Beim Herumschieben der Möbel – Fortsetzung

Eine Fortsetzung zu diesem Text. Es hat dann doch nicht sollen sein, der Schreibtisch steht nun wieder in der lichtlosen Ecke im Flur. Ich wohne sozusagen, ganz wie im Märchen, wieder im Pisspott. Kurzentschlossen alles zurückgeräumt, alles wieder auf Start. Kein blauer Himmel mehr über mir, kein Bett mehr neben mir, in das ich mich spontan fallen lassen könnte. Und zwar aus mehreren Gründen, die wie folgt erörtert werden:

Zum einen haben Menschen meines Alters irgendwann in der langhaarigen Hippiephase ihres Lebens natürlich Carlos Castaneda gelesen. Den kennt heute kein Mensch mehr, das macht auch nichts. Von der Lektüre weiß man sowieso kaum noch etwas, ich jedenfalls nicht, man war ja bei der Lektüre damals auch nicht ganz nüchern. In Erinnerung geblieben ist mir aber doch die Szene, in der der Erzähler im Auftrag seines Schamanen nächtelang den einzig richtigen Platz in einem Haus für sich sucht. Denn es gibt, so die Annahme im Buch, für einen Menschen immer nur einen genau richtigen Platz in einer Wohnung. Castaneda hat die Suche nach diesen zwei Quadratmetern damals mit bewusstseinserweiternden Substanzen sicher nennenswert spannender gestaltet als ich heute mit meinem bescheidenen abendlichen Bier, aber das Ergebnis ist doch vergleichbar. Ich sitze nun einmal nur hier in der Ecke richtig. So fühlt es sich jedenfalls an. In dieser Ecke in der Mitte der Wohnung, an der Kreuzung zwischen den Zimmern. In dieser Ecke, wo alle immer vorbeikommen, wo ich also spätestens alle drei Minuten gestört werde. Wo jeder komplett missachtet, dass ich arbeite. Wo mich Kindergeschrei umgibt, Kinderlieder, Kinderfragen. Wo ich beim Aufstehen fast unweigerlich über Spielzeug stolpere. Wo mich die Herzdame garantiert wegen irgendwas anspricht, sobald ich anfange einen Satz zu tippen. Wo ich mit Kopfhörern auf den Ohren auf den Bildschirm starre und Konzentration eher vortäusche als einsetze. Egal, das muss alles so. So habe ich in den letzten sieben Jahren alle Texte geschrieben, ich lass das jetzt einfach so. Das passt schon.

Zum anderen war der Schreibtisch zwischenzeitlich im Schlafzimmer, und das ist der Raum, in dem es am ruhigsten ist. Das Schlafzimmer liegt am Ende der Wohnung, da ist außer einem Bett und einem Kleiderschrank fast überhaupt nichts drin. Da geht keiner hin, da ist so gut wie nie ein Kind anzutreffen, jedenfalls nicht tagsüber, was sollte man da auch tun? Das Schlafzimmer ist aus Kindersicht ein eher langweiliger Raum. Normalerweise. Als aber mein Schreibtisch dort stand, war der Raum plötzlich faszinierend belebt. Die Söhne fanden es auf einmal hochspannend, neben mir auf dem Bett herumzuspringen, dort stundenlang herumzuliegen und Selbstgespräche zu führen oder sich gemütliche Leseecken auf den Decken und Kissen einzurichten. Sie haben sich neben meinem Schreibtisch gestritten und geprügelt, sie haben darunter mit Murmeln gespielt. Sie haben mir kommentarlos selbstgemalte Bilder und Legokunstwerke auf die Tastatur geworfen. Sie haben ihren CD-Player rübergeholt und furchtbares Zeug abgespielt. In der ruhigsten Ecke der Wohnung. Was also heißt, ich kann dem Trubel sowieso nicht entkommen, der Trubel kommt mir nach – und er findet mich sowieso. Da kann man auch gleich bleiben, wo man ist, dann muss man sich nicht umgewöhnen.

