Langsam, etwas ruckelig und eher gemütlich

Vorweg ein herzlicher Dank für die freundliche Zusendung von Schreibgerät, herzliche Grüße zurück!

Ein Update zum Thema Tourismus und Algen. Es scheint mir ein schönes Beispiel für die Geschwindigkeit der immer wieder bemerkenswerten Anpassungsleistung unserer Art zu sein. Für unsere so emsigen Bemühungen in dieser Richtung. Und während ich mittlerweile schon drei Berichte zum Thema Algen verlinkt habe, ist mir das Thema als Erwähnung im privaten Umfeld als Urlaubserwähnung bisher kein einziges Mal begegnet. Auch nicht in den Timelines, kein Fotobeleg, nichts. Aber es wird nur eine Frage der Zeit sein, dann eben in der nächsten Saison.

Bei Frau Herzbruch gibt es währenddessen noch mehr zum Thema Fleisch. Wo es für ihren Bedarf herkommen darf oder soll.

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Der Alltag nimmt hier in den letzten Tagen etwas Fahrt auf, vermutlich auch bei Ihnen, denn wie bereits festgestellt ist es zumindest ungefähr unser aller Timing. Noch wird da allerdings nicht besonders viel Fahrt aufgenommen, ein wenig nur. Die Achterbahnwägelchen werden erst langsam, etwas ruckelig und eher gemütlich zum Fahrtbeginn hochgezogen. Die Insassen lachen noch vereinzelt und verbreiten entspannt gute Laune. Man muss genauer hinsehen, um mitzubekommen, dass die ersten Hände schon etwas fester um die Sicherheitsbügel greifen.

Nein, es passiert bisher eher wenig. Man weiß nur immer klarer, dass gleich etwas passieren wird. Man sieht es schon kommen, und man weiß es auch aus Erfahrung, man hat das immerhin alles schon mehrfach erlebt, man kennt die Abläufe. „Wenn viele Herbste sich verdichten, in deinem Blut, in deinem Sinn …“ so heißt es beim kundigen Jahreszeitenexperten Gottfried Benn. Und ja, man könnte auch schon einen Blick in die Herbstlyrik werfen, warum denn nicht.

Vorbereitung ist alles. Auch bei den so klar erwartbaren Gefühlslagen und den überaus vorhersehbaren Alltagseskalationen der nächsten Wochen und Monate.

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Instagram zeigt mir währenddessen mit fast verzweifelt zu nennender Vehemenz immer wieder und wieder die gleiche Werbung für Kaltern am See. Für den Sommerurlaub dort, den ich doch gerade erst hinter mir und eben dort verbracht habe. Sommer am See, ruft der Algorithmus, Sommer am See! Geradezu aufdringlich.

Vielleicht ist es statistisch gesehen richtig, ehemalige Reisende mit dem zu ködern, was sie vor ein paar Tagen erlebt und per Bild belegt haben. Womöglich haben ausreichend viele Menschen dann tatsächlich ein Gefühl von „Noch mehr, bitte noch mehr davon!“ und buchen also die gleiche Nummer erneut. Vielleicht ist es, vielleicht sind wir in der Mehrheit wirklich derartig berechenbar, ich kann es mir sogar vorstellen.

Bei mir greift das allerdings nicht. Aber gut, man kann auch nicht in allen Aspekten im Mainstream sein. Ich ignoriere die Werbung also und fühle mich sehr speziell, was bin ich heute wieder für ein unberechenbares Individuum. Ein angenehmer Gedanke ist das.

Denn wie immer gilt: Man muss sich die guten Gefühle zusammensuchen, wo es nur geht.

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Im Bild ein etwas kunstvolleres Graffiti in der Innenstadt. Unterhalb der Linie der U3, kurz bevor die Schienen unter dem Rathaus und den Fleeten verschwinden, wobei sie spektakulär dicht an Bürofenstern vorbeiführen. Ein Moment der Fahrt, der bei Touristen verständlicherweise besonders beliebt ist.

Ein mit gezeichneten Köpfen verzierter Betonständer unterhalb der Schienen der U3

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Sommersachensattheit

Gehört: Eine SWR-Sendung über den Zahlensinn des Menschen und über Kulturen, die nicht rechnen und keine Zahlen kennen, etwa die der australischen Ureinwohnerinnen. 28 Minuten.

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Außerdem gehört: Eine wunderbare lange Nacht über Kapitän Joseph Conrad. Da hat man, vielleicht unvermutet, schon wieder einen Ukraine-Bezug, denn dort kam er her, „aus dem polnischen Teil der Ukraine, damals zu Russland gehörend.“ Ein Satz wie aus dem Geschichtsunterricht: „Welche Probleme können wir aus dieser Beschreibung der Herkunft ableiten, erörtern Sie bitte.“

Lange und schöne Zitate aus seinen Werken hört man in der Sendung. Sogar ich spüre ein leichtes Ziehen, ein immerhin leichtes Ziehen, fast wie Fernweh und Abenteuerlust, sicher eine Art Phantomschmerz, wenn ich Joseph Conrad lese oder höre. Conrad ist einer, den ich wieder und wieder lesen kann.

