Besser scheitern (2): Blechbetrachtungen

Nach dem Besuch der Ausstellung “Besser scheitern”, über die ich hier schon etwas geschrieben habe, ging ich mit einigen der beteiligten Bloggerinnen noch bei mir um die Ecke etwas essen, dabei kamen wir an einem Kunstwerk im Stadtteil vorbei, hier unten im Bild. Und das war dann mein zweites Aha-Erlebnis zur Kunst an diesem Tag.

Unbenannt

Während es in meinem ersten Text darum ging, wie sehr mir eine kleine Erklärung den Zugang zur Kunst erleichtern kann, muss ich jetzt noch etwas zum Faktor Zeit und zu Meinungen allgemein sagen, sonst ist das nicht vollständig. Und dazu muss ich ein wenig über diese rostigen Bleche erzählen. Das sind Schiffsbleche, die hat ein Künstler namens Horst Hellinger da hingestellt. Nicht zu verwechseln mit Bert Hellinger, der stellt zwar bekanntlich auch etwas auf, aber nur Familien – und das ist viel kunstloser. Horst Hellinger also hat diese Schiffsbleche da hingestellt, zum mahnenden Andenken an die sterbenden Werften im Hamburger Hafen. Das sind echte Schiffsbleche, die sind enorm tief verankert und rosten da vor sich hin. Ein ganzes Rudel davon steht da herum. Manchmal werden sie besprüht, mit Farbe beworfen, mit Edding beschriftet, beklebt, plakatiert, die Stadt lebt deutlich auf ihnen herum. Flaschen zerschellen immer wieder an ihnen, manchmal Bier, manchmal Champagner, seltsam oft Wodka. VerlaufeneTouristen pinkeln oder kacken zwischen sie, Hunde sowieso. Immer wieder finden da auch Foto-Shootings statt, blasse, ätherische Models neben den kräftigen Farben und angerauten Umrissen der Bleche, das hat etwas. Der Satz “Duhu liebt sein Monster”, der schon verblüffend lange auf einem der Bleche zu lesen ist, er muss auf zigtausenden von Fotos zu sehen sein. Falls Duhu sein Monster immer noch liebt, ob die beiden ab und zu davor stehen und “weißt du noch?” murmeln?

Als ich vor dreizehn Jahren in unser kleines Bahnhofsviertel zog, fand ich diese Skulptur wahnsinnig hässlich. Geradezu grotesk, abstoßend, kunstlos, dummes Zeug. Das konnte weg, das war klar – und so dachten sehr viele Menschen im Stadtteil, da war ich damals ganz mainstream, das war ein netter kleiner Smalltalk-Aufreger. Verschandelung des öffentlichem Raums, ich hätte da seitenlang drüber schimpfen können. Heute wären mir die Texte unerträglich, hätte ich sie denn geschrieben.

Dann sollten die Bleche plötzlich tatsächlich weg, ein Lokalpolitiker betrieb energisch die Entsorgung des Kunstwerks, das sollte der Gastronomie weichen. Auf dem Platz sollten Stühle für die Touristen stehen, keine Bleche zum Gedenken an irgendwas. Kasperkram Kunst! Konstuktiver Kommerz! In Hamburg entscheidet man da immer schon gerne stringent. Aber der Lokalpolitiker hatte die Rechnung ohne die Bewohner des Stadtteils gemacht, die das Kunstwerk seltsamerweise mittlerweile liebgewonnen hatten. Ich übrigens auch, ich blieb mainstream. Das sollte jetzt auf keinen Fall weg, das Blech, das musste sogar unbedingt da bleiben, das musste weiter mahnen und hässlich sein, nach Arbeit aussehen und Hafen, nach Werft und Maloche, nach Handwerk und Alltag. Denn mit der rapide fortschreitenden Verschnöselung des Stadtteils (the process formerly known as gentrification) sah man die Bleche plötzlich ganz anders, man verstand sie jetzt, entweder zum ersten Mal oder anders als vorher. Jetzt war es Kunst und ein Zeichen und übrigens immer schon da, genau wie die alteingesessenen Einwohner. Es war wichtig und tatsächlich mahnend und nein, das konnte nicht weg, durchaus nicht, und es kann bis heute nicht weg. Da ist kein Platz für die Außengastronomie, das ist Platz für die Kunst – basta.