Und zwischendurch kam es dann doch auch vor, dass tatsächlich niemand bei mir im Schlafzimmer war. Um mich herum nichts als Ruhe. Alle spielten irgendwo anders, machten irgendwas in den anderen Räumen. Und das habe ich dann nicht mitbekommen, was sie da gemacht haben. Das war ganz furchtbar.

Mal sehen, welches Kunststück der Raumplanung uns als nächstes einfällt, ich werde natürlich berichten. Von hier aus meiner ollen Ecke.

 

Kurz und klein

 

Prost

Ich nehme mit Freude zur Kenntnis, dass immer mehr kleine Brauereien entstehen und es eine ganz neue Bierszene gibt. Das ist wunderbar, dass man das Brauen nicht mehr nur den Konzernen überlässt, deren Produkte oft ganz okay sind, aber längst nicht so gut, wie ein Bier sein kann. Ich trinke gerne Bier, ich mag es, wenn es da Vielfalt gibt. Andererseits nehme ich mit Sorge zur Kenntnis, dass in Getränkekarten bei Bierspezialitäten immer öfter verdächtige Vokabeln auftauchen. Da liest man von Karamellaromen, von fruchtigen Noten und Obstsorten. „Anklänge von grünem Apfel“, ja nee, ist klar. Was machen denn diese Begriffe bitte beim Bier? Das ist doch, als ginge man auf ein Rockkonzert und der Sänger würde vor Beginn ans Mikro treten, die Arme heben und ganz ernst erklären, dass der erste Song noch piano sei, der zweite eher capriccioso und dann ginge es aber so richtig furioso weiter. Statt es einfach krachen zu lassen.

Wenn man diese Entwicklung weiterdenkt, muss man bald seitenlang Bierbeschreibungen lesen und mit fachkundigen Obern Diskussionen über Hopfenanbaugebiete führen, bevor man in der Kneipe endlich etwas ins Glas bekommt. Und womöglich muss man dabei so kultiviert gucken, wie es die Weintrinker immer schon tun. Nichts gegen Weintrinker, versteht sich, ich mag ihre stets bemühte Grundhaltung. Aber möchte man sich denn bemühen, wenn man Durst hat? Möchte man nicht einfach nur ein Bier? Ein sehr, sehr gutes Bier meinetwegen.

Nein, ich will mein Bier nicht erklärt bekommen. Ich will nichts von tannenzapfig im Abgang oder über Anklänge von Brombeer und Moos lesen. Ein so beschriebenes Bier kann man doch nicht mehr auf ex trinken, ohne dabei ein schlechtes Gewissen zu haben. Und dann denkt man wehmütig zurück an damals, als Bier noch gegen Durst half.

Was war das schön.

(Dieser Text erschien als Kolumne in den Lübecker Nachrichten und in der Ostsee-Zeitung)

Fragen an die Söhne

Ich wurde hier gebeten, Fragen zu notieren, die Fremde an meine Kinder richten. Da musste ich erstaunlich lange nachdenken, was vielleicht daran liegt, dass wir in Hamburg wohnen. Wenn man sich hier fremd ist, dann spricht man sich nun einmal nicht an. Nein, auch Kinder nicht. Weder Sohn I, noch Sohn II werden dauernd von irgendwem irgend etwas gefragt, nicht beim Einkaufen, nicht auf dem Schulweg, nicht auf dem Spielplatz. Das scheint in anderen Gegenden anders zu sein.

Damit es dennoch eine Antwort gibt, nehme ich dafür die beiden häufigsten Fragen, die den Jungs von Erwachsenen gestellt werden – die dann allerdings eher keine fremden Erwachsenen sind.

Wenn wir mit dem Auto irgendwo hinfahren, etwa um jemanden zu besuchen, dann fragt man aus guten Gründen, wenn wir aus dem Auto steigen, Sohn II: “Und? Haste gekotzt?” Seine Antwort darauf ist in nahezu jedem Fall wahrheitsgemäß: “Jo.”

