Das Berliner Modell

Immer das Positive sehen, nicht wahr. Mit Maske reden die Menschen beim Einkaufen also nicht mehr, das ist doch größtenteils ganz schön. Die Palette der getragenen Modelle ist auch interessant in ihrer ausufernden Vielfalt, es gibt kleidsame und nicht ganz so kleidsame Varianten, es gibt konservative und wirklich abgefahrene Modelle, die aussehen, als seien da die Kostümbildner der Theater im Stadtteil am Werk gewesen. Goldlamé und irgendwas mit etlichen metallenen Applikationen sind mir heute schon begegnet, da geht etwas. Einer meiner Favoriten bisher war aber doch die Frau, die sich einfach betont resolut und mit geringster Mühe Geschenkpapier ins Gesicht geklebt hat, ja, richtig mit Tesa, aber dann doch ohne Bändchen und Schleife. Ich nannte es im Geiste das Berliner Modell, wie auch immer ich darauf kam. Manches sieht eher unbeholfen gebastelt aus, manches liebevoll engagiert selbstgeschneidert, manches wirkt ultraschick designt und einige Menschen möchte man fast ums Stehenbleiben bitten, um sich das mal genauer anzusehen – aber man spricht ja nicht. Was natürlich im Vorbeigehen überhaupt nicht zu ermitteln ist, das ist die eine Information, die gerade wichtig wäre, nämlich ob und wo es dieses Exemplar denn wohl zu erwerben gibt.

Recht angenehm finde ich auch, dass der in Hamburg sonst übliche unfreundliche Blick, dieser kalt-abschätzende, immer konkurrenzorientierte und mindestens leicht, oft aber auch schwerst genervt wirkende Ausdruck der früher so verlässlich schlechten und gestressten Großstadtlaune, dass der eher nicht mehr so gut zu erkennen ist. Es gibt einige Menschen, es sind aber wirklich wenige, die schaffen es trotz Maske, eindeutig von oben herab zu gucken, das ist dann aber schon großes Kino und fast bewundernswert, man möchte sie direkt beim nächstbesten Casting anmelden, falls wieder irgendwo ein Unsympath für eine Vorabendserie gesucht wird. Der Rest guckt einfach irgendwie, am ehesten erkennt man da noch ein Lächeln, weil sich die Wangen dabei so deutlich heben. Zusammengezogene Brauen erkennt man zwar auch, die könnten aber auch für Konzentration stehen, fürs Unwohlsein wegen Luftknappheit, für das Nachdenken über den leider wieder vergessenen Einkaufszettel oder für sonst etwas, so eindeutig ist diese Teilmimik gar nicht. Und gesenkte Mundwinkel wiederum machen überhaupt nix mit den Masken, wie tief sie auch hängen mögen. Man kann also noch so beleidigt sein, es merkt einfach keiner. Schmollen ist nicht mehr verfügbar! Und man kann sich auch noch so überlegen fühlen, es kriegt einfach keiner mehr mit, man hat dieses erhabene Gefühl der feinen Blasiertheit jetzt ganz für sich und ich nehme fast an, es macht dann gar keinen Spaß mehr. 

Man könnte jetzt sogar durch Gegenden wie Eppendorf gehen, ohne von den Passantinnen dort nach nur flüchtiger Sichtkontrolle durch Mimik abgewertet zu werden. Also gefühlt jedenfalls könnte man das, und das reicht ja vielleicht schon aus für ganz neue Stadterfahrungen. Entdecke die Möglichkeiten!

Und damit zurück in die Home-School. Oder in das Home-Office, was weiß ich. Es ist auch egal, mir verschwimmt hier allmählich alles. Man macht einfach das Notebook an und redet, wie mein früherer Chef immer sagte, so lange, bis das Richtige dabei ist.

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Und übrigens bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

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6 Kommentare

  1. Das kommt mir ein bisschen so vor wie beim „Dinner the the Dark“. Dann kann entspannt gähnen und den Kopf abstützen, wenn man bei Tisch müde wird.

  2. Erleuchten Sie bitte eine Nicht-Hamburgerin zu Ihrem Kommentar über Hamburg Eppendorf? Wohnen da DIE BESSEREN? Und woran merke ich das denn bitte? Mein Leben in der Provinz hat mich wohl nicht so gut darauf vorbereitet, diese Stadtviertelfeinheiten zu erkennen. Meine Schwiegermutter lebte in New York City, also ich kenne Großstadt. Aber bei Eppendorf habe ich das Gefühl, das ist noch einen Zahn besser? Vielen Dank!

  3. „Hamburgerin“ als Synonym für Herblassung – als Nichtfreundin von Klischees aka Vorurteilen habe ich ja immer gezaudert, das so zu behaupten; aber Hamburger außerhalb Hamburgs zu treffen, hat bei mir stets diesen Eindruck erzeugt.

    Dass Sie als „Vor-Ort-Betroffener“ das genauso beschreiben, verblüfft mich.

    Wie muss ich denn jetzt den Umstand betrachten, dass ich im Februar in Hamburg von Touristen durchweg für eine Eingeboren gehalten wurde?!

    Belustige Grüße von unter der Teddybär-Gesichtsmaske!

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