Es dämmert am späteren Morgen. Dann dämmert es immer weiter, dann wird es Abend und es war also ein Tag zwischendurch, es fiel nur nicht weiter auf. So vergehen Wochen. Es ist um 16 Uhr gefühlt 21 Uhr, vielleicht ist es aber auch einfach durchgehend 21 Uhr, von der Müdigkeit her kommt es hin. Der vorherrschende Gedanke zu dieser Zeit des Jahres: Ja, ist gut jetzt.
Die Luft da draußen sieht schon von drinnen aus, als sei sie schlecht. Und wenn man dann rausgeht, weil man irgendwann eben doch raus muss, weil Knäckebrot oder Margarine oder Pfefferminztee zur Neige gehen, dann ist die Luft nur unangenehm nasskalt, nicht frisch. Es ist November, es ist Dezember, es ist irgendein Monat mit -r am Ende, es ist auch egal. Die Grauzone des Kalenders eben. Mit oder ohne Adventskalender. Die Heimatdroge Marzipan gibt es hier jetzt 24 Tage lang schon zum Frühstück, das immerhin.
Die Herzdame ist krank. Die halben Klassen der Söhne sind krank, die Lehrerinnen sind auch krank. Ich erreiche meine Kolleginnen nicht, vermutlich sind sie krank. Auf dem Wochenmarkt fehlen Stände, vermutlich sind die Betreiberinnen krank. Ich schicke einen Text ab, in dem geht es nicht um Krankheit, sondern um Kälte. Die Abwechslung! Ganz wichtig.
Die Hamburger Bücherhallen schreiben im Newsletter, sie würden jetzt auch Energie sparen, aber für die Besucherinnen neuerdings kuschelige Fleece-Decken bereithalten. Das sind so die Zeitzeichen. Menschen mit Flauschüberwurf vor Regalen, eindeutig ein Bild aus 22.
Ich mache irgendeine Nachrichtenseite auf. Da steht „Japan vor der Aufgabe Spanien“, und ich verstehe den Satz nicht. Das ist am Ende überhaupt kein Satz, das sind einfach nur Wörter. Ich lese die Schlagzeile noch einmal, ich verstehe sie wieder nicht. Was? Dann erst komme ich darauf, es geht da um Fußball. Meine Güte. Mir doch egal.
Ich erledige Monatswechselsachen. Erst in dem einen Beruf, dann in dem anderen Beruf, dann auch noch im Privatleben. Was da immer alles zu tun ist, dabei ist nur ein Segment Grau da draußen ausgedachterweise anders benannt als das vorhergehende. Im Grunde ist gar nichts, denke ich, im Grunde ist gar nichts. Und dafür ist es doch viel.
Ich gehe einkaufen. Ich gehe in zwei Läden, es gibt überall keine Mandeln mehr, auch die Kuvertüre wird knapp, sogar in Vollmilch, dito Puderzucker. Das Volk backt geschlossen. Das wärmt die Küchen und definiert nebenbei auch den neuen Monat enger. Danach besuchen sich alle und bringen sich gegenseitig Kekse in eigens dafür lange aufbewahrten Blechdosen mit und sagen: „Oh toll, Kekse!“ Okay.
Ich höre skandinavischen Jazz mit etwas freier Landschaft zwischen den Noten, ich höre, was zum schwindenden Licht passt. Ich mag auch diese Jahreszeit, nur der Soundtrack muss stimmen.
Ich lese weiter Joseph Roth, „Perlefter“ jetzt, da mache ich wenigstens etwas Sinnvolles. Glaube ich. Der Roman ist Fragment geblieben, wie die guten Absichten in diesem Jahr.
Uhrenvergleich: Es ist 05:35 am Freitagmorgen, es ist 21 Uhr. Ja, ist gut jetzt.
***
Sie können hier Geld in den allerdings nur virtuell vorhandenen Hut werfen, herzlichen Dank! Sollten Sie den konventionellen Weg bevorzugen und lieber klassisch etwas überweisen wollen, das geht auch, die Daten dazu finden Sie hier. Wer mehr für Dinge ist, es gibt auch einen Wunschzettel. Merci!
Schöner Text. Aber er erinnert mich auch besonders gut daran, warum ich Amman so liebe. Nein, ich will nicht fies sein, daher beschreibe ich es nicht.
Kuvertüre – Himmel, wie lange habe ich nicht mehr daran gedacht, ich weiß gar nicht, ob es sie hier gäbe, ich brauche sie zum Glück nicht. Ich bin eine miserable Bäckerin, mit meinem Gebäck kann man meist einen Mord begehen.
Jetzt höre ich auf, ich sollte vielleicht meine Gedanken auf meinem Blog weiterspinnen, statt deinen zu verunzieren …
Miles Davis ehemalige Frau Betty (nicht Bette, bitte!) ist Anfang des Jahres gestorben, erfuhr ich gestern.
Eine tolle Sängerin war sie, die irgendwann quasi einfach in der Versenkung verschwand, offenbar auf eigenen Wunsch.
Reinhören lohnt sich: https://youtu.be/MpuDoR_L0M0
Ha! 21 Uhr!
Hab ich’s mir doch gedacht.
Die Texte sind sonst immer knuspriger, frischer. Die Augen schmecken nämlich mit! Oder so.
Tatsächlich hat Sie der Schnee verraten. Oder sollten Sie etwa da in der Innenstadt nicht dieses wunderschöne Alles-Weiß-Aufwacherlebnis gehabt haben?
Ich könnte ja mit einer Kühltasche.. damit es nicht so grau ist, wissen Sie?
Richten Sie Frau Buddenbohm doch bitte unbekannterweise herzliche Genesungswünsche aus, sie soll sich gut erholen. Ingwertee, heiße Brühe, Holundersaft. Volles Programm.
PS.: Mir fällt jetzt erst das generische Femininum auf. Sie sind toll, Herr Buddenbohm! <3
Hallo Herr Buddenbohm, ich musste gestern mal in die Lange Reihe und da habe ich an Sie und Ihren Blog denken müssen. Diese Straße ist nun für mich fest mit Ihnen verbunden. Und während ich da lang ging und zu gleich diesen Kulturschock zu verarbeiten versuchte, kam mir Jemand entgegen, wo mein Unterbewusstsein signalisierte, das Gesicht kennst du. Nun frag ich mich, waren Sie es vielleicht? Mit Hackentrolley, glaub ich.
Der Stadtteil ist jedenfalls krass. Bin vom Nagelsweg runter zur Langen Reihe und hatten das Gefühl durch mehrere grundverschiedene Zonen zu gehen.
Viele Grüße und danke für die vielen schönen Artikel im Blog. Ich lese hier sehr gerne!
Ja, das kann ich wohl gewesen sein.