Einfach nur ein Tisch

Letzte Woche, als es plötzlich so warm war. Ich gehe durch die Schrebergartenanlage, da hat jemand einen Klapptisch vor seine Hecke gestellt. Auf dem Tisch liegen Dinge, an dem Tisch hängt ein handgeschriebener Hinweiszettel: “Zu verschenken! Bis auf den Tisch!” Den Tisch kenne ich doch, denke ich und bleibe kurz stehen. Der ist mir nämlich schon einmal im Leben begegnet. Es ist vermutlich ein Campingklapptisch aus den 70ern, wenn ich den kunstgeschichtlich auf die Schnelle richtig einordne und es weht mich kurz eine Erinnerung an, Strand und Sonne, Wohnwagen oder Zelte, Sonnencremegeruch, Meergeruch, so etwas. Es ist nicht greifbar und nicht präzise, ein Nostalgiewölkchen ist das nur, aber ganz eindeutig ist an diesem Tisch ein Hauch von “Alles ist gut” auszumachen und ich stehe und gucke und versuche, mich zu erinnern, aber es kommt nicht mehr, ein ganz fernes Strandgefühl, ein Strandsurrogatextrakt, mehr nicht. Die Sonne scheint, aber damals war sie entschieden heißer. In einem Körbchen auf dem Tisch liegen Musikkassetten, die Älteren erinnern sich. Ich nehme eine heraus, ein vergilbtes Coverbildchen ist darauf, man kann es aber noch lesen, was da steht:”Die schönsten Melodien aus Derrick und Der Alte.” Mir fällt keine einzige Melodie dazu ein, ich wüsste nicht einmal die Titelmelodien der beiden Reihen, aber das 70er-Konzentrat, das dieser Tisch mit seinem Beiwerk ausdünstet, es ist jetzt so dermaßen intensiv, ich könnte mich daran berauschen wie an einer Droge.

Wobei an den 70ern vermutlich nichts toll war, außer dass ich Kind war, was ich so toll allerdings auch wieder nicht fand, wenn ich mich recht erinnere, aber es ist so eine Süße, die flüchtige Kindheitserinnerungen oft begleitet, man möchte doch immer einen Moment darin verweilen und es lustig finden, dass einem auf einmal auch noch der Geschmack von TriTop wieder einfällt, ausgerechnet TriTop, Geschmacksrichtung Mandarine und natürlich pur, wie unfassbar ekelhaft ist das denn. Aber damals war das eben großartig und ich habe sofort und sehr überzeugend diesen Geschmack im Mund und sehe auf einmal auch die Tapete in der Küche damals, eine abgefahrene Farbgebung, und jetzt guckt Horst Tappert misstrauisch aus der Laube, was ich da so lange herumstehe, und es riecht seltsam intensiv nach delial bräunt ideal um mich herum. Der mich begleitende Sohn fragt ungeduldig: “Was ist denn?” Ich sage: “Nichts, da steht nur so ein Tisch.” 

Dann gehen wir weiter, und wir gehen mitten durch seine Kindheit.

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Und übrigens bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

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Sie können hier Geld in den allerdings nur virtuell vorhandenen Hut werfen, ganz herzlichen Dank! Sollten Sie den konventionellen Weg bevorzugen und lieber ganz klassisch etwas überweisen wollen, das geht auch, die Daten dazu finden Sie hier. Merci! 

 

6 Kommentare

  1. Da gibt es zwei Bücher die genau zu diesem Gefühl passen:
    Matthias Brandt: Raumpattrouille
    Alexander Gorkow, Hotel Laguna
    … könnte mir vorstellen dass Sie die schon kennen. Sonst viel Spaß damit.

  2. „…aber es ist so eine Süße, die flüchtige Kindheitserinnerungen oft begleitet, man möchte doch immer einen Moment darin verweilen…“. Genau das ist mir, mit zunehmendem Alter sogar immer häufiger und intensiver, auch schon aufgefallen. Ich konnte das nur leider nie so meisterhaft zum Ausdruck bringen.

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