Bellagio 59

Freitag, der 4. August. Mein letzter Urlaubstag. Die Herzdame hat noch eine Woche, die Söhne sowieso noch viel mehr, familiäre Ungleichzeitigkeiten.

Diese Regenwoche war äußerst günstig für uns, sie war wie bestellt, weil es beim besten Willen kein Wetter war um draußen, im Garten oder sonst wo etwas zu machen. Es war kein Wetter für Ausflüge nach Sylt, Husum oder an die Ostsee, kein Wetter für Orte, zu denen man immer schon einmal hinwollte, also etwa nach Stade. Die Stadt ist bei mir ein Running Gag, ich schaffe es seit nun schon 23 Jahren nicht dorthin, es hat längst etwas Symbolhaftes. Sogar auf dem Weg in ein Museum wäre man in dieser Woche sehr nass geworden. Nein, es war ein herrliches Wetter zum Herumliegen, mehr nicht. Es war daher einfach perfekt und ich habe mich jetzt an Mittagsschlaf bei rauschendem Regen vor der offenen Balkontür dermaßen gewöhnt, ich werde wohl hinterher, wenn das Wetter doch noch einmal Richtung Sommer umschlagen sollte, Naturgeräuscheplaylists testen müssen, mit Monsun, Regenwald und allem.

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Über die Hitze und die Arbeit in Griechenland, auch kurz über die Aussichten nach den Rhodos-Bränden.

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Das Titelblatt des Briefwechsels Bachmann-Frisch

Im Briefwechsel Bachmann-Frisch finde ich eine Hotelbeschreibung der Bachmann, die eine Art unstillbare Reiselust in mir auslöst, mit der ich auch das Urlaubsthema hier für diese Saison schön abschließen kann. Man kann dort allerdings nicht hin, das Ziel liegt weit in der Vergangenheit, man kann sich höchstens noch hinträumen, aber lesen Sie bitte mal eben, ist das ein Sehnsuchtsort erster Klasse? Möchte man da nicht gleich einen Koffer packen, so einen alten, wie es sie heute gar nicht mehr gibt …

Ich mache Ihnen eben zum Lesen Musik an, vom Sound her passend, vom Inhalt habe ich keine Ahnung:


Ingeborg Bachmann an Max Frisch, Bellagio, 30. April 1959.

Lieber Max, es kam also so: da die Entscheidung für den Comer See gefallen war, fuhr Nanni mich gestern nachmittag an den See, bei einem so erbärmlichen Wetter, dass man es kaum schildern kann, und unterwegs versuchten wir, kleine Alberghi anzusehen, fast hätte ich schon irgendwo ja gesagt, weil ich dachte, ich könnte Nanni nicht mehr zumuten, er war schon ganz durchnässt und musste auch zu einer bestimmten Stunde wieder in Mailand sein. All diese Zimmer, die ich sah, waren so trostlos, meist mit drei Betten, keinem Tisch, viel Stein, düster, und ich wäre bestimmt nach zwei Tagen spätestens an Melancholie und Kälte gestorben, alles ungeheizt und unwirtlich leer. Dann fuhren wir jedoch nach Bellagio, und hier versprach alles ähnlich zu verlaufen, aber als wir so herumfuhren, sah ich den Ort rechts und links aussen von je einem Riesenghotel flankiert, mit Parks, und in meiner Verzweiflung sagte ich, er solle doch einmal bei einem vorbeifahren, ich wolle nur spasseshalber fragen, und so hielten wir vor dem Grande Bretagna, das schön liegt und wie ein Schloss aussieht; viel Personal stand untätig herum und an der Reception war ein freundlicher komischer Kerl, der sagte, es gäbe da zum Beispiel ein schönes Zimmer mit Bad und kleinem Vorraum mit Fenstern zum See, und wie er den Preis nannte, dachte ich, ich hätte mich verhört, weil er so niedrig war und mit der Vollpension, es machte nur ein wenig mehr aus als die Preise, die ich vorher in diesen scheusslichen Locanden gehört hatte. Wir gingen dann nochmals weg und überlegten, was daran nicht stimmen könnte, und dann fuhren wir wieder zurück und ich nahm das Zimmer, mit der vollen Pension dazu, weil ich auch in der billigsten Trattoria niemals so billig essen kann. Das Hotel ist so komisch, totenstill, mit großen Marmoraufgängen, Spiegeln, Palmen, die grün beleuchtet sind und einer Bar, in der immer das Licht angemacht wird und das Grammophon, wenn ich hineinkommen, um einen Espresso zu trinken. Im Speisesaal, in dem alle Tische wie für Geister gedeckt sind, waren wir drei Leute, ein junges Paar mir gegenüber, Franzosen, er scheint geistesgestört zu sein, sie sieht wie eine deutsche Fürsorgerin aus und vier oder fünf Kellner machen den service und alles so ordentlich und brav, nicht wie richtige Kellner in einem Grand Hotel, sondern wie die zweite Garnitur, der man zwar alle Anweisungen gegeben hat, die aber von der Regie im Stich gelassen worden ist. Es scheint, in einem Wort, ein in Ehren verarmtes Grand Hotel zu sein, ein Monstrum das Ende des vorigen Jahrhunderts für die Thomas Manns gebaut wurde. Im Freien war ich noch nicht, weil es regnet. Hinten ist ein wüster schöner Park, vorn eine Dekoration aus Bäumen etc. vor dem See.

