Eine Dankespostkarte

Rückseite

Ich habe zu danken für die überaus freundliche Zusendung einer antiquarischen Ausgabe der Erzählungen von Stig Dagerman: „Die Kälte der Mittsommernacht“. Eine DDR-Ausgabe, Volk und Welt. Übersetzungen von Gisela Kosubek, Ilse Meyer-Lüne, Klaus Möllmann, Ilse Pergament. Ein gebundenes Buch mit bemerkenswert gut erhaltenem Schutzumschlag, dazu ein zweiseitiger und auch noch handschriftlicher Brief der Schenkenden, es ist alles ganz vortrefflich. Herzlichen Dank!

Vorderseite

Wiederum ein frisches Bild, nur eine Stunde ist es alt. Wir befinden uns im unteren Bereich des abendlichen Hauptbahnhofs, in einer schmucklosen Halle zwischen U-Bahnabgängen und Aufgängen zu den S-Bahnen. Ein geschlossener Bäcker, Gitter vor den Fenstern. Ein kaputtes Telefon mit magentafarbenem Hörer, ein verlassenes Büro des Sicherheitspersonals. Fahrkartenautomaten, auch einer für Süßigkeiten. Ein paar bunte Poster, auf denen wieder für Theater und Kino geworben wird, auch für Museen. Es ist leer hier, nur wenige Menschen kreuzen die Halle, kleine Grüppchen. Einer kommt aus einem Passbildautomaten, gerade schlägt er den schwarzen Plastikvorhang zurück. Ein Mann, nicht ohne Eigenschaften, das sicher nicht, aber doch ohne auffällige Merkmale. Besondere Kennzeichen keine. Mittelalt. Sein Aussehen ist keiner Herkunft zuzuordnen, die Kleidung weist ihn keiner Szene oder Schicht zu, seine Frisur hat jeder. Mittelgroß, nicht dick, nicht dünn. Wir können es als Vorteil sehen, sich auf solche Art einer näheren Beschreibung zu entziehen, besondere Kennzeichen können enorm störend sein. An diesem Mann stört gar nichts, soweit ich sehe. Jetzt nimmt er die Bilder aus dem Ausgabeschacht. Er sieht sie genau an, mehrmals geht sein Blick zwischen den verschiedenen Bildern hin und her – und dann schüttelt er langsam den Kopf, wobei er auf einmal unendlich traurig aussieht, geradezu verzweifelt. Dann lehnt er sich an den Automaten.

Weiter nichts. Nur wie er dort am Automaten steht und sich auf diesen Bildern ansieht, mit einem derart sorgenvollen Gesicht, das man weiß, es ist ernst und schlimm. Mehr erfahren wir nicht. Vielleicht ist es ein Absatz auf der siebten Seite einer Erzählung, was wir da gerade sehen, aber es ist nicht aus dem Buch, das wir gerade lesen, nicht wahr. Es ist eine fremde Geschichte. Dauernd geht man durch fremde Geschichten.

***

Sie können hier Geld in den allerdings nur virtuell vorhandenen Hut werfen, ganz herzlichen Dank! Sollten Sie den konventionellen Weg bevorzugen und lieber ganz klassisch etwas überweisen wollen, das geht auch, die Daten dazu finden Sie hier. Wer mehr für Dinge ist, es gibt auch einen Wunschzettel. Merci!

2 Kommentare

  1. „Dauernd geht man durch fremde Geschichten.“

    Ein sehr, sehr schöner Satz. Den als Buchtitel reservieren!

Schreib einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert