Mit Smoking im Dschungel

Sonntag, der 11.6., offensichtlich bleibe ich hier halbwegs zuverlässig etwa eine Woche hinter dem Tagesgeschehen. Das wird mir bei Ereignissen aus den Nachrichten ab und zu die Gelegenheit geben, wahnsinnig reflektiert zu wirken, immer überall die Vorteile sehen. Aber, und das jetzt im Ernst, weil ich an ungefähr sieben Blogtexten gleichzeitig schreibe, die alle erst nach und nach fertig werden, ist meine Gegenwart ein wenig breiter geworden, falls mir da noch jemand folgen kann, ein wenig gedehnter und wahrnehmbarer. Slow Blogging als Lebenshilfe, jedem seine Methode.

Am Sonnabendabend habe ich noch Somerset Maugham gelesen, Kurzgeschichten. Da kam wieder einer der Figuren vor, die er öfter in dieser Art beschreibt, ein Kolonialbeamter, der irgendwo in dschungelähnlicher Umgebung fernab der Heimat sitzt und sich dennoch jeden Tag stoisch zum Abendessen umzieht, mit weißem Smoking, Lackschuhen etc., das volle Programm. Nirgendwo Menschen aus seiner Schicht, Bezugsgruppe oder Peer Group, die das zur Kenntnis nehmen und würdigen könnten. Davon abgesehen, dass man heute selbstverständlich beim Lesen mehr und mehr das Fatale, das Leid und das unfassbare Unrecht der Kolonialgeschichte mitdenkt, was ich als jüngerer Mensch ziemlich sicher nicht einmal annähernd getan habe, gibt es da noch eine weitere Deutungsverschiebung beim zweiten Lesen bei mir. Denn früher, ich nehme an, ich habe das mit etwa Zwanzig zum ersten Mal gelesen, habe ich Figuren wie diese des Beamten im Smoking im Dschungel nur milde irre und grotesk gefunden, heute sehe ich, wie nahe ich an diesen Menschen bin. Ich meine, wer im Anzug im Home-Office sitzt, ohne einen einzigen Video-Call im Kalender zu haben, der sollte vielleicht etwas Verständnis für solche alltagskulturellen Marotten haben, sollte er nicht?

Aber noch einmal kurz zurück zum ersten Lesen und zum Kolonialismus. Man kann sich rückblickend schon wundern, und ich schreibe „man“, weil ich glaube, dass ich es tatsächlich verallgemeinern kann, wie sehr wir auf die Sichtweise der Briten in solchen Büchern eingestiegen sind. Wenn man sich mit Kolonialismus auch nur flüchtig beschäftigt hat, gibt es kein Zurück zu dieser Art des Lesens, bei der man das Unrecht nonchalant überblättert, was gewisse Kreise jetzt wieder wild und woke finden werden. Egal.

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Wir haben den Igel im Garten rascheln gehört und dann auch noch gesehen, er ist deutlich fetter als im letzten Jahr, es fällt sofort auf. „Vielleicht ist das so, weil er ein anderer ist“, sagt die Herzdame in all ihrer so ungemein lebenstauglichen Klugheit, und es ist ein Satz, den ich zur Wiedervorlage empfehle, wenn man doch einmal wieder etwas zugenommen hat – vielleicht ja, weil man ein anderer ist.

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In der Luft nun die Flusen der Pappelwolle, der Sommerschnee, die Pflanzenflocken. Jedes Spinnennetz fällt in dieser Zeit auf, weil es weiß verklebt ist und seltsam ausfranst, zuckerwattenmäßige Fetzen wehen aus den sonst so strengen Formen. Ganze Brückengeländer sehen aus, als seien sie mit zerrissener Spitze unbeholfen von Gespenstergesindel dekoriert worden. Ich stelle es mir für die Spinnen sehr nervtötend vor, man webt da einzigartig klare Kunstwerke, filigran und mit Sorgfalt und Geschmack durchkonstruiert, und nur Minuten später werfen die Pflanzen lumpiges Zeug dort hinein, und wie viel davon. Für die Beuteinsekten wiederum ist es sicher nett, denn unauffällig sind die Netze der Jägerinnen in diesen Wochen nicht, eher im Gegenteil.

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Das Wochenende war insgesamt nicht ohne jeden Charme, stelle ich am Sonntagabend zögerlich lobend fest. Das mal so verstetigen! Na, was man sich so vornimmt.

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