Denn Meinungen ändern sich. Meine Meinung, die Meinung der Anwohner, Ihre Meinung, alle Meinungen ändern sich. Durch die Zeit, durch die Mode, durch Argumente. Na gut, letzteres eher selten. Im Grunde ist eine Meinung ein äußerst wackeliges Gebilde, auch wenn sie noch so festgemauert erscheint. Dem Herrn Buddenbohm von vor zehn Jahren würde ich jetzt einen Vogel zeigen, seine Meinung war falsch, er war ein Idiot, nicht wahr? Nein, war er nicht. Er war nur ein Mensch mit einer anderen Meinung. Meinungen werden entsetzlich überschätzt, das ganze Herummeinen wird viel zu hoch gehängt, besonders in diversen Blogs zur Zeit. Über Meinungen kann man nur streiten, wenn man den Humor und die Selbstironie behält, und sonst sollte man um Gottes willen die Klappe halten, denn womöglich meint man morgen etwas anderes. Meinungen sind Spielzeug, man kann sie drehen und wenden und zack, sehen sie anders aus. Sie verfärben sich je nach Wissensstand, Gesellschaft und Umgebung, es lohnt nicht, sich deswegen an die Kehle zu gehen.

Meinungen sind egal, was zählt, ist die Haltung. Ich gehe zur Wahl und wähle gemäß meiner Meinung, und die wechselt vielleicht von Wahl zu Wahl. Aber dass ich da jedes Mal wieder hingehe, zu der Wahl, das ist eine Frage der Haltung. Ich kann in Blogs irgendwelche Meinungen kommentieren, in dem ich meine Meinung dazu schreibe, ich kann da hin und her diskutieren und Argumente ohne Ende aufzählen. Aber es ist eine Frage der Haltung, das nicht beleidigend zu tun. Ich finde es auch völlig in Ordnung, keine Meinung zu haben oder meine Meinung nicht sehr wichtig zu finden oder zu wissen, dass die eigene Meinung zu irgendwas auf schwachen, auf ganz schwachen Füßen steht. Aber es ist niemals in Ordnung, keine Haltung zu haben.

Es ist, das wollte ich eigentlich sagen, pardon, ich kam etwas vom Weg ab, auch im Museum oder in einer Kunstausstellung gut und interessant, die eigene Meinung mit Skepsis zur Kenntnis zu nehmen. Besonders wenn die Ausstellung “Besser scheitern” heißt und man an den ausgestellen Arbeiten wirklich grandios scheitern kann, wenn man sie mit vorgefassten Meinungen betrachtet. Um seine Meinungen zu elementaren Themen des Lebens wie dem Scheitern, dem Wiederanfangen, dem Dennoch, dem Aufgeben etwas durchschütteln zu lassen, dafür ist die Ausstellung aber wirklich bestens geeignet und ich möchte sie nachdrücklich empfehlen.

In Kürze werden hier Karten dazu verlost.

Unbenannt

Besser scheitern (1): Buddenbohms Barrieren

Die Hamburger Kunsthalle hat bisher nicht gerade offensiv den Kontakt zur Blogszene gesucht, das ändert sich allerdings gerade und das freut mich sehr, denn ich habe es ja gerade mit Museen, wie dem einen oder anderen aufgefallen sein wird. Deswegen war ich gestern mit einigen anderen Bloggern eingeladen, mir die Ausstellung “Besser scheitern” anzusehen – und es gibt mittlerweile sogar schon vier Blogartikel zu dem großartigen Abend, hier und hier und hier und hier.  Das erspart mir wieder die Fleißarbeit, jedes Kunstwerk und jeden Künstler zu listen, das haben die Damen alle schon getan, wirklich ganz reizend. Eine weitere Auflistung von mir würde da gar keinen Mehrwert bringen, das ist also wie bei dem Bericht von der TedxHamburg – wer zu spät bloggt, den belohnt das Leben. Auch mal schön!

