And in between we do a lot of standing around

Auf gedanklichen Umwegen, die sich jeder Nachvollziehbarkeit entziehen, lande ich am Wochenende bei Warren Zevon (Wikipedia-Link) und trage dann nach engerem Kontakt mit seinem leider überschaubarem Gesamtwerk einen Empty-Hearted-Town-Ohrwurm davon. Es gibt Schlimmeres, kann man sich da immer noch sagen, und man hat mit Sicherheit Recht dabei.

Es ist zwar nur dirty old Hamburg, dessen verregnete Wege ich im aufziehenden Unwetter beschreite, aber zum innigen Mitsummen reicht in einem anständigen Oktober vermutlich jede beliebige Großstadt aus:

“I’m walking down the sidewalks of LA
Wishing I had a warmer jacket
And the leaves are falling down.”

***

Jemand sitzt unter einem Schirm an Anleger Jungfernstieg und sieht auf die Binnenalster

***

Im Regen und im Sturm sehe ich, und es wird wohl ein sogenannter Zufall sein, während eines Spaziergangs fünf Menschen aus unterschiedlichen Altersgruppen, die an unterschiedlichen Stellen des Stadtviertels trotz der äußerst ungünstigen Wetterbedingungen Eicheln, Kastanien und vielleicht auch anderes Zeug unter Bäumen aufsammeln. In einem Fall sogar aus einem Rollstuhl heraus, mit einem langen Greifer. Das ist keine leichte Übung, sehe ich im Vorbeigehen, da gibt sich jemand viel Mühe. Ein anderer Passant bietet Hilfe an, das wird freundlich abgelehnt. Nur Selbstgesammeltes zählt vielleicht.

In einem anderen Fall wird trotz offensichtlich heftiger Rückenschmerzen der sammelnden Person etwas zusammengeklaubt, lautes Stöhnen beim Aufrichten und Bücken. Und dann sehe ich noch eine Sammelnde, die ist längst so nass, wie man im stundenlangen Hamburger Herbstregen nur nass werden kann, wenn man weder geeignete Outdoorkleidung noch einen Schirm dabeihat.

In den Kitas wird also wieder gebastelt, denke ich. Thoughts and prayers für das Betreuungspersonal, mich hat es damals nicht begeistert, dieses Basteln mit den Kindern. Wobei die Söhne erfreulich wenig ambitioniert waren, weiß ich noch. Das kam mir entgegen in jener Zeit.

Wenn man nun aber fremd hier wäre, denke ich dann weiter und sehe den Sammelnden noch eine Weile zu, wenn man unsere Gebräuche nicht kennen würde, die Sitten nicht und auch nicht die Traditionen, was würde man sich dann wohl zusammenreimen. Wenn man die Menschen in dieser Stadt da so sieht, wie sie unter dem nassen, herumwehenden Laub ausgerechnet bei diesem Wetter nach den Kastanien suchen, die da zwischen der Hundekacke, den Scherben und den Kippen unter den großen Bäumen liegen.

Wie sie Plastik- und Leinenbeutel mit den seltsamen Früchten, Nüssen oder was sie nun genau sein mögen, füllen, und wie sie das alles emsig wegschleppen. Würde man sich fragen, ob man die am Ende nicht doch essen kann? Und ob bei Regen und Sturm vielleicht aus irgendeinem Grund die besten Exemplare fallen, die größten, die leckersten dieser Kugeln? Oder würde man sich fragen, ob man die womöglich verkaufen kann, diese immerhin ganz hübschen braunen Dinger, an die Anhänger des Kunsthandwerks oder gar an Touristen. Die kaufen eh alles. Hamburger Herbstkastanien im Präsentkörbchen oder so, ein beliebtes Mitbringsel, fast klingt es plausibel.

Man stellt sich doch nicht einfach so in den Regen. Wobei … wie es bei Wolfgang Borchert hieß, dessen Denkmal nicht weit von hier steht:

„Stell dich mitten in den Regen,

glaub an seinen Tropfensegen,

spinn dich in das Rauschen ein

und versuche, gut zu sein.“

Aber davon abgesehen: Nein, man stellt sich doch nicht einfach so mitten in den Regen und sammelt irgendwas auf. Oder doch?

Man kann sicher auch zu Schlüssen kommen, deren Denkmuster wieder bei Asterix belegt sind: „Die spinnen, die Hamburger.“

***

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Alles mit Maß und Ziel

Ein weiterer Fall von „And so it begins …“. Ein Fall zwar, der ganz und gar nicht unerwartet kommt. Den ich aber dennoch als stets bemühter Chronist hier verzeichnen möchte, gerade weil man in Norddeutschland damit gerechnet hat und nur der Zeitpunkt bisher nicht genauer definiert war. Man hat es jedenfalls dann erwartet, wenn man nicht etwa seit zwanzig Jahren alle Nachrichten weiträumig vermieden hat. Der erste Artikel also, zumindest der erste, den ich mitbekomme, in dem es um die Aufgabe deutscher Küstenregionen geht.

Dann wollen wir mal sehen, wie schnell wir im Laufe der nächsten paar Jahre da noch ein „That escalated quickly“ dranpappen können. Also zumindest quickly in einem geschichtsbuchmäßigen Sinne.

Passend dazu regnete es gestern beim Schreiben dieser Zeilen sintflutmäßig und ganztägig. Was mich daran erinnerte, dass in Gebieten wie etwa auf der Halbinsel Eiderstedt keineswegs nur das Meer etwas vom Land will, sondern auch die Starkregenmengen auf dem Land ein nahezu unlösbares Problem darstellen können. Denn was nicht abfließen kann, das ist erst einmal da und füllt dann eben aus, was es vorfindet. Man kennt es auch aus Badewannen.

Später am Tag kamen die ersten Sturmflut- und Orkanwarnungen der Saison auf den diversen Apps dazu. Dazu sah ich vor dem Balkon die jagenden, dräuenden, dunkelgrauen Wolken über dem Kirchturm. Die Wetterfahne in wildem Umschwung, die pfeilschnellen Möwen im Wind. Es fügte sich alles wieder passend und schon fortgeschritten oktobrig zusammen.

