Wirr und wahnhaft

Nach einem eher wirren und wahnhaften Werktag gestern muss die Devise für den Mittwoch unbedingt lauten: „Play it safe“. Oder auch „Keep it simple“, wenn nicht sogar „Find the path of least resistance” – das sind aber alles nur im bemühten Versuch einer passenden Einleitung zitierte Zeilen aus einem Song, den ich gestern wiederum mit einiger Verspätung gefunden habe.

Aber Verspätungen machen bei den meisten Künsten sowieso nichts, Vorteil Kultur.

Ein Song von Tim Minchin zum Jubiläum jedenfalls, 50 Jahre Sydney Opera House. Das war vor zwei Jahren und ist mir komplett entgangen. Das Video ist aber unbedingt sehenswert und der Text ist eben Tim Minchin. Man kann also etwas erwarten, und man bekommt es dann auch.

Der am Ende erwähnte weird old Danish ist dieser Herr hier und über die Zeilen

“Keep it simple and same-ish

Leave the weird ideas to the Danish”

kann ich mich auch etwas länger freuen.

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Davon abgesehen hatte ich nach den Bürostunden, die in der Tat eher speziell ausfielen, Bedarf an deutlich anders gelagerter Berieselung aus deutlich anderer Richtung. Zu diesem Zwecke hörte ich (aus der App der öffentlichen Büchereien) ein kurzes Stück von Arthur Schnitzler, die „Kleine Komödie“, eine Briefnovelle, nur etwa eine Stunde lang.

Kein Meilenstein der Literaturgeschichte sicherlich, aber gelesen von Christiane Hörbiger und Michael Heltau, und was will man mehr.

Danach sah ich, dass in der ARD-Audiothek beim Thomas Mann wieder nachgelegt wurde und stieg auch dort wieder ein. „Wälsungenblut“, gelesen ebenfalls von bewährter Stimme, von Ulrich Noethen.

Und zum Abend dann wieder ein Buch auf die alte Art, mit Papier und allem. Es war eines aus dem öffentlichen Bücherschrank, neulich erst dort gefunden, das zur Jahreszeit passt: Die „Sommerdiebe“ von Truman Capote, Deutsch von Heidi Zernig.

Schnitzler, Mann, Capote, dazu noch diese Opernsache mit Minchin – mit dieser Kombination kam ich dann immerhin erfolgreich gegen die wüste Bürostimmung an und beendete den Tag erfolgreich abgelenkt.

Manchmal braucht man eben etwas Hilfe.

Ein trockengefalllenes Fleet an der Trostbrücke

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Montag, Trümmer

Auf meiner Spaziergangsstrecke hat sich das Fassadenteil eines Hauses aus dem vorletzten Jahrhundert gelöst. Trümmerstücke auf dem Gehweg, welche man mit anglermäßig ausgebreiteten Armen beschreiben könnte: „Solche Dinger!“ Die Feuerwehr sichert von einer Drehleiter aus oben, was noch zu sichern ist. Es ist nicht einmal ein hohes Haus, eher ein Zwerg im Stadtteil, aber ich sehe mir die Ausmaße dieser Trümmerstücke an und denke okay, hätte auch wieder gereicht. Zur falschen Zeit am falschen Ort, und das wäre es gewesen.

Wie neulich schon mit dem Koffer, ich berichtete, es war knapp. Was sagt einem das? Was macht man daraus? Also außer weiter? Ich habe keine Ahnung, aber diese altvertraute Asterix-Ahnung, dass einem der Himmel auf den Kopf fallen könnte – es scheint doch etwas dran zu sein. Und Bezüge zu „Don’t look up“ drängen sich ebenfalls in die Gedanken. Es scheint gerade etwas mehr als sonst da oben herumzufliegen.

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Und nicht besonders intelligent war es, auf den ersten Werktag nach dem Urlaub auch einen zahnärztlichen Termin zu legen. Ich rate von solchen Kombinationen nach dieser Erfahrung ab.