Die Kuratorin, Dr. Brigitte Kölle, führte uns durch die Ausstellung und erklärte die Arbeiten, und sie hat es bewundernswert gut gemacht. Sie gehört zu den wirklich seltenen Menschen, die stundenlang fehlerfrei sprechen können, ich habe von Minute zu Minute entgeisterter zugehört. Ich glaube, ich habe von diesen Menschen tatsächlich noch nicht sehr viele im Leben getroffen. Kein einziges Äh, kein Hm, kein wasweißichdenn, keine verlorenen Halbsätze, keine verwaisten Silben, keine Ruinen der Grammatik. Klare Struktur, wohldosierte Fakten, präzise dargestellt. Je länger sie sprach, desto mehr fiel mir auf, wie sehr ich selbst das so nicht kann. Ich kann im Gespräch keinen Beitrag von mir über drei Sätze hinweg denken, andere Menschen können das aber anscheinend. Ich denke vermutlich gerade einmal bis zum nächsten gesprochenen Komma, also bis zum nächsten Luftholen, wenn überhaupt. Ich weiß tatsächlich nicht recht, was ich denke, bevor ich es geschrieben habe, um einmal ein bekanntes Zitat abzuwandeln, ich kann keine drei Sätze geradeaussprechen, ohne mich im Gestrüpp meiner halbherzig angefangenen Nebensätze zu verheddern oder gegen die in der Mitte meines Redeflusses wie Steine herumliegenden Substantive zu prallen, ich kann das also nicht, ohne zu scheitern. Vielleicht bin ich auch ein wenig dumm. Je älter ich werde, desto öfter ziehe ich das ganz ernsthaft in Erwägung. Während sich an anderer Stelle im Internet gerade reihenweise Leute als vermeintlich oder tatsächlich hochbegabt zu erkennen geben, muss irgendwer ja auch für die andere Seite einstehen, immerhin sind die Dummen doch in der Mehrheit. Das womöglich arg begrenzte Maß meiner intellektuellen Fähigkeiten passte als Erkenntnis jedenfalls ganz gut zu dem Abend, es war sogar geradezu programmgemäß.

Und scheitern tue ich normalerweise auch an moderner Kunst, das ist der Stammleserschaft sicher bekannt. Aber ich habe jetzt verstanden, woran das liegt, glaube ich, und es wird sich womöglich ändern. Oder genauer, ich habe verstanden, wann ich nicht daran scheitere. Wenn ich nämlich normalerweise eine “Installation” im Museum sehe, ein Wort, das ich sozusagen mit in die Luft gefuchtelten Anführungszeichen und ironischem Grinsen auszusprechen pflege, wenn ich auf eine “Performance” stoße oder auf eine “Arbeit” und nicht gleich verstehe, was das denn soll, reagiere ich meistens ablehnend. Ich kann mich ganz gut über moderne Kunst lustig machen, ich habe das im Blog auch schon oft getan. Ich kann moderne Kunst vermutlich recht eloquent herabsetzen und verspotten, dieses unverständliche Zeug, das da Kunst sein soll und doch nur sinnfreies Blech, zuckende Flimmerbilder oder buntes Licht auf Glas ist. Es ist leicht, moderne Kunst als einen schwachen Gegner zu betrachten. Ich glaube, auch das ist dumm von mir.

Aber, das habe ich vor längerer Zeit schon einmal bemerkt, und gestern fiel es mir wieder auf, erklärt mir jemand eines dieser Kunstwerke auch nur ein wenig, schon legt sich ein Schalter in meinem Kopf um, dessen Existenz ich aber jetzt erst bewusst zur Kenntnis genommen habe. Es brauchte nur zwei, drei Sätze der Kuratorin und mein Hirn sprang in einen seltsamen anderen Zustand, in eine Art fortgeschrittenen Kulturstrebermodus. Ich hätte mich am liebsten fingerschnipsend gemeldet und erklärt, das ich das alles jetzt schon verstanden habe und das mir dazu außerdem noch zwanzig andere schlaue Aspekte einfallen und welche Bezüge das alles noch zu anderen Kunstformen und erst recht zum literarischen Schaffen hat, wenn man dann noch bedenkt, dass….. Also komplett unerträglich, schon klar, ich habe natürlich überhaupt nichts gesagt.

Ich hätte aber am liebsten sofort das jeweilige Kunstwerk weitergedacht, mit dem Künstler einen Arbeitskreis gegründet, eine weitere Arbeit konzipiert und noch zwei, drei mir logisch erscheinende Variante besprochen, ich war sofort in der Haltung “und ab morgen bin ich Experte.” Was ich natürlich nicht sein werde, versteht sich, ich bin nicht größenwahnsinnig. Und ich habe selbstverständlich auch gar nicht alles verstanden, geschweige denn viel gewusst, mir fehlt wirklich in neuerer Kunstgeschichte jeder Bildungshintergrund.

