Beifang vom 06.06.2017

Hüffenhardt und hippe Ernährung: Für die GLS Bank habe ich hier sechs Links zum Wochenanfang zusammengestellt.

“Er sieht nun aus wie eine Figur von Charles Dickens aus einem Londoner Hinterhof kurz nach der letzten Pest, melancholisch und räudig, er könnte einen Zylinder aufhaben und dazu einen schmutzigen Frack.” Nachdenken über Phil Collins. So ein Name, bei dem viele sofort weiterklicken, der Artikel ist aber interessant.

Hier geht es um die ausbleibende Begeisterung von kleinen Großstadtjungs für Autos, ich kann das aus Hamburger Sicht bestätigen: Autos sind doof, uncool, uninteressant. Elektroautos werden bejubelt, kein Lärm, kein Dreck, die sind in Ordnung. Aber sonst: Autos können weg.

Das Moralische muss wieder stark werden”: In der taz werden die Beziehungen zwischen den Hippies, den politischen Richtungen und der Moral untersucht. “Statt des Technokratischen muss das Spielerische, Amateurhafte und Rebellische im Vordergrund stehen.” Im Rahmen meines Projektes “Langhaariger Zausel 2017” begrüße ich natürlich alle Artikel zum Summer of Love.

Zwischendurch auch einmal grandios an einem Buch scheitern! Das Elefantengedächtnis von António Lobo Antunes (Deutsch von Maralde Meyer-Minnemann) überfordert mich komplett, das braucht wesentlich mehr Konzentrationsvermögen, als ich abends zur Zeit noch über habe. Selbstverständlich kann es dennoch ein prächtiges Werk sein, das möchte ich gar nicht ausschließen. Ich würde auch so etwas wie den Ulysses im Moment nicht schaffen.


Stattdessen lese ich jetzt in den Schwierigen von Max Frisch, das ist im Vergleich zum Werk des Portugiesen geradezu locker-flockig geschrieben.


Und zur Belebung zwichendurch ein paar Gedichte, das kann ja nicht schaden. Und die Werke des Herrn Bernstein gehören eh stets auf Wiedervorlage.


Der Musiktipp kommt heute wieder einmal von der Herzdame, sie hat mich ja mit Tipps reich bevorratet, etwa auf zwei Jahre im Voraus. Es spielen zwei musikalisch stets verlässliche Herren:

Kurz und klein

Mathe, Deutsch, Nerds, Bären

Das Blog geht nach, es geht sogar erheblich nach. Hier kamen beitragswürdige Ereignisse nicht vor, die sind schon Wochen oder Monate her, da liegen hingesudelte Stichwörter auf Halde, zu denen fällt mir mittlerweile schon nix mehr ein. Wieso steht da Milch? Was wollte ich bloß zu Milch schreiben? Oder war das mal ein Einkaufszettel? Ich habe keinen Schimmer. Das liegt diesmal nicht nur am üblichen “Man kommt zu nix”, das liegt diesmal auch an der Schule. Und an den Kindern, eh klar. Der eine Sohn will Hilfe, der andere braucht Hilfe, währenddessen ist Sommer und die Söhne sind draußen im Park oder Gott weiß wo unterwegs, sie sind jedenfalls nicht da, wo man ihnen diese Hilfe angedeihen lassen könnte. Also versucht man permanent, die wenigen freien Stunden, die man überhaupt nur gemeinsam als Familie verbringt, so kunstvoll, verdichtet, qualitätsbewusst und dennoch pädagogisch wertvoll und natürlich auch spaßorientiert auszufüllen, dass man sich schier einen Wolf daran denken kann, wie das bloß hinzubekommen ist. Der Familienterminplan als Gesamtkunstwerk, Eltern kennen das. Und immer diese Versuchung, irgendwie doch wieder an den Randbedingungen des ganzen Konstrukts zu raspeln, aber da gibt längst nichts mehr nach, alles Stahl und Beton, festgefügt und unverrückbar.

