Die Queen of Denmark und anderes

Ein nachgetragener Gedanke zum gestern gezeigten Interview mit Josef Hader beim SRF noch. Etwa in Minute 30 reden Eilenberger und Hader da über ein Zitat von Karl Kraus aus den Zwanzigern des letzten Jahrhunderts: „Wenn es einen Tiefpunkt gäbe, hätten wir ihn längst erreicht.“ Eilenberger versucht hiermit, apokalyptische Empfindungen der Gegenwart zu relativieren. In dem Sinne, dass es immer schon alles schlimmstmöglich war, je nach Betrachtung. Hader erwidert vollkommen zu Recht, dass es zehn Jahre später tatsächlich zu einem Tiefpunkt kam, auch für Kraus. Man wird es kaum bestreiten können.

Ich denke schon länger, dass es bei manchen Sätzen, die unreflektierten Optimismus verbreiten sollen oder die Krisen der Gegenwart aus einem eher seichten und diffus wellness-orientierten Prinzip heruntergewichten wollen, zweckmäßig ist, sich dieses Szenario vorzustellen: Hätte man diesen Satz etwa 1923 gesagt, wie sehr hätte man sich wohl im Rückblick von 1945 aus dafür schämen müssen?

Kein willkommener Gedanke, ich weiß. Aber ich bin allergisch gegen „Es wird schon gutgehen.“ Denn das hilft so nicht weiter. Oder wie Hader sagt: „Ich glaube nicht, dass Sorglosigkeit so ein gutes Programm ist.

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Weiterhin gesehen: Noch ein SRF-Interview. Diesmal mit Gerhard Roth zur Willensfreiheit. Es macht einen auch nicht dümmer.


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Beim urlaubsmäßig intensivierten Musikhören lese ich nicht nur die Bios der Künstlerinnen nach, sondern ab und zu auch die Texte. Ich versuche manchmal auch, früher vielleicht Übersehenes neu zu bewerten. Und stoße etwa auf den Song „Queen of Denmark“ vom geschätzten John Grant, den ich damals, als ich zum ersten Mal auf ihn stieß, nicht abgespeichert oder playgelistet hatte, nur einige Songs drumherum auf dem Album. Warum auch immer, heute finde ich das Stück hervorragend.

“I wanted to change the world
But I could not even change my underwear
And when the shit got really, really out of hand
I had it all the way up to my hairline
Which keeps receding like my self-confidence
As if I ever had any of that stuff anyway.”

Auf Youtube gibt es auch eine Coverversion dieses Songs von Sinéad O’Connor, mit der John Grant häufig zusammengearbeitet hat.

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Und Herr Rau erklärt uns LLMs.

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Der Schriftzug "Love" in pinkfarbener Schrift auf der Tür zu einem Verschlag für Container an einem Wohnhaus

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Wunderliche Entwicklungen

Gehört: Die ARD-Audiothek hat beim Thomas Mann nachgelegt und einige Kapitel aus seinem „Felix Krull“ zur Verfügung gestellt, die er selbst eingelesen hat, beginnend mit der Musterungsszene. Hier entlang.

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Gesehen: Josef Hader im Interview bei den Sternstunden SRF Kultur. In den Kommentaren schreibt jemand, das Interview habe ihn „intellektuell gelockert“.

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Außerdem ist mir gerade danach, lange und konzentriert Musik zu hören. Ich höre, warum auch nicht, manchmal Gesamtwerke am Stück. Es gibt gar nicht so wenige Personen in der Geschichte der nichtklassischen Musik, bei denen kann man das schaffen. Denn so viel haben sie nicht zustande gebracht, manchmal nicht mehr gewollt, manchmal nicht mehr gekonnt. Zwei, drei Alben vielleicht nur. Der Spaziergang wird, je nach Künstlerin, Künstler oder Band, dabei vielleicht etwas länger, aber das gilt sogar als gesund.

Bei Fred Neil war ich da gestern, den Sie vielleicht nicht kennen. Der aber gar nicht so unwichtig war und eine angenehm markante Stimme hatte, die man leicht wiedererkennt. Hier die englische Wikipedia zu ihm, viel informativer als die deutsche Variante. Zum ersten Kennenlernen ist das Album „Bleecker & MacDougal“ unbedingt zu empfehlen.

Hier ein Beispielstück von ihm, mit dem man vom Titel her hymnisch auch manchen Tag beginnen kann: „Yonder comes the blues.“

Es gibt von ihm nur eine einzige Filmaufnahme, was man in seinen Kreisen damals vermutlich auch erst einmal schaffen musste. Der Clip ist ebenfalls hier auf Youtube zu sehen. Beim lernbeflissenen Nachlesen seines Lebenslaufs und seiner künstlerischen Laufbahn stieß ich wiederholt auf Formulierungen, die seine späten Jahre etwa als „subsequent slide into obscurity“ oder ähnlich formuliert beschreiben.