Regendunkle Straße im kleinen Bahnhofsviertel

***

Ansonsten trägt das Laub unten auf dem Spielplatz nun eindeutiger und bald auch schon mehrheitlich und wie immer den ganz großen Trends verpflichtet die gewohnten Herbstmodefarben. Immer öfter kommen in diesen Tagen auch Vögel diverser Sorten auf unserem Balkon vorbei, um sich kurz über die Nusssituation zu informieren. Es sind routinemäßige Revierprüfungen.

Es gibt bei uns bisher allerdings noch keine Nusssituation. Das stellen sie dann auch schnell und kopfschüttelnd fest und fliegen mehr oder weniger dezent schimpfend (im letzteren Fall sind es Elstern) weiter. Vermutlich um die Sache auch bei unseren Nachbarinnen und Nachbarn einmal kurz anzugehen: „Wir möchten mit Ihnen über Nüsse sprechen.“

„Wird Herbst da draußen“, sang die Knef damals, und das kann man sich auch in jedem Jahr wieder anhören, finde ich, wenn es doch passt. Hier der YouTube-Link.

Und Fenster blicken ernst, entschlossen,

als sähe keiner rein noch raus.

Ein Pudel schüttelt sich verdrossen,

ein Unbekannter hat beschlossen:

Wird Herbst da draußen, und in mir.

Für meine bewährte Playlist mit den 65 Variationen zu „Les feuilles mortes“ ist es allerdings noch etwas zu früh im Jahr. Das Laub hängt noch zu fest an den Bäumen und am abgelaufenen Sommer. Es wird erst in zwei, drei Wochen mitsamt den alten Erinnerungen und dem vielleicht neu dazugekommenen Bedauern zusammengeharkt und entsorgt werden können. Aber ich spiele doch schon einmal auf einem Spaziergang durch die regendunkle Stadt die stildefinierende Version von Montand an, um zu prüfen, ob ich den Prévert-Text noch kann.

Der Text kommt mir jedes Jahr etwas anders vor, stelle ich dabei fest. Aber das liegt nur an den vergehenden Jahren und an den stattgehabten Erfahrungen, das liegt nicht etwa an variabler oder upgedateter Lyrik. Ich kann eine ansprechende Menge vom Text noch mitsingen, also in aller Dezenz, versteht sich.Das habe ich gar nicht erwartet, ich gönne mir daher eine winzige Dosis Selbstzufriedenheit und Stolz, einen ganz kleinen Moment nur. „Alles mit Maß und Ziel“, wie mein Vater zu sagen pflegte. Ich weiß nicht, ob er wusste, dass es ein Statement von Goethe war, welches er häufig zitierte. aber das ist ja auch vollkommen egal. Beide jedenfalls, sowhl mein Vater als auch Goethe, haben sich eher nicht daran gehalten, haben es nur gesagt oder geschrieben. Vielleicht haben sie es aber immerhin gesagt, also gedanklich parat gehabt, so könnte ich es auch sehen.

Kennen Sie die Talkshow-Version dieses Liedes von den toten Blättern? In der Yves Montand einfach so singt, ganz unvermutet, aus dem Stand, oder nein, aus dem Sitzen. Ohne Begleitmusik jedenfalls, ohne alles. Und es ist fantastisch, es ist eben Montand.

Vielleicht lesen Sie hier noch nicht lange genug mit, um diese Version zu kennen. Das wäre in diesem Fall sehr gut, es wäre fast beneidenswert. Denn dann können Sie die Aufnahme jetzt kennenlernen, das muss schön sein. Beachten Sie bitte auch die Frau im Publikum direkt links hinter dem Sänger – so guckt man also im Moment der Epiphanie.

Et la mer efface sur le sable
Les pas des amants désunis.”

Schon dafür hat sich dann das Schulfranzösisch gelohnt, nicht wahr.

Hier der Weg zum Chanson als Link, nachfolgend eingebunden:

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Just one more text

Ich weiß gar nicht, wie das nun wieder kommt, aber neuerdings kann ich jeden Text hier fast komplett durch Ergänzungen zum vorhergehenden Text füllen. Das war doch sonst nicht so, was sagt mir das jetzt. Werde ich allgemein rückbezüglicher und was soll das heißen, wenn es so sein sollte. Ist es am Ende auch wieder ebenso altersgerecht wie erwartbar? Bloggen wie ein etwas verschlissener Columbo im angeschmuddelten Trenchcoat. Also nachlässig winkend aus dem Raum, aus dem Text gehen. Dann aber kurz innehalten, sich umdrehen und diejenigen, die einem da gerade nachsehen, unvermutet behelligen mit: „Just one more thing …“

Aber wie auch immer. Hier jedenfalls eine kurze, nachgereichte Doku zum gestern erwähnten Vince Guaraldi. Von dem es weiterhin faszinierend wenig Bewegtbilder zu geben scheint, oder zumindest hat YouTube wenig vorzuweisen.

Es tritt in diesem Clip kurz auch Charles M. Schulz auf, dann hat man den ebenfalls einmal gesehen.

Nachfolgend eingebettet, hier auch als YouTube-Link.

***

Dann eine weitere Ergänzung. Caroline Wahl kam neulich bei mir vor, ich erwähnte auch, dass ich ihre Bücher nicht gelesen habe. Und zwar habe ich sie nicht etwa aus Gehässigkeit oder Voreingenommenheit nicht gelesen, sondern nur so nicht gelesen, wie man eben vieles, im Grunde fast alles, nicht gelesen hat. Weil man nun einmal nicht alles gelesen haben kann.

Markus Gasser aber hat sie auf seine professionelle und dabei sympathische Art gelesen und hält uns darüber einen kleinen Vortrag, den ich interessant fand. Ähnlich wie von dem ebenfalls neulich erwähnten Tilman Spengler findet man von Markus Gasser übrigens viele, viele Literaturvideos in handlicher Länge auf YouTube. Falls man zwanzig, dreißig Minuten zwischendurch sinnvoll füllen möchte, kann ich diese Folgen empfehlen.

In seinem Video über Patrick Süskinds Parfüm (hier) unterteilt er als ausgesprochen leidenschaftlicher Leser die Literatur einerseits in Bücher, die man bereits liebt, und andererseits in solche, die man noch nicht zu lieben gelernt hat. Das ist eine dermaßen freundliche, den Schreibenden weit entgegenkommende Definition, die man vielleicht selbst dann im Sinn behalten sollte, wenn einem spontan gegenläufige Argumentationslinien einfallen.