Wie sein Kollege Stevenson. Und zu dem wiederum gibt es eine Folge Radiowissen, die passt hervorragend hinter die Lange Nacht zu Conrad. Wenn man immer noch Zeit hat, es addiert sich dann doch etwas. Dafür bitte hier entlang.

Und ausgerechnet da, wo der Stevenson an seinem Lebensende in der Südsee gewohnt hat, da treibt sich auch der neulich mehrfach erwähnte Georg Stefan Troller in meiner abendlichen Lektüre herum und schreibt darüber und erwähnt Stevensons Haus auf einer Insel nebenbei im Tagebuch, sehe ich noch kurz vor dem Einschlafen.

Und wie immer freue ich mich unsinnig über diese Verbindungslinien zwischen allem.

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Gesehen: Diese Doku auf arte über Marcello Mastroianni. Ich sehe die alle gerne, diese Film-Dokus, aber die über Marlon Brando war bisher die abgründigste Folge.

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Man liest schnell darüber hinweg, aber vermutlich sind die E-Bike-Erfahrungen bei Frau Herzbruch zeitgeistiger und auch generationstypischer, als man zuerst annehmen möchte. Wie auch ihre Anmerkungen zur Ernährung und die in den Kommentaren, und überhaupt: Das Private ist selbstverständlich und jederzeit politisch.

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Beim besinnlichen Aufräumen der Accounts in den sozialen Medien stellt sich nebenbei die Frage, ob man den Toten noch folgen sollte. Man kann entfolgen, man folgt ihnen doch irgendwann wieder, auf den Gedanken kann man dabei auch kommen. Das wird dann allerdings schnell zu tiefsinnig und passt nicht mehr in einen lauen Spätsommerabend der noch vergleichsweise entspannten Art.

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Mit dem im Urlaub beschädigten Sohn bin ich noch einmal bei einem Facharzt gewesen. Nur sicherheitshalber, noch einer freundlichen Empfehlung aus dem Krankenhaus in Bozen folgend, eine letzte Urlaubsabschlusshandlung also. Aber bei dem Sohn ist erwartungsgemäß alles wieder in Ordnung im Kopf.

Dann kann das also wenigstes einer in dieser Familie von sich behaupten, das ist auch schön.

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Obwohl es nach wie vor augustgemäß warm in der Stadt ist und die Temperatur auch noch weiter steigen soll, fast wieder in Julidimensionen, obwohl es nur zwischendurch etwas grauhimmelig bedeckt ist und die Sonne nur ab und zu etwas dunstig verhangen, sind einige Menschen auf den Fußwegen doch schon entschieden und auffallend herbstmodewillig, sie scheinen im saisonalen Dresscode dezent vorzugehen.

Vielleicht eine Art von Sommersachensattheit. Ja, ist gut jetzt.

Einer der Abgänge zum Ponton der Landungsbrücken im Hamburger Hafen

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Stadtgeschichten und Adressen-Memory

Am Wochenende haben die Herzdame und ich zeitgleich eine Spaziergangsneigung, das kommt nicht oft vor. Wir sind bezogen auf unsere Tagesrhythmen meist eher nicht im gleichen Takt und leben vieles zu verschiedenen Uhrzeiten aus.

Wir haben allerdings beide, eine eher privilegierte Sichtweise, an diesem Tag keine Lust auf die üblichen Postkartenlocations vor unserer Haustür. Außenalster, Rathausarkaden oder Elbe, immer die gleichen Motive, wir wollen heute etwas anderes. Alles Bekannte haben wir längst totgeknipst, abgefilmt und endlos oft umrundet. So kann man auch nur denken, wenn man mitten im Bildteil der Reiseführer wohnt.

Wir fahren stattdessen nach Altona und gehen vom Bahnhof aus durch Ottensen, dort waren wir beide schon länger nicht mehr. Wir finden überraschend viele Nebenstraßen, Ecken und kleine Plätze, die wir beide nicht kennen oder an die wir uns nicht deutlich erinnern können. Ausreichend Anblicke dieser Art jedenfalls für dieses ansatzweise touristische Gefühl, das einen Spaziergang in der eigenen Stadt interessant macht und ihn ungeplant ausdehnt.

Ab und zu auch Gebäude oder Kreuzungen, vor oder an denen uns Termine und Szenen aus der Vergangenheit einfallen. Was war hier noch einmal, das kommt mir seltsam bekannt vor. Aber warum eigentlich. Zehn Jahre her, zwanzig Jahre her, dreißig Jahre her. Schon längst nicht mehr wahr, vergessen, verschüttet oder verdrängt. Wie lange wohne ich in Hamburg – 37 Jahre sind es jetzt, guck an. Wie viele Straßen dieser Stadt ich bis heute nie gesehen habe, es bleibt ein faszinierender Gedanke.

