Amselabende

Montag vor einer Woche, der 5.6. Wir haben die nächste Stufe des Sommers erreicht, wir schlafen wieder mit offener Balkontür. Es ist mit das Schönste am Sommer für mich, wenn diese Tür durchgehend offenbleiben kann und die Amsel um halb elf immer noch singt, fast wie in Vertretung der Nachtigall. Und wie schön sie singt, in dieser überaus freundlichen Resthelligkeit des Junitages, in der man auf dem Balkon sogar noch lesen könnte, wenn man denn unbedingt wollte, aber es ist noch viel schöner, sich von der Amsel lieblich in den Schlaf flöten zu lassen. Während im Haus gegenüber zwei, drei, vier Lichter ausgehen und nur eines an, und während die Farben im Wohnzimmer langsam zu Grau verblassen. Sehr langsam.

Am Montagmorgen dann früher Sonnenschein auf einer militärisch korrekt geordneten Ameisenparade in der Dachrinne vor dem Küchenfenster. Wie die das immer bis hier oben schaffen, es muss doch ein veritables Hochgebirgsvorhaben für ein so kleines Volk sein. Der Apfel, der für die Amsel auf dem Balkongeländer liegt, ist ihr Pendant zum Gipfelkreuz, sie arbeiten sich hoch.

Ich sehe mir die Termine im Kalender an, ich gehe danach zurück zum Fenster. Ich sehe mir die Ameisen an, die da stoisch immer weiterziehen und mit dem Abbau der gefundenen Rohstoffe beginnen, es sind eindeutig Ameisen mit Auftrag. Ich nicke, ich gehe zurück zum Notebook. Ich erledige mehrere Dinge noch vor sieben Uhr. Ich will diesmal Vorsprung vor der Woche haben. Kann man das überhaupt?

Auf dem Arbeitsweg höre ich weiter die Hoffritz, mache also weiter im Geschichtsunterricht. Es geht gerade um die Inflation im Jahr (19)23, es kommt einem alles seltsam bekannt vor. Sogar das Wort Inflationsausgleich wird erwähnt, es geht ferner um Arbeitszeitverkürzung, wie gegenwärtig ist das denn. Dabei habe ich etwas gelernt, und es schadet sicher nicht, das zu kennen, was ich im Geschichtsunterricht vielleicht nicht hatte, zumindest kann ich mich nicht ansatzweise erinnern: Das Stinnes-Legien-Abkommen. Daher und seitdem also der Achtstundentag. Weiß man das jetzt auch.

Ansonsten muntere Büroarbeit. Ich ändere die Hintergrundmarkierung einer Zelle in Excel, ich singe leise „Blau, blau, blau sind alle meine Zellen“, und da weiß ich wieder nicht, bin ich heute nur milde gut gelaunt oder schon längst reif für die Einweisung. Egal. Weitermachen. Das Blau der Excelzelle passt zufällig genau zur Farbe des Himmels vorm Bürofenster, fällt mir kurz darauf auf. Wenn ich mein Notebook hochhalte, sieht es aus, als könne ich durch diese Zellen hindurchsehen. Faszinierend. Vielleicht doch intensiver über die Einweisung nachdenken. Ich kann den Himmel in Zellen sehen, da! Man kann da durch, ins Blaue, ins Weite! „Ist gut, Herr Buddenbohm, entspannen Sie sich erst einmal.“

Aus der Schule kommen währenddessen Mails, in denen die Termine bis zum Schuljahresende gelistet werden, das ist damit also schon so gut wie durch. Wir erreichen nach den Sommerferien die Klassenstufen acht und zehn für die Söhne. Bei Sohn I bin ich aus allen Hilfsmöglichkeiten mittlerweile gründlich raus. Neulich fragte ich ihn nur interessehalber, was sie eigentlich gerade in Mathe machen: Kombinatorik. Ich weiß nicht einmal, was das ist. Verdrängt, vergessen oder damals verpasst, was weiß ich. Ich war in diesen Jahrgängen nicht sehr oft in Mathe anwesend, aber das habe ich in dem Gespräch nicht erwähnt.

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