Sein Video zu Caroline Wahl hier als Link und nachfolgend eingebunden. Er liest darin auch etwas von ihr vor, und diese Stelle zumindest gefiel mir.

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Ab und zu werfe ich grundlos einen Blick auf die Liste der kognitiven Verzerrungen in der Wikipedia, sie kam hier früher schon mehrfach vor. Ich halte das für empfehlenswert, da Zweifel am eigenen Rechthaben jederzeit ausgesprochen sinnvoll sind. Wenn man die vielfältigen Möglichkeiten der geistigen Entgleisungen durchgeht, kommt man jedenfalls schnell zu dieser Schlussfolgerung, denke ich.

Und dann hier und da auch einmal etwas genauer nachlesen, weil es doch ein so faszinierendes Gebiet ist. Etwa die „Turkey Illusion“ von Bertrand Russell. Eine Denkfigur, die mir auch gut für den Smalltalk geeignet zu sein scheint, leicht zu erklären, leicht anzuwenden. Mit einem leichten Grusel mag man vielleicht nach Kenntnisnahme die eigenen Schätzungen und Hochrechnungen im Alltag analysieren und sich fragen, wo diese spezielle Illusionsform überall möglich ist.

Von diesem Truthahn ist es schließlich nicht weit zum berühmteren schwarzen Schwan, und wenn Sie den genauer nachlesen, stellen Sie vielleicht beim Lesen in der Wikipedia ebenso überrascht wie ich fest, dass es mittlerweile auch die Denkfigur des grünen Schwans gibt.

Ich sage es ja, wenn man nicht dauernd aufpasst!

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Etliche pinkfarbene Gerbera in Ginflaschen als Vasen auf einem Tisch in der Außengastro

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Für die Neigungsgruppe KI und Technikfolgen hier noch ein Deutschlandfunk-Podcast zu einem weiteren eher abgründigen Thema: „KI und Erinnerungen – Wie KI unseren Blick auf die Vergangenheit trübt“ (31 Min.).

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Geschichtliche Kreise und Schleifen

Gestern war auch eine Art Feiertag, weil ja immer einer ist. In diesem Fall war es der Jubiläumstag der Peanuts-Geschichten von Charles M. Schulz. Am 2. Oktober 1950 erschien seine erste Folge, ich hörte dazu einen erhellenden Podcast beim SWR, über den Zeichner und die großen Fragen des Lebens (28 Min.). Alltagssituationen, so heißt es da, werden bei den Peanuts ins Grundsätzliche erhoben, das mache ihren Reiz aus. Dieses Muster wird Menschen, die Literatur, Blogs oder auch Filme und Serien konsumieren, irgendwie bekannt vorkommen.

Passend zu den Peanuts und zum großen Kürbis sah ich im Discounter auch die ersten Halloween-Süßigkeiten, Weingummivampire und dergleichen. Diese Süßigkeiten, die in ärgerlicher Unordnung der zeitlichen Abläufe stets erst nach den ersten Weihnachts-Süßigkeiten in die Läden kommen, wie ich wiederum krückstockfuchtelnd anmerken muss.

Aber egal. Man muss sich weniger aufregen, nicht mehr. Aber es ist eine Unordnung in der Welt, an der Menschen mit Sinn für Systeme verzweifeln müssen, das ist jedenfalls auch so ein Gesetz. Und ob nun Kürbis, Halloween oder Peanuts, Hauptsache Herbst, nicht wahr.

Und wenn es Herbst ist, woran kein begründeter Zweifel mehr bestehen kann, und wenn man an die Peanuts denkt, dann schalte man bitte die folgende Musik dazu (hier auch als YouTube-Link). Es ist, möchte ich meinen, fast eine Art von heiliger Pflicht. Und der Oktober eignet sich ohnehin auch gut als Vince-Guaraldi-Gedenkmonat. Er hat so einen etwas oktobrig anmutenden Klang in vielen Stücken.

***

Eine Anmerkung noch zu der gestern erwähnten Podcastnacht, die weiter unten weiterhin beworben wird.  Sie ist nämlich wieder ein Beispiel für ein Phänomen, das ich seit vielen Jahren mit Kulturschaffenden aller Ausprägungen in dieser Stadt diskutiere, nämlich für die stetig weiter abnehmenden Chancen, Termine solcher Art auch nur annähernd so erfolgreich zu verbreiten, wie es „früher“ einmal selbstverständlich war. Wobei sich das „früher“ diesmal auf eine Zeit bezieht, in der es noch eine oder sogar zwei große Regionalzeitungen gab, drei, vier Fernsehsender und im Falle von Großstädten auch noch eine Zeitschrift mit akribisch und in Handarbeit gelisteten Terminen, sowie beflissen zusammengetragenen Hinweisen auf Regelmäßiges und Neues.

Blick über die Binnenalster vom Jungfernstieg aus, eine Taube fliegt halb angeschnitten durchs Bild

Man kann es vermutlich nicht mit Zahlen belegen, aber raten kann man es, was sich da geändert hat. Vielleicht hat man früher unfassbare 70 % des Zielpublikums erreichen können, vielleicht verbleibt man heute unter 20 %. So in der Art wird es wohl ausfallen, was sich da verschoben hat, nehme ich an. Auf eine Weise hat es sich verschoben, an der man zumindest auf den ersten Blick keinen Vorteil erkennen kann, wenn man den Blick einmal auf das Thema Termine verengt.

Es ist also kaum möglich, einen solchen Terminhinweis so zu streuen, dass „man“ das zur Kenntnis nehmen kann. Also „man“ in einem weit gefassten Sinn. Es ist eher kategorisch unmöglich.  Und dummerweise muss man da nicht bei Veranstaltungen dieser Art aufhören, es geht auch um viel Größeres, um Ausstellungen in Museen, um Opernpremieren, Festivals etc., die wir nicht mehr allgemein teilen können, die nur noch spezielle und immer noch spezieller werdende Segmente erreichen.

Allgemein werden wir nur noch bei den aktuell letzten Resten der großen Gemeinsamkeit, also bei den riesigen Sportveranstaltungen. Die bis heute noch sogar im allgegenwärtigen Smalltalk derart verankert sind, dass man sie fast unweigerlich auch dann mitbekommt, wenn man nicht einmal das allergeringste Interesse dafür aufbringen kann. Die Informationen dazu werden uns gewissermaßen reingedrückt.