Vier Quietscheentchen über einer Haustür in Ottensen, in einem giebeligen Dekoelement der Fassade abgestellt

Weißt du noch, die Tanzkurse damals, unsere ersten Versuche. Hier um diesen Block herum haben wir abends immer einen Parkplatz gesucht. Noch mit dem alten Benz, den wir geerbt hatten. In dem musste man die Fenster noch hoch- und runterkurbeln. Für die Söhne ist das sicher schon unvorstellbar, knapp nach der Kutschenzeit muss das alles gewesen sein. Doch wo diese Kurse damals genau waren, darauf kommen wir beide nicht mehr, es sieht alles nicht richtig aus.

Vielleicht gibt es das Haus längst nicht mehr. In Hamburg ist das häufig eine zutreffende Erklärung.

Dort an dem Platz einmal ein Date gehabt, mit wie hieß die noch. Dahin einmal jemanden umgezogen, aber da wohnt der auch schon lange nicht mehr.

Am Wegesrand, der in den kleinen Straßen unerwartet oft begrünt ist, teils sogar erfreulich dschungelhaft, wie es bei uns im kleinen Bahnhofsviertel in diesem üppigen Ausmaß gar nicht vorkommt, sehen wir etliche spätsommerliche Stockrosen auf Halbmast. Die Blüten so schwer und groß, sie sind in den letzten Wochen untragbar geworden.

Wir gehen durch Straßen, da ist an jedem zweiten Haus das Schild einer Heilpraktikerin, einer Therapeutin oder das von jemandem mit einem verwandten, irgendwie sorgenden Beruf (es ist, haha, ein Spektrum). So viele sind es, ich denke unwillkürlich an Asterix und den Arvernerschild, an die zahllosen Läden der Wein- und Kohlehändler in diesem Comic. Ein Name auf einem dieser Praxisschilder, nur aus dem Augenwinkel gesehen – das könnte eine ehemalige Mitschülerin von mir sein.

Stadtgeschichten, immer noch eine und noch eine. Adressen-Memory und Erinnerungsschnipsel.

Unterhaltsam ist das. Zu je 20000 Schritten kommen wir wie nebenbei, und gehen dann noch durch das Kleingedruckte des Stadtplans bis zur U-Bahn St. Pauli, und wir fühlen uns solcherart ausreichend getummelt für einen Wochenendtag ohne weiteres Programm.

Demnächst vielleicht gemeinsam nach Eimsbüttel. Oder so.

Street-Art, ein an eine Wand geklebter Teller mit der Aufschrift "Randale und Liebe", am Rand fehlt ein Stück

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Die allgemeinen Alltagswiederaufnahmeverfahren

Einige Anmerkungen zum Autokauf bei Christian Buggisch, man staunt. Und hier noch die Landlebenbloggerin über Menschen aus der Stadt, die in die Provinz ziehen.

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Gesehen und interessant gefunden: Diese Doku auf arte über Marlon Brando.

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Gehört: Ein Zeitzeichen über „Kind of Blue“ von Miles Davis, auch wieder ein Lehrstück über Rassismus und die Folgen.

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Die Urlaubszeit endet nun nicht nur bei uns, sondern nach und nach überall in den Timelines und Blogs. Die Reisebilder werden deutlich seltener, die Ausflugsmeldungen dünnen allmählich aus. Der obskure Sonderfeiertag mit Brückeneffekt in Bayern, dem Saarland und Österreich ist auch bereits durch. Letzte Wanderwegschnappschüsse und vereinzelte Sonnenuntergänge vor Erholungslandschaft gibt es noch zu sehen, gefeierte Ferienendmomente. Es kommen dafür vermehrt Kofferauspackszenen und Arbeitsanfänge vor, diverse Alltagswiederaufnahmeverfahren und mehr oder weniger mühsam wieder anlaufende Routinen. Heute vermutlich ergänzt um etliche schwere Montagsseufzer.

In meinen beiden Bubbles, online und offline, läuft das alles ohne Begeisterung und Schwung ab, eher mit Murren und Knurren, man kann es kaum überlesen. Liegt es an meiner Auswahl, liegt es an unserem Alter, an der Zeit, am Land, an der Lage, ich weiß es nicht. Die schwanzwedelnde Leistungsgeilheit von LinkedIn bildet sich in meinem Umfeld jedenfalls nicht recht ab.

Mein singender Nachbar ist ebenfalls aus dem Urlaub zurück und macht seine Stimmübungen wieder eine Wand hinter mir, während ich hier sitze und tippe. Ich kann nicht erkennen, was er da singt oder was es zusammengefügt werden soll, aber wenn ich auf den Kalender sehe – er wird sich bald frühzeitig für Adventsveranstaltungen aufwärmen, in wenigen Wochen schon, und bei nur allzu bekannten Melodien ankommen. Die sich dann auf die gemeinste Art in meinem Hirn einnisten werden, das war in den Vorjahren auch so. Die unzeitigen Lebkuchen in den Läden, der Gesang nebenan, es gehört zusammen.

Und während ich dies notiere, fällt mir erst auf, dass das klavierspielende Kind im Haus seit Wochen nicht mehr zu hören ist. Da wird es vermutlich eine Reise über die ganzen Sommerferien geben, ein etwas größeres Abenteuer vielleicht. Und demnächst dann wieder die geklimperte Ode an die Freude, wie schon das ganze erste Halbjahr über. Wir haben seine langsamen, zögerlichen Fortschritte gründlich miterleben können, Note für Note.

