Alles geben die Götter

Ich lese abends weiter im erfreulich dicken „Tagebuch mit Menschen“ von Georg Stefan Troller, seine Einträge aus den Sechzigern, in denen er oft auch recht giftige Bemerkungen über andere notiert. Das Buch läuft nicht gerade über vor Wohlwollen, aber das nur am Rande.

Mir wird jedenfalls erneut bewusst, wie in diesem Jahrzehnt, in dem ich auf die Welt kam, die Trümmer des Zweiten Weltkriegs im realen und im übertragenen Sinne noch das Leben prägten. Die Kultur auch. Er trifft für seine Interviews so viele Überlebende, halb oder ganz Vergessene, Versehrte, Verirrte, Wiedergefundene und Zurückgekehrte. Es lohnt sich, das nachzulesen, es erweitert mein Bild dieses Jahrzehnts.

Wie präsent das große Grauen damals noch war. Fast nichts davon habe ich in meiner Kindheit bemerkt, abgesehen vielleicht von der Grundangst der Erwachsenen um mich herum, die Russen könnten doch noch kommen. Und diesmal dann bis Lübeck und noch weit darüber hinaus. Diese Vorstellung wurde oft deutlich.

Bei Gewittergrollen und ähnlichen Geräuschen immer der Satz: „Die Russen kommen.“ Ein Satz, den wir Kinder übernommen haben. Normaler Sprachgebrauch war das, und als Kind habe ich selbstverständlich nie bedacht, welche Inhalte aus früherem Erleben viele Erwachsenen damit verbunden haben müssen.

Es hört nicht auf, dass ich mich darüber wundern kann, wie wenig die geschichtliche Vergangenheit in meiner eigenen Vergangenheit stattfand. Und wie spät ich dieses generalisierte Schweigen über die Geschichte erst als solches wahrgenommen und verstanden habe. Wenn es interessiert, bei Radiowissen gibt es passend dazu auch eine hörenswerte Folge über das kollektive Gedächtnis.

Ich lerne bei der Lektüre auch etwas darüber, wie diese Interviews damals für das Fernsehen inszeniert wurden, mit welchen Tricks manchmal gearbeitet wurde. Vielleicht erinnern Sie sich noch, ich hatte hier vor längerer Zeit einmal einen Clip im Blog, in dem der Schriftsteller Somerset Maugham Verse von Goethe zitierte, auf Deutsch:

„Alles geben die Götter, die unendlichen,
Ihren Lieblingen ganz,
Alle Freuden, die unendlichen,
Alle Schmerzen, die unendlichen, ganz.“

Ich wusste damals vermutlich nicht, dass es ein Ausschnitt aus einem Troller-Interview war.

Hier kommt gleich mehr dazu im Video. Bei den Aufnahmen zu Beginn ist Troller neunzig Jahre alt, während er über den damals neunzigjährigen Somerset Maugham spricht, das ist dabei bitte auch zu beachten. Alte Männer sind ja gerade hier und da Thema auch in den Nachrichten.


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Wie erwachsene Menschen

Donnerstagmorgen. Es regnet, es regnet, es regnet seinen Lauf. Wenn es gerade nicht regnet, dann schüttet oder nieselt es. Und das seltsame Gefühl direkt nach dem Aufstehen im Bad, es war wohl im Ernst ein kleines Frösteln. Eine Stunde später sehe ich am Schreibtisch Terminanfragen für den, und ich sehe dann genauer hin, Oktober und November. Die kommen etwas unerwartet, passen aber gut ins allgemeine Bild dieses Tages, so fühlt es sich alles an. Auf dem Handy poppen dann noch die Windwarnungen auf, Stärke acht aus Südwest. Mary-Poppins-Verschnittfiguren, die mit solchen Winden reisen, sind ziemlich flott unterwegs.

Egal. Im Home-Office arbeite ich mich in gewohnter Emsigkeit wieder warm und quer durch die Juliroutinen auf die nächsten heißen Tage zu, die fraglos kommen werden. Und bald schon.

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Ein kleines Update zu meinem Hinweis vor zwei Tagen auf die aktuelle Corona-Welle: Jetzt sehe ich Krankmeldungen aus allen Richtungen, und viele davon. Man kann es eigentlich beim besten Willen nicht mehr übersehen. Irgendwo in der Wohnung bellt ein Sohn, noch während ich dies notiere. Den dann auch mal einen Test machen lassen.

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Die Herzdame und ich hatten einen Termin bei einem Notar, es ging um unser Testament und war ungemein lehr- und hilfreich. Solche Termine lohnen sich auch für den Gefühlshaushalt, wir kamen uns hinterher wenigstens für einen Moment wie erwachsene Menschen vor, die Dinge ernsthaft und zielstrebig geregelt bekommen. Ein angenehmer Zustand ist das, wie kurz er auch anhalten mag.