Und seit ein paar Monaten fragen nahezu alle Erwachsenen, die uns in egal welchem Kontext begegnen, Sohn I: “Und? Wie ist die Schule?”

Worauf die Antwort übrigens auch in jedem Fall “Jo” ist. Mehr hat er dazu nämlich nicht zu sagen. Schule ist zwar eindeutig super, aber die Frage nervt ihn allmählich doch sehr. Er fragt ja auch nicht jeden Erwachsenen bei jedem Treffen, wie es im Job so ist.

Die Söhne lernen hier also sehr früh, dass “Jo” eine sowohl zureichende als auch universal brauchbare Antwort ist. Das ist pädagogisch sicher nicht verkehrt.

 

Beim Herumschieben der Möbel

Mir geht es mit dem Blog fast schon wie Isa, was angesichts unserer Projektpartnerschaft kein Zufall ist, aber auch noch mit weiteren Gründen erklärt werden kann. Zum Beispiel damit, dass die Herzdame und ich zum Jahreswechsel angefangen haben, Möbel umzusortieren, ich berichtete hier. Und das hat immer noch nicht aufgehört. Es wird auch so leicht nicht aufhören. Da wir offensichtlich keine größere Wohnung finden können, die für uns auch nur halbwegs bezahlbar ist, müssen wir wohl an dieser Wohnung herumoptimieren, bis alles in der denkbar besten Weise genutzt wird. Das ist nicht so einfach.

Wir schieben also weiterhin Sachen durch die Gegend. Wir überlegen, was wo wie hineinpasst, was man nicht mehr braucht, was man wohin auslagern kann, was in welcher Farbe besser oder sogar größer aussieht, wie die Wohnung besser genutzt werden kann. Das ist ein ungeheuer ergiebiges Thema, damit kann man etliche Tage und Abende verbringen und nebenbei noch etwas über Mathematik nachdenken. Ja, Mathematik.

Etwa am Beispiel unseres Wohnzimmers. In dem stehen fünf Möbelstücke. Diese fünf Möbelstücke stehen an den fünf Standorten, die im Raum überhaupt für Möbel in Frage kommen, wenn man absurde Lösungen einmal ignoriert. Wenn man fünf Möbel auf fünf Plätze verteilt, dann hat man wie viele Möglichkeiten? Das sind 5! Was jetzt keine 5 mit einem Ausrufezeichen ist, sondern “Fünf Fakultät”, die mathematische Schreibweise für die erstaunliche Lösungsvielfalt von 5x4x3x2x1. So viele Möglichkeiten gibt es nämlich tatsächlich, das sind also 120. Erstaunlich, nicht wahr? 120 Möglichkeiten? Wenn man im Wohnzimmer vor den Möbeln steht und sich umsieht, was wie wo hinpassen könnte, dann kommt man zunächst nicht auf so eine hohe Zahl. Man denkt eher an zehn Möglichkeiten, vielleicht an fünfzehn. Wenn man aber darüber nachdenkt, wird es mathematisch schnell klar. Man hat für den ersten Platz fünf Möglichkeiten, für den zweiten vier, für den dritten drei und immer so weiter und wieder von vorne, mit dem zweiten Möbel auf Platz eins. Aber wenn man nicht nachdenkt, sondern nur kurz hinfühlt, dann liegt man völlig falsch.

Wir wollen aber keine Möglichkeit auslassen, also denken wir zumindest etwas intensiver nach, wenn auch sicher nicht bis zur vollen Zahl aller Möglichkeiten. Am Grundproblem, dass es nur ein Kinderzimmer gibt, ändert sich ohnehin nichts, da ist nichts zu machen. Aber sonst – wir spielen jetzt Möbelschach auf der vollen Grundfläche. Verloren hat dabei, wer keinen Platz für seinen Schreibtisch mehr hat.