Nebenbei gedacht hört dieses Thema aber bei Terminen nicht auf. Es bezieht sich auch auf Informationen aller Art, die immer schwerer geteilt werden können. Ein bekanntes Beispiel war etwa diese Großaktion mit dem Führerscheintausch, bei der weithin auffiel, dass es unfassbar viele Menschen einfach nicht mitbekommen haben. Teils bis heute nicht. Aber die Aktion läuft noch bis 2033, da geht also noch etwas.

Man könnte aber, wenn man wieder etwas romanhaft denkt, sich auch ein Land in naher Zukunft vorstellen, dem gerade etwas passiert. Das, vorstellen kann man sich ja alles, etwa angegriffen wird, sagen wir, von einem aggressiven Nachbarstaat. In langsamer Eskalation, erst nur per Störaktion mit Drohnen und dergleichen, dann Sabotagen, schließlich Überfälle – und es bekommen einfach nicht genug mit. Es ist eine geschichtlich relevante Situation, die sich den Menschen dieser Gegenwart aber einfach nicht erschließt. Oder doch nur einem sehr kleinen Teil, den man für so einen Roman selbstverständlich braucht. Die Topcheckerinnen, die allfälligen Heldenfiguren.

Wenn wir mal fünfzig Jahre weiterdenken, vielleicht nur dreißig, dann sind wir womöglich schon so weit. Oder ich finde es zumindest erstaunlich gut vorstellbar. Die Menschen werden dann keinen Weg mehr finden, ihre Informationslage zu synchronisieren und abzugleichen. Sie müssen das erst wieder mühsam herstellen und sich erkämpfen. Sie erfinden dann, tadaaa, vielleicht so etwas wie eine gedruckte Hamburger Wochenzeitung.

Auch bei Science-Fiction denkt man fast unweigerlich irgendwann in geschichtlichen Kreisen und Schleifen, nehme ich an.

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Gäste und Essen auf Wiedervorlage

Ein Update zu der weiter unten beworbenen und neulich angekündigten Hamburger Podcastnacht am 13.10. erreicht mich gerade, eine Informationsanreicherung. Des Inhalts, dass nun auch die Gäste bei dem Event feststehen, worunter etwa Tobi Schlegl (Wikipedia-Link) zu finden sein wird, den Nicola Wessinghage interviewen wird, die Sie im besten Fall von ihrem Blog kennen.

Außerdem kommen die Wissenschaftssenatorin dieser Stadt, Maryam Blumenthal (Wikipedia-Link) und Onur Elci von der Kitchen-Guerilla.

Es gibt noch Karten für den Abend im Hansa-Theater, eventuell sieht man sich dort?

***

Ich bin hier durch drei beim Essen und auch beim Timing eher etwas schwierige Mitmenschen, die ich aus familiären Gründen bei der Planung allerdings schlecht ignorieren kann, als Koch des Hauses deutlich eingeschränkt in der Auswahl der möglichen Gerichte, die ich zubereiten kann. Also mit Erfolg zubereiten kann. Wenn ich diesen Erfolg daran messen möchte, dass möglichst alle möglichst viel davon verspeisen. Deswegen gibt es gewisse Mahlzeiten bei uns in sehr absehbarer Heavy Rotation. Die sind daher längst als regelmäßig wiederkehrende Termine in der Kalender- und To-do-App eingetragen, die kommen also alle 14 Tage oder monatlich vor. Und vermutlich könnte ich einige davon auch wöchentlich kochen, die kantinenverdorbene Bande hier würde dennoch jedes Mal ohne Murren zustimmend nicken und zufrieden kauen.

Ein Schild in der Außengastro: Wir platzieren Sie gerne!

Da poppen die Gerichte dann also auf, in dieser App, und ich muss nicht weiter nachdenken, über Varianten und Neuigkeiten sinnen oder gar Saisonalität und Regionalität in Betracht ziehen. Das sind alles zu hehre Ziele für uns, aber das finde ich gut und zeitsparend. Und lachen kann ich dabei manchmal auch, wie ich gerade gemerkt habe. Als ich nämlich in der App auf den morgigen Tag sah, über dem der sinnige Hinweis „German Unity Day“ stand, und darunter dann das, was ich qua ewiggleicher Abfolge an diesem Freitag zu kochen haben werde, der diesmal auf einen Feiertag fällt: „Kartoffelsuppe mit Wurst.“

Es fügt sich wunderschön, denkt man da doch, wie deutsch ist das denn. Ein Speiseplan wie von Söder oder so, und das Timing war nicht einmal Absicht.

Aber gut, so soll es sein. Morgen werde ich dann vermutlich leise kichernd kochen. Einigkeit und Wurst und Freiheit, dazu die Aussicht auf stimmungsaufhellende Momente in der Küche. Und dann diese unfassbare Blasphemie, wenn die Wurst im Topf aber pflanzlich ist. Denn um auch bei dieser Gelegenheit als rotgrünversifft in einem fast schon altmodischen Sinne durchzugehen, braucht es doch unbedingt einen kleinen Dreh.

Ich habe noch etwas widerständigen Ehrgeiz, er regt sich hier und da.

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Bestätigungsgeblogge

Lektüre-Update: Die „Zeit der Unschuld“ von Edith Wharton (Perlentaucherlink) habe ich durchgelesen, das waren sinnvoll gefüllte Stunden. Das Buch hat, wenn Sie sich für so etwas interessieren, ein ausgesprochen feines Unhappy-End. Sehr durchdacht, sehr klug und so weise, so tugendsam auch, wie es im richtigen Leben wohl niemals zu erleben wäre. Aber es ist doch schön, davon zu lesen, denn wer immer strebend sich bemüht etc. Irgendwo muss die Motivation für diese ganze Chose hier auf Erden ja herkommen.

Von Edith Wharton also Weiteres vormerken und später lesen, da geht noch etwas.

Nun aber erst einmal auf dem Nachttisch ganz oben: „Orlando“ (Wikipedia-Link) von Virginia Woolf. Deutsch von Melanie Walz. Einer Online-Rezension entnehme ich diese Bewertung: „Ich habe mich gelangweilt und verstanden habe ich nichts.“

Wenn ich also beim Studieren dieses Werkes nur ein klein wenig verstehe, werde ich schon wieder einem anderen Menschen etwas voraushaben. Und das ist doch toll, in unserer so überaus konkurrenzorientierten Welt. Wir nennen es sportliches Lesen.