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Die Promenade an den Landungsbrücken, von der Treppe aus aufgenommen, die zur S-Bahn-Station führt. Auf dem Treppengeländer ein Aufkleber "FCK NZS", darauf der Fokus, der Hintergrund unscharf

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Ein Feld vor

Gesehen: Diese Doku auf arte über die gerade verstorbene Gena Rowlands.

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Ansonsten habe ich die ersten drei Werktage nach dem Urlaub absolviert, es lief immerhin besser als gedacht. In der nächsten Woche zieht die Herzdame nach, dann auch bald die Söhne. Es findet in Kürze wieder ein kompletter Alltag mit allem statt und will neu bewertet werden; wir rücken ein Feld vor und warten auf die Ereigniskarten der nächsten Monate. Die Vorfreude aber hält sich noch in Grenzen. Skepsis Hilfsausdruck, wie Wolf Haas schreiben würde.

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Gehört: Eine Folge Radiowissen über David Bowie. Da bietet es sich an, nebenbei und passend mit einem Clip meine momentane Vorliebe für Anzüge zu unterstützen. Eines dieser Videos, die ich immer wieder sehen kann. Nebenbei auch der Beweis, dass es zumindest vereinzelt Menschen gibt, die mit verwehten Haaren gut und attraktiv aussehen, nicht etwa wie ich, also wie alter Zausel im Wind.

Dass aber ein Sohn, noch während ich diese Zeilen schreibe, in seinem Zimmer ungewohnt lauthals „There’s a starman waiting in the sky“ singt – das ist ein doch eher irrer Zufall. Er kann immerhin nicht wissen, was ich hier gerade notiere. Ich murmele nicht beim Tippen, die Songs laufen bei mir auch nicht laut. Und Musik aus den 70ern ist gewiss nicht das routinemäßige Standardprogramm der beiden Teenager im Haushalt.

Ich gehe also einigermaßen irritiert ins Kinderzimmer, um Aufklärung bemüht.

Es ist dann wieder nur ein Tiktoktrend, den er da so laut begleitet, was im Zweifelsfalle die Erklärung für alles ist. Tatsächlich also ein Zufall. Und nein, er hat keine Ahnung, wer dieser David Bowie ist, von dem ich da rede. Ach, der mit diesem Lied, das er gerade dauernd singt?

Okay. Das hat er dann jetzt pflichtgemäß zur Kenntnis genommen. Wenn der Herr Vater doch offensichtlich so großen Wert darauflegt. Gewiss aber auch schon tot, dieser Sänger? Wie alle, die der Herr Vater so mag? Schade, schade. Der Club der toten Sänger, es war ja nicht anders zu erwarten. Sagt er mit fast höflich wirkendem Bedauern.

Und diesen Namen, David Bowie, vergisst der Sohn dann vermutlich umgehend wieder, noch während ich mich umdrehe und die Tür hinter mir schließe.

O tempora, o mores.

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Im Bild das Hamburger Rathaus vor korrekt eingefärbtem Himmel, wie es hier Tradition ist.

Das Hamburger Rathaus, aus den Arkaden heraus aufgenommen, unter typisch grauem Himmel und hohen Wolken

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Life is coming back to me

In den ersten morgendlichen Wettermeldungen sehe ich die drei Begriffe Nordsee, Kaltfront und Regen. Wie sympathisch und willkommen einem diese Wörter sein können, in diesen Wochen des überhitzten Spätsommers. Das gibt sich dann später im Jahr wieder, wie wir alle wissen. Aber für den Moment – soll sie mal kommen, diese Kaltfront, mit dem ganzen Regen von der Nordsee. Es klingt ausgesprochen vielversprechend, geradezu verheißungsvoll wirkt es auf mich. Ich stehe hier am offenen Fenster und warte auf Gewölk.

Die Sonne brennt schon einmal weniger in diesen Tagen, der Himmel ist öfter lichtgrau statt azur, und life is coming back to me. Das ist ein Song von Michelle Gurevich. Er fängt mit Zeilen an, die das Ende einer Hitzeperiode für mich treffend beschreiben, auch wenn etwas ganz anderes gemeint ist:

“I’ve been living under a rock

I’ve been sick around the clock

But life is coming back to me

 The days have been dull

The evenings have been null

But life is coming back to me”

Zum besseren Verständnis noch einmal der Hinweis, dass diese Wohnung erheblich nachglüht, wenn es draußen einmal heiß genug war. Wir haben länger etwas davon und gehen im Vergleich zu Menschen, die in topisolierten Wohnungen residieren, stets etwas nach in den Empfindungen. Falls meine Zeilen nicht mehr zu Ihrem gefühlten Wetter passen und deswegen irritierend wirken, es wird sicher daran liegen.

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Ich gehe Kugelschreiberminen für meine Mutter kaufen. Bestimmte Minen sind es, die es online nur einzeln für einen absurd hohen Preis gibt oder im Zehnerpack, deutlich günstiger, also irrational und verdächtig viel günstiger. Am Ende sind es Fälschungen, ich werde miusstrauisch. Aber ein Zehnerpack kommt eh nicht in Frage. Was soll sie denn mit zehn Minen, sagt meine Mutter, in ihrem Alter.

