Werktag, Farbton mittel

Es sieht nach echtem Herbstwetter aus, wenn es auch nicht kalt ist. Ein wenig frisch ist es vielleicht. Aber schmutzig dunkle Wolken gibt es, etwas Regen gibt es und diese Dunkelheit am Morgen. Krähen vor schieferfarbenem Himmel in der ersten Dämmerung gibt es auch, immerhin. Auf dem Hotel gegenüber weht die britische Flagge auf halbmast im Westwind.

Auf meinem Arbeitsweg fehlen jetzt zwei Imbisse, ich sehe es im Vorbeigehen. Sie haben geschlossen, sie werden ausgeräumt, es gibt sie nicht mehr. Es kann Zufall sein, es kann eine Folge von etwas sein, es steht nicht dran.

Am Straßenrand steht eine Dose Holzlack auf dem Fußweg, „Farbton Mittel“ steht darauf, was mag das sein? Ich stelle mir norddeutsches Novembergrau vor, mit einem Stich ins Bräunliche vielleicht. In welcher Farbe hätten Sie ihre Möbel denn gerne? Na, so mittel.

Im Schaufenster eines Geschäftes für Schreibwaren und Geschenke wurde die Dekoration jahreszeitlich angepasst, da wachsen jetzt Stoffpilze in der Auslage, die samtene Köpfe in dunklen, warmen Farbtönen haben, schimmernd und heimelig. Im Laden gegenüber, in dem es nur Produkte aus Hamburg gibt, wurden warme Socken und Mützen dekoriert. Die Kleiderschränke der Leute wurden wohl auch alle gestern umsortiert, ich treffe niemanden mehr, der noch T-Shirt oder kurze Hose trägt, der ganze Weg durchs Viertel ist eine Übergangsjackenleistungsschau und oktobrige Brauntöne überwiegen, man trägt auch wieder Leder und Wolliges in Oversize, vieles sieht neu aus.

Eine Frau in mattgelber Regenjacke jagt einem Kleinkind hinterher, dass auf einem Laufrad jauchzend beschleunigt, auf eine große Kreuzung zu. Die Mutter ist zehn, fünfzehn Schritte hinter dem Kind und man sieht gleich, das sind zu viele, das schafft sie nicht mehr, obwohl sie jetzt laut schreiend auf diese Art beschleunigt, die man nur in Ausnahmefällen parat hat, und sie ruft und ruft. Ich bin auch zu weit weg von dem Kind, ein Mann auf der anderen Straßenseite ist es auch, und das Kind lacht und beugt sich vor, so schnell bin ich, so schnell, und die Mutter ruft da hinten so lustig. Es düst über die Kreuzung und es kommt kein Auto, nicht ein einziges, weit und breit nicht, wieviel Glück kann man um diese Uhrzeit haben.

Die besten Geschichten sind vielleicht doch die, die gar nicht erst passieren, das ist für Chronisten nicht einfach.

Die Mutter kniend vor dem Kind, ernst auf es einredend, laut und eindringlich, beide Hände auf seinen Schultern. Das Kind, das im Gesicht der Mutter forscht, was das jetzt wieder soll. Es ist wohl ernst. Aber was bloß?

Ansonsten ein normaler Tag. Farbton mittel.

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