Oder so.

***

Ich habe doch noch einen kleinen und vermutlich nun wirklich letzten Nachklapp zur abgelaufenen Reisesaison. Eine Verstärkung dessen ist es allerdings nur, was ich bereits mehrfach geschrieben habe und was Sie vermutlich auch längst denken. Warum nehme ich es dann hier auf? Weil Bestätigung manchmal auch guttut, versteht sich.

Einen Podcast hörte ich. Er bleibt unverlinkt, denn ich will mich keineswegs über den Menschen lustig machen, den ich gleich zitieren werde. Ich denke, dass er in einem gewissen Sinne mit seinem Denkfehler für uns alle steht und eine Art von gesellschaftlicher Fehlleistung abbildet, zu der wir also sämtlich neigen. Es ist daher egal, wer es genau war und in welcher Quelle, es ging in diesem Podcast auch gar nicht ums Reisen. Nur ein kurzes Nebenbei-Thema war das.

Da erwähnt jedenfalls jemand den geplanten Urlaub im nächsten Jahr. Er will in ein eher kleines europäisches Land reisen. Und recherchiert also rechtzeitig, was es da alles gibt. Vorher war er noch nie dort. Er sucht nach den Hotspots in diesem Land, was muss man unbedingt gesehen haben, was sind die absoluten Highlights.

Und dann sagt er, dass er das aber alles noch genauer nachlesen wird, wo er da hinwill, denn „das soll da ja nicht so touristisch überlaufen sein“. An diesen weithin bekannten Hotspots, die in jedem Reiseführer, auf allen Online-Travel-Portalen stehen und lebhaft empfohlen werden, zu denen er nun auch will.

Es beweist erneut, so denke ich jedenfalls, dass wir, wie intelligent und geistig sortiert auch immer wir sein mögen, offensichtlich einfach nicht in der Lage sind, uns selbst als Touristen wahrzunehmen. Touristen können kategorisch nur andere Menschen sein. Es gibt zu dem Begriff einfach keine passende Ich-Form. Le touriste, c’est ne pas moi, wie es ein berühmter französischer König selbstsicher formuliert hätte.

Touristen werden außerdem, auch das ist absolut regelhaft, stets mit zumindest einem Anklang von Abwertung wahrgenommen und geschildert, oft aber auch mit vernichtender Kritik und großer innerer Distanz. Von fast allen Menschen werden sie so geschildert, quer durch sämtliche Bildungs- und Sozialschichten. Und zwar selbst dann noch, wenn diese Menschen selbst gerade reisen und in einer langen Schlange vor irgendeinem Hotspot anstehen. Kommt in diesem Moment ein Mensch mit Mikro vorbei und befragt sie dazu, beschweren sie sich verlässlich über all die anderen. Auch das kam so in einem Podcast neulich vor, ich hörte die Interview-Ausschnitte.

Und ich finde das überaus faszinierend.

Eine Tafel vor einem Restaurant mit der Aufschrift "Currywurst Hawaii"

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Es ist bloß ein Trick

Einerseits war es überraschend und traf mich ärgerlich unvorbereitet, dass und wie mich dieser Montag unerwartet von hinten angefallen, brutal ins Alltags-To-Do-Gestrüpp am Wochenrand gezerrt und mich dort derart durchgenudelt hat, dass ich mir hinterher kurz geradezu trostbedürftig vorkam und mir einen Moment der Schwäche gönnte.

Andererseits bin ich aber erfahren genug, so etwas schlicht mit einem Mittagsschlaf zu heilen. Und war auch vor längerer Zeit ausreichend weise genug, also im Rahmen meiner eher bescheidenen Möglichkeiten, mein Leben so einzurichten, dass Mittagsschlaf möglich ist. Prioritäten, sie sind so wichtig.

Und, als Ergänzung zum stets wichtigen Bereich „Andererseits“, verfüge ich durchaus über Mittel und Wege, dem Monster Stress zu begegnen. Über mehrere verfüge ich sogar. Wie so ein Mensch, der alle Ratgeber gelesen und gut verstanden hat. Wie ein Mensch fast, der anderen raten könnte, jedenfalls hier und da. Ich nehme aber an, dass meine Lösungen nur für eine, wie sagt man, bemerkenswert eng gefasste Zielgruppe geeignet sind. Man muss am Ende wohl wie ich sein oder gar ich sein, um meine Methoden sinnvoll zu finden.

Und wer ist schon alles ich, nicht wahr.

Ich wollte nur eben sagen: Meine vor längerer Zeit schon entdeckte Vorliebe für das Wiederlesen von vor allem älteren Büchern, die mir erstens einmal etwas bedeutet haben und die zweitens auch darüber hinaus eine gewisse Bedeutung haben, in literarischer, philosophischer oder geschichtlicher Ausprägung, diese Vorliebe erweist sich immer mehr als überaus praktische und fast jederzeit anwendbare, dabei auch noch spottbillige Wellness-Maßnahme für stressige und wilde Zeiten.

Es ist eine Maßnahme, die schon unsere Vorfahren eingeführt und lange Zeit durchgetestet haben. Und nun denke ich, sie wussten tatsächlich, was gut war. Auch wenn sie natürlich nur mangels anderer Möglichkeiten darauf verfallen sind.

Einfach diesen Roman noch einmal anfangen, das Standardwerk, das man schon mitsingen kann, oder den Gedichtband erneut aufschlagen, in dem einen nichts mehr überraschen kann. Vom bloßen Deep Reading unserer Jugend zum Very Deep Reading des älteren Erwachsenen also. Es wirkt bei mir. Ich kann mir, auch wenn Sie das Beispiel vielleicht gleich ein wenig albern finden werden, zum zwanzigsten Mal eine Stelle von R. L. Stevenson durchlesen oder vorlesen lassen, etwa den Anfang der Schatzinsel, und ich entkomme schon nach wenigen Minuten auf seltsame Art der Geschwindigkeit und auch den Belastungen unserer Zeit.

Es hat etwas an sich, dieses Wiederlesen, das den Moment verstetigt und die Stunde neu chronifiziert. Als würde die digitale Anzeige der Uhrzeit am Bildschirmrand gegen das langsam schwingende Pendel einer alten Standuhr getauscht.