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Abgedeckte Segelboote auf einem Steg an der Außenalster

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Ich habe ansonsten den Wolf Haas durchgelesen, den Wackelkontakt. Richtig überzeugt hat er mich dann doch nicht. Direkt hinterher sah ich aber beim Wegstellen des Buches durch einen sogenannten „Zufall“ ein neulich aus dem öffentlichen Bücherschrank erbeutetes Buch eines anderen Autors mit Doppelvokal im Namen: Ein Lied von Sein und Schein von Cees Nooteboom. Und da geht es faszinierenderweise auch um die Verstrickung von Buch und Wirklichkeit, da treten Autor und Figuren in wiederum seltsamen Kontakt und es fängt mich diesmal viel eher ein als das andere Buch.

Ein charmantes Buch über das Schreiben scheint es zu sein, über das seltsame Erwecken von Wirklichkeiten. Fast in einem Rutsch durchgelesen, quasi noch am Regal stehend, das Buch ist eher schmal.

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Hier noch ein Interview aus der SRF-Reihe, es wird aber nur für eine abgedrehte Rand- und Splittergruppe von Interesse sein. Für die aber sehr. Nämlich für diejenigen, die sich für die Folgen unserer geschichtlich immer noch recht neuen Religionslosigkeit interessieren. Es sind eher weniger, die das als Thema bemerkenswert finden, jedenfalls meiner Erfahrung nach, was ich allerdings stets ein wenig bedaure.

Denn ich finde das Thema auch aus religionsloser Perspektive, also etwa von meinem Standpunkt aus, relevant und eher unterschätzt.

Und ich mag es, wenn in solchen Interviews Sätze vorkommen wie etwa „Ich möchte Ihnen bei Sophokles widersprechen …“, denn dann kann ich vermutlich etwas lernen.

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Entscheidungsfragen

Das plattdeutsche Wort des Jahres steht fest, und es ist das so appetitliche und zur Erdbeerzeit passende Schlackermaschü (Schlagsahne). Welches ich meiner Aussprache gemäß eher mit gg schreiben würde, Schlaggermaschü. Aber es gibt im Niederdeutschen eh keine festgelegte Rechtschreibung. Wir sind so frei.

Außerdem gibt es ein neues Wort, welches in die niederdeutsche Sprache integriert werden soll. Das ist diesmal die Upschuveritis (das Aufschieben, das Prokrastinieren). Die Meldung zu beiden Begriffen findet man hier.

Das hochdeutsche Pendant zur Upschuveritis kam dann kurz nach dem Lesen der Meldung oben passenderweise mehrfach im folgenden Interview mit Bas Kast vor. Das mich schon deswegen interessiert, weil er auch über das Thema Entscheidungen ein Buch geschrieben hat und hier in den nächsten Jahren bei den Söhnen größere Entscheidungen anstehen. Entscheidungen, die zum ersten Mal nicht durch die starren Gleise und wenigen Optionen des Schulsystems vorgeprägt sein werden, sondern ungewohnt variabel ausfallen werden. Genau genommen sogar so variabel wie nie zuvor, denn mehr Wahlfreiheit nach der Schulzeit hatte vermutlich bisher keine Generation. Was die Sache selbstverständlich keineswegs einfacher macht.

Ich habe die Vermutung, aber das ist nur ein vollkommen unbelegter Gedanke ohne jede empirische Grundlage, dass in den Jahrgängen der Söhne Zufallsverbindungen eine größere Rolle bei der Berufswahl spielen werden als bei denen, die vor ihnen dran waren. Etwa im Sinne von: „Ein Kumpel macht gerade was in einer Werbeagentur, dann sehe ich mir das da auch einmal an.“ Was dann eine eher lapidar anmutende Art wäre, zu großen Entscheidungen zu kommen. Aber vielleicht ist es auch die genau passende Art für eine Generation, die sich jederzeit umentscheiden kann. Nach aller Voraussicht sogar für lange Zeit, vielleicht lebenslang. Denn sie wissen natürlich, dass dies so ist.

Nun, man wird sehen. Die furchtbare Grundangst jedenfalls, bei der Richtungswahl schwere und folgenreiche, kaum jemals wiedergutzumachende Fehler zu begehen, die meiner Generation noch so vertraut war, die uns auch von den damals wirtschaftswundergeprägten Erwachsenen so gründlich eingeimpft wurde, die nehme ich bei dem, was mir an Jugend zur Beobachtung gelegentlich zur Verfügung steht, bisher jedenfalls nicht wahr.