Aber ich fand es doch faszinierend, wie schnell man aus einer vollkommen verschlossenen Geisteshaltung in einen offenen, freundlichen und kreativen Zustand wechseln kann, wie sehr man sich fremden Themen zuneigen kann, wenn man nur durch etwas aufs richtige Gleis gebracht wird. Durch ein Hinweisschild, durch einen Bezug oder, wie gestern, durch die Moderation der Kuratorin. Denn es gilt ja sicher auch für andere Lebensbereiche, dass dieser Wechsel möglich ist. Man kann es vielleicht gar nicht ermessen, wie viel Spaß und aufregende Erlebnisse man im Leben schon durch die falsche Haltung verpasst hat und wieviel man noch haben könnte, wenn man bei gewissen Themen nur offener wäre. Es war mir wieder eine Lehre, mehr zu machen, besser zuzuhören, öfter vom thematisch gewohnten Weg abzubiegen, aufmerksamer zu sein, lernbereiter. Das ist wichtig, das ist in meinem Fall auch wegen der Söhne wichtig, denn sie werden mir im Laufe der nächsten Jahre ganz sicher noch die seltsamsten Themen ins Haus schleppen. Da ist es sicher gut, über die eigenen Barrieren nachzudenken. Schon für diese Erkenntnis hat sich der Abend gelohnt.

Und zur Ausstellung, die unbedingt zu empfehlen ist, schreibe ich natürlich auch noch etwas und später werden hier auch noch Karten für die Kunsthalle verlost. Aber im nächsten Beitrag zur Ausstellung muss es erst einmal um Blech gehen, denn mit der modernen Kunst bin ich noch nicht fertig. Ich muss aber vorher ein paar Fotos machen, die das erklären, was ich da sagen will.

Das Programm wird in Kürze fortgesetzt.

 

Woanders – Der Wirtschaftsteil

In der Zeit kann man nachlesen, was aus dem Bubble-Tea-Boom in Deutschland geworden ist. Und auch warum das so ist. Man muss Bubble-Tea wirklich nicht mögen, um diese Geschichte befremdlich zu finden.

Bleiben wir noch ein wenig bei Produkten, die sehr bunt sind und aus womöglich zweifelhaften Zutaten bestehen, also etwa beim Onlinejournalismus. Dazu hat auch Jakob Augstein etwas gesagt, wozu wiederum Felix Schwenzel etwas gesagt hat. Und wenn alle, die unentwegt über diese Branche schreiben, sich die beiden letzten Sätze von Felix bitte merken könnten, es wäre wirklich enorm hilfreich für die Debatte. Danke.

Zu den nicht so toll verkäuflichen Produkten zählten lange Zeit auch Musikstücke, die Klagen darüber wird jeder mitbekommen haben. Da scheint sich jetzt etwas zu ändern. Christoph Koch über einen Markt mit einem dezenten Nachkommaminimalwachstum, das normalerweise keine Zeile wert wäre. In diesem Fall aber schon.

Aber eigentlich muss man Produkte ja gar nicht immer kaufen, man kann sie auch einfach teilen, das liegt voll im Trend. In der taz ein Artikel über die hippe Sharing Economy und bei der netzwelt geht es passend um “digitalen Minimalismus”, auch so eine Wortkombination, die man nach dem dritten Bier besser nicht mehr aussprechen sollte, man kann nur scheitern. Öffentliche Güter, geteilte Güter, Besitz, der von Hand zu Hand geht, neue Wege der Versorgung – waren Sie eigentlich schon einmal in Andernach?

Die Produkte, die wir konsumieren, werden bekanntlich nicht alle mit den schönsten Methoden hergestellt. Hier ein paar Bilder von arbeitenden Kindern (sorry, Link kaputt) aus verschiedenen Ländern. Bitte beachten: das Betrachten könnte sich negativ auf die Stimmung auswirken. Aber wenn man schon dabei ist und noch etwas weiter denken möchte und auch weiß, dass niemand ohne Schuld sein kann – wie viele Sklaven arbeiten wohl gerade für Sie?

Wer Arbeit hat und diesen Text liest, gehört womöglich, das ist sogar ziemlich wahrscheinlich,  zu den Leuten, um die es gerade in einer Podiumsdiskussion in Berlin ging. Das Nuf hat darüber geschrieben und berechtigte Fragen ergänzt.