Es ist bloß ein Trick. Aber es ist eben ein Trick, der funktioniert. Und was ist am Ende nicht nur ein Trick, wenn wir alle unsere schlau zusammengesuchten Maßnahmen zur Lebensbewältigung einmal kritisch inspizieren. Aber wo kommt man da gedanklich hin, wir müssen hier abbiegen.

Eine Straße am Hamburger Hafen im Nebel

Eine Geschichte lese ich jedenfalls, in der uns jemand etwas erzählt. Der dabei berichtet, dass er eine Geschichte gelesen hat, in der wiederum eine Geschichte erzählt wurde, in der jemandem erzählt wurde, dass es da eine alte Geschichte gibt, die sich aus verschiedenen Berichten zusammensetzt, und zwar wie folgt …

Das ist die Anfangskonstruktion von Storms Schimmelreiter, das ist der einigermaßen grandios konstruierte Einstieg. Ich sehe mir die Seiten noch einmal an, weil ich diesen Anfang besonders gerne mag, auch weil ich Theaterkarten für das Stück habe, das auf dem Roman beruht, und weil ich schließlich denke, dass Storm einfach nicht genug für dieses Konstrukt gewürdigt worden ist.

Dieses Erzählkonstrukt, bei dem er hoffentlich einen Heidenspaß gehabt hat. Und bei dem wir uns vorstellen können, wie er da in seinem Arbeitszimmer in Husum saß und vielleicht – genau wie ich eben! – diese Ebenen der Rahmenerzählungsverschachtelung zwischendurch noch einmal absichernd an seinen Fingern abgezählt und dann zufrieden genickt hat.

Dann geht es wieder. Wenn ich gedanklich erst bei so etwas gelandet bin, dann wird fast alles wieder etwas einfacher und auch langsamer. That was easy!

Und ich habe auch nur ein paar Jahrzehnte gebraucht, um diese feine Methode der Entspannung zu finden und um sie souverän und fast jederzeit anwenden zu können.

Geht doch.

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Korrekturbedarf und kulturelle Verluste

Am Wochenende hatte ich unerwartet gleich zweifach mit dem Kolonialismus zu tun.

Denn zum einen sah ich, weil Ghana gerade in einem meiner Texte vorkommt, noch einmal nach, warum es eigentlich so viele Menschen aus Ghana in Hamburg gibt. Es ist die mit Abstand größte Gemeinde aus Afrika in dieser Stadt, es wird also eine Geschichte geben. Die Erläuterungen dazu führten dann bis zum Stichwort „Goldküste“, bis zur Kolonialzeit und bis zum Kakaohandel. Das ist zwar nicht die ganze Erklärung, aber sie erklären die Anfänge des Phänomens. Ich las dann eine Weile in den Informationen zu dieser nachwirkenden Vergangenheit.

Zu anderen, und da wird es radikal gegenwärtig, sah ich mir Videos zu agentischer Software an, also zum aktuellen Hype in der KI-Industrie. Diese Videos waren, wie es nun üblich wird, teils automatisch synchronisiert. Es schnarrten also teils etwas leblos wirkende deutsche Stimmen in großer Eile den Text herunter. Sie sprachen streckenweise stakkatomäßig, weil sie mit der Geschwindigkeit der englischen Tonspur mithalten mussten. Zwischendurch klang es wie damals das Vorspulen beim Anrufbeantworter, die Älteren erinnern sich wohl (was wir alles erlebt haben!).

Im Englischen heißen diese teils autonom agierenden Softwarevarianten Agents, und wenn man ein vollautomatisiertes Synchronsprechprogramm ist, dann versteht man dieses Wort nicht so gut, wie ich an diesem Nachmittag lernte. Dann spricht man vielleicht nicht, wie es im Deutschen korrekt wäre, von Agenten, sondern von Asiaten. Asians, Agents, da kann schon einmal durcheinanderkommen.

Weswegen mich diese Clips also in einer unfassbar trockenen und sachlichen Manier, die in fatalster Weise an den berühmten Mai-Ling-Sketch des Großmeisters Gerhart Polt erinnerte, lapidar darüber informierten, dass ich gewisse Arbeiten künftig auch durch meine eigenen Asiaten ausführen lassen könne. Die ich dann auch erziehen könne. Denen ich aber immer genaue Anweisungen mitgeben müsse und für deren korrektes Verhalten ich dadurch zu sorgen haben werde: „Ihre eigenen Asiaten werden nur machen, was Sie wollen.“

Man kann das erheiternd finden, der Rückblick zu Herrn Polt ist tatsächlich mit einer gewissen Dringlichkeit geboten. Man kann aber auch kulturkritisch feststellen, und Jüngeren wird es vielleicht ebenso unnötig wie auch unangenehm boomerhaft vorkommen, dass diese Fehler in den Tonspuren immer weiter vorkommen werden. Dass sie vermutlich niemand jemals korrigieren wird. Denn diese Art von Korrekturschleifen ist in künftigen Systemen schlicht nicht mehr vorgesehen, wie wir jetzt schon gut erkennen können. Solche Fehler sind dann einfach so, werden einfach so sein. Allgemeines Schulterzucken, fertig.

Wobei wir aber, das immerhin können wir durchaus für möglich halten, vielleicht im obigen Sinne bald alle unsere eigenen Asiaten haben werden, es gibt ja genug davon, die solche Fehler, die uns vehement und nachhaltig stören, aus unserer Online-Erlebniswelt einfach ausbauen werden. Noch bevor wir sie sehen oder hören können.

Okay.

***

Kreideschrift auf dem Pflaster: "Be Wise"

Dieser Pflasterschriftzug kommt hier übrigens gerade in -zig Versionen im Stadtteil vor, ich habe Vorrat für viele Gelegenheiten.

Im etwas weiteren, aber doch gerade noch ableitbaren Zusammenhang empfehle ich Ihnen mit einer gewissen Dringlichkeit noch einen Podcast. In dem es schon wieder darum geht, dass wir ja nichts hatten, wir Älteren. Wir hatten nicht einmal Deep Reading. Denn unser damaliges und höchst gewöhnliches Lesen, das ist nun auf einmal das neu verschlagwortete Deep Reading von heute.