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In Hamburg ehrt man währenddessen die amtierende Bildungsministerin in ungewohnter Deutlichkeit. Ts.

Die Fassade des Prien-Hauses mit dem Schriftzug Prien in Gold an der Binnenalster.

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Extrameilen und Elvis

Ich müsste das hier in Großbuchstaben schreiben, denn die Hubschrauber, die wegen der sich vermutlich jetzt gerade verausgabenden Ironwomen und -men permanent über der Stadt kreisen, sie sind dermaßen laut, man kann die Kleinbuchstaben kaum sehen.

Aber vielleicht lesen Sie ja später und woanders, und dann wird es gehen.

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Gehört: Drei Folgen des Podcasts „Alles Geschichte“ über das Handwerk. Einmal „Wie Pflasterer die Straßen brachten“, dann über „Die Geborgenheit der Zünfte“, wobei sogar mehrfach das damals in der Schule Gelernte anklang, und schließlich „Die Banausen in Athen“, wobei mit „banausischen“ Tätigkeiten Handwerkliches gemeint ist. Alle Folgen sind etwa 20 Minuten lang.

Man beachte in der letztgenannten Folge den Hinweis, dass es im alten Griechenland kein Arbeitsethos gab. Keine besondere gesellschaftliche Würdigung des Abrackerns im Sinne einer bezahlten Tätigkeit also, keine allgemeine Anerkennung für Überstunden und routinierte Extrameilen.

Darauf dann auch einmal beflissen verweisen, wenn es wieder um abendländische Werte, Errungenschaften, Fleiß etc. geht. Die nächstbeste Gelegenheit dazu wird zweifellos bald kommen.

Außerdem interessant gefunden: Aus dem Geschichts-Podcast „Was bisher geschah“ die Folge „Die Struensee-Affäre – Zwischen Wahnsinn und Aufklärung“. Da geht es auch um das Zurückdrehen politischer Reformen, das ist also auch etwas für die Anhänger der aktuellen Regierungsparteien.

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Unsere Stadt soll schöner werden: Eine riesige Baustellenbrachfläche am Gänsemarkt

Im Bild eine mehrjährige Bauruine in der Innenstadt, am Gänsemarkt, das gehört da mittlerweile so. Es hat auch seinen Reiz, etwas freien Blick zu haben. Wir können so etwas hier nämlich nicht nur als Tower, sondern richten dergleichen auch als Fläche aus.

Die beteiligten Firmen allerdings sind teils identisch.

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Bei meiner eigentlichen Hauptbeschäftigung in diesem Kurzurlaub, dem intensiven und auch zeitlich erfreulich eskalierenden Hören von Musik und dem anschließenden Nachlesen, was es mit diesen Songs und Interpretinnen jeweils auf sich hatte, gab es das Learning des Tages gestern bei Elvis.

Ich habe nämlich nicht gewusst, dass er einen Bob-Dylan-Song aufgenommen hat. Welchen Dylan dann sogar ganz hervorragend fand: „Tomorrow is a long time“ aus dem Jahr 1966. Ein Jahrgang, der nicht nur interessante Songs, sondern auch so etwas Abwegiges wie mich hervorgebracht hat. Die Wikipedia hier zum Song, mit einer Liste von immerhin 27 weiteren Cover-Versionen, man kann weiter testhören. Ich kannte davon nur die ebenfalls gelungene Version von Zee Avi. Mir war nicht einmal die Aufnahme der Ofarims geläufig, und wie isses nun bloß möglich.

Hier jedenfalls der King mit einem allerdings etwas seltsam anmutenden Porträt auf dem Cover:

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Im Rahmen der alltagsbegrenzten Möglichkeiten

Am Donnerstag, etwa gegen 14 Uhr, fing die Entspannung an. Das war einerseits spät, wenn ich bedenke, dass ich dafür insgesamt nur eine Woche Urlaub zur Verfügung hatte und also vier Werktage Anlauf brauchte, um überhaupt einmal in diesen Zustand zu kommen. Kein Wunder also, dass ich außerhalb der Urlaubszeiten eher nicht dorthin finde. Der Anfahrtsweg scheint für mich tatsächlich ein wenig zu lang zu sein.