Die Söhne haben mittlerweile deutlich mehr Termine als ich, was mich in die seltsame Situation bringt, dass ich hier bald derjenige bin, der für die Kinder Handys haben möchte, noch bevor sie selbst dringend welche haben wollen. Was man natürlich nicht laut sagen darf, aber es macht mich allmählich irre, dass man sich mit ihnen nicht mal eben zwischendurch abstimmen kann, wo das doch so wahnsinnig praktisch wäre. Aber nein, man muss ihnen hinterherradeln und sie erst einmal finden, wenn es irgendwelche unvorhergesehenen Entwicklungen gibt, man muss sich face to face mit ihnen abstimmen. Und das nervt. Ich kann ihnen nicht “Bring Apfelsaft mit” per was auch immer schicken, dabei wäre das eine so große Erleichterung. Je länger ich darüber nachdenke, desto wahrscheinlicher finde ich es sogar, dass die Herzdame und ich die Söhne so üppig mit Aufträgen eindecken werden, wenn sie erst Handys haben, dass sie vermutlich schon bald lieber wieder offline und ungebunden durch die Stadt laufen werden. Was natürlich ein pädagogisch ungemein wertvoller Plan ist, keine Frage.

Ein paar der Blogstichwörter landen auf Twitter oder Facebook und manchmal sind da Sachverhalte dabei, die muss ich hier kurz wiederholen, damit sie auch die mitbekommen, die nicht in den sozialen Medien lesen. Wie etwa die wunderbare Rechenaufgabe von Sohn II vorgestern. Ich fragte ihn, was 8+4 ist. Sohn II ist in der ersten Klasse, die Aufgabe flog hier auf einem Zettelchen herum. Der Sohn wusste die Antwort, allerdings hat mich gewundert, wie er darauf kam, er hat nämlich aus 8+4 im Kopf 16-4 gemacht, er fand das einfacher so. Also 8+4 = 16-4=12. Logisch?

Den Reaktionen auf Twitter und im Bekanntenkreis nach zu urteilen, gibt es drei typische Reaktionen von Erwachsenen auf dieses Rechenspiel. Eine Minderheit sagt: “Logisch, ist doch klar.” Weil das Kind da erfolgreich mit der Viererreihe spielt, weil es die Rechenaufgabe in einen Zehnerblock zusammenzieht und dann nicht mehr über eine Zehnergrenze hinweg rechnen muss.

Eine zweite und größere Gruppe denkt erst einmal nach, vielleicht auch einen Moment länger -und versteht dann, was da gemacht wurde. Der eine oder die andere spielt dann selbst etwas herum, und fragt sich, ob das auch mit anderen Aufgaben geht und wie die Logik nun genau ist? Dann kommen sie darauf, selbst wenn sie nie im Leben so gerechnet haben, und vielleicht finden sie es sogar interessant.

Eine dritte Gruppe bekommt Panik nach dem ersten Blick auf die überraschende Gleichung und gibt sofort auf. Denkt dann vielleicht doch noch einmal nach. Sieht irgendwann ein, dass die 12 jedenfalls schon passt und lässt es schließlich dabei bewenden.Man muss sich ja nicht mit jedem Quatsch belasten. Zu dieser Gruppe hätte ich als Kind übrigens auch gehört.

Und noch etwas fiel mir auf, gerade bei der oben erstgenannten Schnelldenkertruppe. Es gibt da einen gewissen Nerdstolz, den es in meiner Kindheit noch nicht gab. In meiner Kindheit war Mathe definitiv uncool, aber so etwas von. Und wer Mathe konnte, war kein Nerd, die waren damals ja noch nicht erfunden. Wer Mathe konnte, war einfach doof. Also nach der damals gültigen und allgemein verbindlichen Coolnessgewichtung jedenfalls. Heute ist man nicht mehr doof, wenn man Mathe kann, heute ist man eben gut in den MINT-Fächern, man ist Nerd, Geek, künftiger IT-Profi, angehender Programmierer oder Ingenieur, so etwas in der Art. Das halte ich für eine gute Entwicklung.

Und was ist mit Deutsch? Für Deutsch lesen die Erstklässler zuhause Bücher, irgendwelche Bücher, irgendwelche Texte, es kommt gar nicht darauf an, was das genau ist. Wenn sie fünf Minuten gelesen haben, dann können sie auf einem Arbeitsbogen einen kleinen Bären ausmalen, wenn sie zehn Minuten gelesen haben, können sie einen großen Bären ausmalen. Auf dem Bogen sind große und kleine Bären für drei Stunden, wenn sie alle ausgemalt worden sind, geht das Exemplar von den Eltern unterschrieben zurück in die Schule. Also eine Art Bonussystem, das allerdings besser funktioniert als in vielen Betrieben. So lesen sich schon die Grundschüler einen Bären – und ich bin jetzt versucht, bei Kiki nach Lesebären für Erwachsene zu fragen, denn ich bin leider sonst in keinem Bonusprogramm. Vielleicht nach jedem Roman einen ausmalen? Da könnte ich endlich einmal nennenswerte Erfolge erzielen.

