Ich wache um 4 Uhr 30 auf und verlasse Bett und Komfortzone. Ich mache Buchhaltungskram am Morgen. Ich verschicke Rechnungen, ich bezahle Rechnungen, der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen. Besinnlich in den Tag. Woher kommt dieser Bibeltext? Ich bin da kein Experte, immer alles nachsehen. Aus dem Buch Hiob, ausgerechnet. Das mal heute nicht weiter verfolgen.
Der erste Blick in den Wetterbericht, zweistellige Temperaturen sind vielleicht in etwa zehn Tagen zu erwarten. Ein Countdown, ein Countdown, ich male entschlossen einen Strich ins Notizbuch. Noch sind es minus 2 Grad da draußen, mir kommt es vor wie minus 20, ich habe keine Frostabwehrreserven mehr. Ich bin nicht der Einzige damit, ich sehe es in den Timelines, man friert kollektiv. Ich sah es gestern auch draußen an den Radfahrerinnen, die rotnasiger und in sich gekrümmter aussahen als den ganzen Winter über, die bibbernd an den Ampeln hielten. Und ja, ich weiß, der Winter war zu warm und Schnee und Eis da draußen wäre jetzt die Regel und auch die Rettung. Man kann das verstehen, man kann es auch beklagen, man kann es auf emotionaler Ebene dennoch nicht warm genug finden, denn der Mensch ist eine komplexe Angelegenheit und jederzeit fähig, merkwürdige Sachen im Hirn direkt nebeneinander zu arrangieren.
Die Mirabelle vor dem Haus trägt einen lichtgrünen Schleier, hauchzart. Kaum zu sehen. Erste Krokusse im Stadtteil sind bereits verblüht, abgeknicktes Lila.
Die Söhne haben heute den letzten Schultag, dann sind die zweiwöchigen Hamburger Märzferien, die wieder nur sie haben, ich nicht. Nie werde ich über diesen Neid hinwegkommen, nie. Home-Office, während sich nebenan die Teenager in den Kinderzimmern noch zehnmal umdrehen, eine schwere Übung wird das, eine Challenge, wie man heute reflexmäßig sagt. The holiday-challenge for parents.
Ich sage einem Sohn, dass ich ein Problem mit seinen Ferien habe. „Probleme sind nur dornige Chancen“ sagt der Sohn reflexmäßig, es ist ein Zitat des Finanzministers, ausgerechnet. Ich verfluche Tiktok, wo derlei so erfolgreich verbreitet wird, nur Unsinn lernt der Nachwuchs dort. In meinem Erwachsenen-Tiktok dagegen sehe ich wieder viele dampfende Kaffee- oder Teetassen vor alten Büchern in englischen Cottages, umgeben von prachtvollen und doch seltsam lässig wirkenden Gärten, so soll das sein. Außerdem gleich mehrere Butler und Benimmexperten, die mir den korrekten Umgang mit Keksen oder Besteck erklären, mindless content von der allerbesten Sorte. „Ladies and gentlemen, when we drink tea …“ Die Aufforderung, alles mit Besteck zu essen, sie endet mit erhobenen Augenbrauen und „… we are not vultures.“
Das mal so bei nächster Gelegenheit auch an die Söhne weitergeben.
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Sie können hier Geld in den allerdings nur virtuell vorhandenen Hut werfen, herzlichen Dank! Sollten Sie den konventionellen Weg bevorzugen und lieber klassisch etwas überweisen wollen, das geht auch, die Daten dazu finden Sie hier. Wer mehr für Dinge ist, es gibt auch einen Wunschzettel.
Well, they are vultures: https://vimeo.com/507533719
Oh, das mit den englischen Cottages interessiert mich! Könnten Sie netterweise mit einem Link helfen?