In der taz gab es einen Artikel über Familiengeschichte und Migrationserfahrungen. Mein Bruder beschäftigt sich gerade mit Ahnenforschung, das passt ganz gut, denn natürlich sind auch unsere Vorfahren weit verstreut gewesen. Er stößt auf interessante Ortsnamen, Lompönen etwa klingt doch hinreißend, das ist im Memelgebiet, bzw. war, heute heißt es natürlich anders, Lumpénai, was fast noch besser klingt. Cammin in Pommern, dann Gerresheim tief im Westen, Polen war eh dabei, Mecklenburg, Vorpommern, mit Komma, nicht mit Bindestrich. Interessant ist dabei, wie wenig in der Familie überliefert wurde, es gibt fast gar keine alten Geschichten über früher und noch früher, keine wie auch immer gearteten Heimatsehnsüchte, die sich auf die Gegenden beziehen, die doch vor zwei, drei Generationen erst verlassen wurden. Vom Memelgebiet wusste ich gar nichts. Und das ist ja faszinierend, wie schnell so ein Wissen um Herkunft ausgelöscht werden kann. Wie oft mag das in jedem Stammbaum passiert sein, wie vollkommen unklar ist, wo man herkommt? Übrigens schon zwei Nachtwächter unter den Vorfahren gefunden, ich weiß schon, warum ich immer so früh ins Bett gehe. Alles Wiedergutmachung.
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In den Büschen auf dem Spielplatz vorm Balkon singt am späten Samstagabend eine Nachtigall, und zwar dergestalt, dass die ganze Familie ergriffen in der Balkontür steht und lauscht, abzüglich des Kindes im Krankenhaus, versteht sich. Aber wieso jetzt eine Nachtigall im Januar? Zugvogel? Hallo? Was ist das wieder für ein allgemeines Durcheinander in der Welt. Schlimm. Am Morgen haben wir dann an der Stunde der Wintervögel teilgenommen, da ließ sich aber nur eine lumpige Kohlmeise auf dem sonst so reich besuchten Balkon blicken. Sich wochenlang füttern lassen und dann nicht zum Zählappell antreten! Hm. Das Krankenhauskind kam, dieses Update fehlt noch, heute am Nachmittag wieder nach Hause, mit dem Blinddarm noch an Bord. Man staunt und weiß nicht recht.
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Weiter in Remo H. Largos “Das passende Leben” gelesen, das liest sich für ein Sachbuch recht fluffig. Dabei gelernt, was die “Regression zur Mitte” ist, auch spannend. Effekte wie beim Madden-Fluch (im Wikipedia-Artikel erklärt) sind doch zu und zu schön.
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“Na, Papa, träumste von Trillionen Likes?”
“Diese Wohnung hat ein Kinderzimmer! Da kann man auch reingehen!”
Schlaft schön. 🙂
Ich kriegte durch Fernsehen oder Zeitung mit, dass Blinddärme heutzutage gar nicht mehr unbedingt operativ entfernt werden, sondern dass bei rechtzeitiger Erkennung das auch mit einem Antibiotikum geregelt werden kann. Aber das ist natürlich nur dünnstes Laienwissen.
Und schon wieder ein Buch, das mich interessiert. Ich brauche langsam einen Sponsor fürs Bücherkaufen
Also ich schicke dann mal eine Trillion Likes…
So ne hohe Blogeintragsfrequenz! Ich begrüße das!
Seid Ihr sicher, dass es eine Nachtigall war und nicht ein Sprosser?
Der Sprosser sollte eigentlich auch ziehen.
Ahnenforschung kann leicht zur Sucht werden… ich spreche aus Erfahrung! Und man hat jetzt, Dank Internet, ja viel mehr Möglichkeiten, an irgendwelche Archive zu kommen! Sehr spannend. An der Stunde der Wintervögel brauche ich gar nicht teilzunehmen, weil sich im Moment hier kein Vogel blicken lässt. Außer der (weiß noch nicht mal welcher das ist), der in einem Zier-Vogelhäuschen sein Nachtquartier aufgeschlagen hat. Schön, dass der Sohn wieder zu Hause ist, auch wenn vielleicht ein ungutes Gefühl ob des noch vorhandenen Blinddarms bleibt.
Schönen Start in die Woche… wünscht Euch
Margit
In drei Generationen ist man vergessen, aber irgendwas bleibt vielleicht. Schmerz vererbt sich bei Mäusen, warum nicht bei uns. Meine Familie kommt aus dem nahen und mittelnahen Osten, das sind der Harz, Mecklenburg, Vorpommern, Thüringen, Lausitz, daher ziemlich nachdrücklich, Baltikum, auch Petersburg war mal dabei. Das sind die bekannten Teile, und wir haben zumindest in einigen Zweigen das Glück einer guten Überlieferung. Der Westen ist mir schon ab Hessen fremd. Meine Kinder kommen aber außerdem aus dem fernen Südwesten und dem nahen Süden und dem mittleren Süden, und ein bisschen wohl auch aus dem Südosten, vielleicht nicht zufällig sahen all diese syrischen Jungs in den Lagern mich an mit Augen wie mein Sohn. Aber aus diesem globalisierten Genpool müssen die mal was machen, mein geographisches Unbehagen deute ich im Blick über die Schulter durchaus ererbt, und mein Sehnen nach Meer auch. Mein Sehnen nach dem Süden erklärt sich in meinen Vorfahren nicht, vielleicht wollten einfach die Balten auch schon in die Anden oder an den Río de la Plata. Jedenfalls nicht in den Harz: https://percanta.de/2012/10/12/harzreise/
Bei mir stammt die Elterngeneration aus Ostpreußen und Schlesien und hat WW II bewußt erlebt, oft als Soldat.
Mir scheint 1945 wie eine Zäsur. Mit den Nachgeborenen war die Zeit davor, von ein paar launigen Anekdoten abgesehen, nie ein Thema. Untereinander wurden wohl Erinnerungen aus der Zwischenkriegszeit ausgetauscht, aber die (eher spät geborenen) Kinder nie einbezogen, auch wenn sie im selben Raum waren. Artikulierte Sehnsüchte bezogen sich bei meinem Vater im wesentlichen auf eine bestimmte gesalzene Butter. Nachdem meine Mutter in den frühen 70ern ihre alte schlesische Heimat nahe Breslau besucht hatte, war sie gar fast froh über ihr Vertriebenenschicksal.
Ich vermute, der Schnitt war einerseits einfach zu hart, um nicht zu sagen traumatisch oder auch schuldbelastet, um sich mit der Vergangenheit auseinander zu setzen. Auf der anderen Seite war ihnen auch klar, daß sie letztendlich das bessere Los gezogen hatten und im Westen ein besseres Leben hatten als im Osten.