Es war andererseits gerade rechtzeitig, um noch wenigstens knapp etwas davon zu haben. Und also erneut und nach erheblichem Zeitabstand wieder einmal zur Kenntnis zu nehmen, wie es sich eigentlich anfühlt, halbwegs entspannt zu sein. Ja, halbwegs nur, denn wir sind es schließlich alle nur im Rahmen unserer alltagsbegrenzten Möglichkeiten. Wie es bei Erwachsenen nun einmal fast unabwendbar die Regel ist.

Ich habe den in dieser Hinsicht interessanten Vergleich in den Jugendzimmern. Die Söhne sind, jedenfalls bezogen auf die eher gewöhnlichen Anforderungen des Lebens, in den Ferien entschieden entspannter als ich. Schon auf den ersten Blick und ab der ersten Ferienstunde sind sie das. Ich wüsste gar nicht, wie es geht, irgendwo dermaßen gechillt so herumzuhängen, dass man gleich auf den ersten Blick erkennt, hier macht jemand voller Hingabe genau das, hängt also einfach nur gechillt herum. Und macht dabei auch nichts anderes, weil es doch schon ein volles Programm ist.

Bei mir würde man vermutlich bei flüchtiger Beobachtung, wenn ich jemals so auf einem Möbel anzutreffen sein sollte, zunächst eher Kreislaufversagen vermuten.

Die Söhne sind allerdings altersgerecht außerhalb ihrer Schulzeiten noch mit weitreichender Nichtzuständigkeit für sehr vieles gesegnet, was ihrer Entspannung selbstverständlich enorm zuträglich sein dürfte. Und sie werden, wie vermutlich fast alle Menschen, erst später im Leben verstehen, was für ein unschätzbarer Bonus der Jugendzeit das ist.

Sie sind andererseits, es versteht sich von selbst, bei weiteren Themen mit Sicherheit nicht einmal ansatzweise entspannt. Immerhin sind beide Teenager,  und in dieser Phase neigt man auch gewissen Problemen zu, siehe sämtliche Coming-of-Age-Romane oder -Filme.

Und vielleicht geht es bei diesen Problemen dann sogar um Themen, bei denen ich deutlich entspannter bin als sie. Es hätte am Ende fast einen Aspekt von Fairness.

Aber wie auch immer: Halbwegs entspannt also. Immerhin.

Blick auf die Lonbardsbrücke von der Kennedybrücke aus, im Hintergrund die Fontäne, das Rathaus, alles recht postkartenmäßig

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Im Rahmen dieses Zustandes habe ich dann den Tod von Venedig bis zur Himmelfahrt des Aschenbachs durchgehört (ARD-Audiothek). Dann habe ich den hinterher allerdings drastisch unpassenden “Wackelkontakt“ (Verlagslink) von Wolf Haas angefangen. Ein Buch, zu dem es schon eine erstaunlich ausführliche Wikipedia-Seite gibt.

Das handwerkliche Können im Aufbau der Superspezialkonstruktion der Handlung begeistert mich gleich auf den ersten Seiten des Romans, die Handlung selbst und die Hauptpersonen brauchen länger. Viel länger.

Aber es kommt dann schon noch. Weil Wolf Haas.

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Die Erde von unten und oben

Ich habe brotberuflich ganz am Rande auch mit der Autobranche zu tun, lese also ab und zu auch Meldungen und Berichte wie diese hier in der Wired von der Automesse in Shanghai: „Auto Shanghai 2025 Wasn’t Just a Car Show. It Was a Warning to the West.

Ja, so wird es wohl kommen, wie es dort steht. Und es ist mit einer etwas peinlichen Schadenfreude verbunden, zu denen zu gehören, die es immer schon gesagt haben, seit mittlerweile so vielen Jahren schon. Zweifelsfrei ein charakterlicher Makel, diese Schadenfreude.

Aber was ist schon ohne Makel, that‘s how the light gets in und so weiter.