Mein Schreibtisch steht jetzt plötzlich im Schlafzimmer, so dass ich zum ersten Mal seit Jahren etwas schreiben kann und dabei Tageslicht sehe. An meinem alten Platz im Flur, da gab es kein Fenster.Ich hatte ja nichts! Nicht einmal Licht. Aber egal, so sind in den  letzten Jahre alle Texte hier entstanden, gebloggt aus fensterloser Ecke, wer weiß, was das alles erklärt.

Jetzt steht mein Schreibtisch im Schlafzimmer, direkt neben dem Bett. Wenn ich den Arm ausstrecke, kann ich das Bett sogar fühlen, so dicht steht es. Ich kann, noch während ich mit der rechten Hand weitertippe, mit der linken Hand ganz nebenbei ertasten, wie weich das Bett ist, wie warm, wie einladend. Wenn ich mich ganz leicht mit dem Oberkörper nach links kippen lasse

[…]

Wo war ich? Es ist jetzt jedenfalls ein ausgesprochen nickerchenfreundlicher Arbeitsplatz, das kann man nicht anders sagen. Ich muss mich hier erst ein wenig eingrooven, glaube ich. Und dann gibt es auch wieder mehr Texte.

 

Ein Update bei „Was machen die da“

Wir haben ein neues Interview online, es geht um Equality Dancing und nein, den Begriff kannte ich bis vor ein paar Wochen auch nicht. Das ist aber eine interessante Sache, da kann man etwas über Normalität nachdenken und was warum getrennt wird und was nicht, das ist und bleibt ein spannendes Thema.

Und es gibt heute nicht nur ein Update, es gibt auch noch eine kleine Neuerung bei „Was machen die da“ – nämlich einen Spendenbutton unter den Artikeln. Wir freuen uns über jeden Betrag, versteht sich. Herzlichen Dank und viel Spaß bei der Lektüre – zum neuen Interview hier entlang.

Die Beine von Tanzenden

 

Der tiefere Sinn des Februars

Ein allgemeines Formtief ergreift mein Umfeld. Alles kränkelt, schwächelt, dümpelt lustlos durch die grauen Tage. Man wartet auf den Frühling, auf bessere Zeiten, auf was weiß ich. Es gibt aber jedes Jahr einen dunklen Januar, es gibt jedes Jahr einen sinnlosen Februar, da muss man eben durch. Kein Grund, sich hängen zu lassen! Niemand sagt, dass man nicht auch die trüben Wochen mit etwas Phantasie für sinnvolle Projekte nutzen kann. Ich mache das jedenfalls.

Ich beobachte das Wetter, ich beobachte die Söhne. Ich warte ab, nein, ich lauere, denn ich muss für meinen Plan den perfekten Moment erwischen. Ich warte auf die ideale Kombination aus all den unerfreulichen Zutaten dieser Jahreszeit. Es muss draußen stundenlang schneeregnen oder graupeln, die Straßen und Wege müssen unangenehm matschig sein. Alles muss nass sein. Richtig, richtig nass. Und windig darf es auch gerne sein, so windig, dass die gefühlte Temperatur weit in den Keller geht und der Regen überall hinkommt. Und am besten wäre es, wenn es drei Tage hintereinander oder noch länger so ein Wetter gäbe. Die Kinder müssen sich, damit mein Plan funktioniert, noch mit irgendeinem Virus anfreunden, das ist ja in diesen Wochen eh kaum zu vermeiden. Am besten genau dann, wenn das Wetter endgültig so wirkt, als würde es sich nie mehr ändern wollen. Dann wird alles perfekt, dann geht der Plan problemlos auf. Dann werde ich den geschwächten Kindern liebevoll die Betten aufschütteln, ich werde ihnen honigsüßen Tee machen und dicke Bücher zum Vorlesen bereit legen. Und ganz nebenbei, während ich ihnen über die heiße Stirn streichele, werde ich ihnen zuflüstern: “Wenn ihr einen Hund hättet – ihr müsstet jetzt mit ihm raus.”

Und dann werden sie das Thema monatelang nicht mehr erwähnen. Das wird schön.

