Ins Museum

Herr Brunotte hat hier gefragt, ob ich wieder ins Museum gehen würde, ich möchte dazu kurz meine Vorstellungen beschreiben. Und zwar, das muss man dabei verstehen, handelt es sich dabei um die Vorstellungen eines Vaters mit posthomeschoolischen Belastungsstörungen. 

Um die Wahrheit zu sagen, ich weiß gar nicht, wie es sich gerade mit den Museen verhält, sind die offen und wie genau, das habe ich komplett verpasst. Was auch jahreszeitlich bedingt ist, der Sommer ist irgendwie keine Kultursaison bei mir, da passe ich eher nicht auf. Ich habe aber schon oft über Museen geschrieben, ich gehe da gerne hin, soweit ich mich erinnere. 

Ich stelle mir also vor, ich gehe ins Museum. Das habe ich seit dem Winter nicht mehr gemacht, und wie lange ist der Winter bloß her, der war ja noch vor dem März mit seinen zehn Wochen Dauer und dann gab es noch einige andere Monate. Das Museum, in das ich in meiner Vorstellung übrigens ohne jede Begleitung gehe, es ist noch gar nicht lange wieder auf und nur mäßig gefüllt. Sowieso macht mir ein Museum nur Freude, wenn es bestenfalls mäßig gefüllt ist. Sonderschauen mit Hunderttausenden von Gästen – eher nein, ein Museum braucht Weißraum, schon gar nach Corona. Das Museum, es ist ganz gleich, um welches es sich handelt, ist vielleicht sogar eher leer, das gefällt mir dann gleich noch viel besser. Auf den Gängen höre ich daher die eigenen Schritte und das Wachpersonal sieht mir nach, wenn ich an Räumen vorbeigehe. Ich trete hier und da an Vitrinen und vor Objekte und Bilder, ich lese manchmal etwas nach. Getrieben bin ich dabei ausschließlich von Lust und einer äußerst angenehm entspannten Vorform der sonntäglichen Langeweile, nicht aber von Bildungsehrgeiz und Recherchedruck, schon gar nicht von irgendwelchen Zuständigkeiten. Ich gehe da nur so herum und muss gar nichts. Vielleicht finde ich dabei aber etwas, deswegen gebe ich etlichen Ecken ein oder zwei Chancen. In Museen findet man nämlich oft die Anfänge von Gedanken, während man sich das Ende von Dingen besieht. 

Ich habe also kein Kind dabei. Es ist überhaupt kein einziges Kind im Museum, die Museumspädagogik hat heute frei, der Kinderbereich ist geschlossen. Museumspädagogik ist super, gar keine Frage, aber heute nicht, heute stört sie meine Vorstellung. Die Ausstellungen sind in meiner Vorstellung eh ausdrücklich sterbenslangweilig für Kinder, sie sind im Grunde für sie völlig unzumutbar. Es werden Handschriften von toten Dichtern gezeigt, unleserliche Zeilen mit Federn notiert. Daneben hängen Ölgemälde mit dicken Menschen darauf, die überhaupt nichts anhaben, langweilige Tempel daneben und brave Schafe im Hintergrund. Einen Raum weiter gibt es Keramik, nichtssagende graubraune Scherben in 236 Variationen mit vielen Erläuterungen dabei, so etwas. Dinge, für die man Kinder unmöglich begeistern kann, bei keinem einzigen Objekt denke ich, dass das aber etwas für einen Sohn wäre. Nein, es ist alles nur meins, es ist alles wahnsinnig erwachsen, ich finde es großartig. 

Ich gehe ziellos entspannt durch die Gänge. Ich habe mir extra einen Anzug angezogen, das habe ich sehr lange nicht mehr gemacht, denn es gab keine Gelegenheit. Aber manchmal fühle ich mich intelligenter, wenn ich einen Anzug anhabe, und Intelligenz und Museum, das schien mir ganz passend. Ich habe ein Notizbuch dabei, damit wirke ich gleich noch geistreicher, bilde ich mir zumindest ein, auch wenn mir überhaupt nichts einfällt, was ich notieren könnte, wirklich keine einzige Zeile. Aber das macht nichts, ich bin ja auch nicht hier, um etwas zu leisten. 