Termine dieser Art sind immer noch die weiteren Nachwirkungen unserer im Winter begonnenen administrativen Aufräumarbeiten. Man braucht doch erstaunlich lange für alles. Jedenfalls dann, wenn man einigermaßen gründlich sein möchte und sich auch jene obskuren Themen vornimmt, die man in Gedanken stets unter G wie Gott weiß wann abgelegt hat.

Und fertig sind wir, soweit ich es absehen kann, mit den ganzen Angelegenheiten noch lange nicht. Also wenn man damit jemals fertig werden kann. Ich habe allmählich leise und vermutlich berechtigte Zweifel. Man sucht den Sinn des Lebens in der Ablage, administriert sich vermutlich bis zum Tode und muss direkt danach sicher erst einmal einen weiteren Account anlegen, für die nächste Dimension. Und man wird dann auch eine Vorgangsnummer erhalten, die man sich merken oder die man wiederauffindbar abheften muss, und dann immer so weiter in Ewigkeit, Amen.

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Wie vorgehabt: Am Abend „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ von 1931 auf arte angesehen. Der Film ist nur noch fünf Tage verfügbar und es lohnt sich, ihn zu sehen. Es ist ein Erlebnis, so beeindruckende Bilder. Diverse höchste Einstufungen sind auch bei der Wikipedia nachzulesen, und vollkommen Recht haben sie.

Was gucke ich jetzt? Naheliegend wäre die Doku über Peter Lorre – Hinter der Maske des Bösen, auch bei arte, 54 Minuten. Ja, so mache ich das.

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Nieselregen und Werktagsdinge

Bei Spektrum las ich einen Artikel über Extremwetter und „freak-events“. Währenddessen sterben hier in der Alster und in den Kanälen gerade die Fische. Was ich allerdings nur in den lokalen Medien sehe, nicht als Zeuge am Ufer stehend. Sie sterben, weil der Starkregen neulich so viel organisches Material eingeschwemmt hat, und der Abbau dieses Zeugs nun zu Sauerstoffmangel führt.

Man lernt nebenbei und eher unwillig auch solche Zusammenhänge noch einmal neu, die Nachrichten als Biobuchnachlieferung.

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Im Vorbeigehen habe ich ein Plakat gesehen, es war Werbung für die Bundeswehr. Die allgegenwärtige Personalnot, selbstverständlich auch bei denen. Ob man allerdings noch ganz bei Groschen sein kann (ich weiß gar nicht, aus welchen Tiefen der Erinnerung mir dieser Ausdruck gerade wieder einfiel, Ewigkeiten habe ich das nicht gehört oder verwendet, aber es ist doch ein absolut zauberhafter Boomer-Ausdruck, nicht wahr), wenn man auf ein Poster für die Armee unseres Landes „Hol Dir den Win bei der Bundeswehr“ schreibt – ich habe doch deutliche Zweifel.

Kopfschüttelnd und „Alle bekloppt“ murmelnd weitergehen. Ich freue mich weiterhin ungemein auf das spätere Krückstockgefuchtel im Rentenalter, es wird dann schon passen.

Ungemein gut wird es passen.

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Ansonsten war es ein gewöhnlicher Bürotag in Hammerbrook, es fiel nichts Blogbares an. Nieselregen und Werktagsdinge, immerhin harmonisch passend zur durchgehend freudlosen Stadtteilgestaltung und den sich dort jahrelang hinziehenden Großbaustellen, bei denen unfassbar viele Absperrungen alle paar Tage überraschend neu aufgestellt werden. Wie bei einem Brettspiel mit Gegenwartsbezug, finde Deinen Weg durch den Verkehr der Millionenstadt. Auf dem Lieferwagen vor dem Bürofenster aber steht der Slogan „Barrierefrei leben“, als ob das schon jemals auch nur einem Menschen gegeben war.

Der Mittwoch zieht sich zäh und fühlt sich früh ausgereizt an.

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Gehört: Eine Folge Radiowissen über Reich-Ranicki, mit Erinnerungen an den legendären Grass-Streit damals, 1995 war das. Als es in Feuilletons spannend zuging und es noch Leitmedien gab, die „man“ eben las und auf deren nächste Ausgabe man sich vielleicht sogar freute. Lange ist es her, und kaum noch kann man es den Jüngeren erklären. Tempi passati.

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Und so schlecht ist es nicht

Wenn die Timelines als Indikator zu verwenden sind, und ich habe keinen Zweifel, dass sie es sind, gibt es gerade eine weitere Corona-Welle. Und ich staune noch einmal über die beträchtliche geistige Abwehrleistung der Menschen auch in meinem Umfeld, die das nicht wahrhaben wollen. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Das Verbiegen der Realität als Volkssport. Dabei muss man doch nur die Meldungen im eigenen Kreis flüchtig mitzählen, es reicht ja schon.