(Dieser Text erschien als Sonntagskolumne in den Lübecker Nachrichten und in der Ostsee-Zeitung)

Gelesen, vorgelesen, gesehen, gespielt und gehört im Januar

Gelesen

Januar – Gedichte. Ausgewählt von Evelyne Polt-Heinzl und Christiane Schmidjell. Da hat die Reihe tatsächlich etwas geschwächelt, und kann doch überhaupt nichts dafür. Die Auswahl ist nämlich ausgezeichnet wie immer, daran liegt es nicht. Aber das da draußen, das war nun einmal kein Januarwetter, jedenfalls nicht in Hamburg. Das passte nicht zusammen, der Blick aus dem Fenster und die Lyrik, das war, als wenn man Weihnachtslieder im Juni singt. Das Wetter hier war November, vielleicht auch Februar, aber Januar – nein, das hätte doch anders gehört. Das gehört so wie in den Gedichten dieser Sammlung, mit Schnee und Frost und Eis und so. Noch ein paar Jahre Klimwandel und man muss wohl die ganze Gedichtbandreihe komplett umstellen und neu sortieren, Monatsnamen ordnen da bald nichts mehr ein..

Der Februarband liegt hier natürlich schon bereit, da wird es aber sicher viel um den Karneval gehen – das muss man als Hanseat natürlich überblättern. Mal sehen, was dann noch übrigbleibt.

Januar-Gedichte

Erich Kästner: Doktor Erich Kästners lyrische Hausapotheke.

Lyrische Hausapotheke

Das sind die bekannteren Gedichte, Verse als Medizin für alle Gelegenheiten. Das Buch gehört in jeden gepflegten Haushalt und wenn man es länger nicht in der Hand hatte – es ist ein Genuss, es wieder zu lesen. Hilfreich und tröstend wie eine Wärmflasche. Und genau wie eine Wärmflasche erinnert es an früher.

Erich Kästner: Die 13 Monate. Mit 13 Graphiken von Celestino Piatti.

Kästner

Celestino Piatti, das muss man jüngeren Lesern vielleicht erklären, hat früher alle dtv-Buchcover gestaltet, gefühlt waren das etwa 10.000 Bändchen, die er bienenfleißig verziert hat, Monat für Monat erschienen mehrere neue Bücher mit Titelgrafiken von ihm. In immer gleicher Manier, meist in immer gleicher Farbgebung. Dicke schwarze Ränder, leuchtendes Rot oder Gelb, ein Piatti war immer auf den ersten Blick ein Piatti. Buchhandlungen mit dtv-Drehständern sahen immer ein wenig aus wie eine Piatti-Vernissage, es gab allerdings in der Regel keinen Sekt und keine Häppchen zur Begrüßung.

Die Gedichte sind von erheblicher Melancholie, aber das passt natürlich zur Betrachtung des Kalenders, das muss wohl so.

“Das Jahr ist klein und liegt noch in der Wiege,
Der Weihnachtsmann ging heim in seinen Wald,
Doch riecht es noch nach Krapfen auf der Stiege.
Das Jahr ist klein und liegt noch in der Wiege,
Man steht am Fenster und wird langsam alt.”

Abseits der bekannteren Bände ganz sicher mein Lieblingsband. Die Kritik war damals überhaupt nicht begeistert, man fand das alles eher flach. Ich finde es ganz wunderbar. Vielleicht weil ich auch am Fenster stehe und langsam alt werde. Kann sein.

Klaus Kordon: Die Zeit ist kaputt – Die Lebensgeschichte des Erich Kästner.

Kordon/Kästner

Das ist ungemein erhellend, wenn man sich für Kästner interessiert oder gerade seine Gedichte und anderen Werke nachliest. Da hatte ich doch mehr Bildungslücken, als mir bewusst war, was seinen Lebensweg betrifft. Man liest auch einiges aus seinen Schriften schon noch ein wenig anders, wenn man um die genauen Umstände weiß, die in diesem Buch erzählt werden.

