Wenn man in die Berge reist, also etwa nach Südtirol, dann gibt es im Vorwege nicht nur die schon besprochene Zwangsreaktion “Festes Schuhwerk!”, nein, es gibt auch noch eine andere Reaktion. Bei einem gar nicht so kleinen Teil der Freunde und Bekannten stößt man mit solchen Reisen nämlich auf komplettes Unverständnis und auf Abwehr.Weil die Berge im Weg herumstehen, weil es da eng ist, weil man Platzangst bekommt, nicht wieder weg kommt, man fühlt in den Gespächen manchmal geradezu, wie die Berge manchen Menschen seelisch auf die Pelle rücken. Als hätten sie ihre Kindheit in engen und dunklen Tälern verbracht. Dabei kommen diese Menschen aus Lübeck oder Minden oder Rostock. Seltsam.
Ich war vor dieser Reise aber noch nicht in den Bergen, zumindest von kurzen Ausflügen abgesehen, ich wusste also gar nicht, wie ich das da finden würde. Die Herzdame war eher skeptisch, schon wegen der Schuhsache, die Söhne fanden die Berge aber bereits als Idee super, denn Berge, darauf müssen wir noch zurückkommen, klingen immer nach Klettermöglichkeiten. Ich war einfach neugierig. Und ich habe dann, auch mit dem Gedanken an die Gespräche vor dem Urlaub, genau darauf geachtet, wie die Berge nun sind. Wie sie auf mich wirken, wie das mit den Beklemmungen ist, mit der Masse von Stein, die da einfach so im Weg herumliegt. Wobei genau das auch der Punkt ist, den ich eher nicht nachvollziehen konnte. Ich fand, die Berge sahen nicht nach “im Weg” aus, eher einfach nach Wegen.
Und zwar nach vielen und interessanten Wegen, nach spannenden Wegen, ich habe das vermutlich auch ein wenig aus der Perspektive der Söhne gesehen. Man sieht auf die Berge und man sieht all die Straßen, Feldwege, Pfade, Wälder, Höfe, Wiesen, die da an die Hänge drapiert worden sind, und das sieht, zumindest in Südtirol, doch sehr einladend aus. Und nicht unüberwindlich, das schon gar nicht, man sieht ja, dass die Berge dauernd überwunden werden. Von Wanderern, Radfahrern, Autos, es bewegt sich dauernd etwas über diese Berge und Hänge da.
Die Berge sehen für mich eher so aus, dass man neugierig wird. Das ist so eine Art Kinderneugierde, da merkt man den inneren Siebenjährigen, der das alles recht aufregend und abenteuerlich findet. Wie es wohl nach der nächsten Kurve ausssieht? Nach dem nächsten Wald? Hinter der Biegung dieses Bewässerungsgrabens, nach dem Weinberg da? Kann man den Hang da hochklettern, den Baum, den Skilift? Und dann? Wo ist man dann? Und kann man nicht noch höher? Ich fand die Berge viel abwechslungsreicher, als ich sie mir vorgestellt hatte, ich fand sie auch einladender und auf eine ziemlich bezaubernde Art wimmelbuchmäßig unterhaltsam. Das ging auch der Herzdame so, wir waren beide etwas überrascht von der fortgeschrittenen Hübschigkeit der Landschaft.
Und so vieles, was da gefunden werden kann. Mehr jedenfalls, als man in ein paar Tagen schaffen kann, wir reisten mit dem deutlichen Gefühl wieder ab, überhaupt nicht fertig mit der Gegend zu sein.
Und wäre es nicht so heiß gewesen, ich hätte schon Lust gehabt, überall länger herumzulaufen, auch völlig ziellos. Man braucht ja gar kein Ziel, wenn man nicht sieht, wie der Weg nach fünf Gehminuten weitergeht. Das ist ein wenig wie ein Spaziergang durch eine fremde Stadt, da kann man sich auch so treiben lassen, von Ecke zu Ecke, von Viertel zu Viertel, es könnte überall gleich etwas kommen, was man interessant findet.
So ähnlich kam uns das in Südtirol vor. Nicht eng, das ist nicht einmal anähernd das richtige Wort. Es war eher interessant verwinkelt.
Tatsächlich fand ich es da sogar so interessant, dass mir in dieser Landschaft sehr viele Ideen kamen. Ich hatte zwar Urlaub, aber Projektideen am laufenden Band. Geschichtenideen, Artikelansätze und so weiter, ich hätte da auch tausend Bilder machen können, Interviews und was weiß ich, ich hatte sogar wieder große Lust, etwas zu zeichnen, ich fand die Gegend wirklich anregend. Mir fiel dort dauernd ein, was ich alles machen könnte.