Wie hat es sich alles seltsam entwickelt.

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Draußen findet währenddessen das Revival der Herbstmode statt. All die Trenchcoats und Lederjacken aus dem letzten Jahr sehen immer noch wie eben gekauft aus. Sie werden etwa eine Woche lang erneut eingetragen, im in jeder Hinsicht überzeugenden Oktoberwetterimitat dieser Woche. Auf dem Spielplatz vor der Haustür etliche Kinder in bunter Regenkleidung und in Gummistiefeln, die mit leuchtenden Farben und kindgerechten Mustern auch an solchen Tagen fröhlich wirken sollen. Zögernd stehen die Kleinen am Rand der Sandkiste und wissen dann nicht recht weiter. Unbenutzte Schaufeln halten sie in den Händen, während die Eltern sich weiter hinten mehr oder weniger geduldig unterstellen. Sie sehen auf ihre Handys sehen und warten ab.

Schaukeln schwingen leer im Regen, ganz sacht nur.

Obdachlose schieben tropfnasses Hab und Gut in lädierten Einkaufswagen an der Kirche vorbei. Vor den Cafés und Restaurants die zusammengeklappten Sonnenschirme, die leeren Tische und die zusammengeschobenen oder aufgestapelten Stühle. Kleine Pfützen auf Holz- und Plastikflächen. Über die teils noch ausliegenden laminierten Speisekarten ziehen Schauer hinweg, noch einer und noch einer, und dann immer so weiter. Ttagelang wird es noch so gehen. Das Programm ist insgesamt wenig originell und gut absehbar, aber ich finde es okay.

Sich auch mal bescheiden geben, genügsam sein. Immerhin ist es nicht zu heiß in dieser Stadt. Auch einmal das Positive unter dem Regenschirm sehen, in stoischer Selbstermunterung pfeifen und weitergehen. So beginnt hier der Juli, so beginnt bei uns das zweite Halbjahr, und so schlecht ist es nicht.

Am Nachmittag habe ich einen Termin mit der Herzdame in Winterhude. Ich verlasse also wie programmgemäß schon wieder unser Quartier. Wie so ein Mensch, der regelmäßig in der Stadt herumkommt. Im vollen Bus, der sich ruckelnd durch den zähen, stockenden Feierabendverkehr schiebt, riecht es intensiv nach nassen Hunden, Klamotten und Menschen.

Eine schwer mit Einkäufen bepackte Mutter schimpft laut, zeternd und anhaltend mit ihrem kleinen Sohn. Der hört überhaupt nicht hin, sieht vielmehr die ganze Zeit konzentriert aus dem Fenster in den sich stauenden Verkehr da draußen und träumt von etwas anderem.

Und wenn man sich die erwachsenen Passagiere mit ihren matten Werktagsgesichtern und den Blicken ins Leere so ansieht: Wer weiß, wer noch.

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Hinter den sieben Bergen

Vorweg schnell ein Service-Hinweis in Bezug auf den so sehr geschätzten Sender arte, der Film-Klassiker „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ ist noch acht Tage verfügbar. Sie wollen das vielleicht einplanen? Ich schaffe das auch noch, so jedenfalls das Vorhaben. Yes, we can.

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Am Montagmorgen trommelt wie erwartet schon beim Aufwachen der Regen auf die Dachfenster, es ist mir überaus angenehm. Ein guter Wochenstart ist das für mich, zumindest was das Wetter betrifft. Und gut temperiert ist an diesem Tag alles. Es gibt wieder die übersaisonalen 12 Grad am Morgen, die Gradzahl meiner klimatischen Heimat.

Doch, ein recht angenehmer Start ist das. Nach einem feinen Sonntag auch, den wir hier, und das ist keineswegs selbstverständlich, erstaunlich entspannt zugebracht haben. Es war fast schon ein Wellness-Tag, also für meine Verhältnisse jedenfalls, und da kann man eher bescheidene Erwartungen ansetzen. Vielleicht war es der halbwegs faire Ausgleich für den vollkommen vergurkten und schwer verspannten Freitag der letzten Woche, ich berichtete.

Auf dem Bett habe ich stundenlang müßig gelegen und im Troller weitergelesen, in seinem Tagebuch mit Menschen. Auch einen Film habe ich gesehen (auf Filmfriend), der mir nicht weiter empfehlenswert vorkam, und es machte aber nichts. Es ärgerte mich nicht und es kam mir nicht wie verschwendete Zeit vor, eher wie eine lässige Spielerei mit der Zeit, und zu dieser Einstellung finde ich nicht immer leicht.