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In der Hamburger Hauptkirche St. Katharinen schwebt gerade eine Erdkugel von beträchtlicher Größe, ein Werk des Künstlers Luke Jerram, hier mehr dazu beim NDR.

Ich bin hingegangen und habe mir das angesehen. Ich habe Urlaub, ich habe Zeit, ich habe Beweisfotos gemacht. Vor, neben und unter der Erdkugel standen oder saßen Menschen in angenehmer Ruhe und sahen sich die blaue Riesenmurmel in unterschiedlichen Stadien der Ergriffenheit an.

Die schwebende Erde von Luke Jerram in der Katharinenkirche

Die sich bei mir allerdings nicht recht einstellen wollte. Aber bitte, das beweist rein gar nichts. Vielleicht passte nur meine Stimmung nicht, vielleicht habe ich nur auf dem Weg dorthin die falsche Musik gehört. Vielleicht gefällt z. B. gerade Ihnen diese schwebende Erde sehr. Sehen Sie sich das Werk also ruhig an, wenn Sie das in Ihrer Nähe haben, ich möchte keineswegs abraten.

Dier schwebende Erde von Luke Jerram in der Katharinenkirche

Auf dem Rückweg zum lockenden Sofa fiel mir dann aber noch Commander Chris Hadfield wieder ein, Sie erinnern sich vermutlich ebenfalls noch. Es ist auch schon wieder mehr als zehn Jahre her, dass er die seitdem einzig gültige und verbindliche Cover-Version der Space Oddity von David Bowie eingesungen hat.

Ich habe mir den Clip dann direkt auf dem Weg noch einmal angesehen. Auch nach all der Zeit nicht ohne Rührung, also im Rahmen meiner begrenzten hanseatischen Möglichkeiten jedenfalls.

Und so gesehen, nicht wahr, hat sich auch der Besuch in dieser Kirche gelohnt und war keineswegs vergeudete Zeit. Man muss es sich alles nur ausreichend zurechtdenken, es beweist sich immer wieder.

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Daneben stehen und skeptisch gucken

Davon abgesehen bin ich bei einem Gang durch den Stadtteil vom Regen überrascht worden und komplett durchnässt worden. Und während man so ein Ereignis früher als ein lästiges „Schon wieder!“ abgetan hat, verbringt man heute viel Zeit mit dem zunächst vergeblichen Versuch, konzentriert darauf zu kommen, wie lange ein derartiges Vorkommnis wohl her sein mag. Wie viele Monate.

Regen auch im Treppenhaus. Das Wasser kommt dort durch die Decke, wenn es noch weiter oben Richtung Wolkenbruch ausartet. Misstrauisch starre ich daraufhin auch in der Wohnung die Decken der Räume an, ob nicht vielleicht bald überall … Das Haus ist immerhin eines aus den Achtzigern, und diese Gebäude werden gerade reihenweise, fast durchweg vermutlich, als teure Sanierungsdesaster eingestuft.

Und dann dummerweise gerne abgerissen. Aber irgendwas ist ja immer.

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In der Innenstadt wird währenddessen gerüstet für den Ironman am Wochenende. Das Ereignis scheint deutlich größer auszufallen, als es mir klar war, sehe ich im Vorbeigehen. Es gibt sogar Zuschauertribünen, den Sport sehen sich also wohl sehr viele an, das wusste ich nicht. Aber ich kann ohnehin die Idee nicht nachvollziehen, längere Zeit auf rennende Menschen zu gucken. Ich bin da wieder einmal nicht Zielgruppe, man gewöhnt sich daran. Überall nur noch danebenstehen und skeptisch gucken, das passende Krückstockgefuchtel wird sich bald wie von selbst ergeben.

Dennoch habe ich die Sache nachgelesen: Rund 3000 Menschen werden sich an diesem Wettbewerb beteiligen. Wenn davon jede und jeder ein kleines Rudel zum Zusehen und allfälligen Bejubeln dabeihat, okay, es wird sicher voll werden.

An der kleinen Alster am Rathausplatz, auf dem gerade etliche Zeltpavillons für das Event errichtet werden, dümpelt bereits eine Pontonkonstruktion (nicht im Bild).

