Durch den Regen

Nun gab es auch den ersten Bürotag des Jahres, also Office-Office, oder wie immer man das jetzt nennt, wenn man da leibhaftig hinrennt. Durch den Regen bin ich gegangen und ich vermute, es ist tatsächlich Ewigkeiten her, dass ich zuletzt im Regen zur Arbeit gegangen bin, irgendwann präpandemisch war das. Ich stelle nach etwa drei Stunden konzentrierter Arbeit fest, dass es draußen währenddessen nicht heller geworden ist, wofür es nur zwei plausible Erklärungen geben kann: Apokalypse oder norddeutscher Winter. Ich neige der zweiten Erklärung zu, da sonst nichts weiter passiert, keine Feuerbälle am Himmel oder dergleichen. Nur der Regen am Fenster, der Wind.

Ich gehe dann später auch im Regen zurück, ich höre Kafka dabei und gehe zwischen gesichtslosen Bürobauten, über Ausfallstraßen und an Baustellen vorbei, die einfach nicht enden wollen. Überall sind Absperrungen und Umleitungen, obwohl nirgends Bauarbeiter zu sehen sind, es passt alles sehr schön zusammen.

Als der Buddenbohm eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheuren Büroangestellten verwandelt.

Unter einer Eisenbahnbrücke liegen Obdachlose aus Osteuropa und singen leise. Es klingt nach einem Volkslied, es ist eine einfache Melodie. Es ist mir schon öfter aufgefallen, dass die Männer aus diesen Gegenden, fast immer sind es nur Männer in den Gruppen, gerne gemeinsam singen, traurige, wehmütige Lieder. Ob wohl irgendwo auf der Welt Obdachlose aus dem deutschen Sprachraum unter einer Brücke liegen und so etwas wie „Am Brunnen vor dem Tore“ singen? Es ist schwer vorstellbar.

Ich gehe weiter, ich lasse ein Hörbuch laufen. Ich höre gerade Wiederholungen, lauter Stücke, die ich schon kenne, und ich stelle fest, dass das super ist. Dauernd mache ich Neuentdeckungen in den Texten, so lückenhaft nämlich bekomme ich das alles beim ersten Lesen oder Hören nur mit, und manche Wiederholungen, die ich als solche tatsächlich auch erkenne, finde ich wunderbar. Und es ist auch nicht so schlimm, wenn man abends bei diesen Texten einschläft, man kennt es ja schon, es macht nichts aus.

Im öffentlichen Bücherschrank, ich sehe es beim Abendspaziergang durchs Revier, steht Robert Gernhardt, den nehme ich mit. Im Glück und anderswo heißt der Band:

„Ich bin ein schwerer, alter Herr,

mein Herz war einmal jung.

Das war schon einmal umgekehrt,

sagt die Erinnerung.“

***

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Ein Kommentar

  1. „Ich bin nicht mehr, der ich mal war.
    Das wird mir täglich schmerzhaft klar.
    Doch daß ich weiß, wer ich mal war,
    verdank ich dem, der ich heut bin:
    Die Zeit macht dich nicht nur zur Sau,
    sie macht auch schlau, macht sogar Sinn.“

    Heute einzelne Fetzen von blauem Himmel. Vielleicht aus dem Dachfenster sichtbar.

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