Eine französische Märchenadaption habe ich mir da angesehen, „Weiß wie Schnee – wer ist die Schönste im ganzen Land?“ Regie Anne Fontaine. Eine faszinierend wilde Landschaft war es immerhin, in der das alles dort spielte. Eine wunderbare Hauptdarstellerin (Lou de Laâge) spielte die sich unerwartet freudig an Männer aller Art verausgebende Tochter von besonderer Schönheit. Außerdem war es eine bekannte Story, nett in die Gegenwart versetzt. Es kamen exzentrische Nebenfiguren als moderne Variante der sieben Zwerge vor, und dazu war noch Isabelle Huppert sehenswert als böse Stiefmutter nach Art der Cruella de Vil, es stand ihr ausgezeichnet. Der Prinz fehlte, und niemand hat ihn vermisst. Also es ging schon.

Aber man wird sich an den Film andererseits auch nicht erinnern müssen.

Kurz habe ich danach noch etwas gestaunt, wie leicht diese Geschichte von Schneewittchen für die Gegenwart zu adaptieren war. Das ging so faszinierend gut auf. Dann habe ich weiter überlegt, mit welchen anderen Märchen das wohl ebenso leicht möglich wäre, wie aus denen ein moderner Film oder Roman mit höchstens mäßigem Einsatz von Fantasy-Elementen zu machen wäre. Worüber natürlich enorm viele andere auch schon nachgedacht haben, teils mit Ergebnissen.

Dabei bin ich eingeschlafen und habe abgefahren und fortgeschritten unheimlich geträumt, ausgeprägte Grusel-Grimm-Momente gab es in dieser Nacht.

Jeder ist seines Horrorfilmes Schmied und Märchen vor dem Schlafengehen sind vielleicht doch eher nicht so empfehlenswert, jedenfalls nicht für Erwachsene. Man hat ab einem gewissen Alter einfach zu viel Assoziationsballast.

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Beim Kochen gehört: Eine Folge Radiowissen über Jakob Michael Reinhold Lenz und eine über Sturm und Drang. Ich war kurz etwas weiter zurück orientiert.

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Es starb Ismail Kadare. Ich sehe nach, was er alles geschrieben hat, und ich komme nicht mehr darauf, welche Bücher oder welches Buch ich von ihm kenne. Die Cover passen alle nicht recht zu dem, was ich meine zu kennen, die Inhaltsangaben auch nicht. Aber ich weiß noch, ich war beim Lesen etwa dreißig Jahre alt und die Geschichte hat mein Bild von Albanien dauerhaft geprägt und mich schwer beeindruckt.

Literatur wirkt, auch lange, und selbst ohne präzise Erinnerungen.

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Vom Liegen und Atmen

Am Sonnabend habe ich Menschen aus dem Internet getroffen und dabei einen weiteren Avatar endlich mit einem Gesicht verbinden können. Erfreulich ist so etwas, immer noch. Nach all den Jahren, die ich, die wir so etwas schon machen.

Zwar fühlen sich Dates dieser Art immer mehr wie Treffen von Altgedienten an und man redet unweigerlich länger über frühere Zeiten, man erwähnt mehrfach Vergangenes, Verpasstes und vielleicht auch Verstorbene, man hat auch diese typischen „Was wurde eigentlich aus XY“-Momente, wie man sie wohl von großen Familienfesten etc. kennt, es kann kaum anders sein. Aber es ist doch immer noch Neues möglich und auch verlässlich zu erwarten. Neue Menschen und neue Geschichten, neue Situationen, neue Vorhaben auch.

Für dieses Treffen bin ich für meine Verhältnisse weit weg gewesen, in Barmbek, das ist immerhin mehr als zwei Stadtteile entfernt. Gefühlt alles außer der Gegend vor der Haustür habe ich in dieser Stadt ewig nicht gesehen, habe ich wieder gemerkt, überall überrascht mich der Anblick. Staunend durch die Straßen. Ich weiß, ich stellte es neulich bereits fest, es beschäftigt mich eben nachhaltig. Ich muss das viel ernsthafter angehen, dieses Rauskommen, echtjetztmal.

Denn ich weiß doch, wie man diese Wohnung verlässt. Da vorne ist die Tür, ich kann sie von hier aus beim Schreiben sogar sehen. „Dieser Ausgang war nur für dich bestimmt“, wird es sonst am Ende unweigerlich heißen, um das Kafka-Jahr leicht verdreht noch einmal anklingen zu lassen.

Ich weiß auch, wie ich aus dem kleinen Bahnhofsviertel herausfinde. Ich muss dieses Wissen nur umsetzen. Quasi Kinderspiel.

Erzählerstimme aus dem Off: „Am Nachmittag, als er vor die Tür gehen wollte, regnete es dann sehr stark.“

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Am Sonntag kühlt es ab, und wenn sie keine heiße, fast glühende Dachgeschosswohnung haben, dann ahnen Sie vielleicht gar nicht, wie lange man mehr oder weniger unbekleidet im etwas frischeren Durchzug sitzen oder liegen kann, nur genießend, dass sich alles auf einmal wieder überlebbarer anfühlt. Das kann ein stundenfüllendes Programm sein, dieses Liegen und Atmen. Und wäre man nicht ein halbwegs beherrschter Mensch, man würde jauchzen und frohlocken dabei, in diesem leichten, fast Gänsehaut auslösenden Wehen durch die Wohnung, zwischen den weit geöffneten Fenstern in sämtlichen Zimmern.