Ich lese das sowohl mit Interesse als auch mit einem leichten Verdacht und lese sicherheitshalber auch noch einmal die beiden Bedeutungen des Wortes obscurity nach: „the state of not being known to many people“ einerseits, „the state of being not clear and difficult to understand or see“ andererseits (Quelle). Lese ich also und überlege dann einen Moment.

Denn es ist nun so, dass ich recht oft solche Lebensläufe nachlese. Von musizierenden, schreibenden, malenden, schauspielernden und anderen Menschen, über deren Wirken man irgendetwas Nachlesbares verzeichnet hat. Ich finde solche Lebensläufe oft interessant. Und ich stelle dabei fest, was ich mittlerweile kaum noch überlesen kann – ich habe eine ausgeprägt sympathiegetriebene Neigung zu Menschen, die wiederum eine Neigung zu einer Entwicklung haben, die im weitesten Sinne diesem slide into obscurity im späteren Leben entspricht.

Zwar mit einigen und auch deutlichen Variationen des Themas, aber ich traue meinen Fähigkeiten in der Mustererkennung doch so weit. Es ist, was es ist.

Da also auch mal drüber nachdenken, nicht wahr. Man hat immerhin Vorbilder und Idole, um ihnen am Ende auch zu folgen. Welchen Sinn hätten sie wohl sonst. Man muss es aber für sich passend umsetzen, welchen Sinn hätte sonst das eigene Wirken und Leben. Wie aber slidet man am schönsten in Obscurity, welcher Definition neigt man dabei zu. Und ab wann eigentlich slidet man genau, wie fängt man an und wie geht man dabei vor?

Ja, mach nur einen Plan. Aber, es versteht sich fast von selbst, verrate ihn keinem.

Beim DWDS wird das Adjektiv obskur übrigens fast durchgehend negativ ausgedeutet. Von dubios bis zwielichtig. Erst ganz am Ende der verwandten Begriffe findet sich das rettende „wunderlich“.

Das war knapp.

Straßenkunst, verwirrend ineinander übergehende Profilskizzen an einem Brückenpfeiler unter einer U-Bahn in der Hamburger Innenstadt

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Mehr machen, weniger machen, irgendwas machen

In der aktuellen Ausgabe des Podcasts Lage der Nation geht es gleich am Anfang um die Aussagen des Kanzlers und seiner Konsorten zum Thema Mehrarbeit. Zu ihrer Aufforderung an das Land, gefälligst mehr zu leisten. Ein paar Appelle auf die Schnelle, man kennt das. Aber die Studien und Statistiken, die man da als Belege an uns, also an das zu motivierende, sackfaule Volk, durchreicht, sollten vielleicht etwas kritischer betrachtet werden. Mehr dazu hier.

Die Forderung, mehr zu arbeiten, wird außerdem in einer Zeit gestellt, in der an anderer Stelle alle davon ausgehen, dass wir weniger arbeiten müssen. Rund um das Thema AI ist das die gängige Schlussfolgerung. Es ist ein feststehendes Schema, dass die Influencerinnen vom Fach in ihren Filmchen ein neues Tool jeweils mit der Botschaft vorstellen, wie viele Arbeitsstunden in der Woche sie damit auf einmal sparen. „It saves me eight hours per week!

Wobei niemand von denen jemals aussagt, was sie mit dieser gesparten Zeit anfangen, das fällt auch auf. Vielleicht zählen sie in jenen Stunden das Geld, das sie anderen versprechen, mag sein.

Aus diesen Mixed Messages der Zeit und der Trends ist eine naheliegende Frage abzuleiten. Nämlich was genau wir unter diesen Voraussetzungen mehr leisten sollen. Ich habe nicht gesehen, dass die Frage beantwortet wird. Nicht einmal ansatzweise, auch nicht als Idee, als Gedankenmodell.

Aber wie auch immer. Wenn man gleichzeitig mehr und weniger arbeiten soll, wenn die Geschichte paradoxe Anforderungen an uns stellt, muss man neu denken. Oder überhaupt denken, je nachdem.

Ein Rettungsring an der Trostbrücke in der Innenstadt, dahinter der trockengefallene Fleet

So scheint es für mich auf den ersten Blick ein passender Ausweg zu sein, das Sein ausdrücklich als Arbeit zu verstehen. Was philosophisch auch leicht zu untermauern sein dürfte, schon das bloße Herumexistieren macht immerhin erhebliche Umstände, und sei es nur im Geiste. So gesehen erfüllt zweifelsfrei jede Stunde länger, in der man einfach nur ist, etwa auch auf dem Sofa, beide Forderungen. Man bewältigt souverän und nach besten Kräften die Last der Existenz, ohne dabei aber etwas zu tun, was auch die Software uns abnehmen könnte oder sollte. Und da wir alle immer älter werden, jedenfalls im Schnitt, als es unseren Vorfahren vergönnt war, können wir diese katzenhaft verbrachten Stunden des konzentrierten Einfachsoseins auch als Überstunden und Extrameilen verstehen.