Monsanto gibt Gentechnik in Europa auf und eine FDP-Politikerin bedauert dies als “einen Verlust für Deutschland.” Zitate, die man sich so nicht ausdenken kann.

Die Einteilung von Unternehmen in gut und böse ist ein beliebtes Spiel, das ist fast wie beim Puppentheater. Markenforscher könnten vermutlich die seltsamsten Assoziationen zu bekannten Konzernen auflisten. Amazon ist böse und guckt finster, Demeter ist lieb und hat seidiges Fell, Vattenfall frisst Kinder, Alnatura riecht rosa und betreibt Streichelzoos. Aber wie in jedem guten Puppentheaterstück geht es manchmal auch etwas durcheinander. Und im modernen Theater gewinnen die Guten übrigens eh nicht.  Aber spannend ist es doch.

Der Designlink der Woche ist für die Sitzmuster des Todes, eine Galerie, die einen sprachlos und mit Sehstörungen zurücklässt. Allerdings kann man danach den öffentlichen Nahverkehr mit ganz anderen Augen betrachten, denn man kann sich immer gespannt fragen, ob es wirklich noch schlimmer kommen kann.

GLS Bank mit Sinn

Nachlese TedxHamburg

Ich war am Dienstag den ganzen Tag auf der TedxHamburg, die Organisatoren hatten mich dazu eingeladen. Und das war tatsächlich eine interessante, tolle Veranstaltung, sehr dicht, sehr informativ und anregend, gar keine Frage, das hat sich gelohnt. Über das Programm haben Kiki und Oliver schon detailliert geschrieben, da halte ich mich jetzt zurück, das bringt keinen Mehrwert, wenn ich auch noch eine weitere Aufzählung der Vorträge poste. Nein, da bleibe ich doch lieber mehr im Allgemeinen und spare mir die Fleißarbeit.

Ich habe jedenfalls im Laufe des Tages gemerkt, wie angenehm es ist, sich ab und zu mit eher fremden Themen zu beschäftigen. Wie schön es ist, sich einfach mal etwas anzuhören, von dem man keinen Schimmer hat, zu irgendeinem Thema, das mit dem Alltag nichts zu tun hat. Sofern es nur kompetent genug präsentiert wird ist es doch meist eine Bereicherung und meine Lust, thematisch querzuschlagen, umtriebig zu sein, vieles zu versuchen, anders zu denken, neu zu denken, sie ist eher noch gestiegen, das finde ich angenehm. Das Thema City 2.0, Stadtentwicklung, es war natürlich auch gut geeignet, selbst denen etwas zu sagen, die dazu noch nie etwas von Fachleuten gehört hatten. Als Stadtbewohner fühlt man sich immerhin quasi per Anwohnerrecht mitspracheberechtigt, wenn es um die Zukunft der Städte geht. Das gilt ganz allgemein, das gilt aber auch bei Spezialthemen, wie etwa der Organisation von Parkraum oder der Belebung von Einkaufszentren. Man hat im Grunde auf diesem Gebiet keine rechte Bildung, ziemlich oft aber doch eine Ahnung und verblüffend oft auch eine Meinung. Ähnlich wie bei der Erziehung.

Die Grundidee der TED-Veranstaltungen, Redner genormt 18 Minuten lang reden zu lassen – ich halte das jetzt für eine sehr gute Idee. Alle Vorträge waren komprimiert und durchdacht, niemand hat sich gehen lassen, niemand franste thematisch aus. In 18 Minuten kommt man verblüffend weit in ein Thema, wenn man es nur schlau genug anstellt, auch das fand ich beeindruckend. Ich würde allerdings nicht so dermaßen viele Redner auftreten lassen. Erstens ist es gemein gegenüber den letzten Gästen auf der Bühne, denen keiner mehr richtig zuhören kann, zweitens verlässt man die Veranstaltung als Zuhörer trotz aller Inspiration unweigerlich in komatösem Zustand. Statt der letzten drei Reden hätte ich auch Radio Moskau hören können, bei gleichem Erkenntnisgewinn. Irgendwann kann man eben nicht mehr.

Aber wie gesagt, es war toll und ich würde da wieder hingehen. Ich wäre diesmal ohne Einladung aber sicher nicht hingegangen, der Eintritt von 119 Euro wäre mir dann doch zu viel gewesen, das ist schon ein sehr sportlicher Eintrittspreis. Ich habe keine Vergleichspreise im Kopf, ich bin so gar kein Kongresstourist, aber ich halte das für einen deutlich abschreckenden Preis.

