Das also auch noch

Ich gehe mit einer Freundin aus, wir gehen in eine Bar. Die Szene spielt noch in den Sommerwochen, bevor Barbesuche in Hamburg auf einmal nicht mehr empfehlenswert erschienen. Hinterm Tresen steht ein ausgesprochen unglücklich aussehender junger Mann in einem grauen Pullover. Ein verwaschener und seltsam konturloser grauer Pullover ist das, eine Jeans trägt er dazu, viel unauffälliger kann man nicht herumlaufen. So werden in deutsche Krimis Nebenfiguren angezogen, die ausdrücklich unbedeutsam sein sollen, die das Hintergrundgeschehen darstellen sollen, die eine halbe Zeile Text bekommen, und das ist dann schon viel. Sie schweigen aber auch oft, so wie dieser Mann da vor uns. Der steht da nur und guckt leidend. In eine Bar scheint er nicht recht zu passen, er wirkt eher so, als hätte man irgendwo anders gerade ausgeschnitten und dann fälschlich hier eingeklebt. Collagentechnik, so etwas macht man in der Schule irgendwann in Kunst, Verfremdungen, und manchmal ist das dann lustig.

Ich möchte mich darüber aber nicht lustig machen, keineswegs. Ich erzähle das nur, weil es war. Ich habe alles im Kleiderschrank, um das Outfit dieses Mannes täuschend echt nachzustellen. Und ich würde, je nach Tagesform, auch seine Ausstrahlung ganz gut hinbekommen, so viel schauspielerisches Selbstbewusstsein darf gerade noch sein.

Meine Freundin bestellt zwei Heißgetränke. Der Mann guckt betroffen. Heißgetränke, was soll ich noch alles machen, so sieht sein Blick aus. Meine Freundin macht etwas, was ich niemals tun würde, aber es wirkt bei ihr ganz natürlich, vielleicht auch ein wenig ironisch mütterlich, jedenfalls aber naheliegend. Sie beugt sich nämlich vor und fragt besorgt: „Ist es schlimm für dich, dass du das jetzt machen musst?“

Die Frage ist vollkommen berechtigt, so wie der eben noch geguckt hat. Der Mann ist jetzt aber beleidigt und guckt nicht nur unglücklich, sondern auch noch gekränkt. Unsere Heißgetränke macht er dennoch, widerwillig und langsam.

Er schiebt uns die Getränke hin, dann steht er wieder leidend da und guckt unbestimmt in die Gegend. Ein anderer Gast bestellt ein Bier bei ihm und da nickt er gottergeben, ja, ein Bier, ihm bleibt wirklich nichts erspart. Er sieht auf seine Uhr, der Abend ist noch lang.

Vor vielen Jahren, das war noch im letzten Jahrhundert und auf den Bürotischen lagen morgens also Zeitungen neben Aschenbechern, hatte ich im Büro mal eine Kollegin, die sang hinter ihrer Schreibmaschine oft leise vor sich hin. Man verstand es nur, wenn man direkt neben ihr stand, es war eine Art Mantra, wenn auch in Frageform: „Warum nur, warum muss alles so sein?“ Immer wieder sang sie das, ein fast tonloses Geträller für Eingeweihte. Und es war etwas im Blick dieses Mannes in der Bar – das Fragemantra fiel mir auf einmal wieder ein, ich hatte es längst vergessen. Warum ist es nur so und ist es schlimm für uns. Naheliegende Fragen.

Pardon, dieser Text hat gar keine Pointe, merke ich gerade. Warum nur, warum?

***

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2 Kommentare

  1. … weil keine Pointe auch eine Pointe sein kann? Aber es muss ja auch nicht auf jede Frage eine Antwort geben.

  2. Jedenfalls gefällt mir die Schilderung des Mannes hinter dem Tresen sehr,sehr gut. Ist er doch entweder gleichgültigkeits-oder melancholiebehaftet gar sehr…

    Alles passt, finde ich!

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