out with these words, 

“Two old friends trying to write a song
Trying to write a song about some angels
angels on the mountain, angels left in June
sixteen angels dancing ‘cross the moon.”  

I didn’t know what the hell it meant. But it had such a nice feeling to it, I got chills. 

 So how did John enter the picture? 

I decided to call John to see what he thought. He was driving home. I played the song for him. And he said when he heard the title line he said,” What the hell does that mean?”  I told him, “I don’t know. We’re songwriters. We don’t have to know this stuff.” That was exactly the start of the song. We started laughing going back and forth. He’d say a line and I’d say a line, then I’d write it down. Before we knew it, in half an hour, we had the song finished. But the most important thing is writing. It made us so happy. We had so much fun. I had never had the experience of writing with somebody out of town on the phone. 

I asked him, “John, are in your driveway?” He said, “No. I kept driving around the circle on Music Row.” That circle only takes twenty-five seconds, so he must have gone around a lot of times.  I could picture him in his Cadillac slinking down in his chair cruisin’ along on the phone, trying to write a song.

(Quelle)

(Youtube-Link zum Video)

Außerdem er hier (Youtube-Link):

Alte Männer der milden Sorte machen Musik, es ist am Ende auch eine Gattung für sich.

Zu Springsteen gibt es außerdem gerade eine mir empfehlenswert vorkommende arte-Doku (hier entlang), die auch das schöne Obama-Zitat enthält: „I am the president, but he is the boss.“

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Eine der Löwenfiguren am Hamburger Rathaus

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