Da es bei den Fachgeschäften mittlerweile große Versorgungslücken gibt, schon gar bei den von mir so geschätzten Schreibwaren, ist der Weg zum nächsten Laden, der die Minen haben könnte, etwas weiter. Egal, ich habe ein Ziel in der Stadt. Ich gehe zweckgebunden los und muss nicht planlos spazieren gehen, das ist auch schön. Immer das Positive sehen.

Ich suche im großen Kaufhaus lange herum, weil es bei Schreibwaren mittlerweile ebenso wie bei der Mode ist: Es gibt keine sinnvolle Sortierung mehr. Nur noch eine nach Herstellern und Sonderaktionen und Schulanfangsspezialangeboten. Ich möchte schon wieder mit dem bisher nur gedachten Krückstock herumfuchteln.

Nachdem ich die verdammten Minen endlich gefunden habe, die letzten beiden, die es gab, nach für meinen Geschmack unangemessen langer Suche, gehe ich zur Kasse. Wo mich eine hochmotivierte Verkäuferin munter verabschiedet: „Wie schön, etwas zum Schreiben! Na, dann schreiben sie mal was. Liebesbriefe, Rezepte oder Einkaufszettel … Sie werden das dann schon richtig entscheiden.“

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Ich sehe weiter die alte Maigret-Serie, und sie reicht auch noch eine Weile, es ist herrlich. Dadurch habe ich auf einmal eine nostalgische Sehnsucht nach französischen Restaurants der eher nicht so edlen, aber doch stets bemühten Sorte in der Provinz, wie sie dort oft abgebildet und inszeniert werden. Nach diesen etwas ramponiert wirkenden kleinen Restaurants, in denen die nicht übermäßig freundliche Wirtin oder der ebensolche Wirt nach dem erstaunlich guten Hauptgang mit einem kleinen, quietschenden Käsewägelchen angerollt kommt …auf einmal steigen mir ausgesprochen lebhafte Erinnerungen daran auf.

Angestoßenes Geschirr, angelaufenes Besteck, seltsame Tapeten, aber bester Käse. Und im passend wirkenden Hotel nebenan ein Bett aus dem letzten Jahrhundert, so durchhängend wie es nur je eine Hängematte in irgendeinem Palmengarten war.

Damals in der Normandie, da gab es diese Restaurants und Hotels. Die Damen Herzbruch und Novemberregen, die da gerade residieren und täglich berichten, sie lösen diese Bilder mit aus bei mir.

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Hier aber statt französischer Reiseromantik nur beinhartes Hammerbrook.

Die rote Außenwand der Haltestelle Hammerbrook, die Hammerbookstraße, ein hohes Bürogebäude

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Vergoren und Verdorben

Der erste Arbeitstag nach dem Sommerurlaub, ich starte gleich mit Office-Office. Ich verlasse dafür früh, allein und leise die Wohnung, der Rest der Bande hat noch frei. Man schläft hier in allen Zimmern weiter, vermutlich lang und vom Werktag vollkommen unbelastet, selig im Ferialmodus. Nur ich ziehe hinaus in die weiterhin übermäßig erwärmte Stadt, die bei diesem Wetter an zu vielen Stellen riecht, als sei etwas abgelaufen, vergoren und verdorben, auf jeden Fall aber zu lange ungelüftet.

Zwischen unserer Wohnung und dem Bahnhof liegt ein Obdachloser vor einem Geschäft. Auf Pappe und zerschlissenen Gepäckstücken liegt er, die er sich als Kissen unter den Kopf geschoben hat. Über sich hat er gegen den gewittrigen Regen der Nacht oder auch schon gegen die nachfolgende Sonne einen beschädigten Regenschirm aufgespannt. Er hält ein Handy, auf dem er etwas liest. Er liegt in etwa gleicher Position wie der arme Poet von Spitzweg auf dem berühmten Gemälde. Der Vergleich drängt sich sofort auf. Ein modernes, sozialkritisches Pendant ist er.

Wenn man ihn so fotografieren würde, wie er jetzt da lagert, würde die Ähnlichkeit vermutlich vielen Betrachtenden auffallen. Jedenfalls dann, wenn sie in ihrem Leben ausreichend oft mit dem so bekannten Werk von Spitzweg als Postkarte oder Poster konfrontiert worden sind. Also zumindest den meisten in meiner Generation und im Alter darüber würde das auffallen.

Aus dem Wikipedia-Eintrag zum Armen Poeten: „Die ersten Kritiken für den armen Poeten waren so schlecht, dass Spitzweg seine Bilder fortan nicht mehr mit seinem Namen, sondern lediglich mit seinem Monogramm, einem stilisierten Spitzweck (einem rautenförmigen Brötchen) signierte.