“Machst du endlich Licht aus?”

“Nur noch drei Seiten bis zum Bären!”

Beifang vom 29.05.2017

Eine etwas längere Ausgabe als sonst, offensichtlich habe ich in den letzten Tagen anderes gemacht. So war ich etwa bei einem Treffen meines 87er Abiturjahrgangs, zack, schon sind dreißig Jahre vorbei. Da sitzt man dann und staunt, aber dazu vielleicht später einmal mehr.

Ich habe für die GLS Bank einige Links zum Thema bedingungsloses Grundeinkommen gesammelt. In den dort verlinkten Blogs findet man gute, sachliche und konstruktive Diskussionen zum Thema, das gibt es ja heute kaum noch.

Und dann, das ist eigentlich auch ein Thema für den Wirtschaftsteil, diese kleine Meldung heute zur irreführenden Bezeichnung “Klimawandel”. Im Kontext dieser Meldung brachte mich der Herr Bielinski auf einen Vortrag zum Thema Framing, und dieses Thema muss man ja aus gleich mehreren Gründen spannend finden, als Vater, Wähler, Angestellter usw. Das Ding ist 56 Minuten lang, aber es lohnt sich tatsächlich. Eine erhellende Geschichte, sehr empfehlenswert.

Jetzt etwas kultureller weiter: Frisch und Dürrenmatt und ein sehr kurzer Auftritt in einem Film.

Sven ist raus und keiner merkt was.

Mimimi – ein Ausdruck und seine vermutliche Herkunft. Wer hat’s erfunden? Nicht die Schweizer.

Schiffe gucken ist schön, man sollte nur nicht dabei atmen.

Patricia über Verhandlungen, Abmachungen und Kommunikation in Beziehungen. Die Herzdame und ich hatten neulich erst ein ungeplantes und ergiebiges “Was machen wir hier eigentlich?”-Gespräch, das war überaus sinnvoll. Ab und zu mal gemeinsam überlegen, sich gegenseitig der völligen Planlosigkeit versichern und dann dennoch mal eben abstimmen, wie die nächsten Meter aussehen könnten. Weitermachen und auf Sicht fahren. Läuft.

Ruedi und die Eritreer. Eine Geschichte von der Integration.

Ich lese in Max Frischs “Montauk”, ein Buch, in dem ich etliche Sätze finde, die ich markieren möchte, wozu ich sonst überhaupt nicht neige. Etwa: “Je älter ich werde, um so weniger halte ich mich aus, wenn ich nicht arbeite.” Danach kann man doch glatt mal den Computer ausmachen und etwas nachdenken gehen, nicht wahr. Auf dem Balkon oder so.

Später auf dem Balkon habe ich dann Frischs “Entwurf zu einem dritten Tagebuch” gelesen, nach Montauk ist das der logische und erhellende Anschluss. Noch später saß mir in der S-Bahn jemand gegenüber, auf dessen T-Shirt “Montauk” stand. Der Passagier zum Buch! Ich machte auf dem Handy Instagram auf, ein Exkollege postete da gerade Bilder von einem Strand in den USA – der Hashtag sagte: Montauk. Und im Bahnhof hingen Bilder, die den anlaufenden “Montauk”-Film bewarben. Manchmal ist es ja etwas unheimlich.

Der eher unergiebige Briefwechsel Frisch-Dürrenmatt dagegen ist wohl nur etwas für Hardcore-Fans der beiden, der sagte mir gar nichts. Jetzt bin ich bei Homo Faber angekommen (in der schönen Büchergildenausgabe mit Bildern von Felix Scheinberger), den ich seltsamerweise nie in der Schule gelesen habe. Nanu.

Und hier noch völlig zusammenhangslos der unlängst erwähnte Fabrizio de André, von dem auf Youtube ziemlich wenig zu finden ist. Seltsam.

Terminhinweis Juli

Das ist noch lange hin, aber manche Menschen führen ja so sorgsam gepflegte Terminkalender, die freuen sich auch über frühe Ankündigungen.