Wenn wir in diesem seriösen Sinne so sind, hat es selbstverständlich auch den Charakter eines Werkes. Denn alles, was wir ernsthaft genug betreiben, wird uns unwillkürlich zur Arbeit. Weswegen auch für die reglos verbrachte Stunde auf dem Sofa zu gelten hat: Herr Buddenbohm war stets bemüht.

Doch, ich denke, das geht so auf. Ich kann meine kurze Woche Urlaub, die ich gestern nach den letzten Überstunden und dem Zuklappen des Home-Offices noch etwas zögerlich, rat- und ideenlos begonnen habe, auch gleich als Experimentalphase in diesem Themenfeld nutzen.

Es passt also wieder sehr schön zusammen, fein, fein.

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Hollywood Sadcore, Hammerbrook Workforce

Auf dem mittwochmorgendlichen Weg ins Büro sehe ich in der S-Bahn auf dem Smartphone zufällig, dass man Lana Del Rey dem Genre „Hollywood Sadcore“ zuordnen kann. Den Begriff kannte ich noch nicht, aber er gefällt sofort. Später sehe ich beim Streamingdienst einige Playlists nach, die diese Zuordnung im Titel haben. In denen ist dann viel Lana Del Rey, und zwar nur Lana Del Rey. Sie ist die Schublade selbst. Ähnlich wie es in deutschen Literaturgeschichten jeweils ein Kapitel „Goethe“ gibt, eine Einzelpersonen-Schublade und -Show.

Muss man auch erst einmal schaffen, so etwas.

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Ein Werktag in dirty old Hammerbrook ansonsten. Wenig Bemerknisse zu verzeichnen. Nein, gar keine, null, nada. Nur die üblichen Komplikationen, dazu bekannte Eskalationen und Sonderfallroutinen. Was man so macht.

Das Büroprogramm allgemein fällt aber, so ist es immer kurz vor freien Tagen und Urlaubswochen, doch etwas schwerer als sonst. Die Motivation ist allmählich endenwollend. Und vor dem Bürofenster steht schon wieder als beharrliches Mahnmal der Lieferwagen mit der appellierenden Aufschrift: „Besser zuhause“.

Währenddessen pfeift ein wenig maienhafter Wind durch die Stadt. Nordwest bis West, gekühlte Grüße vom Meer elbabwärts. Aus den Außengastrobereichen fliegen wieder die Servietten davon, weiß flatterndes Treibgut in den Brisen. Die noch verbleibenden Gäste dort fragen wieder nach den wärmenden Decken und stellen außerdem zitternd die Entscheidungen zur Schulterfreiheit noch einmal grundsätzlich in Frage.

Bei uns in der Wohnung pfeift es in der Lüftung, als säßen wir in einer Blockhütte am Nordkap, und vor den Fenstern fliegen Möwen in Adlerdimensionen vorbei. Nordisch by nature, denke ich mir. Und versuche dennoch hartnäckig weiter, mich auf mein Hörbuch zu konzentrieren, das in den heißen Tropen spielt und heute kaum gegen die Szenerie um mich herum ankommt.

Beim Einkauf am frühen Abend wünscht mir die Kassiererin nach dem Bezahlen ein schönes Wochenende. Sie überlegt dann kurz irritiert und sagt: „Ach nein, ist ja Montag.“ Ich korrigiere sie nicht. Jedem seine eigene kalendarische Verwirrung, das haben wir uns alle längst verdient. Ich fühle nur intensiv mit, denn bei mir ist es gefühlt tatsächlich bereits Freitag. Ihr Wunsch war daher an den passenden Kunden gerichtet und vollkommen in Ordnung.

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Heute dennoch den Donnerstag abwickeln, versteht sich. Alles immer dennoch machen, es bleibt doch eine der verlässlichsten Regeln im Leben.

Farbiger Kreideschriftzug auf dem Pflaster: "Mach die Welt bunter"

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Porträt des Autors als Action-Star

Weiterhin bin ich übrigens hochzufrieden mit dem gerade gehörten „Tropenkoller“ von Simenon, gelesen, und zwar richtig gut gelesen von Charly Hübner, der mir gerne auch noch mehr vorlesen dürfte. Und auch mit dem nach guter alter Art abends auf Papier gelesenen „Scoop“ von Evelyn Waugh. Sehr gute Wahl, dieses beides, echtjetztmal.