Vom Balkon aus sehe ich es auch bei den Häusern gegenüber. Alles wird aufgerissen, Fenster, Türen und Klappen in Dächern. Als würden die Wohnungen japsend und gierig wieder atmen nach den erstickenden Hitzetagen. Wenn der Wetterbericht stimmt, können wir nun eine Woche Luft holen und durch Regen spazieren, es soll mir recht sein.

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Gehört: Eine Folge Radiowissen über Rilke und eine über Iwan Bunin. Den Bunin schon vormerken für den Herbst, Russen lesen sich besser in der dunkleren Jahreshälfte. Der Rilke läuft einem eh rechtzeitig in den Timelines über den Weg, wenn es wieder Zeit wird und der Sommer irgendwann groß genug gewesen sein wird. Momentan ist das noch nicht absehbar.

Der nächste Herbst, er ist bald komplett verplant, was Literatur angeht. Und so soll es auch sein.

Dann hörte ich eine Folge über Adelheid Duvanel, „Schweizer Schriftstellerin im Schatten“, von der ich noch nie gehört hatte. In der Sendung heißt es beruhigend, so gehe es vielen. Es fehle der Autorin allgemein an Anerkennung im Literaturbetrieb und beim Publikum. Die Duvanel später also auch einmal nachlesen, Gerechtigkeit für Übersehene.

Auf Amazon sehe ich eine kurze Rezension zu einem Band mit Erzählungen von ihr, sie besteht nur aus einer Zeile: „Meiner Schwiegermutter gefallen die Geschichten darin.“ Ob das ein Lob ist? Ist es ein argloser oder ist es eher ein abgründiger Satz?

Man weiß es wieder nicht.

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Und sonst? Hier noch ein weiteres Update zu den Wahlen in Frankreich. Warten Sie kurz, ich lege Musik dazu auf.

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Man macht was mit

Den Freitag habe ich planmäßig in der bei mir üblichen, wenn nicht sogar unausweichlichen Anspannung verbracht, der Halbjahresschluss im Büro. Die Tür fiel final ins Schloss, man macht was mit. Vorsicht bei der Berufswahl, ich sage es ja immer.

Passend dazu gab es eine Radiosendung: „Seit wann wir für die Arbeit brennen.“ Ein geschichtlicher Abriss unserer Einsatzbereitschaft, unseres Interesses an Challenges und unserer anderen Verwirrungen für Lohn und Brot.

Nach Feierabend gab es dann dummerweise statt der erhofften Entspannung immer weiter steigende Anspannung durch Vorfälle der familiären Art. Jemand kippte in der Hitze um und es war entgegen aller Erwartung nicht ich. Dadurch aber umfassende Änderung der Wochenendpläne, und ich bin nicht der Kandidat der Wahl, wenn es um lockere Spontaneität geht. Ich bin eher der Typ Schienenfahrzeug.

Insgesamt war es ein Tag zum Wegwerfen. Der Versuch, mich später noch seelisch am Jahresmittelpunkt wieder aufzurichten, er scheiterte grandios. Ein halbes Jahr ist vorbei, ist fast vorbei, und ich kann es mir gerade nicht recht ins Positive drehen.

Hier habe ich etwas nicht geschafft, dort habe ich etwas nicht erreicht, dies und das ist nicht so, wie ich es jetzt gerne haben wollte. Verschiedenes fühlt sich außerdem nicht richtig an. Dazu die Gesamtsituation, mit der man bekanntlich nicht zufrieden sein kann, wenn man noch halbwegs bei Verstand ist.

Na, es gibt solche Tage, man findet dann nichts.

Nicht lange immer weiter sinnlos suchen und ziellos in seelischen Schubladen kramen, stattdessen vor die Tür gehen und die richtige Musik hören. Stücke, die mich gerade erstaunlich zuverlässig und schnell aufmuntern, wie albern es einem auch vorkommen mag.

Hauptsache, es funktioniert, man muss sich nicht alles erklären können.

Die Herzdame übernachtete dann mit einem Sohn im Garten, was nicht erwähnenswert wäre, wenn es nicht ihre erste Gartenübernachtung in diesem Jahr gewesen wäre. Das gab es noch nie bei uns, ihr Einsatz so spät.

Sie hat in manchen Jahren an diesem Punkt der Saison längst gewissermaßen im Garten gewohnt. Aber das Wetter, es war hier einfach nicht so, all die Wochen war es nicht so, und wenn es doch einmal so war, dann war es etwas anderes, das sie aufhielt. Ihre Reisen nach Dortmund oder was auch immer. Und plötzlich ist es schon zehn Minuten vor Juli und wir wissen nicht, wie das zuging.