Am Sonntag, dem 16.07.2017 gibt es eine Lesung im Rahmen der Lesebühne Hamburger Ziegel um 18 Uhr auf den Magellan-Terrassen in der Hafencity, bei schlechtem Wetter im Kesselhaus ein paar Meter weiter.

Dort lesen Kat Kaufmann, Jens Eisel und Sascha Preiß – und ich. Es moderiert Daniel Beskos, den Herrn haben Isa und ich übrigens hier einmal interviewt.

Ich lese da eine Geschichte, die in Hamburg erfreulicherweise noch fast niemand kennt, die habe ich bisher nur einmal auf Helgoland vorgelesen. Es geht in der Geschichte um diese Insel, es geht um die Liebe, eh klar, und es geht auch um die Unmöglichkeit, irgendwelche Geschichten zu erzählen. Wovon man ruhig einmal erzählen kann.

 

Zusammenhänge

Wenn ich S-Bahn fahre, sehe ich immer diesen Satz oben an den digitalen Hinweistafeln durchlaufen: “Bitte beachten Sie das geltende Rauch- und Alkoholverbot!” Und jedesmal ärgere ich mich über den Schwachsinn dieses redundanten “geltende” im Satz. Es ist eben nicht nur ein Verbot, nein, es ist sogar ein geltendes Verbot, na dann! Dann halten wir uns natürlich lieber dran. Würde da nicht “geltend” stehen – nicht auszudenken. Man wüsste gar nicht, ob es wirklich und in echt und auch jetzt gerade gilt. Kann ja sein, es gilt oder gildet, wie die Söhne sagen würden, nur vormittags, nur nachts oder in ungeraden Wochen. Da ist es doch tröstlich, dass man sich das nicht fragen muss, dass es da ganz klar steht, es ist geltend. Himmel.

Ich hatte mal einen Chef, ich erwähnte ihn schon ein paarmal, der ein sehr intelligenter Mann war, vielleicht der intelligenteste, der mir je über den Weg gelaufen ist. Er hatte eine interessante Sonderbegabung, die vielleicht auch eine Störung war, wer weiß, er dachte zwanghaft in Zusammenhängen. Er konnte kein Haus sehen, ohne sich zu fragen, woraus es gebaut worden ist, woher die Baumaterialien kamen und zu welchem Preis und was da eigentlich vor dem Haus gestanden hat und wie die Gegend sich im nächsten Jahr entwickeln wird und immer so weiter. Er konnte an keiner Pommesbude vorbeigehen, ohne die monatlichen Umsätze und die Anzahl der Kunden pro Stunde, Tag und Monat und die Miete zu überschlagen und alle Posten bis auf den Verdienst des Studenten herunterzubrechen, der da gerade Salz auf die Pommes für uns streute. Dann aß er und murmelte plötzlich eine Zahl. Wenn ich irritiert nachfragte, war die Zahl der geschätzte Gewinn, denn der Laden abwarf. Er stellte sich kurz vor, Pommesbudenbesitzer zu sein, er wollte das verstehen. Er ging durch die Stadt und dachte an Mieten, Gehälter, Architekturgeschichte, Stadtentwicklung, Soziologie und immer so weiter. Das machen wir alle in irgendeinem Ausmaß, er machte das allerdings zwanghaft und exzessiv. Er las Sachbücher ohne Ende und behielt unvorstellbar viel Wissen im Kopf.

Und wenn er etwas nicht wusste, dann fragte er eben nach. Er fragte wildfremde Menschen nach allem, was er durch bloßes Ansehen nicht herausbekommen konnte. Man ging mit ihm spazieren und plötzlich ging er mitten im Satz in ein Restaurant, denn er hatte im Vorbeigehen aus dem Augenwinkel eine rot lackierte Wand darin schimmern gesehen. Woraus war die nun genau, wieso glänzte die so schön, wie hat man das gemacht? Und er war bei diesen Fragen so charmant und so leidenschaftlich neugierig, dass er den Leuten nicht auf den Geist ging, sondern kurz darauf mit dem Inhaber des Restaurants an einem Tisch saß, natürlich per Du war, zu etlichen Freigetränken eingeladen wurde und mit ihm ein absurd detailliertes und abendfüllendes Fachgespräch über japanische Lacktechniken in der Innenraumgestaltung führte. Weil doch alles interessant war. Ich saß daneben und staunte. 