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Demnächst habe ich eine Woche Urlaub, ohne dass damit allerdings besondere Pläne verbunden wären. Am Ende wird es, das sehe ich deutlich kommen, eine dieser Urlaubswochen sein, die man unwillkürlich mit Notwendigkeiten nichtberuflicher Art füllt, um sich am Ende dann über die zumindest auf den ersten Blick vertane Zeit zu ärgern. Ich nehme an, Sie kennen das. Wobei aber alle Kenntnis wenig zu nutzen scheint, es fällt dennoch schwer, derartiges gekonnt zu vermeiden. Mir zumindest.

Andererseits hilft es womöglich, diese Entwicklung vorzeitig und gleich mit händeringender Klageprophylaxe zu benennen. Denn ich weiß doch längst, dass dieses Blog ein erstaunlich wirkmächtiger Wort- und Textzauber ist.

Aber apropos Text und Wirklichkeit. Vor ein paar Tagen kam erfreuliche Briefpost, in der zu lesen war, dass die Regelung unserer Angelegenheiten, wie man so sagt, also Testament, Verfügungen etc., die wir im Winter unternommen hatten, nun abgeschlossen sei. Es wurde alles geregelt und durchsortiert. Wenn wir also ab jetzt plötzlich und dann wohl versehentlich ins Jenseits abbiegen würden, dann zumindest gutbürgerlich, gediegen und ordentlich, zumindest was die weltlichen Reste des Besitzes und der Organisation angeht.

Unterm Strich doch ein gutes Gefühl und, wie ich neulich schon einmal schrieb, eine Art Peak Erwachsensein.

An diesem Tag, an dem der Brief bei uns im Kasten war, versuchte man, mich umzubringen. Immerhin einigermaßen originell, mit einem Hartschalenkoffer der etwas überdimensionierten Art. So ein Koffer, in den Zubehör für eine Fernreise von vier Wochen passt. Das geschah auf einer Rolltreppe im Hauptbahnhof, die zu den U-Bahnen hinunterführte. Das sind diese etwas ungewöhnlich langen Rolltreppen. Bei denen man als Gast der Stadt bei erster Benutzung vielleicht so etwas denkt wie: „Oha, da geht es aber tief runter!“ Und genau so ist es auch.

Ein menschenleerer Gang in der Hamburger U-Bahnstation am Hauptbahnhof

Da fuhr ich also hinab, wie ich es an jedem Tag tue, und war schon fast unten, als es hinter mir rumpelte und jemand etwas rief. Ich drehte mich nach den Geräuschen um und reagierte dann in einer Weise actionfilmtauglich, die ich mir ernsthaft schon seit längerer Zeit nicht mehr zugetraut hätte. Denn es flog da dieser Hartschalenkoffer etwa in Kopfhöhe und in hoher Geschwindigkeit auf mich zu, großkalibriges Geschoss nichts dagegen.

Aber wie gesagt, ausgewichen wie Jackie Chan. Weder mein Rücken noch ich hatten auch nur eine Ahnung, noch derart beweglich zu sein.

Reisende hatten oben am Kopf der Treppe beschlossen, ihre riesige Gepäckmenge allein hinunterfahren zu lassen. Das wird man ja nicht alles festhalten müssen während einer so ruhigen Fahrt, was soll denn schon passieren? Da stellt man den Koffer kurz hochkant auf diese Stufe und guck, da fährt er schon hinunter. Und oh, da stürzt er und nimmt nach zwei, drei ungelenken Hopsern über die nächsten Stufen auch ganz ordentlich Fahrt auf.

Dann gellende Schreie der Warnung, dass man bloß nicht noch so kurz vor der Abreise jemanden erlegt. Denn das wäre ja ebenso ärgerlich wie hinderlich, dazu noch versicherungstechnisch gewiss verdammt kompliziert. Sehr erfreulich also, dass der Typ am unteren Ende der Treppe dann gelassen wie ein Shaolinmönch reagierte. Hätte man ihm gar nicht angesehen, solche Skills.

Na, wie auch immer. Wäre ich nicht ausgewichen, hätte dieser Koffer mich also womöglich erlegt, die Herzdame hätte sicher für den Rest ihres Lebens immer wieder erzählt, dass am gleichen Tag, als damals dieser Brief bezüglich des Testamentes kam …

Aber wer hätte ihr das schon geglaubt.

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Und hier noch eben ein entspanntes Sommervideo. Sozusagen im Vorausgriff auf die Woche nach dem Urlaub, zumindest vom Titel des Songs her. Chillen am See mit Fortuna Ehrenfeld:


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Montag, Mehrarbeit

Der Wochenfehlstart am Montagmorgen diesmal mit enttäuschten Erwartungen, anschwellenden Alltagssorgen und geisttötender Gesamtlage bei immerhin gutem Wetter, wie man es früher nannte. Man nimmt, was man kriegen kann, und schlimmer geht es immer.