Wojciech Kuczok: Im Kreis der Gespenster – Erzählungen. Deutsch von Friedrich Griese. Eines der Bücher, bei denen es mir vollkommen schleierhaft ist, wie es in meinen Besitz kam. Hat es mir jemand empfohlen? In dem Fall vielen Dank, ich kann mich leider nicht erinnern. Das ist ein jüngerer Autor aus Polen und ich hätte das schmale Buch fast gleich nach der ersten Geschichte weggelegt, die gefiel mir nicht. Aber bei Kurzgeschichten muss man natürlich mindestens zwei lesen, bevor man etwas endgültig weglegt. Und das Buch wurde dann besser und besser, zum Ende hin fand ich es sehr gut. Fast besser noch als die Geschichten sind die kurzen Interludium-Kapitelchen dazwischen, ich mag das sehr, wenn ganz kurze Texte gut funktionieren.

Im Kreis der Gespenster

Wojciech Kuczok: Lethargie. Aus dem Polnischen in ganz wunderbares Deutsch übertragen von Renate Schmidgall, das ist so ein Fall, da denkt man beim Lesen ab und zu – na, wenn das mal im Original auch so gut ist. Wirklich groß, was die Übersetzerin da geleistet hat. Sollten Sie das Buch auch einmal lesen, achten Sie doch bitte auf die Formulierung “leibherzig und barmhaftig” an einer bestimmten Stelle. Was für eine überaus kluge Wahl, was für ein schöner Einfall. Und ein guter Roman ist es auch noch. Drei Schicksale, noch mehr Hauptfiguren, sehr präzise geschnitzte Konflikte und nebenbei viel polnische Gesellschaft und Gegenwart. Der junge Schwule, der sich vor seinen Eltern nicht outen mag, der schwerkranke Schriftsteller, dem nichts mehr einfällt, die legendär schöne Schauspielerin, die in fataler Ehe gelandet ist, die sind alle glänzend und mit Hingabe beschrieben. Dicke Empfehlung, das hat mir viel Freude gemacht. Sprachverliebt und mit ausgezeichnetem Blick für Figuren, Beziehungen und Szenen, von Kuczok kann man glatt noch mehr lesen. Allerdings hat Renate Schmidgall wohl nichts weiter von ihm übersetzt, soweit ich sehe. Schlimm.

Vorgelesen

Ich bin gar nicht zum Vorlesen von Büchern gekommen, war aber dennoch dauend mit dem Vorlesen von Wörtern, Buchstaben, Textbruchstücken beschäftigt. Das liegt daran, dass Sohn I weiterhin Lesen übt und Sohn II sich natürlich dranhängt. Allerdings führt das noch nicht zum Lesen von ganzen Texten und Geschichten, eher zu Wortdiskussionen. Wir lesen nach wie vor alles, was die Stadt zu bieten hat, von Straßenschildern bis zu Leuchtreklamen und Aufklebern an Laternenmasten, Hamburg ist überall beschriftet. Wir haben mit einiger Ernüchterung festgestellt, dass der Anteil englischer Wörter in der Stadt noch viel, viel höher ist, als man es sich ohnehin schon vorstellt – am Englischen scheitert man aber immer wieder gnadenlos als Leseanfänger.

Ein wenig seltsam ist es auch, dass man in der Schule Regeln lernt, die draußen gar nicht gelten. Warum steht an der Bäckerei “BackCafé”? Wieso ist da ein Großbuchstabe mitten im Wort? Darf man das, wer darf das, warum darf Sohn I das dann nicht? Das ist alles gar nicht so einfach.

Sohn II hört bei all dem zu, denkt nach und lernt vor sich hin, wobei er bemerkenswert wenig sagt, aber viel abspeichert. Wenn er schreibt, wird es typografisch interessant, man sehe sich etwa diesen Einkaufszettel von ihm an, auf dem er “Apfelsinen” notiert hat. Wenn der Platz nicht reicht, schreibt er eben in der nächsten Zeile zurück, warum auch nicht.