Ich mische mich unter das lustlose, zu dieser Stunde schon schwitzende Pendelvolk am Hauptbahnhof. Nach kurzer Fahrt in der urlaubszeitmäßig kaum gefüllten S-Bahn sehe ich good old Hammerbrook wieder. Dort sammele ich auf dem Weg ins Büro noch eben einige frische Fotos ein, damit Sie in den nächsten Tagen auch etwas von diesem etwas speziellen Stadtteil haben.

Dann die Arbeit. Wir legen uns das Herbstprogramm zurecht und nehmen Anlauf, viel Anlauf. Es ist immerhin gleich September. Es gibt ein buntes Programm, es wird viel passieren, man summt es so vor sich hin.

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Im Bild heute der Mittelkanal in Hammerbrook. Das Ufer links trägt den Namen Vera-Brittain-Ufer, und den Namen dieser Dame haben Sie vermutlich noch nie gehört. Auch zu ihr kann man einen interessanten Lebenslauf nachlesen und ist dann schon wieder knietief in der deutschen und europäischen Geschichte.

Das bebaute Ufer des Mittelkanals in Hammerbrook, grüne Bäume vor Bürohäusern

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Trotzsport

In den sozialen Medien sehe ich wieder reichlich Infektionsmeldungen. Es sind jedenfalls mehr, als auf den Nachrichtenseiten vermeldet werden, wo das längst kein Thema mehr ist. Oder nur eines am Rande, ganz unten irgendwo. Es liest sich auf Mastodon, Bluesky etc. tageweise so, als hätte man die Corona-Viren wie Schrot in die Timelines geschossen. Eine Krankheit nach der anderen wird angezeigt, eine üppige Kollektion von Schnelltestergebnisbildern. Mehr wohl noch als bei meiner letzten Eskalationsmeldung dieser Art, die aber auch nicht lange her ist, einige Wochen nur. Wir haben etwas Wellengang, to say the least. Nein, wir haben ihn vermutlich dauerhaft.

In Hamburg gehen die Sommerferien noch bis Ende August, daher können die Herzdame und ich dem im Moment vielleicht noch entkommen. Das gilt dann nicht mehr lange, wir müssen uns wieder auf etwas gefasst machen. Mit Schulkindern ist man nach wie vor chancenlos.

Womit ich nicht einmal eine Meinung oder eine gesundheitspolitische Idee verbinde, ich schreibe nur mit. Für Meinungen und Ideen ist es mir entschieden zu warm, ich denke nur noch begrenzt.

Ansonsten nämlich eine schwüle Hitze in der Stadt, die es in sich hat. Hamburg als Troparium, südlich anmutendes Treibhaushanseatentum. Die Wahrscheinlichkeit ist allerdings groß, dass es bei Ihnen noch schlimmer als bei uns war oder ist, ich weiß. Der Norden kommt in diesen Tagen noch besser weg als der Rest des Landes, und es weht auch wieder dieser seltsame Wind, den ich nun schon so oft erwähnt habe, weil es eben ein Ganzjahreswind ist. Immerhin also weht dieser obskure Wind, und ich möchte nicht wissen, wie es sich ohne ihn anfühlen würde.

Na, aber Sie wissen das ja jetzt. Und schön ist es sicher nicht.

In Madrid, wo man sich mit Hitze doch bestens auskennt, werden die Nächte immer heißer, und das ist auch denen dort neu, habe ich gerade im Radio gehört. Die Parks, die sonst niemand nachts betreten hat, wie vermutlich in allen Großstädten auf der Welt, sind am späten Abend auf einmal gut besucht, weil es dort nach Einbruch der Dunkelheit schön kühl ist. Man kennt sich mit Hitze aus in Madrid, das ist richtig. Aber auch nicht mehr in diesen Dimensionen, der Wandel nimmt entschieden Fahrt auf. Das Meer vor Mallorca ist über 30 Grad warm, man liest es so nebenbei.

Ich gehe kaum raus an solchen Tagen. Ich will nicht in die Sonne, es fühlt sich unter ihr nicht richtig an. 10000 Schritte in der Wohnung herumgehen, das ist dann mein Trotzsport. Nur weil es mir draußen zu warm ist, gebe ich doch nicht meinen Schrittdurchschnitt auf. Wo ich endlich bei exakten 12000 Jahresdurchschnittswert pro Tag angekommen bin. So etwas will gepflegt werden und verlangt dann entschlossenen Einsatz zwischen Wohnzimmer und Eingangstür, immer hin und her. Mit Abstechern in die Kinderzimmer, jedenfalls wenn die gerade leer sind.

Man kann beim Gehen auch Serien sehen, stelle ich fest, und mache mehr Meter.

Mit einem Sohn habe ich am Nachmittag einen Termin bei Kieferorthopäden. Bei denen ist es angenehm klimatisiert. Dort könnte ich länger bleiben, denke ich aufatmend im kühlen Wartezimmer, aber es geht dann alles überraschend schnell.

Kurz überlege ich, das späte Richten auch meiner eigenen Zähne anzusprechen, um noch etwas Zeit in dieser so wohltemperierten Praxis zu gewinnen. Aber dann denke ich, bis es da freie Termine für mich geben wird, ist es sicher schon wieder Herbst, wird es draußen also herrlich kühl sein, neblig am Morgen, regenfeucht am Tag und ach so frisch in der Nacht. Ich gerate ins Träumen und sage doch nichts.