Fast hätte ich am Morgen allerdings nichts geschrieben, keinen Blogeintrag und auch sonst nichts, sondern gleich das Home-Office gestartet. Noch vor den üblichen Bürozeiten, zu arg streberhafter Stunde. Denn der Kanzler möchte doch, Sie werden es gelesen haben, dass wir alle mehr arbeiten, wir faulen Hunde. Das mit den Hunden hat er nicht gesagt, nur gedacht, und auch das wissen wir nicht genau.

Kreideschriftzug auf dem Pflaster: "Die Unfähigkeit nimmt sich zu ernst"

Dann fiel mir in letzter Sekunde gerade noch der rettende Gedanke ein, dass das Schreiben bei mir doch auch Arbeit ist. Wenn man mehrere Berufe hat, so wie ich, dann muss man die jetzt wohl oder übel gegeneinander ausspielen. Man wird nicht in beiden gleichzeitig mehr, noch mehr leisten können, Multitasking ist ein Märchen, wie wir lange schon wissen. Aber wonach entscheidet man da, was wählt man, wie gewichtet man seine Prioritäten. In welchen Teil des Tages oder der Woche gehört die so dringend benötigte Mehrarbeit denn nun, wo stapelt man die Stunden hin.

Das sagt einem wieder keiner.

In den Philosophie-Arbeitsblättern des einen Sohnes geht es gerade um den Utilitarismus, las ich am Sonntag. Dabei entscheidet man jeweils, so steht es da jedenfalls in der Kurzfassung, alle Fragen nach dem größtmöglichen Glück oder doch wohl eher Nutzen für die größtmögliche Anzahl von Menschen. Also in der Folge der jeweiligen Entscheidung.

Und ich habe, da gibt es gar nicht viel zu überlegen, bei weitem mehr Leserinnen als Kolleginnen. Zumindest dann, wenn ich die Firma einmal auf ihren deutschen Teil beschränke, und wer kann schon immer einen Weltkonzern mitdenken. Also bitte.

Und dann schrieb ich also doch wieder weiter und mehr. That was easy!

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Zu den Fundstücken des Wochenendes gehörte noch das folgende in der Ukraine gedrehte Video, welches mit dieser vielversprechenden Einblendung begann: „Starring Florence Welch as herself and Bill Nighy as her anxiety“, und ich fand es ab diesem Moment schon geradezu unwiderstehlich.

Aber auch sonst, wie sagt man – relatable.

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Monday – Crying in my Latte

Ich habe am Wochenende viel Zeit auf YouTube verbracht und stundenlang Musik von damals angesehen. Es war gerade das entspannteste Chill-Verfahren, das mir spontan zur Verfügung stand, und das dabei ebenso mach- wie bezahlbar wirkte. Ich habe dabei aber auch noch anderes gefunden, nicht nur Songs. Etwa die Schweizer Sendung SRF Kultur Sternstunden. Die kannte ich nicht, da könnte ich mir aber noch einiges ansehen, denke ich.

Angefangen habe ich mit Sven Regener. Der hier über die Kunst und das Leben spricht, auch über das Verfassen von Romanen und Liedtexten, das Handwerk des Schreibens und den Kern und Sinn des Ganzen.

Das fand ich alles interessant. Ich habe mir manche Sätze sogar zweimal angehört, quasi maximale Eskalation.

Ein nachdenkender Mensch ist er, der Herr Regener, da höre ich dann gerne zu. Bei aller Tiefe der Gedanken war mir aber diese eine Gesprächsstelle besonders sympathisch, in der er der Schweiz scherzhaft „Schnee, Berge und solchen Kram“ attestierte. Woraufhin die Moderatorin etwas pikiert und als Schweizerin sichtlich getroffen anmerkte, dass Berge doch wohl kein Kram seien. Und er antwortete: „Doch, sehr großer Kram.“

Der Schriftzug "Liebe" ganz unten an einem sehr dreckigen Schaufenster

Ebenfalls aus dieser Reihe sah ich das Interview mit Ian McEwan über gelingendes Leben. Was ich für eine ausgesprochen schreckliche Formulierung halte, aber egal. In dem Gespräch ging es auch um seinen Roman „Lektionen“, den ich neulich erst gelesen und für gut befunden hatte.

Im Musikbereich habe ich unter anderem gesehen, dass die Sparks nach wie vor aktiv und vorne sind. Ihr fortgeschritten schräges Video mit der in Reclamgelb tanzenden Cate Blanchett habe ich vor zwei Jahren zwar komplett verpasst, es scheint mir aber hervorragend geeignet für einen Montagmorgen. An dem sich die Zielgruppe für die im Refrain genannte Beschäftigung bekanntlich immer wieder sprunghaft vergrößert: So many people are crying in their Latte.