Als ich einmal ein Meeting mit ihm hatte, klebte er einen Zettel außen an die Bürotür, auf dem stand: “Bitte nicht stören, solange dieser Zettel hängt.” Ich habe gelacht und ihm erklärt, dass der zweite Satzteil aber so etwas von entbehrlich sei, denn wenn der Zettel nicht hängt, dann – so unter uns Schlaubergern, nicht wahr – kann auch keiner auf die Idee kommen, nicht stören zu dürfen. Sinnvoll wäre doch nur der Hinweis: “Bitte stören, wenn dieser Zettel nicht hängt”, aber das auch nur, wenn sich jemand den Inhalt merken würde, um diese Anweisung dann direkt nach dem Entfernen des Zettels umzusetzen. Oder als Alternative: “Bitte stören, wenn dieser Zettel hängt”, so als Aufforderung zur Belustigung gelangweilter Vorgesetzter. So war das aber gar nicht gemeint, es ging doch einfach nur um ein “Bitte nicht stören”, mehr nicht. Und wenn der Zettel nicht hängt, dann ist da eben keine Anweisung mehr vorhanden, weswegen man einfach jederzeit stören kann.

Woraufhin mein Chef und ich vergaßen, worum es in dem Meeting gehen sollte und uns lange und intensiv um Logik stritten, um Anweisungen und Verbote und Kommunikation und Sprache. Es war ein heißer Sommertag, die Lage der Abteilung war heikel und wir waren beide angespannt. Die Tür mit dem Zettel draußen dran flog irgendwann krachend zu. Und so heftig stritten wir, dass er irgendwann einen Locher nach mir warf. Die Älteren erinnern sich, das war einmal ein Bürogerät, so etwas gab es im letzten Jahrhundert an jedem Arbeitsplatz. Ein Locher war üblicherweise in Größe, Form und Gewicht als Wurfgeschoss recht gut brauchbar, er verfehlte mich aber dennoch und wir vertrugen uns auch noch am gleichen Tag wieder. Mit Logik ist eben nicht immer zu spaßen. Es blieb eine tiefe Schramme in der Raufasertapete und es wurden nach diesem Vorfall nie wieder Zettel an Türen gehängt.

Ich habe neulich erst gehört, dass der Mann nicht mehr lebt. Ich kann mir lebhaft vorstellen, wie er im Jenseits erst einmal ein paar drängende Fragen zu gewissen Zusammenhängen gestellt hat, die er immer schon verstehen wollte. Weil doch alles interessant ist.

In meinem papierlosen Büro heute gibt es übrigens nichts mehr, womit man werfen könnte, also abgesehen vom Notebook, aber damit wirft man ja nicht. Man beachtet natürlich das geltende Notebookwurfverbot. Aus nostalgischen Gründen könnte ich aber auch “Nicht mit Notebooks werfen, solange dieser Zettel hängt” auf ein Blatt Papier malen.

Beifang vom 24.05.2017

Ich bin mir nicht mehr sicher, wie ich darauf kam, aber ein Gedankengang, irgendein Gedankengang endete bei mir in der Wikipedia und dort beim dänischen Protestschwein. Das ist doch mal ein Begriff, den man sich merken sollte. Im Wikipediatext steht natürlich auch, was das Tier mit dem Protest zu tun hat.

Außerdem bin ich gestern mit dem Zug nach Husum und gleich wieder zurück nach Hamburg gefahren, Zwischenaufenthalt vielleicht 40 Minuten. Aus Gründen, versteht sich, ich bin ja nicht irre, oder zumindest noch nicht so sehr. Dabei habe ich jedenfalls Alexander Pechmanns “Bibliothek der verlorenen Bücher” gelesen. Das ist eine nette Zuglektüre über Bücher bekannter AutorInnen, die aus welchen Gründen auch immer verschollen sind, gestohlene Manuskripte, verbrannte Entwürfe, vernichtete Tagebücher usw. Man kann beim Lesen hier und da zwanglos ein paar Gramm Allgemeinbildung im Bereich Literaturgeschichte ergänzen, das ist ja immer nett. Wenn man von Hamburg nach Husum fährt, reicht das schmale Werk allerdings nicht mehr für die Rückfahrt. Da muss man dann aus dem Fenster sehen, wo neben den Gleisen entweder Landschaft oder aber Gegend in erheblicher Menge und schier endloser Folge abgespult wird, in einer endlosen Folge wohlgemerkt, bei der man Wiederholungen nicht ganz ausschließen kann. Kam der Acker da nicht vorhin schon einmal vor? Und das einsam gelegene Bauernhaus da nicht mindestens dreimal? Wenn man von Husum bis Hamburg aus einem Zugfenster sieht, braucht man hinterher wochenlang keine weitere Landschaft mehr, nicht einmal blühende Rapsfelder.

