Sonntag vor einer Woche, der 4.6. Ich lese weiter in Zsuzsa Bánk, Der Schwimmer. Ich habe einige vorhersehbare Schwierigkeiten mit den ungarischen Namen im Buch, aber das ist nicht schlimm. Dennoch weiterlesen. Ich höre auf den Wegen und beim Gießen im Garten – wir sind schon wieder in einer ausgesprochen dürren Phase – Jutta Hoffritz: Totentanz – 1923 und die Folgen, ein Sachbuch über dieses Jahr. Es sind in letzter Zeit mehrere davon erschienen, warum wohl. Sie erzählt das Jahr 1923 entlang einiger Personen, sie begleitet im Text die Nackttänzerin Anita Berber, den Industriellen Hugo Stinnes, Reichsbankpräsident Havelstein und die sicherlich allgemein bekannte Käthe Kollwitz. Bezüge zur Gegenwart finden sich schnell und mit nahem Einschlag, der Herr Stinnes residiert da nämlich im ersten Kapitel, nachdem er das Ruhrgebiet in höchst problematischer Lage verlassen hat, im Hotel Atlantik. Das ist bei uns das Haus gegenüber, es gehörte ihm zu der Zeit. Das Haus hier auch im Bild. Es ist obenherum nicht gelb, das ist der Abendsonnenschein.
Nachmittags im Garten. Die Herzdame sitzt draußen auf der Hollywoodschaukel in einer Wolldecke. Es ist wieder kühl im Wind, allzu kühl, die Optik des Junis täuscht erneut. Es ist hier alles nur Kulisse für ein Stück, das noch gar nicht zur Aufführung kommt, irgendwas mit Sommer 23 im Titel. Sommer 23, später. Nächste Woche vielleicht, der Wetterbericht sieht so aus.
Eine Meise im Weißdorn, die weder Kohl- noch Blau- ist, eine Tannenmeise vielleicht, wir raten etwas herum, wir müssten nachsehen, wir lassen es heute. Auch mal unbemüht sein.
Ich gehe in die Laube, mir ist es entschieden zu frisch draußen. In der Laube ist es dagegen holzhaussommerheiß, so gehört es doch in diesem Monat. Flirrender Staub in Sonnenstrahlen. Ich beobachte das Tanzen der Flusen und Pünktchen vom Bett aus, auf das ich mich mit dem Buch lege. Schattentänze an den Wänden durch bewegte Zweige vor dem Fenster, Vorhänge in sachter Bewegung im Zug. Das ferne Brummen landender Flugzeuge, ganz nah dagegen die schimpfende Amsel und einige andere Vögel, die nachmittäglich reduziert piepsen, es ist nicht ihre lauteste Stunde, man singt jetzt nicht. Zwischendurch weht kurz das arg ungeordnete Debattieren der Krähenkonferenz aus der Pappel hinter unserer Parzelle heran, es geht bei denen wieder hoch her, demokratische Parlamente sind nichts dagegen.
Es riecht nach Brettern und etwas nach frischer Farbe in der Laube. Nach Juni auch und auf eine schwer zu beschreibende Art nach Kindheitssommer, obwohl ich mich an keine Kindheitsholzhäuser erinnern kann. Nur an Verschläge, die wir aus dem Holz der Kisten manchmal gebaut haben, in denen das Glas für den Betrieb meines Vaters geliefert wurde, das Glas, aus denen dann Fenster wurden oder was auch immer. Lockige Holzwollreste in diesen Bauwerken aus splitterigen Brettern, vielleicht erklärt es das.
Aber wie gerne, wie liebend gerne ich jedenfalls in Holzhäusern bin. Erinnerungen auch an diesen Urlaub in Österreich vor vielen Jahren, noch weit vor den Söhnen, wo es an dem einen See dort so dermaßen viele attraktive Holzhütten gab, eine anziehender als die andere, und eine mitreisende und ebenfalls anziehende Freundin irgendwann zu mir sagte: „Wenn du noch ein einziges Mal erwähnst, wie toll du Holzhäuser findest, dann …“
Sie hat es dann nicht weiter ausgeführt, aber ich weiß noch, sie sah angenehm furchterregend aus dabei und da sah ich auch schon das nächste Holzhaus. Das war ein schöner Sommer, damals, eine verspielte Zeit. Pardon, ich schweife ab.
Nun. 23 ist ein anderer Sommer. Man nimmt gerade den, der eben kommt. Diese letzte Zeile habe ich von Klaus Hoffmann geklaut, und er hat es ganz anderes bezogen und außerdem wiederum von Brel, aber das ist egal. Remix-Culture, Baby!
Die Herzdame bleibt währenddessen draußen unter ihrer Wolldecke auf der Hollywoodschaukel, ich bleibe einfach in der Laube liegen, es vergeht etwas Zeit. Wir schicken uns Herzchenemojis und Liebesnachrichten, es ist alles gut, vielleicht sehr gut.
Eine unbemühte Stunde lang.
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Noch später gibt es Gnocchi mit Rosmarin, Rucola, Thymian und Oregano aus dem Garten, gekaufte Tomaten dazu, beste Laubenküche ist das. Tomaten aus dem eigenen Beet wären noch besser gewesen, eh klar. Aber Geduld haben du musst.
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Und dann sieht man ein Buch in fremderleuts Bücherstapel und sacht „kuck ma, die haben das auch!“, und schon fühlt man sich wieder unsinnich verbunden und bestätigt und Teil einer Gruppe, deren Teil man diesmal aber auch sein will.
Immer eine Freude, gerade auch die Gartenberichte. Unser Garten ist eher ein trauriges Thema …
Das Gnocchi-Rezept gefällt mir. So etwas sollte ich auch einmal versuchen, muss aber erst Mal die Zutaten für die Gnocchi selbst googlen, ich habe hier noch nie halbfertige gesehen.