Wenn man als Ausgleichsmaßnahme wieder Amüsement braucht, kann man einfach die zahlreichen Kommentare unter dem Clip lesen, auf dem Marktplatz der Meinungen wird dort vieles angeboten. Diesen Kommentaren entnahm ich auch das schöne Wort Reclamgelb und las außerdem mit Vergnügen, dass auf Konzerten der Band nun stets mehrere Frauen in diesem Outfit aus dem Video erscheinen und der Choreografie der Schauspielerin folgen.


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Bedarfsmeldungen

Ob ich nicht vielleicht einen Euro hätte, fragt mich jemand aus liegender Position am Wegesrand aus einem Schlafsack heraus, schon bei meinem ersten Gang vor die Tür. Ob ich Kleingeld hätte, das fragt ein anderer Mensch etwas später. Ob ich irgendetwas hätte, und das geht dann immer so weiter, durch das kleine Bahnhofsviertel, durch die Innenstadt. Die Fragen fahren in der S-Bahn mit und reichen bis Altona. Ob ich gerade mal einen Schein hätte, ein paar Münzen oder irgendwas an Geld. Eine kleine Spende, etwas Hilfe, eine Unterstützung. Ob ich denn nicht etwas übrig hätte. Alle formulieren etwas anders, und manche strecken einem die leeren Hände dabei bettelnd entgegen, manche nicht. Crackjunkies sind dabei, welche die Hände gar nicht ausstrecken können, weil sie die fortwährend auf die Eingeweide drücken müssen, in denen es krampft.

Pappbecher werden mir entgegengehalten, leere Dosen, eine Mütze, ein Hundefressnapf.

Manche der Bettelnden lächeln. Manche haben längst leere Gesichter, ein Mann weint. Aber der, würden manche wohl einschränken, und das kennt man schon von dem, der weint ja immer. Und dann zählt es weniger, meinen sie vermutlich damit, und ich weiß nicht, ob sie Recht haben. Aber es stimmt, er weint immer, wenn man ihn sieht.

Sie sammeln jedenfalls alle Geld, ich sammele die Varianten der Wünsche.

Ob ich einen Kaffee ausgeben könnte. Ob ich ein Brötchen abgeben könnte, aus meiner Papiertüte da. Und es wird darauf gezeigt, auf diese Tüte, denn die sieht groß aus, es ist eben eine Familientüte. Ob ich vielleicht was zum Kiffen hätte, ob ich eine Zigarette hätte, eine Schachtel Zigaretten, irgendetwas zum Rauchen oder, lachend gefragt, sonstige Drogen, nein? Ob ich ein paar Bier holen könnte.

Ob ich einen Moment Zeit hätte. Ob ich helfen könnte, ob ich kurz mal gucken könnte. Das Letzte wird in gebrochenem Deutsch gefragt. Eine Frau spricht mich an und zeigt zur Erklärung auf eine kleine Gruppe weiter hinten, vor einem Supermarkt. Da steht eine zu mir gestikulierende Frau, die etwas besser Deutsch spricht als die, die mich angesprochen hat, aber auch nicht sicher. Und die wiederum spricht mit einer alten Frau, die im Rollstuhl sitzt und zahnlos um Hilfe bittet. Die Frauen verstehen nicht, worum sie bittet, aber sie nehmen die Lage ernst, wie es aussieht. Hier braucht jemand etwas, da kümmert man sich. Dieses eine Wort, welches die Frau im Rollstuhl so oft wiederholt, das kennen sie aber nicht. Und dann haben sie mich gesehen.

Ich sehe sowohl einheimisch als auch ansprechbar aus, muss ich wohl ableiten. Letzteres ist eine eher neue und mich überraschende Entwicklung, aber es bestätigt sich in letzter Zeit immer wieder. Ich entwickle mich, sicherlich alters- und kleidungsbedingt, zum Grüßgesicht und zur Vertrauensperson mit Betreuer-Ausstrahlung. Ohne dem in den meisten Fällen auch nur ansatzweise gerecht werden zu können.

Die Frau im Rollstuhl spricht Deutsch, ich spreche das auch. Ich verstehe also gleich, worum sie bittet, nämlich um eine Tube Meerrettich. Da haben wir die seltsame Vokabel. Gibt es Meerrettich in der türkischen Küche, das müsste ich erst nachschlagen. Aber nicht sofort, das wäre unhöflich und würde im falschen Augenblick ablenken.