Wie Twitter Bestandteil der Sekundärliteratur wird – T.C. Boyle und seine Straßenfotos. Das ist ja auch nicht schön für die späteren Studenten der Literaturwissenschaften, dass sie sich schier endlos durch Twitter-, Instagram und Facebookarchive wühlen werden müssen, das kann einem schon etwas leid tun. Und dann schreiben sie Doktorarbeiten mit furchtbar schlau klingenden Titeln und müssen in den Fußnoten darauf eingehen, warum der Gegenstand ihrer Forschung bei der Arbeit an seinem berühmten dritten Novellenband irgendwann kontextlos nachts “Penis” twitterte (678 Likes, 38 Retweets, aber das ist jetzt natürlich fiktiv, Sie müssen bitte nicht beim Herrn Boyle suchen gehen).

Remo Largo in einem Interview über quasi alles. Mit dem bösen K-Wort! Hurz!

Eine Lobeshymne auf die Strudlhofstiege. Die habe ich irgendwann auch einmal angefangen und doch wieder weggelegt, die probiere ich dann demnächst aber noch einmal, so etwas macht neugierig.

Hier geht es um Spielräume in der Stadt und um Kinder, die nicht draußen spielen können.

Dazu äußerst passend ein Song, der hier vor längerer Zeit schon einmal vorkam, aber ich merke gerade, es gibt mittlerweile eine Live-Aufnahme. Von den ganz großen Dingen und vom Herrn Danzer, auch schon nicht mehr unter uns. “Mittlerweile hat sich das alles sozusagen relativiert …”

Die Herzdame liest: Madame le Commissaire

Ein Text von Maret Buddenbohm, auch bekannt als die Herzdame, die im Vergleich zum Gatten eher leichtere Lektüre liest. Zum Beispiel Krimis.

Nachdem Text über das Schlafbuch war der Gatte der Meinung, ich müsse jetzt öfter Buchrezensionen schreiben. Das ehrt mich, ist aber leichter gesagt als getan. Denn sobald ich den Buchdeckel final zugeklappt habe, ist der Inhalt auch schon wieder aus meinem Gedächtnis verschwunden. Ich kann nur noch sagen: „Das Buch war schön“ oder „Das Buch hat so schöne Bilder in mir wachgerufen“ oder „…die Stimmung, die Charaktere, die Landschaftsbeschreibung, die Liebe … na, du weißt schon… einfach schön“.

Nun habe ich bestimmt eine halbe Stunde vor meinem Bücherregal gestanden und überlegt, an welches Buch ich mich noch so gut erinnere, dass ich eine sinnvolle Rezension darüber schreiben könnte. Aber es ist hoffnungslos.

Ich kann nicht mal über das aktuelle Buch schreiben, da lese ich schon so lange dran, dass ich nicht mal mehr weiß worum es geht. Aber doch, es gefällt mir sehr gut! Ich habe nur gerade keine Zeit. Das heißt, weil ich gerade öfters wieder „Die Zeit“ habe, habe ich keine Zeit mehr für anderes.

Deshalb werde ich jetzt erst mal bis auf weiteres über Bauchgefühl-Bücher schreiben und fange wahllos einfach mal mit einem an und zwar mit dem Krimi hier:

Pierre Martin ist ein Pseudonym, wer sich dahinter verbirgt, ist nicht bekannt. Allerdings bin ich sicher, dass es KEIN Franzose ist. Mittlerweile gibt es keine Region in Frankreich ohne Krimireihe mehr und nicht ein Autor davon ist Franzose.

Um überhaupt etwas zum Inhalt beizusteuern, habe ich hier mal den Klappentext abgetippt:

„Isabelle Bonnet, hochdekorierte Leiterin einer geheimen Spezialeinheit in Paris, wäre bei einem Sprengstoffattentat fast ums Leben gekommen.