Die Rathausarkaden an der Kleinen Alster

Dort werden die Sportlerinnen – denn es gibt trotz des Titels der Veranstaltung auch die Iron-Woman-Ausprägung – in die Alster springen, nehme ich an. Und dann an den Arkaden (im Bild) vorbei kraulen, unter dem Jungfernstieg durch, in die Binnenalster und noch weiter. Was tun die sich an und warum.

Wenn man da jedenfalls eine Weile steht, an diesem Startponton, und sich die Leute ansieht, die sich wiederum diese ungewohnte Konstruktion ansehen, kann man bei fast allen sehen, wie ihnen vom bloßen Hinsehen kalt und kälter wird. Es durchzittert sie förmlich bei dem äußerst unangenehmen Gedanken, in dieses sicher eisige Wasser springen zu müssen. Fröstelbewegungen, Kopfschütteln, Abwinken.  Es ist eine Art Dreikampf des Gestenspiels.

Was wiederum ein Begriff ist, den ich gerade erst bei Thomas Mann gehört und erfolgreich mitgenommen habe. Nicht nur Bücher lesen oder hören, nein, auch alles übernehmen und verwerten, was irgend zu gebrauchen ist. So steht es auch immer in den Lebensratgebern.

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Something, something

Ein Hinweis auf Halluzinationen bei der Google-KI. Es geht um ein Thema, bei dem vermutlich vielen Menschen der Fehler aufgefallen wäre. Jedenfalls aber allen, die sich schon einmal mit dem Thema Garten beschäftigt haben.

Unter dem Text gibt es eine Statistik zu Halluzinationshäufigkeiten, was wieder ein besonders schönes Wort der Gegenwart ist. Wenn man Fragen zu einem Fachgebiet stellt, mit dem man sich halbwegs auskennt, kann man die Daten gut nachvollziehen. Und staunt dann ein wenig mehr über die Sorglosigkeit an anderen Stellen.

Anderswo las ich neulich, dass die Halluzinationshäufigkeiten in letzter Zeit steigen, das ist auch mein Eindruck. Gleichzeitig mit deutlichen, beeindruckenden Leistungssteigerungen gibt es also einen signifikanten Zuwachs an Wahnhaftigkeit – so eine AI ist am Ende vielleicht mit Topmanagern vergleichbar.

(Link gefunden via Claudia Klinger)

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Als großer Freund fortgeschritten traurigen Liedguts habe ich mich gefreut, einen von mir bisher übersehenen Song von Laura Marling gefunden zu haben. Dieser Kurzurlaub erweist sich immerhin in musikalischer Hinsicht als sinnvoll und ertragreich.

In ein Lied die Zeile „La la la, something, something Caroline“ jedenfalls so einzubauen, dass es nicht nach trivialem Unfug klingt, sondern eher nach den großen Vorbildern des Songwritings … Respekt, wie überaus gelungen. Und wie wunderbar traurig auch: “I’d like you not to call again.”

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Herr Rau erklärt weiter LLMs, diesmal die Sache mit den Token.

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Die ersten beiden freien Werktage habe ich mehr oder weniger planmäßig mit gar nichts verbracht. Was dann aber fast eine Leistung ist, das so hinzubekommen. Ein Gedanke, dem nicht zu entkommen ist.

Mehrere Mittagsschlafvarianten gab es für mich, kurz, lang und auch mittel, tief und flach, ich habe da Nachholbedarf.

Die Träume waren dann allerdings teils derart brauchbar als Therapieersatz und eindringliche Fortbildung zum Thema „Die nicht ganz so hell belichteten Teile des Buddenbohms“ – ich wachte auf und staunte nicht schlecht. Was das Unterbewusstsein da alles weiß. Wie präzise es das auch in Bildern ausdrücken kann, wie elegant codiert und genau richtig zugänglich verschlüsselt das alles im Ergebnis ist. Wie es als überaus sinnige Handlung dargestellt wird, gewissermaßen deppengerecht vorgeführt – es ist doch manchmal etwas unangenehm, dieses Gefühl, dass das Unterbewusstsein so erheblich schlauer und reflektierter ist als das sonst zuständige Hirn im Wachzustand.

Kein Tag ohne Demütigung, da haben wir es wieder.

