Man hat, so lese ich, überall Schwierigkeiten mit dem Durchhaltemodus, der doch allein in der Lage ist, uns durch Januar und Februar zu bringen, durch den entweihnachteten und also weitgehend funktionslosen Restwinter von betrüblicher Länge, der durch eine mittlerweile gut abgehangene Pandemie auch nicht gerade einfacher wird. Ich habe da kein Rezept, ich mache auch nur weiter und sonst nichts. Immer ein Tag nach dem anderen, wie sie gerade anfallen. Morgens und mittags gehe ich raus, aber ich sehe dabei kaum etwas, es fällt mir nichts mehr auf, es ändert sich hier nichts mehr, nicht einmal das Wetter, alles ist erstarrt. Die Lokale ringsum bleiben leer, die Läden werden nur schwach besucht, die Zettel mit den Regeln in den Schaufenstern kennen wir auch schon, die vielsprachigen 2G-Hinweise überall, die liest eh niemand mehr. Die Schlange vor dem einen Test-Zentrum da ist neuerdings deutlich länger geworden, okay. Eine Änderung, hurra. Aber sonst – nichts.
In einem zugekackten und zertretenen Beetstreifen in einer ungeliebten Ecke des Stadtteils, die man nach Einbruch der Dunkleheit eher nicht mehr aufsucht, zwischen zerknüllten Masken, Scherben und Kippen kommen grüne Spitzen aus der vermüllten Erde. Das werden mal Narzissen, wenn sie nicht vorher jemand zertritt, aber das dauert noch. Da mal öfter nachsehen.
Am Straßenrand auf dem Weg zum Discounter liegt – es liegt hier wirklich dauernd was am Straßenrand, ich denke mir das nicht aus – ein Intensivkurs Französisch, auf Schallplatte. Eine gut erhaltene Box ist das, drei oder vier Platten werden da sicher drin sein. Wie mühsam das gewesen sein muss, damit zu lernen, immer eine Hand am Tonarm, immer nochmal ansetzen, wenn man etwas wiederholt hören wollte. Wie mühsam und kompliziert damals überhaupt alles war, und es ist uns nicht einmal aufgefallen. Und nach all den Jahren sortiert das also jemand aus, weil er oder sie jetzt endgültig denkt: „Ach, lass mal. Kommste doch nicht mehr zu.“ Aber wie viele Jahre das noch irgendwo als Mahnmal im Regal gestanden haben muss. Oder jemand kann jetzt endlich alles, das kann auch sein.
Ich höre den Frankenstein von Shelley, als ich an den Platten vorbeigehe, aber ich breche das Hörbuch genervt ab. Zu langatmig, zu rührselig, zu unlogisch. Ich bin ungnädig, und ich weiß doch eh, wie es ausgeht. Ich höre stattdessen Eduard von Keyserling, Schwüle Tage. Das dauert nur zwei Stunden, dann wird schon nach formvollendetem Handlungsbogen an der Liebe gestorben, und wie elegant, wie stilvoll, so muss das sein. Der strenge Vater in der Erzählung verlangt von seinem etwas lax veranlagten Sohn, er solle doch bitte „Tenue haben“, da bin ich gleich wieder im Französischen: Un peu de tenue, das braucht man gerade im Januar. Ein wenig Benehmen, Ordnung, Niveau und Zug.
Ich lerne später mit einem Sohn Französisch für die Schule, ohne Schallplatten, aber mit einer App. Es geht um die Befehlsform, schließe die Tür. Ich bastele einfache Sätze aus den Vokabellisten zusammen. Wiederhole. Hör zu. Öffne das Fenster, schreibe ein Lied. Das klingt wie ein dämlicher Postkartenspruch: „Öffne das Fenster, schreibe ein Lied“, das klingt ein wenig nach der esoterischen Ecke, nach Ratgeberwellness und Lifestylekolumnen. „Öffne das Fenster, schreibe ein Lied“, sage ich zum Sohn, und der sagt es dann auf Französisch. Da klingt es gleich besser, fast geistreich. Französisch müsste man können! Vielleicht mal einen Intensivkurs machen, ich weiß, wo einer liegt.
Ich gehe am Abend noch einmal raus. Ich gehe durch den Hauptbahnhof, über die Bahnsteige, durch die Wandelhalle. Mir fällt nichts auf, es gibt nichts zu sehen. Aber draußen gewesen. Stets bemüht.
***
Sie können hier Geld in den allerdings nur virtuell vorhandenen Hut werfen, ganz herzlichen Dank! Sollten Sie den konventionellen Weg bevorzugen und lieber ganz klassisch etwas überweisen wollen, das geht auch, die Daten dazu finden Sie hier. Wer mehr für Dinge ist, es gibt auch einen Wunschzettel. Merci!
Bei uns ist es im Moment ähnlich: Ich übe mit meiner 4-Klässlerin deutsche Grammatik und versuche die Übungssätze so abstrus wie möglich zuhalten, weil ich mir einbilde, dass ein Satz wie „Der Hund mag die Katze…mit Senf.“ besser im Gedächtnis bleibt.
Ah! Jetzt ist mir klar, wieso ich seit Jahren vergeblich nach den geeigneten Worten suche, um das nachfeiertägliche Jännertrübsal zu umschreiben. Die von mir gesuchten Worte, sie sind bei IHNEN in HAMBURG!!
Muss ich nicht mehr weitersuchen, nun hab ich sie gefunden, die Worte.