Regen

Am Montag regnete es fast durchgehend. Stundenweise war es so ein gewisser Regen, ruhig, ergiebig und langanhaltend, dass irgendwer in meiner Nähe zwangsweise hätte „Landregen“ sagen müssen, und zwar in einem anerkennenden Tonfall. Immer war das nämlich bisher so, dass dieses Wort irgendwann fiel, wenn es so regnete. Es war aber an diesem Tag niemand in meiner Nähe außer den Söhnen, und die sagten es natürlich nicht, es ist doch ein ziemlich erwachsenes Wort. Ich hätte es schon selbst sagen müssen. Ich sagte es nicht, was vielleicht falsch war, denn so lernen die Söhne das Wort ja nicht, zack, wieder eine Tradition weniger, das Land geht vor die Hunde, die Kultur, die Kultur.

Mir fiel aber immerhin während des Nachdenkens darüber, ob ich das nun sagen musste oder nicht, wieder ein, dass ich als Kind den Landregen immer in Bezug auf Bauern und Dörfer verstanden habe. Als sei es für uns in der Stadt etwas Besonders, wenn etwas so Gutes vom Dorf einmal – und nur ausnahmsweise! – in unseren Mauern zur Aufführung gebracht wurde. Für uns, die die wir doch normalerweise nur den ollen Stadtregen hatten, was eben jeder Regen war, der nicht Landregen war, und das sagte dann aber niemand anerkennend, oh nein. Das Wort Stadtregen gab es vielmehr nicht einmal, so wenig war unser normaler Regen wert.

Warum es aber auf dem Land überhaupt einen anderen Regen gab als bei uns, wo das Land doch gar nicht weit weg war, ein paar Minuten mit dem Auto nur – es war vollkommen unerfindlich. Ich habe so etwas damals aber nicht laut hinterfragt. Ich hätte auch, was weiß ich, Ostzonenregen als Begriff so hingenommen. Man hat als Kind damals vielmehr einfach so hingenommen. Ein Umstand, den ich meinen Kindern kaum noch erklären kann.

Landregen jedenfalls – der war und ist gut und wertvoll, wie etwa ein Bauerngarten, wie Ackergold, wie Katenschinken. Immer dieses anerkennende Nicken. Die gute Butter, der Landregen. Ausgesprochen freundliche Assoziationen bei dem Wort. Wenn es das nicht schon als Marke gibt, man müsste mal drüber nachdenken, was man damit gut vermarkten könnte.

Egal. Es fiel also ein Landregen auf die Stadt an der Elbe, es fiel ein Stadtlandflussregen. Und das habe ich dann doch anerkennend und am Fenster stehend gemurmelt, mit Blick auf den nassen Spielplatz, auf nasse Büsche und nasse Ringeltauben. Die Elster aber flog meckernd auf den Knick der Regenrinne oben unter dem Dachvorsprung am Nachbarhaus und stellte sich dort unter. Haben Sie das gewusst, dass Elstern sich unterstellen?

Man kann so oft aus dem immer gleichen Fenster sehen, wie es Corona im Laufe der Monate und Jahre nur hergibt, es gibt dennoch ab und zu etwas Neues zu entdecken.

 

***

Sie können hier Geld in den allerdings nur virtuell vorhandenen Hut werfen, ganz herzlichen Dank! Sollten Sie den konventionellen Weg bevorzugen und lieber ganz klassisch etwas überweisen wollen, das geht auch, die Daten dazu finden Sie hier. Wer mehr für Dinge ist, es gibt auch einen Wunschzettel. Merci!

 

6 Kommentare

  1. Elstern bauen sich selbst über ihren Nestern ein Dach – mir kam jedoch bislang nicht in den Sinn, daß dies als Regenschutz gedacht sein könnte.

  2. Verdacht: Dieses Hinnehmen als Kind nennt man „Lernen“, zumindest den ersten Schritt davon. Der Prozentsatz an Unbekanntem, Neuen, nicht Einzuordnenden ist enorm, als Kind nimmt man das alles erst mal hin – vielleicht sortiert es sich ja irgenwann zu etwas Sinnvollem.
    (Mein Argument übrigens auch für leicht überfordernde oder angeblich veraltete Schullektüre: Auch das könnten Kinder durch Hinnehmen lernen.)

  3. Tatsächlich hatte ich peinlicherweise bis zum Lesen Ihres wie immer wunderbaren Textes das Wort Landregen trotz meines fortgeschrittenen Alters noch nie hinterfragt. Da muss ich jetzt mal drüber grübeln.

  4. Landregen vielleicht deshalb, weil er dem Land, also da, wo Äcker und Viehweiden sind, besonders zuträglich ist in seiner gleichmäßigen, sanften Flächigkeit und seiner Dauer? Im Gegensatz zum Platzregen, der vielleicht so ein Vergewaltiger ist, dass er den Boden eher verschließt und dann ungenutzt von dannen fließen muss … ?

    Die Elster saß aber doch vielleicht eher auf dem Knick vom Fallrohr? Andernfalls sich mir das Bild nicht erschließt …

  5. @Alexandra: Das ist fachlich sicherlich korrekt, das Fallrohr. Ich merke aber gerade, dass in meinem Kopf das ganze Ding Regenrinne heißt, mit dem Rohr. Warum auch immer. Vermutlich falsch gelernt irgendwann.

  6. @Herr Buddenbohm: Bauen Sie mal ein Haus – datt lernt Sie Wörter, datt haltense nich‘ für möchlich!

Schreib einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Time limit exceeded. Please complete the captcha once again.