Eine blaue Tube Meerrettich hätte sie gerne, wie sie gleich darauf präzisiert, und die Farbe wird stark betont. Womöglich gibt es auch andersfarbige Tuben, die dann aber falsch wären, die will sie nicht. Sie habe leider kein Geld, sagt sie, fast gar kein Geld, und zuhause nur noch trocken Brot. Warum sagt man trocken Brot und nicht trockenes Brot, aber egal. Sie hätte jedenfalls so furchtbar gerne Meerrettich dazu, und zwar den aus der blauen Tube, aus der blauen! Aber kein Geld habe sie nicht, sagt sie, fast nichts habe sie. Und mit dem Rollstuhl komme sie ja auch gar nicht durch diesen engen Bahnhofs-Supermarkt, in dem es tatsächlich volksfesthaft voll ist, und der sei doch auch so eng. Und dann mit dem Rollstuhl.

Die beiden Frauen, die mich angesprochen haben, sehen unserem Dialog noch kurz zu und gehen dann weiter. Sie sind hier fertig und hatten so weit Erfolg.

Ich habe Zeit und ich habe auch genug Geld für eine Tube Meerrettich. Ich gehe in den Laden, suche das Zeug und stehe dann Zeit in der Warteschlange an der Kasse ab. Es ist mir aber alles recht, ich höre Musik dabei und sortiere Playlists. Dabei kann man ruhig noch etwas anderes machen und sogar fremden Leuten helfen, wenn es sich so ergibt. Draußen nimmt die Frau im Rollstuhl die Tube entgegen und sagt mit deutlicher Überraschung in der Stimme: „Und dann kauft der sogar das Richtige!“

Als hätten, wie in einem Märchen vielleicht, sechs falsche Prinzen vor mir schon falsche Tuben gekauft. Dabei habe ich im Markt nachgesehen, es gibt den da überhaupt nur in blauen Tuben. Wie auch immer, die Frau wirkt äußerst erfreut, strahlt und will mir dann doch noch ein paar Münzen in die Hand drücken, die ich nicht nehmen möchte. Ich winke ab und gehe weiter. Sie ruft mir laut Lob und Dank hinterher. Durch die Bahnhofshalle ruft sie, dass die Passanten sich kurz umsehen.

Unfreundlichkeiten und Schmähungen werden einem in dieser Stadt leichter und häufiger nachgerufen, denke ich und setze die Kopfhörer wieder auf. Und dass das jetzt immerhin ein positiver Moment an diesem Tag gewesen sei, das denke ich auch. Manchmal muss man sich selbst darum kümmern, dass es welche davon gibt, und dann kosten sie gerade so viel wie eine blaue Tube Meerrettich. Manchmal fallen sie einem einfach zu, diese Momente, aber dann fallen sie weniger auf.

Ob ich von hier sei, werde ich ein paar Meter weiter gefragt. Mit einer vagen Geste, die etwas zaghaft und unsicher durch die Bahnhofshalle kreist. Als ob irgendwer von da sei. Ich sage: Mehr oder weniger. Und erkläre, denn das wollten die Städtereisenden wissen, die mich da gefragt haben, wo die Züge nach Flensburg abfahren. Lost in Altona.

Ein Gleis am Bahnhof Altona

Ob ich einen Euro hätte, werde ich zehn Meter weiter wieder gefragt. Oder Kleingeld oder etwas Essbares. Ob ich etwas kochen könne, fragt schließlich ein Sohn, aber da bin ich schon wieder zuhause. Ob ich mir die Philosophie-Arbeitsblätter des anderen Sohnes mal ansehen könne, das fragt mich die Herzdame. Die Blätter zu den deontologischen Entscheidungen. Was auch immer das sein mag, den Begriff habe ich nie gehört. Oder ich habe ihn vergessen.

Es werden so lange Bedarfe angemeldet, bis man sich selbst am Abend fragt, ob man nicht auch ins Bett gehen könnte, ob man lesen könnte, chillen könnte, schlafen könnte, unzuständig für alles.

Ob ich bitte etwas Nettes träumen könnte, frage ich noch ins Ungewisse. Und dann habe ich keinen Bedarf mehr.

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Sommervorbereitungen

Es werden in den Medien gerade Annahmen zum Sommer in diesem Jahr veröffentlicht, die ich nicht sympathisch finde. Höllensommer, Hitzesommer, das ist nun wirklich nicht nach meinem Bedarf. Das brauche ich nicht, nein, das lehne ich sogar ab. Wo kann ich irgendeine sinnlose Petition dagegen unterschreiben und hinterher darüber bloggen, um als engagierter Bürger etwas getan zu haben, also zumindest gefühlt.

Die S-Bahn-Station in Hamburg-Hammerbrook

Aber dennoch – immer auf alles vorbereitet sein! – stimme ich mich schon einmal ein und denke mit. Oder ich versuche es wenigstens. Literaturgestützte Prophylaxe durch geschickte Titelwahl, das geht nämlich auch, siehe Bibliotherapie. Von Blogtherapie spricht übrigens wieder keiner, damit müsste auch einmal jemand anfangen, aber das nur nebenbei. Wenn man Blogtherapie googelt, findet man vor allem bloggende Psychotherapeutinnen, und so war es gar nicht gemeint.