Einkaufszettel Sohn II

Ansonsten habe ich auch deswegen wenig vorgelesen, weil Sohn I gerade nichts als Comics verschlingt und das Vorlesen von Comis furchtbar ist. Man möchte sich, wenn man das als Vater erlebt, noch im Nachhinein bei allen entschuldigen, die man selbst als Kind damit bedrängt hat. Wirklich, das ist schlimm. “Was sagt der da?” “Der sagt Uff.”

Die Herzdame liest den Söhnen Sagen vor: “Die schönsten Sagen aus aller Welt”, nacherzählt von Katharina Neuschaefer und ist gerade bei den Nibelungen angekommen. Da müsste ich eigentlich zuhören, ganz sattelfest bin ich da sicher auch nicht mehr. Sohn II besteht außerdem auf der nahezu täglichen Lektüre von “Swimmy”, einem Bilderbuch von Leo Lionni, übersetzt von James Krüss. Mehr zum Buch hier.

Gesehen

Ich habe tatsächlich Filme gesehen, ist es zu fassen? Und sogar mehrere, ein höchst ungewöhnlicher Monat.

Neue Vahr Süd. Den Film kannte ich noch nicht, das Buch schon. Ich fand den Film gut, nur den Soundtrack stellenweise seltsam unpassend, das hat man ja auch eher selten. Die Musik hat mit der Zeit, in der die Handlung spielt, nichts zu tun, das stört, da ist man im falschen Jahrzehnt. In Film und Buch sind übrigens alle Vorkommnisse, Witze und Szenen verbraten, die ich selbst jemals über die Bundeswehr erzählen könnte, was ein klein wenig gemein ist. Aber wenn Sven Regener vor einem da war, dann hat man natürlich nichts mehr zu melden. Ich fand den Film jedenfalls ganz unterhaltsam und witzig.

Willkommen bei den Sch’tis. Das haben natürlich alle schon gesehen, nur wir wieder nicht, schon klar, wir kommen ja zu nix. Eine Komödie, von der man auf keinen Fall zu viel erwarten darf, unterm Strich ist der Film schlicht harmlos und ganz nett. Es geht aber über weite Strecken um Sprachwitz und sprachliche Marotten, da bin ich verloren, so etwas liebe ich. Man hat für die deutsche Fassung des Films einen Dialekt neu erfunden und ich finde, man hat das sehr gut gemacht. Und da die Herzdame da ähnlich tickt wie ich, dauert es vermutlich Wochen, bis wir das Sprachverhalten und die Vokabeln der Hauptfiguren wieder los werden. Dasch ischt aber egal, unter unsch Blödbommeln.

Gespielt

Ich kann mich nicht erinnern, mit den Kindern etwas gespielt zu haben. Es war eher ein Monat voller grippaler Infekte und etwas trübsinnigem Herumhängen, das ist aber auch einmal schön. Wenn jeder für sich irgendwo chillt oder arbeitet oder bastelt oder CDs hört oder einschläft oder was auch immer, das muss man gar nicht in pädagogischem Eifer mit Brettspielen oder anderem Entertainment unterbrechen. Finde ich.

Gehört

Keine wilde neue Liebe gefunden. Dafür gerne wieder einmal Madness gehört. Am frühen Morgen, das ist ja gute Aufwachmusik. Das finden zwar nicht alle in dieser Familie, aber egal. Ich bin zuerst wach, ich mach die Musik an.

Und schöne Wintermusik findet man übrigens auf dem neuen Album von Diana Krall, “Wallflower”, auf dem sie Popklassiker interpretiert. Kann man statt Heizung anmachen.

 

Ein Update bei „was machen die da“

In der heutigen Folge geht um einen Handwerksbetrieb, für dieses Interview sind wir quer durch den letzten Orkan nach Lübeck gereist, wir trauen uns ja was. Lübeck also, da komme ich her, und wo ich gewohnt habe, bevor ich damals nach Travemünde zog, das kann man auf den Bildern im Beitrag sehen. Die Detailansichten dort waren jahrelang meine gewohnte Umgebung.