Im Zimmer sind Gobelins, Konfektion von 1880, aber solide, ein Bett mit rötlichem Brokatüberwurf, Brokatstühle. Im Bad läuft warmes Wasser, und das ganze Personal wartet wahrscheinlich darauf, dass ich einmal ein Glas Wasser verlange. Es ist sehr unwirklich. Und jetzt fange ich an zu arbeiten. Schreib, wie die Geister im Uetikon sich verhalten!

Ingeborg

Natürlich habe ich das gleich gegoogelt, das Hotel steht tatsächlich noch. Also zumindest die Reste. Es wurde gerade von Ritz-Carlton übernommen, lese ich, es wird restauriert und soll etwa 2026 neu eröffnet werden. Vermutlich zu etwas anderen Preisen als damals, besonders bei Vollpension. Falls ich aber doch noch Dichter und reich werde, werde ich es mir gerne einmal ansehen – der Mensch braucht Ziele.

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Ansonsten heute das erste Mal nach der Reise im Garten gewesen, der in unserer Abwesenheit in den Spätsommerstatus übergegangen ist, alles steht dort in voller Üppigkeit, in maximaler Ausdehnung und Schwellung. Es gibt Gurken, Kohlrabi, sehr viele Tomaten, Bohnen, Heidelbeeren und bunte Karotten. Es hängen noch fünf Birnen am jungen Baum, es bleibt die Hoffnung, mindestens eine am Ende essen zu können. Spannend bleibt es, denn starker Wind darf nicht aufkommen bis dahin, diese Sorte (Clapps Liebling) kann Wind nicht ab.

Frisch geerntetes Gemüse aus dem Garten

Der Hibiskus blüht wieder in pornöser Pracht, die Rosen liefern weiter nach, der Regen scheint im Garten insgesamt gut angekommen zu sein. Bestes Wetter, gerne wieder, wenn es nach den Pflanzen geht.

Das Trampolin wird von neuen Nachbarinnen mit kleineren Kindern abgeholt. Wir hätten es kein Jahr später verkaufen dürfen, es wäre dann komplett eingewachsen gewesen, wir haben es gerade noch über die von uns gepflanzten Kirschbäume bekommen.

Es gibt am Abend Spaghetti mit Tomaten und Kräutern aus dem Garten, die Parzelle mischt beim Speiseplan wieder etwas mit in dieser Jahreszeit.

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