Ich wäre dieses Mal aber auch schon deswegen nicht hingegangen, weil ich von der Veranstaltung ohne die Einladung gar nichts mitbekommen hätte. Zumindest nicht rechtzeitig. Ich habe weder Plakate gesehen noch online jemanden davon schreiben sehen, was ich reichlich merkwürdig finde. Da hat in der Kommunikation etwas überhaupt nicht funktioniert, da war etwas komplett kaputt. Wie man hört, gab es einige Schwierigkeiten, die Karten loszuwerden, das wundert einen dann nicht.

Aber wie gesagt, es war toll und ich würde da wieder hingehen. Wenn auch nicht so gerne in den kleinen Saal der Laeiszhalle, eine Location, die sich als gänzlich ungeeignet erwiesen hat. Der Sauerstoff war nach drei Stunden verbraucht, zum Nachmittag hin wurde die Luft unerträglich und es war kein heißer Tag. 300 Menschen oder mehr sieben Stunden in einem Raum ohne auch nur halbwegs ausreichende Belüftung, das ist schon eine seltsame Idee. Wobei ich übrigens vorschlagen möchte, den Spaßvogel, der beim Catering ausgerechnet Gerichte mit Linsen und Bohnen bestellt hat, angemessen schwer zu bestrafen. Die Luft war gegen 16 Uhr nicht nur sauerstofffrei, sie war auch entflammbar.

Aber wie gesagt, es war eine tolle Veranstaltung und ich würde da wieder hingehen. Wenn auch noch viel lieber, wenn die Frauenquote auf der Bühne bei 50% oder mehr liegen würde. Die Frauenquote am Dienstag war indiskutabel, die erste Frau war erst nach drei Stunden auf der Bühne, ich habe kein Verständnis für so etwas. Zumal dadurch dieser bestimmte Typ des mittelalten weißen Mittelklassemachertyps fast den ganzen Tag die Bühne bestimmte, was ich auch angesichts des Themas für ein völlig falsches Signal halte. Der weiße mittelalte Mittelklassemachertyp, zu dessen Auftritt man immer die Hymne von Bob, dem Baumeister, abspielen möchte “Ja, wir schaffen das”, er wird die Welt nämlich nicht mehr retten. Die Megastadt der Gegenwart und der Zukunft wird von Chinesen bewohnt, von Mexikanern, Indern, Afrikanern. Und die werden nicht von europäischen und auch nicht von nordamerikanischen Werten geprägt. Und man darf getrost bezweifeln, dass die nur passiv in ihren Slums hocken und auf Bob, den Baumeister warten, der ihnen erklärt, wie sie mit der Planierraupe ihre Probleme lösen können. Die Welt ist nicht mehr so, schon ziemlich lange nicht mehr. Es spricht nichts gegen die Männer, die da auf der Bühne standen, die machen einen tollen Job, die werden gebraucht und die sollen das natürlich weiter tun – aber in der Gesamtheit des Tages entstand doch ein für mich falsches Bild von Bessermachern, für die alles Projekt ist, alles Challenge. Das ist übrigens auch nicht der Typ Mensch, der sich geschichtlich als Weltretter erwiesen hat. Es hätten doch auch Inderinnen sprechen können, Frauen aus Rio oder Jugendliche aus Johannesburg, ich hätte das vollkommen angemessen gefunden. Es gibt auch spannende Integrationsprojekte in Deutschland. glaube ich. Das Thema Migration kam überhaupt sehr kurz, das hat mich gewundert, es ist doch in Städten eines der wichtigsten, und das wird auch noch sehr lange so sein.