Was dann dazu führt, dass die Jüngeren um uns herum immer noch gründlicher anders ticken, als wir es ohnehin schon wahrzunehmen meinen. Sie denken auf eine fundamentale Art anders. Worüber ich mich gar nicht aufrege, Geschichte geht nun einmal weiter, aber vom Staunen hält mich diese Erkenntnis doch nicht ab.

Ein Thema jedenfalls, das kaum in seiner ganzen Bandbreite zu ergründen sein wird, aber interessant ist es allemal: „Lange Texte lesen und verstehen – wofür brauchen wir das noch?“ Der Titel ist ein wenig irreführend, es geht um wesentlich mehr. 30 Minuten Kultur-Doom am Montagmorgen, ich hatte auch schon einmal ein besseres Timing, ich weiß.

Für morgen dann doch einmal etwas Positives für den Tagesanfang finden. Da ginge vielleicht die Szene mit Ghana im Text. Ich schreibe einmal probeweise weiter daran.

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Als hätte man sonst keine Probleme

In den SRF-Kultur-Sternstunden gab es ein Gespräch mit dem Philosophen und KI-Experten (das muss eine attraktive Visitenkarte sein in diesen Zeiten) Christian Uhle zu KI, zu ethischen Fragen und zu unserer Zukunftsgestaltung. In der ersten Hälfte ist die Sendung vielleicht nicht so anregend, wenn man vom Thema schon etwas oder auch mehr weiß. Später findet man aber noch Stellen zum Weiterdenken. Zumindest ging es mir so. Hier der Link zu YouTube, es sind 58 Minuten.

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Wenn wir schon bei Zukunftsfragen, beim Großen und Ganzen sind: Auf arte sah ich eine Sendung zum Zustand: „Ist die Welt besser als wir denken?“ (29 Min.). Die ich interessant fand, weil es, auch wieder erst in der zweiten Hälfte der Sendung, um ein Phänomen ging, das uns jetzt immer häufiger begegnet. Das Unvermögen nämlich, allgemeine Verschlechterungen erkennen oder auch nur zugeben zu können, oft unter Berufung auf Hans Rosling (Wikipedia-Link). Dessen Kernaussage man offensichtlich dermaßen gründlich abgespeichert und verinnerlicht hat, dass die an sich nicht so schwere Erkenntnis, dass selbst in einer komplett dystopischen Welt immer noch einzelne Kennzahlen stetig besser werden können, und dass selbst in einer vielleicht nach wie vor besser werdenden Welt immer noch erhebliche Rückschritte möglich sind, nicht mehr zum bewussten und erlaubten Gedanken werden kann. Obwohl wir einigermaßen zweifellos gerade bei mehreren eher tragischen Rückschritten live zusehen können.

Es gibt da manchmal eine seltsame Denkverweigerung in Bezug auf die Anerkennung der aktuellen Realität, auch bei Menschen mit erheblichem geistigen Potential, die ich mittlerweile dezent verstörend finde.

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Ich bleibe noch kurz bei düsteren Prognosen, pardon. In der WDR-Reihe „Neugier genügt“ gab es ein Interview (23 Min.) mit Martin Andree, der ein Buch „Krieg der Medien“ (Verlagslink) geschrieben hat. Es geht wieder um die Macht der Plattformen, um Dark Tech und um die Risiken für die Demokratien. Schweres Thema, aber unterhaltsam vorgetragen, der Mann spricht sehr gut. Und informativ, versteht sich. Das Interview kann man mit dem neulich verlinkten Gespräch mit Katharina Borchert (hier war das) hervorragend in Verbindung bringen.

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Wir brauchen hier allmählich einen positiven Aspekt, nicht wahr. Den ich diesmal ebenfalls im Kontext KI anbringen kann, was vielleicht überrascht.

Das hat aber einen Hintergrund, den man auch einmal kurz bedenken kann. Wenn man sich nämlich die aktuellen Großkrisen der Menschheit gerade im Geiste aufzählt … ich entwerfe mit großer Geste einmal einen möglichen Katalog:

Also etwa die apokalyptisch anmutende Abfolge von Klimakrise, Massenaussterben, alternden Gesellschaften, rapide zunehmender sozialer Ungleichheit, fast global erfolgreichem Rechtspopulismus, ansteigenden Pandemierisiken, geopolitischer Instabilität und Kriegen, KI und technologischen Disruptionen, schließlich die meist unterschätze, aber doch weiter Fahrt aufnehmende Auflösung von sozialen Verbindlichkeiten, von kollektiv anerkannten Regeln, geteilten Wahrheiten, Informationen und Annahmen sowie allgemein des Wir-Gefühls – hier vielleicht kurz Luft holen -, so ist die KI auf den ersten Blick der einzige Punkt in dieser charmanten Aufzählung, bei dem uns bereits nach kurzer Bedenkzeit auch positive Aspekte und Möglichkeiten einfallen können.

Neben den bekannten und vieldiskutierten Risiken, den Gefahren, den finsteren Verlockungen, den Abgründen.

MIT KI kann man recht eindeutig auch Ziele erreichen, die wir für erstrebenswert halten wollen. Wobei die Medizin immer das naheliegendste Beispiel ist. Mit dem Rest der Posten aus der Liste oben erreichen wir eher nichts Positives, nehme ich an. Oder zumindest nicht im Sinne einer Intention.

Ein beschädigter, aber noch lesbarer Aufkleber an einem Stromkasten: "Kein Mensch muss Nazi sein."

Lange Vorrede, und dann geht es im folgenden Link aber „nur“ um die öffentliche Verwaltung, werden Sie vielleicht gleich denken. Aber es geht auch um Greifbares und Erreichbares, also um wichtige Aspekte. In der ARD-Audiothek habe ich einen Podcast gehört (37 Min.), den ich Ihnen ausdrücklich wegen der konstruktiven, fast schon heiteren Stimmung des Gesprächs empfehlen möchte. In dem geht es um die Möglichkeiten, mit KI Ämter zu verbessern und die Prozesse dort zu verändern, neu zu erfinden oder zu beschleunigen. Was mich auch beruflich interessiert, was ich ohnehin für ein gutes Thema halte. Denn Prozessverbesserung, da stehe ich drauf.

Ich fand es geradezu mitreißend, wie das vorgetragen wurde. Was für mich als das Immerhin des Tages durchgehen kann, welches damit wieder und trotz allem gefunden wurde. So dass wenigstens im kleinen Rahmen dieses Textes doch noch alles gut enden kann.