Da sieht man nämlich die Werkstatt, in der früher mein Vater als Meister das Sagen hatte, heute mein Bruder. Das Wohnhaus war gleich neben der Werkstatt, das war alles einmal mein Revier. Mein Bruder ist Glasermeister, da geht es also um ein Handwerk, über das gar nicht so viel bekannt ist. Aber wenn man das Interview mit ihm gelesen hat, dann weiß man natürlich erheblich mehr.

Bitte hier entlang.

Glasscherben

Hamburg wählt

Sohn I liest alles, was ihm im öffentlichen Raum vor die Augen kommt. Das sind zur Zeit also auch Wahlplakate. Eine überaus interessante Sache für ein Kind, das nach eigener Aussage “die Welt verstehen will”, und das auch noch einigermaßen dringlich. Er steht grübelnd vor diesen Plakaten, die das Wahlvolk informieren sollen.Es gibt bei dieser Wahl allerdings viele Plakate, auf denen einfach nur ein Gesicht abgebildet ist. Ein Gesicht und ein Parteiname.

“Warum soll man die denn jetzt wählen? Weil die so einen Kopf haben oder was?”

Wie erklärt man das dann bloß, ohne in geradezu rüden Sarkasmus zu verfallen? Das Kind meint es ja sowohl ernst als auch gut, das ist jetzt alt genug, um sich erstmalig mit Wahlen zu beschäftigen. Wahlen sind wichtig, das weiß er. Oben, ganz am Rand der Plakate, da steht manchmal auch noch was, ganz kurz. Und das eine Wort, das erkennt der Sohn gleich, das ist immer Hamburg, klar, das sieht er sofort. Die wollen also alle irgendwas für Hamburg, hurra, es wird schon sinnvoller. Und wenn es oben steht, dann ist es wohl die Hauptbotschaft? Also sucht er die Plakate nach diesen Kopfzeilen ab. Er steht und buchstabiert:

“Hamburg weiter vorn” (ein Plakat der SPD)

“Hamburg kann mehr” (ein Plakat der CDU)

“Hamburg gibt die Richtung vor” (ein Plakat der FDP)

“Hamburg für alle” (ein Plakat der Piraten)

Und dann erklären Sie mal einem wirklich interessierten Kind, was ein Slogan ist und was man aus diesen Slogans für die Politik der Parteien ableiten soll. Man muss da sein in Jahrzehnten angehäuftes Werbewissen abschütteln und sich vorstellen – das ist alles neu. Wenn man sich das überhaupt vorstellen kann. Man steht also vor einem Wahlplakat und erwartet Sinn und Ernst und Aussage und Glaubwürdigkeit – ach was, das kann sich doch kein Erwachsener mehr vorstellen.

Ein Plakat der Linken haben wir auf dem Weg übrigens nicht gesehen, vermutlich steht da “Mehr Hamburg für alle” drauf, fast möchte man es wetten. Die Grünen scheinen in meinem durchgentrifizierten Bahnhofsviertel auch nicht mehr zu werben, das ist hier vielleicht auch gar nicht mehr nötig – aber was mag bei denen stehen? Man traut sich gar nicht, das nachzusehen.

Die satirische Partei “Die Partei” warb hier vor Jahren mit Plakaten, auf denen als Slogan “Hamburg – Stadt im Norden” stand. Das fanden wir alle wahnsinnig witzig, was haben wir gelacht! Stadt im Norden! Ein Knaller. Hamburg weiter vorn! Man darf gar nicht drüber nachdenken. Hamburg kann mehr. Hamburg für Dich. Mein Hamburg und ich. Einfach Hamburg. Das beste Hamburg aller Zeiten. Aus gutem Grund ist Hamburg rund. Hamburg repariert. Heute ein Hamburg. Und dann natürlich noch irgendwas mit Tierfutter. Das verfolgt mich doch jetzt wieder tagelang! Schlimm.

Morgen zeige ich dem Sohn den Wahlomat, vielleicht kann ich damit wieder mehr Sinn in die Sache bringen.