Auch in dieser Hinsicht ist es ein merkwürdiges, ein schräges, ein nicht ganz richtig laufendes Jahr. Diesen Sommer gewinnen wir nicht mehr, um das auch einmal ausdrücklich aufzuschreiben, damit der weitere Verlauf mich noch rechtzeitig widerlegen kann. Die nur gedachten Göttinnen des Alltags neigen an solchen Stellen immerhin lebhaft zum Widerspruch, wie die Erfahrung zeigt.

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Beim Einkaufen gehört: Eine Folge Radiowissen über Henry Ford und eine über Karl May. Man bildet sich so vor sich hin.

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Die Kaltmamsell teilte auf Mastodon einen Link zu diesem Text über eher unerwartete Hochwasserfolgen. Er enthält den bemerkenswerten Begriff „Faunenverfälscher“, den habe ich sicher zum ersten Mal gesehen.

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Einige Erfahrungen aus dem letzten Jahrhunderts bei Vanessa, die Hollywoodschaukel neben der Datsche. Ich war vor der Wende nie in der DDR, mir fehlt da ein Stück Erfahrung. Der Freundeskreis „Kuchen am Wochenende“ beachte bitte auch die Nennungen in den Kommentaren: Prophetenkuchen war mir unbekannt, aber schon das Wort ist gut. Und Wikipedia sagt: Er stammt aus Lübeck. Nanu.

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Das rettende Gewitter

Aus der Reihe „Lebensreise mit Blogs“ hier wieder Gedanken zur Pflege und auch zur Statistik. Neulich habe ich übrigens in einer Folge Radiowissen über Florence Nightingale gelernt, dass sie Statistikerin war und diesen so überaus nützlichen Abzweig der Mathematik für die Gesundheitsfürsorge mit nutzbar gemacht hat. Guck an.

Und hier, auch das steht einigen von uns noch bevor, hat jemand das Licht gefunden. Und da hatte ich doch einmal eine Version des Songs, welche war das noch …

(der Autor sieht kurz etwas nach und verliert sich an dieser Stelle zwei Stunden gänzlich ungeplant in Playlists, taucht dann wieder auf und guckt leicht verwirrt auf die Uhr)

Don Shirley war es, der hier. Schöne Version.


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Dann also, nach einem wahrlich bunten und üppigen Strauß an Unwetterwarnungen auf allen Kanälen, das rettende Gewitter. Mit großem Knall wurde die übermäßige Hitze, 32 Grad waren es hier, vorerst beendet. Es konnte sich alles sehen und hören lassen, was da am Himmel inszeniert wurde. Hamburg soff an einigen Stellen gründlich ab, sah ich online, und der Verkehr auf Straße und Schiene gab wie immer schnell und effektreich nach. Wie ich lese, entsprach die Regenmenge an einigen Stellen Ahrtaldimensionen, aber dafür ging es dann noch gut aus.

Bei uns im kleinen Bahnhofsviertel war es nur ein hochwillkommenes Sommergewitter. Immerhin aber eines der besonders theatralischen und langen Art. Mit geschickt eingebauten retardierenden Momenten, nach denen es dann doch noch einmal unerwartet heftig schepperte und blitzte. Gut gemacht war das.

Ein Sohn, der im Garten war und vorn dort flüchtete, als das Wasser um die Laube ungewöhnlich schnell anstieg, kam zwischendurch, schnell wie ein Hase durch den anhaltenden Wolkenbruch laufend, duschnass nach Hause. Der andere Sohn, der bei einem gründlich und pünktlich ins Wasser fallenden Schulsommerfest war und von dort eilig flüchtete, kam kurz nach ihm triefend herein.

Und nach diesem Sohn dann, es war wieder wie in einem Drehbuch zu einem Sketch, klingelte es noch mehrfach und es kamen nach und nach sieben oder mehr Jugendliche, Freunde der Söhne, ich habe irgendwann nicht mehr gezählt. Alle gleichermaßen zum Auswringen klitschnass.

Große Pfützen bildeten sich um sie herum auf dem Laminat im Flur. Die Luftfeuchtigkeit in den mollig warmen Räumen stieg und stieg, die nassen Klamotten und Schuhe dampften in unserer Slow-Cooker-Wohnung und rochen teils wenig erfreulich. Das Treppenhaus und der Fahrstuhl sahen durch den stark tropfenden Besuch wie geflutet aus.

Ich stand zwischen meinen Einsätzen als Doorman lange an der offenen Balkontür in den feinen Regenspritzern, die von den Blumenkästen und den Blättern der Buntnesseln darin zu mir sprangen. Ich wurde dabei auf angenehmste Art angefeuchtet, kühlte endlich etwas ab und sah den flüchtenden Menschen unten auf der Straße zu, die durch den Regen rannten und über Pfützen sprangen. Eine schöne und ausgedehnte Vorführung war das alles.