Da mich das Gesamtbild der Sprecher im Laufe des Tages immer mehr störte, reagierte ich dann zunehmend gereizt auf die Schlüsselsätze der ganzen mittelalten Mittelklassemacher, etwa bei dem Mann, der betont federnd die Bühne betrat und gleich sagte “I’m a serial entrepreneur, I don’t fit into a regular job.” Wenn man die Szene der digitalen Projektmachos ein wenig kennt, dann weiß man, dass “serial entrepreneur” oft genug nur heißt “ich habe schon drei Unternehmungen an die Wand gefahren” und “I don’t fit into a regular job” vermutlich die Übersetzung von “ich überschätze mich aber dennoch immer fröhlich weiter” ist. Und beide Halbsätze zusammen heißen eh nur, dass er sich für einen besonders tollen Hecht hält, das will ich aber gar nicht wissen. “I don’t fit into a regular job” sang der Mann auf der Bühne, und “Ja, wir schaffen das” brüllte der Chor im Publikum, vielleicht war ich da aber auch nur kurz eingeschlafen. Ich halte es für erstrebenswert, Dinge zu regeln, in Angriff zu nehmen, das Neue in die Welt zu bringen, sich weiter zu entwickeln, das Umfeld zu verwandeln – aber man kann das doch auf mehr Arten tun, als es typische Powerpointhelden repräsentieren können. Nur in einem Einspielfilm aus Los Angeles klang das ein wenig an, dass andere Typen Probleme anders angehen. Übrigens ein sehenswerter TED-Talk, dieser Film, den sollten Sie sich auch einmal ansehen.

Aber wie gesagt, es war – bei aller Kritik – eine tolle Veranstaltung und ich würde da wieder hingehen, und das meine ich völlig ernst. Denn auch das, was mich gestört hat, fand ich lehrreich. Und dann ging das Konzept wohl auf. Die Filme der Vorträge kann man sich zwar alle auch online ansehen, aber die Atmosphäre vor Ort ist schon etwas Besonderes und die Gelegenheit, das Gehörte gleich mit den Sitznachbarn aus der Hamburger Blogmafia oder auch wildfremden anderen Gästen zu besprechen, ist fraglos reizvoll.

Im September gibt es übrigens eine TedxBerlin – falls das noch jemand einplanen möchte?

 

Wanderzirkus Bogdan & Buddenbohm

Isabel Bogdan & Maximilian Buddenbohm / Foto von Anne Koch
Isabel Bogdan & Maximilian Buddenbohm / Foto von Anne Koch

Während ich wieder rätsel, ob ich den Text mit oder ohne Brille besser erkenne, amüsiert sich Isa  lieber über ihre eigenen Texte. Ich hab’s bei Lesungen auch nicht immer leicht! Foto von Anne Koch, mit dem iPhone aufgenommen und Tadaa bearbeitet.

Und da direkt nach der Lesung schon der erste Hinweis à la „Lest doch endlich mal in Bonn“ kam, hat Isa hier drüben einmal für uns aufgeschrieben, wie das geht, dass wir in Bonn lesen. Oder gern auch in Bern. Na, und so weiter.

 

Woanders – diesmal mit Reisen, Eric Carle, Bildern vom Essen und anderem

Nico möchte eine Reise buchen und scheitert. Sven antwortet darauf, Carola auch und wenn man sucht, findet man auch noch ein paar andere. Wenn jemand gerade über Urlaub mit Kindern nachdenkt, auch in den Kommentaren zu den drei Artikeln finden sich etliche sinnvolle Hinweise.

In dieses ohnehin stets interessante und wirklich liebevoll gepflegte Buchhandlungsblog ist gerade ein Interview mit Eric Carle eingebunden, Sie wissen schon, der mit der Raupe Nimmersatt. Er spricht Deutsch, wer ahnt denn so etwas!

Ein Essay (englisch) über die uns alle dauernd bewegende Frage, wieso wir dauernd Essen fotografieren. Lesen und entspannen, es ist alles in Ordnung mit uns. Schwein gehabt. Oder was eben auf dem Teller ist.

Der Haltungsturner über das Trauerspiel des Informatikunterrichts an deutschen Schulen Dazu sind etliche Artikel in den letzten Tagen erschienen und jemand, ich habe vergessen wer es war, wies darauf hin, dass die meisten Autoren bei dem Thema leider Informatik und Webkunde verwechseln. Das hat mit dem hier verlinkten Artikel überhaupt nichts zu tun, ist aber doch so wichtig, dass ich es noch einmal erwähnt haben wollte. Informatik ist nicht Webkunde, schreiben Sie das ruhig mit. Danke.

Journelle über Medien und die nicht so hohe Kunst, ein paar Eier zu kochen (vielen Dank für die schmeichelhafte Erwähnung im Text!). Die Verzweiflung an den etablierten Medien, von der man immer öfter liest und die auch in diesem Text wieder deutlich wird, man kann sie überhaupt nicht laut genug deklamieren. Wenn man als Hamburger Lokalmedien liest, man kommt aus dem Lachen über den Praktikantenunfug gar nicht mehr heraus.