Um sich zu erholen, reist sie in ihren beschaulichen Geburtsort Fragolin im Hinterland der Côte d’Azur. Doch aus der ersehnten Ruhe wird nichts: In einer Villa wird eine halbnackte Frauenleiche gefunden, und der Hausherr, ein mysteriöser Engländer, ist spurlos verschwunden.

Isabelle Bonnet lässt sich überreden, den Fall zu übernehmen – was bei den Kollegen vor Ort nicht gerade Begeisterung auslöst “

Besonders in Erinnerung geblieben ist mir tatsächlich die Landschaftsbeschreibung sowie das Lebensgefühl der Provence. Ich bin mit der Kommissarin französisch Essen gewesen, mit ihr durch das Massif des Maures (oder so) gefahren, mit einem Boot auf das Mittelmeer hinaus und habe das französische Savoir-vivre erlebt.

Ob das alles gut recherchiert ist, kann ich nicht sagen. Ist mir aber auch egal, die Bilder in meinem Kopf, die stimmen jedenfalls. Alles in allem eine schöne Urlaubslektüre.

Kurz und klein

Beifang vom 18.05.2017

Ein Test für Frau Novemberregen.

Frank Drieschner über Gutmenschen.  Ich weiß ja nicht, aber ich glaube, ich bin bestenfalls ein Mittelmensch. Ein Stetsbemühtmensch vielleicht.

Sehr gerne gelesen – ein Abschied von den Piraten, ganz ohne Häme. Und es geht ja weiter, hier etwa geht es um eine Hip-Hop-Partei. Warum auch nicht.

Radium Girls. Klingt wie eine Band, ist aber schlimmer. Gefunden via Meike Lobo auf Twitter, glaube ich.

Ich lese die Erzählungen von Arthur Miller, “Presence”, aus dem Amerikanischen von Uda Strätling. Mir war gar nicht klar, dass “Misfits” eine Story von Arthur Miller ist, dabei ist das ja einigermaßen naheliegend. Man hat aber auch Bildungslücken! Schlimm. Es ist übrigens schwül da draußen, und falls Ihnen auch gerade unangenehm heiß ist, hier zur Abkühlung der Anfang einer eiskalten Story aus dem Buch, “Die Wahrsagung”:

Nicht alle, aber manche Winter sind in der Gegend fast unerträglich. Ende November setzt sich in den ehemals holländischen Tälern der Nebel fest und verzieht sich bis Ende April nicht mehr richtig. Manchmal taucht er nachts auf den Bergkuppen auf, während das Tiefland frei bleibt, und obwohl kein Mensch weiß, warum er wandert, tut er das, legt sich manchmal tagelang um ein einzelnes Haus und sonst nirgends hin. Dann zieht er ab und belagert ein anderes Haus. In manchen Wintern kommt die Sonne zwei Monate am Stück nicht richtig zum Vorschein. Wie Wasser ersäuft das Grau jede Aussicht, und es tropft den lieben langen Tag von den Bäumen, sofern die Äste nicht von knarrendem Eis umschlossen sind.

Bei Anbruch des Winters besteht natürlich immer die Hoffnung, dass es ein guter wird. Aber wenn Tag für Tag, Woche für Woche derselbe gleichtönende Wind alle Wärme aus dem Haus zieht und sich am stählernen Himmel nicht der kleinste Riss zeigt, dann leidet das Gemüt erst der Alten und dann aller anderen. Es kommt zu unerklärlichen Streitereien in den Supermärkten und an den Zapfsäulen, es entstehen lebenslange Feindschaften, Nachbarn beschließen, für immer fortzuziehen, und tun es, es häufen sich unnötige Verkehrsunfälle. Die Leute brechen sich die Arme, krachen in Bäume, deren Standort sie eigentlich im Schlaf kennen, ein bis zwei werden immer in der eigenen Auffahrt von ihren zurückrollenden Wagen erfasst, und es werden aus Verzweiflung Entscheidungen gefällt, die etliche Leben für immer verändern.

Der abschließende Musiktipp kommt heute wieder einmal von Jojo aka Sohn I, eloquent begründet mit den Worten: “Cooles Video, coole Musik.” Und für nächste Woche weiß er auch schon was, sagt er.