Später, als es wieder aufklarte und die Sonne doch wieder durchkam, saßen am frühen Abend lachgaskonsumierende Jugendliche auf dem Spielplatz vor der Haustür. Immerhin waren es keine, die ich kannte. Das immer bei allen Beobachtungen dieser Art mitdenken, in unserer Lebensphase.

Aber gut, habe ich das jetzt auch einmal gesehen, diese Variante mit den Luftballons. Die Kartusche und die Ballons waren nennenswert größer, als ich es angenommen hatte. Ich hatte mir das alles viel bescheidener vorgestellt, mehr wie kleines Silvesterpartyzubehör, da lag ich falsch. Das, was ich sah, reichte für längeren Konsum, nicht nur für ein wenig nebenbei.

Gesehen und gestaunt also. So sieht das dann aus, so geht das dann zu, ich kannte es bisher nur aus den Medien. Und verboten ist es nach wie vor nicht. Weswegen sie da einfach so sitzen können, in aller Öffentlichkeit, mit der ganzen Ausrüstung. Nun, sie würden, was weiß ich, vermutlich auch so sitzen, wenn es verboten wäre.

Aber das Wetter, wie gesagt, war gut, vom Balkon aus betrachtet. Das ist nicht nichts.

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Durch den Schatten schleichen

Es war zwischendurch zu warm da draußen, bei Ihnen vermutlich auch. Es war also selbstverständlich auch zu warm in unserer Wohnung, viel zu warm sogar, schier unerträglich heiß war es, aber man erträgt es dann doch. Immer wieder, sicher auch schon einmal erwähnt, die vage Erinnerung an eine Geschichte von Kishon, in der er eine Hitzewelle beschreibt, in Tel Aviv wird es wohl gewesen sein, und sich irgendwann nicht mehr erinnern kann, ob es Afrika oder Arfika heißt. Sein Gehirn gibt in dieser Story langsam nach. Ich verstehe das gut, genauso fühlt es sich an. Irgendwann erscheint einem Arfika vollkommen plausibel.

Immerhin geht es meinen Kolleginnen in Hamburg und den anderen Landesteilen auch so. Es sind Tage, an denen man langsam und in möglichst einfacher Sprache miteinander reden muss, temperaturadäquat.

Zum obligatorischen Einkauf am Nachmittag durch den schmalen Streifen Schatten am Wegesrand schleichen, in den sich allerdings auffällig viele andere ebenfalls drängeln. Sich nur nebenbei wundern, dass es immer noch Eltern gibt, die ihre Kleinen auch bei solchem Wetter halbnackt in die Sandkiste auf dem Spielplatz lassen. Da buddeln sie krabbelnd in der sengenden Sonne, trotz aller amtlichen Warnungen vor ungewöhnlicher UV-Belastung.

Vermutlich ist es wieder das nervtötende Freiheitsding, es ist mittlerweile einfach überall zu bemerken. Sag mir eine Regel, und ich werde sie hohnlachend brechen.

Dann nachgesehen, ob das Eis in unserem kleinen Bahnhofsviertel wirklich billiger ist als in der Hafencity, wie ich neulich einfach kühn und ohne jede Recherche behauptet habe. Ja, das ist so. Schwein gehabt.

Ich brauche aber, das steht bei aller Aversion gegen diese übermäßige Wärme fest, einige Tage dieser Art, um den Herbst später okay und passend finden zu können. Etwas Hitze muss es in jedem Sommer gegeben haben, etwas zu viel muss es auch gewesen sein. Und so weit bin ich in diesem Jahr noch nicht. Ich hoffe, es kommt noch, denn ich freue mich besonders gerne auf den Herbst. Es ist eines der besten saisonalen Gefühle, schöner noch als die Freude auf den Frühling.

Aber das können Sie ruhig anders sehen und empfinden. Das ist wieder etwas, das zur Fraktionsbildung einlädt, und das Team Frühling ist groß, ich weiß.

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Ich folge den Weltnachrichten und den Berichten aus Deutschland gerade nur noch aus dem Augenwinkel. Ab und zu eine Pause einlegen und vom drohenden Unheil etwas wegdenken. Aber ich finde doch , selbst wenn ich nicht genau hinsehe, die meisten politikbezogenen Newsletter ungelesen lösche und auch sämtliche Debatten in den Timelines auslasse, alles vollkommen verrückt, niveaulos und in einem schauderhaften Abwärtsstrudel begriffen. Die Hoffnungszeichen dabei eher blass und selten. Immerhin gibt es noch welche, schon klar.

