Eine leergesungene Grille

Ich lese in Peter Rühmkorfs Tagebuch und zitiere einen ziemlich novembertauglichen und also eher grauschwarzen Ausschnitt aus dem Jahr 1971 über biografisches Schreiben, man könnte sich noch, der Zeit voraus greifend,  irgendwas mit Blogs dazu denken, wenn es denn beliebt:

“Weiß genau, warum ich vor solchen Bilanzen immer einen gewissen Bammel gehabt hab: es hat nicht nur mit Biografie, es hat auch mit Zugrabetragen zu tun. Ameisen, die eine leergesungene Grille zu Grabe tragen. Nebenher der aus dem gleichen Impuls gepeiste Versuch, ein Tagebuch zu führen: noch fallfrisches Laub zusammenharken und darauf hoffen, daß sich aus welken Blättern ein Komposthaufen bildet. Während das Weltkind immer lustig in den Tag rein lebt und seine Schritte nicht zählt, denken Chronist und Tagebuchschreiber immer heimlich an die Nachwelt: eine Festschrift in eigener Sache, die sich andersherum als Testament lesen läßt. Heute morgen anfallsweise alte Briefe sortiert und dabei viele Schrecken bekommen. Daß man so etwas einmal gewesen sein soll – diese sich selbst in diesem kleinen Rahmen noch blähende Imponierfigur. Hochfahrenheit und Wichtigtuerei bis tief in die Syntax. Kein Triumph. Nur Elend.“

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Ansonsten bin ich gerade mit Hörbüchern glücklich liiert, nach dem seligmachenden Stechlin den geradezu grandios von Dieter Mann gelesenen Professor Unrat von Heinrich Mann, und das ist dann übrigens so dermaßen gut gelesen, das hat schon einen nicht unerheblichen Erlebnisvorteil gegenüber dem gedruckten Buch.

Man kann natürlich auch inhaltlich eine Linie zwischen den beiden Büchern ziehen, vom untergehenden preußischen Landadel zum Kult der wilhelminischen Strenge und zur moralischen Abgrenzung der besseren Gesellschaft, doch, das passt schon. Dazwischen hatte ich neulich ja die Reimann, die über das nochmalige und sie überraschende Erstarken der preußisch-militärischen Tradition in der DDR schrieb und jetzt, um mir noch eben einen passenden Abschluss des Fontane-Jahrs zu inszenieren, höre ich die “Birnen von Ribbeck”, das ist ein Roman von F.C. Delius, gelesen von Christian Brückner.

Ein Roman, in dem das sattsam bekannte Birnengedicht zur Abwechslung als Übergriff ausgedeutet wird, wie überhaupt die Geschichte des Dorfes als eine Geschichte von vielen Übergriffen dargestellt wird und die Pointe, dass dieser Roman von Delius natürlich nur ein weiterer Übergriff ist, die ist nun wirklich nicht schlecht.

Gerne gehört, das alles, es sei alles auch ausdrücklich empfohlen (sämtlich bei Spotify verfügbar).

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Ferner gibt es ein neues Album von Leonard Cohen, eine echte Nanu-Nachricht, wie isses nun bloß möglich? Und ist es gut? Spoiler: Ja, ist es. Und das Wetter passt hervorragend zu neuen Songs von ihm, wie schön und gelungen ist bitte das Timing.

 

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Sohn II fragte mich nach all den Schlüssen an meinem Bund. Ich habe sie dann Stück für Stück erklärt, dieser ist für die Haustür, dieser ist für die Bürotür und immer so weiter, irgendwann wunderte ich mich aber über seinen Blick, der ganz so aussah, als hätter er zumindest leise Zweifel an meiner geistigen Gesundheit. Ich spulte im Geiste ein paar Schlüssel und Erklärungen zurück, fand aber nichts, was bemerkenswert irrsinnig klang, also zumindest nicht aus meiner Sicht. Da der Sohn aber immer irritierter aussah, fragte ich irgendwann nach, Kommunikation soll ja manchmal helfen, habe ich gelesen. Und tatsächlich, es stellte sich heraus, dass er meine vollkommen harmlose Formulierung “und dass sind meine beiden Laubenschlüssel” als philosophischen Affront missverstanden hatte, als väterlichen Kulturspaß der allerdämlichsten Sorte, als typische Erwachsenenüberheblichkeit belehrender Art, was er verstanden hatte, das war nämlich: “Und das sind meine beiden Glaubensschlüssel”, was für ihn in der Tat ein zureichender Grund war, an meinem Verstand und meiner Vorbildfunktion erheblich zu zweifeln.

Wir haben es geklärt und können bei nächster Gelegenheit in Frieden weiter philosophieren.

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Auf dem Weg zur Arbeit sehe ich am frühen Morgen einen jungen Mann, der in einen Mietsmart steigt. Er setzt sich, er schnallt sich an, er fummelt an den Knöpfen vor sich herum, dann schmettert dröhnend laute Musik aus dem kleinen Auto, Musik, die er sicher voll aufgedreht hat. Und vielleicht ist es ja eine besonders gute Art, einen Montag zu beginnen, man müsste es einmal probieren. Das Stück jedenfalls, dass man recht weit hören konnte, das war dieses:

 

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Und außerdem bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte. 

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