Es wird schon werden

Im Discounter wurde passend zum langen Wochenende und zum Mai die Kühltheke umorganisiert, es gibt wieder massenhaft mariniertes Grillfleisch. Ich weiß also, wonach es am Wochenende im Garten von überall her riechen wird, und schön ist das nicht. Wobei immerhin die vegetarischen oder veganen Alternativen deutlich zunehmen, das ist auch nicht zu übersehen. Es muss doch eine wachsende Nachfrage nach so etwas da sein.

Wir fahren am Sonnabend in den Garten und häckseln. Wir haben da in eine Maschine investiert, da bei uns große Mengen an Reisig, Bruchholz etc. anfallen, allein die Weide wirft kiloweise davon bei jedem Stürmchen ab. Ab einer gewissen Windstärke sollte man auf keinen Fall unter ihr stehen, sie verliert auch Äste mit erheblichem Verletzungspotenzial.

Wir verbringen also eine Weile vor dem neuen Gerät und stopfen Zweige und Äste und Zeug in den Häcksler. Man kann es nicht beschleunigen, es dauert. Die Weile zieht sich. Ich höre dabei Rutger Bregman: „Utopien für Realisten, die Zeit ist reif für die 15-Stunden-Woche, offene Grenzen und das bedingungslose Grundeinkommen“, Deutsch von Stefan Gebauer. Hier der Verlagslink, hier eine Rezension dazu. Ich hätte es vielleicht viel eher hören sollen, immerhin unterstützt es meine Wahrnehmung, dass unsere Gesellschaft einen eklatanten Mangel an Visionen hat, der womöglich in diesem Ausmaß sogar eine historische Premiere ist. Das denken also auch andere und Klügere, immer gut, so etwas festzustellen. Das Buch ist einige Jahre vor der Pandemie erschienen, und man liest oder hört die Eingangskapitel daher mit deutlicher Bitternis, denn er spricht da z.B. von den Fortschritten in der Medizin und bezieht sich etwa aufs zunehmende Impfen, er erwähnt die steigende Lebenserwartung überall, das weltweite Zurückdrängen der Kriege, und wir wissen, es kam dann kurz darauf anders, ganz anders. Das Dystopische erstarkte in den letzten drei Jahren recht eindeutig, und das Utopische erfuhr keine Neuerung, jedenfalls soweit ich es mitbekommen habe.

Na, da mal weiter drüber nachdenken, was daraus wohl konstruktiv abzuleiten ist. Interessant ist das Buch allemal und es wird noch ein paar Stunden gehen. Wobei am Sonntag und am Feiertag selbstverständlich nicht gehäckselt werden darf, denn die Ruhezeiten, sie sind sehr wichtig.

Jetzt häckselt die Herzdame alleine weiter, ich sitze währenddessen in der Laube und schreibe. Das erste Mal in diesem Jahr schreibe ich an diesem Tisch, auf dem zwei betont altmodische Tischdecken übereinander liegen. Erbstücke aus dem Heimatdorf der Herzdame sind das, Urgroßmuttertischdecken, sehr heimelig sind die. Die Holzhütte ist gut aufgewärmt, ein bisschen Sonne am Nachmittag hat doch gereicht, wir haben eine angenehme Betriebstemperatur im Raum. Immerhin, denke ich, immerhin. Löslicher Kaffee und Discounterschokolade, für manches reicht auch Campingniveau. Draußen zaust der Wind wild die Büsche. Wenn man nur so auf dem Rasen stehen oder sitzen würde, ohne Arbeit und Betätigung, es wäre zu kalt, immer noch wäre es zu kalt.

An den Stachelbeeren aber wachsen die Früchte, ich habe es vorhin gesehen. Die ersten Wegweiser zum Sommer, schon hin zur Erntesaison. Die Radieschen sind bald weit genug für die ersten Bissen, die Karotten jedoch fangen gerade erst filigran und zurückhaltend mit den ersten Blättchen an. Kirschen, Reineclauden, Birnen und Äpfel stehen in voller Blüte, eine weißrote Pracht, die in diesem Jahr mangels Gelegenheit und Wetter nicht genug gewürdigt wird.

Im Staudenbereich bereitet der Beinwell die Blüten vor, die Pfingstrose drängt mit Kraft und rötlichen Trieben nach oben und einiges, was ich noch gar nicht ausreichend erkennen kann, fängt mit grünen Blattkränzen knapp über dem Boden an, schießt dann sicher in Kürze und wird Rittersporn, Stockrose oder was auch immer. Es wird schon werden.

Ich tippe und sehe zwischendurch aus dem Laubenfenster, der böige Wind treibt abgerissene Magnolienblütenblätter vorbei, purpurfarbene Fetzen in furiosem Flug, ein aufleuchtender Farbwirbel.

Hinten der Laube, vor dem Schuppen liegt eine sterbende Maus, die gerade ihre letzten Atemzüge tut, als ich vorbeigehe. Ich bücke mich, das Herzchen des Tieres rast noch, man sieht es unter dem Fell pumpen. Dann schließt die Maus ihre schwarzen Knopfaugen für immer und hält, aber das wird Zufall sein, die Pfoten vor dem Bauch übereinandergelegt wie zum Gebet. Ich bette sie in die Hecke, sie ist, nein, sie war außerordentlich niedlich, ein zauberhaftes Geschöpf mit einem gefälligen Goldstich im bräunlichen Fell. Ameisen, Asseln und andere werden sich nun gut um sie kümmern. Es wird nicht lange dauern, dann bleibt keine Spur mehr von ihr.

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2 Kommentare

  1. „Kirschen, Reineclauden, Birnen und Äpfel stehen in voller Blüte, eine weißrote Pracht“ – Schade, dass diesmal kein Foto des Tages im Blog steht. Dabei hätte sich die Blütenpracht doch sehr angeboten.

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