Durch die Hitze nach Hause.

Im Bild noch einmal die attraktiven Neubauten um die Ecke.

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Der Wutvogel

Am Morgen noch eben eine Hotelbuchungsanfrage verschickt, für zwei Tage im nächsten Monat. Der Rest des Urlaubsfeelings für dieses Jahr. In den Norden geht es dann, bis kurz vor Dänemark, schon im Sichtkontakt mit dem befreundeten Ausland. Immerhin zwei zweisame Tage in uns bisher nicht näher bekannter Gegend sind angedacht. Es kann noch vieles dazwischenkommen, aber man hofft so vor sich hin.

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Am Vormittag kommt der Eichelhäher auf das Balkongeländer. Zerzaust sieht er aus, er ist wohl arg mauserig. Etwas heruntergekommen, abgerissen, verlottert und schäbig wirkt er daher in diesen Wochen. Er wollte nur eben anmerken, fängt er heiser an, als er mich am Schreibtisch sieht, dass er zwar grundsätzlich damit klarkomme, dass wir die Nusslieferungen im Sommer routinemäßig einstellen, dass es jetzt aber schon fast September sei und ob wir nicht … Er atmet durch, legt den Kopf schräg und besieht sich einen Moment sinnend die letzten leeren Nussschalen, die immer noch in den Blumentöpfen liegen, seit Monaten nun schon.

Ob wir nicht gefälligst, fährt er dann fort, und er wird auf einmal deutlich lauter und verhaspelt sich mit kippender Stimme, vergisst sich dann schnell, verfällt bald ins Pöbelnde, gerät unversehens endgültig außer Fassung und schreit eine Weile wie von Sinnen in äußerstem Zorn herum, ein wahrer Wutvogel, so dass man nicht einmal mehr ansatzweise irgendeinen Sinn in seinen aufgebrachten Äußerungen finden kann.

Schließlich kackt er auf den Hauswurz im Blumenkasten unter ihm und schwirrt unter weiteren wüsten Beleidigungen ab, um auf den Ästen der alten Eiche auf dem Spielplatz eine grundlose Schlägerei mit einer überraschten Jungkrähe anzufangen, dass die Federn nur so fliegen. Eichelhäher haben sich, schon oft konnten wir das bei uns beobachten, emotional nicht immer im Griff.

Die beiden tantenhaften Ringeltauben im Holunder gucken pikierter denn je: Die Wohnlage, die Nachbarn, die Sitten, der Untergang.

Wie auch immer. Bei Gelegenheit werde ich wieder einmal Nüsse auf den Einkaufszettel schreiben. Ich habe es so weit verstanden, glaube ich.

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Weiter den Raymond Chandler gehört (Das hohe Fenster). Weiter sportlich im Zeno Cosini gelesen, den ich früher hätte kennen sollen, wie mir immer klarer wird. Es ist doch ein wenig schade um die Jahre der Unkenntnis.

Und immer weiter am Abend und auch zwischendurch die Maigret-Serie mit Bruno Cremer auf filmfriend gesehen. Einer der wenigen Fälle, in denen ich eine Serie, und sogar eine Krimi-Serie, was sonst überhaupt nicht mein Fall ist, gut und entspannend finde.

Es sind noch etliche Folgen übrig. Ich finde den Gedanken  angenehm und gebe mich beim Zusehen auch willig mit einer wohligen Nostalgie ab, die sich auf ein uns heute so ruhig und genügsam vorkommendes analoges Zeitalter vor der enormen Eskalation des Konsums und der Digitalisierung bezieht. Und die ich aus Gründen der Entspannung nicht einmal hinterfrage.

Auch einmal unreflektiert herumträumen! Andere machen das auch. Glaube ich.

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Und nicht immer nur die schicken Seiten von Hamburg im Bild zeigen. In Wahrheit sieht es hier um die Ecke nämlich so aus.

Blick in einen Innenhof zwischen Neubauten, unterkühlte Architektur

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Parzellenlotto

Und nun die sportlich anmutende Staffelstabübergabe. So etwas liegt nach den olympischen Spielen gerade noch in der Luft: Frau Herzbruch und Frau Novemberregen übernehmen die Reiseberichterstattung und melden aus der Normandie. Da war ich auch schon, wo die sich jetzt herumtreiben, aber damals gab es noch keine Blogs. Da mussten wir uns die Urlaubsabenteuer noch abends am Lagerfeuer erzählen. Heute alles viel komfortabler!

Am frühen Sonntagmorgen stand ich auf dem Balkon, witternd wie ein alter und kenntnisreicher Bauer. Ich habe wissend oder doch wenigstens ahnend „Ah, heute“ gemurmelt. Denn es war da etwas in der Luft, etwas schwer zu Beschreibendes, eine vage Ahnung von Schärfe vielleicht. Eine kaum wahrnehmbare Änderung des Lichtes, des Geruchs und der Stimmung. Ein betont spätsommerlicher Morgen war es, überraschend kühl nach einem warmen, staubig-stickigen Großstadtabend. Die Standardeinstellung 12 Grad war es auf einmal wieder. Und was ich da wahrzunehmen meinte, das war diese feine Änderung, deren jahreszeitliches Pendant man irgendwann Mitte März registriert, wenn man auf einmal weiß, dieser Winter ist durch. So geht es mir jetzt mit dem Hochsommer.