Ein "Durchgabg verboten"-Symbolschild im Hauptbahnhof

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Marx, Mann

In der Hamburger Innenstadt gibt es erfreulich viele Plaketten, Inschriften und Gedenktafeln an Häusern und Wänden. Immer noch, nach all den Jahren des Intensivflanierens, entdecke ich neue Exemplare dieser Hinweise. So sah ich gerade erst den Hinweis an einem Haus, dass dort einmal der Verlag war, in dem der erste Band des Kapitals von Karl Marx erschien. 1867 war das, Otto Meissner war der Verleger. Der Verlag war sogar noch bis in die Gegenwart existent, lese ich nach. Er wohnte hier um die Ecke, der historische Herr Meisner. Auch an seinem ehemaligen Wohnhaus im kleinen Bahnhofsviertel ist natürlich so eine Gedenktafel.

In dem Haus, vor dem ich dort in der Innenstadt nahe des Jungfernstiegs stand, in der Bergstraße, ist längst kein Verlag mehr. Normale Innenstadtgeschäfte findet man nun dort, wie man sie in jedem Zentrum ab mittlerer Stadtgröße erwarten kann, und an den Schaufenstern sieht man gerade große Aufkleber: „Alles muss raus!“ Dazu großgedruckte und fröhlich bunte Prozentwerte, welche die möglichen Rabatte für die Kundschaft angeben.

Die Ironie der Geschichte kommt manchmal nicht eben subtil daher. Aber man hat es in diesem Gebäude jedenfalls immer noch mit dem Kapital und seinen seltsamen Gesetzen zu tun.

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Kaum bin ich mit dem Felix Krull in der ARD-Audiothek durch, legen sie dort den Tod in Venedig nach. Als ob man dafür Zeit hätte. Allerdings wird er verlockenderweise vorgelesen von Matthias Brandt, wozu ich kaum nein sagen kann.

Auch wenn ich gerade gar keinen weiteren Thomas Mann im Sinn hatte. Der bei mir ohnehin ein schwieriges, heikles Thema ist, denn ich bin, wie viele aus meiner Heimatstadt, früh einer Überdosis seiner Werke ausgesetzt gewesen, ging auch auf seine Schule, saß in seinem Klassenzimmer, hatte eine Weile lang auch den Schulweg aus den Buddenbrooks etc. Weswegen ich bis heute zwischen wohlverdienter Aversion und angebrachter Verwunderung oszilliere. Pardon, Sie merken, man wird den Felix-Krull-Tonfall nur mit einiger Mühe wieder los.

Das Buch ist übrigens eher schlecht gealtert, denke ich, denn die affektierte Wortwahl des Hochstaplers wirkt heute durch die Veränderung der Sprache unschön verstärkt. Ganz so albern, wie es für uns fast unweigerlich klingt, war das Werk dann doch nicht gemeint, glaube ich.

Bei der Lesung in der Audiothek ist das sogar nachweisbar. Thomas Mann liest da live vor Hamburger Publikum („Es muss nicht immer Lübeck sein, Hamburg tut es auch“, sagt er einleitend), und die Leute, Studentinnen und Studenten sind es, lachen gelegentlich wohlwollend – aber selten und an anderen Stellen, als man es bei einer gegenwärtigen Lesung annehmen müsste.

Aber egal. Das mit der übersteigerten Heiterkeit wird sich dann mit dem Tod in Venedig ohnehin  in Kürze erledigen. Was immerhin gerade schön zum Wetter passt.

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Eine wehende Flagge mit dem Hamburger Stadtwappen, von unten fotografiert vor blauem Himmel mit weißgrauen Wolken

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Bericht aus zehn Metern Fußgängerzone

In der Spitalerstraße kommt mir kurz vor dem Hauptbahnhof ein Geschäftsreisender entgegen, vermutlich ist er eben erst einem Zug aus einer anderen Stadt entstiegen. Eilig hat er es, das sieht man gleich, und warm ist ihm schon geworden, von diesem kurzen, aber doch schnellen Gang durch die belebte Fußgängerzone, in der im Zickzack gehen muss, wer schnell sein möchte. Einen Tagestrip-Rollkoffer zieht er hinter sich her, auf den er oben noch einen Notebook-Rucksack an die Stangen geschnallt hat, die zum Griff führen, an dem er zieht. Einen Mantel trägt er über dem Arm, einen Kurzmantel im Business-Class-Standard-Look. Und eine Mappe hat er unter dem Arm mit dem Mantel. Sicher wichtige Papiere darin für das anstehende Meeting, dem er so zügig entgegenstrebt.