Direkt nach der Südtirolreise waren wir auf Eiderstedt an der Nordsee. Das ist das landschaftliche Gegenteil, die Antithese zu den Alpen. Oben enorm viel Blau, unten ein schmaler grüner Strich, zack, fertig ist die Landschaft. Da kommt man zur Not mit nur zwei Pinselstrichen aus, und der Eiderstedter guckt das Bild an und sagt: “Ach guck, die Heimat”. Guckste nach links, siehste meilenweit gar nichts, guckste nach rechts, sieht es auch so aus, so ist das da, und irgendwo ein Leuchtturm. Das ist eine sehr klare Angelegenheit, das schafft Luft im Kopf. Und dort fiel mir dann dauernd ein, was ich alles lassen könnte. Auch recht, gar keine Frage.
Für eine vernünftige und gründliche Studie dieser Effekte müssten wir im nächsten Jahr eigentlich in umgekehrter Reihenfolge erst nach Eiderstedt und dann direkt nach Südtirol reisen, um zu sehen, was das so herum seelisch bewirkt. Und dann die beiden Jahresergebnissse vergleichen, den jeweiligen Output und die Kennziffern für Produktivität, Kreativität … kennen Sie eigentlich dieses seltsame Gefühl, wenn Aspekte des Berufs manchmal so ins Private hineinragen? Das ist auch nicht immer schön. Aber wenn ich hier schon beim Controlling lande, dann sage ich im nächsten Text etwas zu den Preisen in Südtirol. Und in Hamburg.
Fortgeschrittene Hübschigkeit der Landschaft – nach genau dieser Formulierung habe ich seit meinem ersten Besuch in Südtirol gesucht. Danke fürs Finden.
Berge haben was, klar. Neugierg „was liegt dahinter“ nachsehen ist ein menschliches Bedürfnis. Dennoch brauche ich ungehinderten Blick auf einen weiten, offenen Horizont um mich so richtig entspannen zu können. Den, wo das Meer den Himmel trifft. Am besten mit dieser gaaaanz leichten Krümmung. Ich könnte nie irgendwo leben, wo ich nicht binnen einer oder zweier Stunden diesen Blick hätte.
“ … kennen Sie eigentlich dieses seltsame Gefühl, wenn Aspekte des Berufs manchmal so ins Private hineinragen?“
Ja, kenne ich auch, wenn ich z.B. morgens die Perlenkette anlegen und die weiße Bluse anziehen möchte, um zu EDEKA zu gehen.
Eigentlich mag ich das Meer ja mehr. Aber im Februar waren wir für ein paar Tage in den Bergen, und ich fand die Landschaft ziemlich beeindruckend. Und der Mann war auch ganz verliebt.
Das zum 4. Südtirol Aufenthalt gekaufte feste Schuhwerk führt zu extrem viel offenen Horizont auch ganz ohne Meer (nur die Krümmung fehlt). Ich hatte mir vor Jahren nie träumen lassen, dass mich das Meer nur noch müde lächeln lässt und die Berge und vor allem das Hochkraxeln mich so entspannen lassen können.
P.S. Haben euch übrigens abends auf dem Rennweg mit Eis, gesammeltem Ast und Pünktchenkleid gesehen und ganz kurz mit dem Gedanken gespielt auf das im Haushaltswarenladen in der Laubengasse käuflich zu erwerbende Fixie (aka Pizza-Schneider) aufmerksam zu machen. Haben es aber im Hinblick auf eure Privatsphäre sein lassen.
Pünktchenkleid und gesammelter Ast klingt in der Tat sehr nach uns 🙂
Zu Berg und Südtirol kommt mir (normalerweise stiller) Leserin sofort ein Buch in den Sinn, das meine Kinder von unserem Südtiroler Freund geschenkt bekommen haben und für das ich eine wärmste Empfehlung aussprechen möchte: „Hinter dem Berg“ von Helmut Jaekel und Theresia Koppers – eine herrlich skurril geschrieben und gezeichnete Geschichte zweier Dörfer auf den beiden Seiten des gleichen Berges, die wie ich vermute zu den Lesefertigkeiten von Sohn I ganz gut passen könnte.
Herzliche Grüße!
Danke!
Ein Leben ohne Berge ist möglich, aber sinnlos!
Aus oben erwähnten Hitzeerwägungen empfehle ich, bereits bei der Quartierwahl auf eine ausreichende Meereshöhe (> 1200 m) zu achten. RoterHahn sieht das folgerichtig auch als Suchkriterium vor.
Und falls es mal was anderes als Südtirol sein soll: Ich glaube vermuten zu können, dass Arosa/Schweiz (1800 m) Ihnen und Ihrer Familie auch recht gut gefallen würde.