Wie auch immer, ich höre jedenfalls den „Tropenkoller“ von Georges Simenon, übersetzt von Hansjürgen Wille, Barbara Klau und Ulrike Ostermeyer, ungekürzt gelesen von Charly Hübner. Ein Buch aus dem Jahr 1933, einer von Simenons ersten Non-Maigret-Romanen.

Die Geschichte spielt in Gabun, der Autor kam aus Belgien und schrieb in Frankreich, der Vorleser und der Hörer kommen aus Norddeutschland, einmal West, einmal Ost. Was für ein Gemisch der Regionen und Kulturen, aber es stört gar nicht. Unpassend ist eher, dass die Hauptperson darunter leidet, in der Geschichte nichts zu tun zu haben. Er findet kein To-Do unter der tropischen Sonne, weit und breit nicht. Da fällt es mir nicht unbedingt leicht, mich einzufühlen, meine Lage ist doch etwas anders.

Aber egal, Herausforderungen einfach mal annehmen, auch wenn es um die Vorstellungskraft geht.

Damit mir die Gegenwart und ihre unerfreulichen Themen beim Hörgenuss aber nicht flöten gehen, schreibt der Herr Simenon im Roman kritisch über Rassismus. Und wenn man zusätzlich etwas sekundär nachliest, findet man selbstverständlich, es kann fast nicht anders sein, wiederum vehemente Kritik an seiner Rassismuskritik. Debattenverästelungen und Komplikationen ganz nach Belieben. Man kann es alles beflissen zur Kenntnis nehmen, man kann es auch lassen, es ist auf jeden Fall wie immer alles sehr kompliziert. Darauf immerhin ist Verlass.

Passende Musik fand ich dazu, denn der radikalsympathische Herr Hübner, der mir da gerade so gekonnt über eine tragisch scheiternde Liebe in den Tropen vorliest, er spielt auch in einem thematisch adäquaten Video mit. Gemeinsam mit seiner Frau und dann noch zur Musik einer ohnehin geschätzten Band.  Ich bin so weit zufrieden, doch, doch.

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Ein Lied, beim Rasieren zu pfeifen

„J’ai la mémoire qui flanche”, singt Jeanne Moreau 1963. „Mein Gedächtnis lässt nach.“ Ein Lied von Serge Rezvani (bzw. Cyrus Bassiak, so sein Pseudonym), der vorher auch das viel bekanntere „Le Tourbillon“ aus dem Film Jules et Jim von Truffaut geschrieben hat.

Hier eine Aufnahme, die wie nebenbei gemacht wirkt, und so war es wohl auch tatsächlich. Nicht so munter und vergnügt hüpfend im Klang wie die Schallplattenaufnahme dazu, aber es ist ausreichend für meine kleine Maimusikreihe.

J’ai la mémoire qui flanche
J’me souviens plus très bien
Comme il était très musicien
Il jouait beaucoup des mains
Tout entre nous a commencé
Par un très long baiser
Sur la veine bleutée du poignet
Un long baiser sans fin.

„Mein Gedächtnis lässt nach, ich erinnere mich nicht mehr genau. Aber weil er sehr musikalisch war, spielte er viel mit den Händen. Alles begann mit einem sehr langen Kuss auf die blaue Ader am Handgelenk, ein Kuss ohne Ende.“

Die Übersetzung ist von mir und ist also ohne Gewähr, da nur unteres Schulniveau. Am Schluss des Chansons, um das noch eben rücksichtlos zu spoilern, bleibt dem schwächer werdenden Gedächtnis der singenden Dame nicht einmal mehr sein Name bewusst. Nur noch die kleine Melodie, die er immer morgens beim Rasieren gepfiffen hat, sie bleibt von ihm und von der kleinen Geschichte zwischen ihnen.

Wenn das Lied im Kopf nach dem Abspielen des Videos noch etwas nachhallt, kann man diese Melodie selbst kurz pfeifen. Auch wenn sie einem dann auf einmal etwas schwieriger vorkommt, als sie gerade noch geklungen hat. Es ist dennoch gut für die Stimmung, ich habe das gerade für Sie getestet.

Und weil die andere, die große Geschichte überall nachwirkt und bleibt, weil das beherrschende Thema „Der Rechtsradikalismus in diversen Jahrzehnten“ sich wirklich überall und immer wieder spiegelt, zitiere ich noch eben aus der französischen Wikipedia zu dem Lied:

Es enthält eine Anspielung auf die Farbe „Grünspan“ (Übersetzung des Feldgraus der Wehrmacht während der Besatzungszeit).

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Blick vom Rathausmarkt zu Sankt Petri

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