Ich lebe jedenfalls, selbst wenn ich etwas Abstand von den furchtbaren Themen nehme, immer in diesem Gefühl, dass ich selbst leichte Anflüge guter Stimmung jederzeit durch kurzen Nachrichtenkonsum komplett auslöschen könnte. Schlimm.

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Gehört: Eine Folge Radiowissen über die Belle Èpoque und eine über Hannah Arendt. Aus dem Jahr 2021. Ich höre mich allmählich rückwärts durch den ganzen Katalog des Formats und sammele mir alles heraus, was ich interessant finden könnte. Und meistens ist es das dann auch.

Noch im Laufe des Sommers werde ich aber wohl durch damit sein, dann muss ich wieder etwas anderes finden. Oder wieder Hörbücher ansteuern, und warum auch nicht.

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Es starb Kinky Friedman, eine fortgeschritten schräge Figur mit vielen Seiten und Fähigkeiten. Seine Bücher kannte ich nicht, seine Songs habe ich gerne gehört.

Vor Jahren hatte ich einmal seine Version eines Warren-Zevon-Songs hier im Blog. Sie würde ihm, nehme ich an, vermutlich passend vorkommen: Your shit’s fucked up.

“Well, I went to the doctor,
I said I’m feeling kind of rough
Let me break it to you, son
Your shit’s fucked up”

Auf Youtube schreibt jemand in den Kommentaren: “I want this played at my funeral or I am not going.”


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Jahre im Rückspiegel

Ein weiteres Update zu den Wahlen in Frankreich.

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Kid37 war in einer Hamburger Ausstellung, und nun muss ich da auch hin. Schlimm.

Wobei ich ohnehin wieder viel zu lange an nichts teilgenommen habe, fällt mir auf. Museen, Theater, Konzerte, dies und das, ich komme zu nichts. Mit anderen Worten, ich muss vielleicht wieder einmal umpriorisieren.

Oder erst im Herbst, oder erst im Herbst, murmelte er dann aber leise mit Blick auf die erwarteten 31 Grad im Wetterbericht.

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Eine Folge Radiowissen über die Achtziger in Westdeutschland gehört. Wobei mir unangenehm deutlich und erneut auffiel, wie sehr ich in diesem Jahrzehnt, in meiner Teenager-Zeit, bei allen politischen Fragen davon ausging, automatisch und zweifellos immer auf der garantiert richtigen Seite zu sein, wenn ich nur mit den richtigen Leuten herumhing, auf dem Pausenhof oder bei Demos und Debatten. Wenn ich also nur die richtigen Leute sprach, las und hörte.

Nicht den geringsten Zweifel habe ich damals an „unseren“ Positionen gehabt, die aus meiner Sicht generell auch die Positionen der Jugend schlechthin waren. Man ist gerne etwas unbescheiden in dem Alter, durch alle Generationen.

Aber ich glaube nicht, nein, ich bin leider sicher, dass ich so etwas wie den Nato-Doppelbeschluss, um den es doch z.B. dauernd ging, jemals inhaltlich erfasst habe. Ich fürchte sogar, ich habe es nicht einmal ansatzweise erfasst oder durchdacht. Ich habe es nicht einmal versucht. Die schöne Zeit der Jugend. Nun ja.

Aus heutiger Sicht: Eher ahnungslos und uninformiert durch dieses Jahrzehnt gelatscht. Eher durch Glück als durch Verstandesleistung bin ich dabei manchmal auch auf einer richtigen Position gelandet, auf Positionen, die ich sogar heute noch teilen würde.

Und zu meiner und vielleicht auch Ihrer Entlastung stelle ich im Rückblick immerhin fest, dass es unmöglich falsch gewesen sein konnte, gegen die zu sein, gegen die wir damals so vehement waren, gegen Reagan, Thatcher, Kohl etc. Es war, wie sagt man seit einigen Jahren, alternativlos. Und wenn man das so denkt, dann kann man weiter in den Spiegel sehen. Auch in einen Rückspiegel.

Apropos. Hier wird gerade über Generationen geschrieben, und ich fand bemerkenswert, dass ich einiges, was da erwähnt wird, gar nicht kenne. Breakfast Club? Reality Bites? Keine Ahnung. Was aber wieder, man muss es immer dazu sagen, kein Werturteil ist.

Ich finde es immer betrüblich, wenn Menschen, und es machen leider furchtbar viele Menschen, ihre Unkenntnis mit einer Abwertung gleichsetzen, wenn also „nie gehört“ zu einem vernichtenden Urteil wird. Eine allzu egozentrische Sichtweise, aber natürlich perfekt passend zur Entwicklung der Gesellschaft.

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Auf arte gesehen: Lola, das Mädchen aus dem Hafen, mit der gerade erst verstorbenen Anouk Aimée, Regie Jacques Demy. Ein grandioser Film, und was für eine außerordentliche Kameraführung von Raoul Cotard.

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