Geleistet haben andere, und es ist schon so dermaßen lange her, dass sie es getan haben, man muss sie gewiss nicht mehr loben dafür und man muss sie auch nicht mehr zu weiteren Leistungen motivieren. Man kann sich die Ergebnisse einfach ansehen und irgendwie finden, es ist vollkommen egal, das ist so unfassbar entspannend. Ich stehe vor einem Gemälde und denke: “Na ja”, das macht dem Künstler rein gar nichts aus. 

Ich muss mir auch nichts merken, es wird nichts abgefragt, es kommt auch nichts morgen wieder vor. Ich lese den Namen eines Malers. Ich gehe ein Bild weiter und ich weiß den Namen schon nicht mehr. Ich finde das ziemlich gut so und lächele ein blassrosa Aquarell an, das hat jemand gemalt, den ich mir auch nicht merke, und zwar tat er dies in einem Jahr, das mir total egal ist, an einem Ort, der mich nicht interessiert und das gehört dann zu einer Kunstrichtung, auf die ich nicht komme. “Hübsch”, denke ich, und das ist ja auch eine Würdigung. 

Ich muss hier mit niemandem reden, und, was noch besser ist, es wäre sogar komisch oder verdächtig, wenn ich mit jemandem reden würde. Smalltalk im Museum, soweit kommt’s noch. “Na, auch hier?” Nein, das macht man nicht. Ich schweige begeistert, ich gehe leise. Da, der Gang in den anderen Flügel ist völlig menschenleer, ich wandere sachte hindurch wie ein Geist und flackere so an den Säulen vorbei. Wo auch immer ich da hinkomme, ich weiß es gar nicht, das merke ich ja dann. 

Ich gehe ins Museumscafé und kaufe mir zwei Stück Kuchen, die teile ich mit niemandem. Dann bleibe ich da einfach nur sitzen und erkläre es keinem. Ich gucke mir die Decke an und erläutere nicht, wo ich hinsehe und warum, ich verkünde auch nicht, wann es weitergeht. Es geht weiter, wenn ich es will, und ich lehne mich zurück und will nicht.

Auf den Plakaten an den Wänden sind Zeugnisse vergangener Kulturen abgebildet. Die Angehörigen dieser Kulturen hatten Kinder, die haben jahrelang irgendwas gelernt, das weiß heute alles kein Schwein mehr. So wird es mit unserer Schulbildung auch sein, denke ich. Es dauert nur noch ein wenig und ein Bild wird im Museum hängen, darauf sind ein Vater und seine Söhne, die machen gemeinsam Mathe an einem vorsintflutlichen Notebook. Darunter steht “Home-School, etwa 2020”. Eine Besucherin wird kopfschüttelnd daran vorbeigehen, nee, was die früher alles gemacht haben! Na, das ist aber sicher lange her. Und sie beugt sich vor und liest noch einmal die kleine Jahreszahl, dann schüttelt sie sinnend den Kopf. 

Ja, ich gehe auf jeden Fall bald wieder ins Museum. Ich merke gerade, es zieht mich dahin. Ein Museum ist ein Raum, in dem mir nichts gehört – und es wird alles, alles meins sein. Das wird schön, stelle ich mir vor.

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8 Kommentare

  1. Ich meinerseits war tatsächlich schon wieder im Museum. Ganz allein. Und das fühlte sich schon ein wenig so ähnlich an, wie sie es oben beschreiben.
    Nur kann ich nicht so schön darüber schreiben …

    Einige Museen in Dresden haben ja schon wieder geöffnet … und ich habe die Gewohnheit, mir so ungefähr alle Sonderausstellungen 1x anzuschauen.
    Und meine Lieblingsbilder besuche ich auch gern – sowohl bei den Alten als auch den Neuen Meistern.

  2. Klagenfurt könnte nur gewinnen, wenn dieser Text (oder ein typähnlicher) dort verlesen würde.

  3. In Museen findet man nämlich oft die Anfänge von Gedanken, während man sich das Ende von Dingen besieht…

    Was für eine wunderbare kleine, grosse Reise!

  4. In zwei Wochen erwartet mich hoffentlich endlich David Hockney im Bucerius Kunstforum. Ich bin sehr gespannt.

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