Der Koffer holpert über das Pflaster, er springt und hüpft. Er bockt und verdreht sich schließlich sogar. Der Notebookrucksack löst sich und baumelt, das kleine Gefährt streikt und zickt, es stellt sich quer. Der ziehende Mann bremst unwillig seinen forcierten Schritt. Er dreht den Koffer ruckartig wieder richtig und stellt ihn neben sich ab. Er richtet die Riemen des Rucksacks und hebt einen Zeigefinger. Strengen Tonfalls spricht er den Koffer dann an, und es ist ein Tonfall, den man gut kennt. In jedem Park hat man ihn schon gehört. In genau dieser Art nämlich reden Menschen mit renitenten Terriern und unwilligen Dackeln. Na, darfst du das? Hm? Darfst du das denn?

„So ja nun nicht, mein Freund!“, höre ich den Mann mit hervorgekehrter Autorität zum Koffer sagen, und danach geht die Predigt in dieser Art noch weiter, aber den Rest verstehe ich nicht mehr genau.

Nur etwa zehn Meter weiter unterhält sich eine Rentnerin der besonders gepflegten, damenhaften Art gerade mit den Schaufensterpuppen bei Peek & Cloppenburg. Ein angeregtes Gespräch führt sie mit den starren Figuren. Die ungerührt immer weiter durch sie hindurchsehen. was die Redende nicht im Mindesten stört. Heiter und freundlich plaudert sie weiter mit ihnen, scheint kommentierend zu vergleichen, was sie und die Plastikdamen heute anhaben.

„Ewig werden sie ihr schweigen, nie von den Gestellen steigen“, da passt auch einmal ein Schiller-Zitat (Die Antiken zu Paris, schönes Gedicht, aber das nur am Rande).

Sie spricht mit den Puppen dabei in einer so angeregten Weise, dass man schon beim Zusehen eine Ahnung davon bekommt, dass diese Dame auf jeder Garden-Party eines Konsulats an der Außenalster deutlich zur Belebung beitragen und die Sache mit Sicherheit geschmeidiger für jene machen würde, die durch Smalltalk eher herausgefordert werden. Also etwa für Menschen wie mich, die eher dem Schaufensterpuppenlager zuzurechnen sind.

Aber wie auch immer. Ich halte diese beiden Bemerknisse nur nebenbei fest, ich diktiere sie unauffällig in Stichworten der Notizen-App auf dem Smartphone. Bestimmte Formulierungsideen versuche ich aber probeweise gleich mit. Um gleich beim Entwurf eine Ahnung davon zu bekommen, wie etwas später vorgelesen klingen könnte, was immer ein wichtiger Maßstab für einen Text ist.

Was unterm Strich allerdings heißt, dass auf zehn Metern Fußgängerzone gerade einer mit seinem Koffer redet, eine mit den Schaufensterpuppen und einer mit seinem imaginären Publikum. Aber davon abgesehen, versteht sich, gibt man sich mehrheitlich Mühe, einigermaßen normal zu wirken und nicht weiter aufzufallen. Und den meisten gelingt es auch, wenn man nicht allzu genau hinsieht.

Das Gedicht von Schiller hatte ich vor Jahren einmal in der Version des Clubs der toten Dichter im Blog, fällt mir noch ein. Damals hatte ich das Konzert gesehen, mit Dirk Darmstädter als Leadsänger, ein grandioser Abend war es.

Im Frühjahr 2026 kommt das nächste Programm von ihnen, sehe ich gerade: Morgensterns Galgenlieder, diesmal mit dem Schauspieler Hans-Werner Meyer. Ich kann die Truppe sehr empfehlen.

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Das Wort Love auf einem Regenrohr an einer Hauswand

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