Immer habe ich dabei die Hoffnung, dass es etwas Instinkthaftes ist, dieses Wittern der großen Wechsel, dass ich damit richtig liege. Es wäre mir eine angenehme Vorstellung, soweit den Tieren noch nahe zu sein. Auch wenn ich erfahrungsgemäß aufgrund dieses Wechsels in der Luft jetzt im Gegensatz zu manchen Tierarten weder im Paarungs- noch im Zugverhalten besonders auffällig werde. Auch wenn ich mir keine passende Höhle für den Winter suche oder mich erst einmal in tiefere Wälder zurückziehe, um dort heiser herumzubrüllen.

Nein, Contenance. Man ist doch so weit Mensch.

Und es werden noch mehrere Hitzetage kommen, ich weiß, heute schon wird es so einer werden. Es werden auch noch Früchte heranreifen und etliches an sommerlichem Programm wird noch stattfinden. Aber es hat sich doch etwas verändert, ist in Schieflage geraten und rutscht. Langsam, langsam.

Wie auch immer. Erst einmal belästigen mich zwei aufgekratzte Wespen, die den Bildschirm des Notebooks und mich schon zu früher Stunde bei erstem Tageslicht unangemessen hektisch und für meinen Geschmack auch entschieden zu dicht umkreisen. Es ist noch einmal volle Möhre August, keine Frage.

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Apropos Möhre. Am Wochenende bin ich kurz im Garten gewesen, der dieses Jahr Schauplatz einer krachenden Niederlage ist. Eine Niete im Parzellenlotto, ein Beetdesaster erster Klasse. Mit der Herzdame habe ich eine Weile erörternd darüber gesprochen. So recht erklären können wir es uns nicht, selbst unter Heranziehung der üblichen Faktoren wie Wetter, Schneckenplage, nicht geschafftes Gießen, Pilze, Sporen etc. reimen wir uns das nicht recht zusammen.

Vielleicht ist es so, dass, wenn man einen Garten lange genug hat, schon qua Wahrscheinlichkeitsrechnung zwischendurch ein betont maues Jahr dabei ist, ein fast vorhersehbarer Totalausfall. Mag sein.

Vielleicht ist der Garten auch beleidigt, weil wir noch nie so wenig dort waren wie in diesem Jahr. Weil die Söhne mehr dort waren als wir, die es dort allerdings nicht aus gärtnerischen Gründen hinzog, wie man sich bei Teenagern vorstellen kann.

Vielleicht schmollt der Garten also einfach mit uns und wir müssen erst mühsam wieder etwas gut machen, wie es oft in Beziehungen ist. Vielleicht müssen wir ihn im Oktober mehr als sonst mit dem großen Laubrechen kraulen, was weiß ich.

Wenn ich aber durch die Kolonie gehe, es ist immer gut, wenn man vergleichen kann, sehe ich, dass die Parzellen krass unterschiedlich ausfallen. Auch wenn sie ähnlich begärtnert werden. Hier der Garten Eden, und nur eine Hecke weiter deutliche Mangelbewirtschaftung, Steppe und dürres Kraut. Hier ein üppiger Bilderbuchobstbaum, der seine prachtvollen Äpfel, Birnen oder Pflaumen kaum noch tragen kann, daneben ein resignierendes Baumelend der genau gleichen Art, zwei grässliche Fruchtmumien im Geäst, zu früh welkendes Laub und sonst nichts.

Unterm Strich würde ich mich nicht wundern, wenn man die Unterschiede gar nicht erklären kann. Wenn alle immer nur meinen, sie erklären zu können, mit tausend abweichenden Theorien. Im Grunde ist das genau mein Humor. Wäre ich Gott (Gott bewahre!), ich hätte es exakt so eingerichtet und würde mich über den sinnlosen Ideenreichtum der Menschen endlos amüsieren.

Einzig die Tomaten neben unserer Laube haben auf der letzten Rille der Saison einen beachtlichen, nicht mehr erwarteten und unmöglich wirkenden Endspurt hingelegt. Sie schmecken fantastisch, eine sensationell aromatische Süße. Und es sind über Nacht auch unerklärlich viele geworden. Auch da muss ein Trick dabei gewesen sein. Man kann es nur so hinnehmen, nicht verstehen.

Und das ist nicht nichts. Das ist zumindest mehr als eine dürre Randnotiz, denn Tomaten sind wichtig als Geschmacksträger des Sommers und als entscheidendes Augusterlebnis. In das wir jetzt also gebissen haben.

Fleetblick in der Hamburger Innenstadt, rechts die Karl-Lagerfeld-Promenade

Rechts im Bild ein Stück Weg, das neuerdings Karl-Lagerfeld-Promenade heißt. Haben Sie das auch einmal gesehen.

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