Ehrungen, Währungen

Das Jahr beginnt mit dem Weltuntergang. Das liegt allerdings nur daran, dass wir gemeinsam den Film Don’t look up auf Netflix sehen und das Timing unabsichtlich so geschickt hinbekommen, dass der alles auslöschende Komet die Erde genau um Mitternacht erwischt. Auch gut, dann hat man das Schlimmste schon hinter sich. Ich finde den Film fürchterlich schlecht, aber egal. Man kann mit Kindern gut darüber reden, man kann auch die Idee interessant finden, das immerhin. Eine leichte Anmutung von Home-School im Abgang, wir diskutieren zu später Stunde noch ethische Fragen.

Es ist vermutlich das erste Silvester seit meiner Kindheit, an dem ich keine einzige Rakete sehe. Denn das mit dem reduzierten Böllern, das hat ausgerechnet hier im kleinen Bahnhofsviertel bestens funktioniert. Ich lese auf Twitter anderes, ich weiß, dass da bei Ihnen und auch bei Ihnen viel angezündet wurde. Aber ich höre hier nur einige vereinzelte Raketen, ich sehe sie nicht, sie sind zu weit weg, sie sind hinter Dunst und Häusern. Auf der Straße unten wird ein wenig geknallt, die Betonung liegt aber auf wenig, sagen wir ruhig sehr wenig. Eine bemerkenswert ruhige Nacht ist das. Am nächsten Morgen gehe ich Brötchen holen, es sieht da draußen alles aus wie im letzten Jahr. Es sind nur wenige Menschen unterwegs, wie an jedem Feiertagmorgen, einige Reisende im Hauptbahnhof nur, und die erkennt man sofort als Reisende. Das sind keine Übriggebliebenen von Partys, die desorientiert und mit erheblichem Restalkohol taumelnd in ihre Vororte abziehen. Das sind Menschen, die hier zu den Festen Verwandte besucht haben und planmäßig rückreisen, frisch geduscht und mit ordentlich gepackten Koffern. Auch auf dem Weg zum Bahnhof ist kaum Müll zu sehen. Keine Raketenstöcke liegen herum, keine Böllerfetzen, keine im Regen aufgeweichten Knallerpackungen, nicht einmal leere Sektflaschen stehen am Straßenrand oder liegen in Scherben. Jede laue Sommernacht hinterlässt hier deutlich mehr Partymüll als dieser Jahreswechsel. Na, mir soll es recht sein.

Das Jahr beginnt sauber und vorschriftsmäßig. Ich leite daraus nichts Orakelhaftes ab, ich schreibe das nur mit und wundere mich.

Ich lege in der Küche schon einmal die Frühstückszutaten, die Teller und das Besteck heraus, ich höre dabei „Irrungen, Wirrungen“ von Fontane. Das ist der Roman mit den entscheidenden Szenen bei „Hankels Ablage“, manche wissen das vielleicht noch aus Schulzeiten. Sven Görtz liest mir vor, seine Stimme passt ausgezeichnet zum Neunzehnten Jahrhundert. Ich erwähnte es bereits, aber er wird gerade mein Beruhigungsmittel erster Wahl, da sei das noch einmal betont. Es gibt viele Hörbücher von ihm, vielleicht reichen sie für ein Jahr. Ich finde einen Satz besonders gut, ich will mir den merken. Ich diktiere ihn mir schnell ins Handy, ich sage dabei natürlich auch, woraus der ist, der Satz. Das Handy wandelt mein Diktat in Schrift um, und recht wacker macht es das, um es in zu Fontane passendem Tonfall auszudrücken. Allerdings steht da dann: „Fontane: Ehrungen, Währungen.“ Was habe ich denn bitte für eine Aussprache? Ehrungen, Währungen, Das klingt wie ein Roman in Zentralbankkreisen, das klingt gar nicht schlecht. Aber etwas simmelmäßig vielleicht? Beststellertauglich klingt es, aber ich verstehe leider nichts von Währungen, ich kann dazu nichts ausführen. Ich verwerfe die Titelidee also gleich wieder mit einer inneren Grandezza, als hätte ich bei Gefallen mal eben einen Roman daraus machen können.

Die Familie schläft noch stundenlang. Ich setze mich ans Notebook, ich schreibe: „Dass Jahr beginnt mit dem Weltuntergang.“ Anfänge sind wichtig, sagt man, und dieser klingt interessant.

Später gehen die Herzdame und ich runter an die Alster. Auch dort ist alles gepflegt, keine Verwüstungen sind zu sehen, keine Trümmer, keine rauchenden Reste. Sehr viele Menschen gehen auch bei eher schlechtem Wetter im Kreis um die Alster, die einen so herum, die anderen so herum. Sie stellen dabei immer wieder fest, ich höre es mehrfach im Vorbeigehen, dass sehr viele Menschen im Kreis um die Alster gehen. So auch ich, so auch wir. Das Leben ist ein langer, ruhiger Mainstream.

Man kann aber jederzeit da raus, wenn man möchte, es hängen überall Rettungsringe am Ufer bereit.

 

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Kein Jahresrückblick

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