Ich mache Ihnen Musik an, Moment – Declan O‘Rourke.
Der Song hat allerdings mit dem Text nichts zu tun, der ist mir nur so zugelaufen.
Eine furchtbar langweilige Woche war das, jahreszeitlich bedingt, pandemiebedingt, seelisch bedingt, was auch immer. Langeweile kenne ich eigentlich gar nicht, das passiert mir selten, man kann ja immer über irgendwas schreiben und schon ist man wundersam beschäftigt, also als Autor jedenfalls. Aber manchmal erwischt es auch mich. Die Gedanken waren allzu schwarz, um sie für die Öffentlichkeit zu notieren. Das Wetter war zu nassgrau, um es schon wieder zu beschreiben. Der Februar war und ist noch zu lang, um sein Ende launig herbeizutexten. Da draußen war alles zu sehr wie immer, um noch Geschichten darin zu entdecken. Neu waren nur die Valentinstagherzen in den Schaufenstern und die Pralinenschachteln mit den Liebesbotschaften in schnörkeliger Schreibschrift beim Discounter, aber wie abgeschmackt ist das denn. Die Preise für Blumen steigen, so stand es schon wieder in den Nachrichten, die auch nur aus Wiederholungen bestanden. Die Preise für alles steigen, dachte ich an der Discounterkasse, aber auch dieses Problem: Längst ist es zu bekannt, zu abgelutscht, zu öde, zu mitgeteilt. Einfach zahlen und gehen, was soll man machen.
Die Arbeit und der Alltag waren zu gleichförmig, das war mir nicht recht, aber aufregend hätten sie natürlich auch nicht sein dürfen. Nein, es war nicht möglich, mir in dieser Woche zu Gefallen zu sein, ich sah es ein und nahm nicht übel. Oder wenigstens nicht sehr. Oder zumindest nicht mehr als sonst.
Das Lernen mit den Söhnen war zu nervtötend, ich bekomme mittlerweile Brechreiz bei Grammatikfragen. Ich kriege unsinnige Hasswallungen bei Heideggerzitaten auf Philosophiearbeitsblättern, wer tut denn bitte Achtklässlern Heidegger an, geht’s noch, wie sollen sie das Fach jemals mögen. Ich sah Seneca-Sätze als Nebenbei-Memento Mori, es war alles nicht gerade belebend oder erbaulich. Ich übte das Past Progressive und das Simple Past, ich sagte Regeln und Beispiele auf, we were learning English when sudddenly …
Ich sagte zum Sohn: „Du hörst gar nicht zu“, der Sohn sagte überrascht: „Sprichst du mit mir?“
Nein. Ich stehe im Kinderzimmer und sage Sätze aus der englischen Grammatik einfach so für mich auf, warum auch nicht. Des Wahnsinns fette Beute.
Ich schicke die Söhne jeden Morgen zur Infektionslotterie, ich mache jeden Morgen das Home-Office an, das ist gerade so die Gegenwart, und das ist irgendwie auch alles, jedenfalls in dieser Stimmung.
Kennen Sie Wakefield, die Geschichte von Hawthorne? Eine interessante Sache, weil den Herrn Hawthorne bei diesem Text plötzlich die Moderne überkommen hat wie andere der Heilige Geist, die Idee passt nicht recht zu seinem sonstigen Werk und auch nicht in die Zeit, sie scheint da nicht hinzugehören. Wenn Sie der Geschichte habhaft werden können – sie lohnt sich. Ein Mann verlässt darin ohne erklärten oder erkennbaren Grund sein Leben, seine Frau, seine Wohnung, nimmt sich eine Ecke weiter ein Zimmer und beobachtet dann zwanzig Jahre lang heimlich von da aus die Reste seines alten Lebens, also das Altern der Frau, wie sich die Gegend verändert etc. Nach zwanzig Jahren kehrt er zurück und lebt – wiederum ohne Erklärung – als liebender Gatte weiter, wie es im Text heißt.
Es gibt einen zentralen Satz in der Story, er wird auch in der Wikipedia zitiert: „Amid the seeming confusion of our mysterious world, individuals are so nicely adjusted to a system, and systems to one another, and to a whole, that, by stepping aside for a moment, a man exposes himself to a fearful risk of losing his place forever. Like Wakefield, he may become, as it were, the Outcast of the Universe.“
In dieser Woche hätte ich meinen Platz auch gerne verlassen, das wollte ich nur eben sagen. Mir hätten allerdings zwei oder sagen wir meinetwegen zwanzig Stunden gereicht, zwanzig Jahre finde ich doch stark übertrieben. Alles mit Maß und Ziel, wie mein Vater sagte, ich werde das noch öfter zitieren, glaube ich.
Ich mache das Radio an, das Radio sagt „Brauchtumszone“. Ich mache das Radio aus und ich frage mich, wie schlimm alles noch werden wird. Brauchtumszone, Brauchtumszone, ich komme über das Wort gar nicht weg, über den Inhalt schon gar nicht. Brauchtumszone, wie furchtbar klingt das denn, wo sind wir denn gelandet.
Der Raum, den ich bewohne
Ist eine Brauchtumszone
Wo immer ich auch wohn‘
Da nenn ich‘s Tradition.
In Schrebergärten, wussten Sie das, gibt es auch so einen Brauchtumsunfug. Feuer in den Gärten sind verboten – aber wenn Sie zwei Akkorde auf der Gitarre können und neben dem Feuer klampfend etwas von wilden Schwänen oder ziehenden Gänsen grölen, dann ist es Brauchtum, dann darf man das. Zum Schluss die Gitarre verbrennen, dann ist es Rock‘n Roll.
Ich gehe einkaufen, im Supermarkt gibt es jetzt etwas Neues. Einen kleinen Verschlag gibt es da, in dem mutmaßlich japanischstämmige Menschen den ganzen Tag Lachs zerschnippeln und zu sehr frischem Sushi verarbeiten. In Japan kauft und isst man es wohl so, das ist also ein Brauchtumsbüdchen, denke ich, das wird jetzt überall so eingerichtet. Zönchen und Büdchen, und da dann machen, was man immer schon gemacht hat. Na, meinetwegen.
Ich gucke mir das an, ich schreibe das auf, ich bin ein Brauchtumsblogger. Ich bestelle mir neue Visitenkarten. Immer auf der Höhe der Zeit bleiben.
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„Brauchtumszone“ sollte man für das Unwort des Jahres nominieren.
Hier bei uns auf der Elbinsel wird auch seit Neuestem geschnippelt, was das Zeug hält. Mir wurde ein Probepäckchen angeboten mit einem zuckersüß gesäuselten „ich wünsche Ihnen viel Gesundheit“. Ich mag trotzdem kein Sushi.