Was höchstens mit Musik weiter zu steigern ist, und auch da habe ich etwas Neues gefunden. Gut geeignet für das dezente Fingerschnippen am Sonntag ist der folgende Clip, als hätte man sonst keine Probleme.

Rufus Wainwright does Weill und singt in deutscher Sprache (hier auch als Link):


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Das Feuilleton ist irgendwo da draußen

Dass sich die Nachrichten, vor allem jene, die für die Top-Schlagzeilen sorgen, in unserem Alltag spiegeln, habe ich oft beschrieben oder fotografiert. Passende Demos zum Weltgeschehen gibt es hier manchmal, passende Graffitis an den Wänden oder Aufkleber an den Ampeln. Dialogszenen mit korrekt gesetzten Stichwörtern höre ich manchmal. Oder ich erlebe andere Momente, in denen sich Politik- und verwandte Themen plötzlich bemerkbar machen. Momente, in denen man vielleicht kurz denkt, ach guck, das gehört doch zu dieser oder jener Nachricht. Gerade erst habe ich es gelesen, und dann gleich das. Passt ja wieder.

Meist sind es die Meldungen aus dem Politikteil, die sich so abbilden. Manchmal auch die aus dem Wirtschaftsteil oder aus dem, was im weitesten Sinne unter Lifestyle und Unterhaltung fällt. Das gute alte Feuilleton dagegen ist nicht eben oft vertreten – gestern kam es bei mir aber doch einmal vor.

Da stand nämlich eine zu beschreibende Frau in einer der großen Einkaufsstraßen in der Innenstadt. Im mäßigen Gedränge stand sie, in der freitagfeierabendlichen, wimmeligen Unruhe der Großstadt, in der sich alles für die kommenden Tage zurechtsortierte und wochenabschließende Einkäufe tätigte. Vor einem Schaufenster stand sie dort, Herbstmode in den üblichen Brauntönen darin, aber das ist egal. Nicht dicht daran stand sie jedenfalls, sondern gerade so weit davon weg, dass sie doch recht eindeutig zahllosen eilenden Menschen im Weg herumstand. Was sie aber nicht weiter bemerkte, denn sie las, und zwar hochkonzentriert. Wozu wir jetzt reflexmäßig im Chor aufsagen können: „Das gibt es ja heute kaum noch.“

Mit hochgeschobener Brille, die in ihrem angegrauten Haar saß, las sie, und mit einem leicht nach hinten geneigten Kopf. Mit dieser Haltung also, die man von Leuten kennt, die nicht die richtige Lesebrille dabeihaben, und die daher ab und zu auch mit leicht ruckelnden Bewegungen die Entfernung der Augen zum Text beim Lesen neu austarieren.

Ich glaube, ich kann ihre Erscheinung treffend und abkürzend skizzieren, wenn ich behaupte, dass Anke Engelke, würde sie in einem Sketch eine strenge Deutschlehrerin oder Bibliothekarin spielen, so aussehen würde wie diese Frau.

Ich nehme jedenfalls an, sie gewinnen bei diesem Gedanken eine Vorstellung bis hin zur Farbe der Strickjacke und zur Frisur, und passend dazu guckte die Frau auch. Kritisch wäre als Beschreibung hierbei deutlich zu milde, sie sah die Blätter eher schon mit Verachtung an. Mit Entsetzen vielleicht, mit dem dringenden Wunsch nach einem Rotstift womöglich auch. Und alle paar Sekunden schüttelte sie den Kopf.

Natürlich kann das aber gründlich täuschen, sie muss das Buch nicht schlecht gefunden haben, da muss man wieder aufpassen, was man bezeugt. Es ist nicht auszuschließen, dass sie vielleicht den Text großartig, nur das Verhalten einer Figur oder eine einzelne Szene nicht gut fand, einen Abzweig der Handlung. Das Bild lässt uns Möglichkeiten. Es war, um das noch eben abzurunden, keine Buchhandlung weit und breit. Die Frau stand und las dort vollkommen kontextfrei in ihrem Buch.

Welches sie freundlicherweise so hielt, dass ich es erkennen konnte. Es war von Caroline Wahl (Wikipedia-Link), und zwar war es der neueste Roman von ihr.

Zu Caroline Wahl habe ich nun keine Meinung, ich habe auch kein Buch von ihr gelesen. Ich habe nur am Rande und ohne die Artikel zu lesen mitbekommen, dass es in den Feuilletons gerade wieder hoch hergeht und man an etlichen Stellen meinungsfreudig diskutiert, was sie schreibt, wie es zu bewerten und vor allem wie es einzusortieren sei. Unter Berücksichtigung der Aussagen der Autorin zu allem wird das diskutiert, wobei an ihren Einlassungen auch kein Mangel besteht, wenn ich es im Überflug richtig registriert habe. Ich habe aber auch das nicht mit Interesse verfolgt.

Gewiss aber sellt sie ihre Bücher best. Die Geschichte hat also immerhin eine Gewinnerin, was schon einmal gut ist, zumal es dabei um vermutlich gut bezahltes kreatives Schaffen geht. An dieser Stelle könnten wir den Text vom Chor vorhin glatt noch einmal aufsagen, nicht wahr, und wir würden nicht falsch liegen dabei.

Kreideschrift auf dem Pflaster: Be Best

Ob unsere Leserin vor dem Schaufenster dieses Buch mit Gewinn las, das lässt sich nicht aufklären. Am Ende war es die Feuilletonchefin einer vormals großen deutschen Zeitung, wer weiß. Wobei mir dieses „vormals“ mittlerweile auf sämtliche Zeitungen zuzutreffen scheint, also keine bestimmte meinen oder dissen soll.

Vielleicht nahm da jemand gerade Anlauf für einen weiteren Grundsatzartikel zur Literaturklassifizierung, das mag sein. Oder für eine heftige Kolumne, für einen gnadenlosen Verriss, für ein kontrapunktisches und enthusiastisches Lob. Ich weiß es nicht, wir können nur raten.

Ich stellte dort nur im Vorbeigehen fest: Auch das Feuilleton findet also da draußen statt. Und ich dachte mir dann weiter, dass ich es im Prinzip erfreulich finden möchte.

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