Mit Mapcrunch kann man sich sehr komfortabel irgendwohin beamen lassen, per Zufall oder nach selbstgewählten Kriterien. Schönes Mittagspausenentertainment, einfach mal am Bildschirm irgendwelchen Bergstraßen in der Slowakei folgen und das Panorama bewundern. Oder in Israel an der Küste entlangfahren. Oder, oder. Schön auch: nicht nachsehen, wo man ist, einfach nur einer Straße folgen, bis man etwas raten kann. Ich unterscheide mich ja von den meisten anderen Menschen dadurch, dass mir der Fernwehmodus nahezu komplett fehlt. Ich kann so ein Tool wie Mapcrunch immer wieder anwerfen, mich zurücklehnen und denken, oh toll, ist wirklich hübsch da, aber ich muss zum Glück nicht hin. Aber das versteht eh wieder keiner, schon klar.

Katrin Scheib über die Kunst, eine Kolumne für Print zu schreiben. Es ist alles richtig, was da steht.

Die liebe Nessy hat ein Buch geschrieben, guckense ma hier.

Schöne Buchstützen für die etwas morbidere Abteilung.

Ein Artikel über Nora Gomringer. Es sei sicherheitshalber noch einmal erwähnt: wenn man die Chance hat, sie live zu sehen, unbedingt hingehen. Nora ist toll. Oder sagen wir gleich: Wenn Lyrik, dann Nora. Jedenfalls wenn es um Lyrik auf einer Bühne geht.

Hier gibt es noch ein ganz frisches Blog über Bücher aus kleinen, unabhängigen Verlagen.

Das beste Essen der letzten sieben Tage war in Tapetenkleister eingeweichtes Kistenholz an überlagerten Graupen. Vielleicht war es auch etwas anderes, aber ich bin erkältet, geschmacklich kommt es daher ungefähr hin.

 

Der Dings

Als Norddeutscher lernt man normalerweise nicht dauernd neue Menschen kennen. Wir sind ja hier nicht am Rhein, wo jeder mit jedem spricht und sich alle abends in der Kneipe nach dem ersten Glas in den Armen liegen. Nein, hier macht jeder stur sein Ding und das ist natürlich gut so, wir stören dabei immerhin auch keinen. Andere Menschen kennenlernen, etwa zum Zwecke der Ehe und zur Fortpflanzung, das erledigen wir möglichst in jungen Jahren, danach ist dann aber Schluss. Dann lebt man so dahin und hat die immer gleichen Freunde, Nachbarn und die Familie, und, seien wir ehrlich, es reicht auch. Mehr Mensch braucht kein Mensch.

Es sei denn, wir kriegen tatsächlich Kinder. Dann wird alles anders, dann lernt man eine Hundertschaft neuer Leute kennen, nämlich die anderen Eltern. Mit denen kommt man unweigerlich ins Gespräch, das geht gar nicht anders. Dauernd spricht man mit denen, immer wieder, täglich sogar. So oft, dass man unmöglich leugnen kann, sie zu kennen. Sie werden zu ganz normalen Kontakten, einige davon sogar zu Freunden. Da könnte es nützlich sein, sich die Namen zu merken. Es ist auf Dauer etwas unhöflich, einen anderen Vater immer nur als „der Dings“ zu bezeichnen. Auch Mütter haben Eigennamen und heißen nicht nur „die Mama der Zwillinge“, auch wenn sie von allen nur so genannt wird. Das mit den Namen ist bei 100 neuen Leuten aber schwierig, um es einmal ganz milde auszudrücken.

Ich bin immer froh, wenn ich vom Spielplatz komme und wieder an meinen Computer darf. Ob ich da Mails schreibe oder auf Facebook oder Twitter oder sonst wo im Internet bin, es ist alles so viel einfacher als auf dem Spielplatz. Denn an den Menschen, mit denen ich online kommuniziere, stehen immer die Namen dran, das ist wirklich praktisch. Der Dings, er heißt Stefan! Es steht ja da. Ganz einfach. Nie würde ich seinen Namen vergessen. So lange ich am Computer sitze.

Ich glaube ja, das ist der eigentliche Grund für den Riesenerfolg des Internets. Aber das ist womöglich nur eine Randmeinung.

(Dieser Text erschien als Sonntagskolumne in den Lübecker Nachrichten und in der Ostsee-Zeitung)

Kurz und klein