Was schön wird

Am Montagmorgen habe ich einen frühen Termin in einem anderen Stadtteil, ich fahre mit der U-Bahn dorthin. Ich sehe auf den Streckenteilen über der Erde eine besonders schön von der Sonne ausgeleuchtete Stadt in ansprechender Herbst-Deko, attraktive Büsche und Bäume sogar an den hässlichsten Ecken. Ich gehe ein paar Minuten durch eine Gegend mit wenig Verkehr, die Luft ist klar, fast winterlich scharf und ich werde im Laufe des Tages von mehreren Leuten hören, was ich auch witternd wahrnehme: Es riecht nach Schnee, obwohl doch Schnee in keiner meiner Wetter-Apps vorkommt. Und doch, und doch, es liegt so etwas in der Luft, man riecht das doch, man kennt das doch. Alle Welt beschließt, insgeheim richtig zu liegen, denn es ist ein sehr schönes Gefühl, auch einmal richtig zu liegen, und irgendwann wird es schon schneien, ein paar Flöckchen wenigstens, dann werden wir alle weise nickend sagen: Siehste!

Das wird schön, und wir brauchen auch die positiven Aussichten.

Auf den Wegen dann leider prompt die ersten Menschen mit lustig sein sollenden Rentiermützen und Plüschgeweihen. In den Schaufenstern jetzt überall die anschwellende Weihnachtsdeko, und am Straßenrand die Arbeiter der Stadt, ich sehe tatsächlich nur männliche Exemplare, welche die saisonale Beleuchtung für den allfälligen Einkaufsrausch im Dezember anbringen, der laut aktuellen Presseberichten aber eher bescheiden ausfallen wird.

Meine Mutter, die ich später am Tag sehe, weil ihr Telefon nicht mehr geht, sagt, ihr sei so, als wenn ein Unwetter käme, irgendetwas Besonderes, sie habe so ein Gefühl ums Herz. Noch während sie spricht, kommt Wind auf, Regen schlägt an die Fenster ihrer Wohnung. Sie sieht raus und sagt: „Es schneit!“, aber es sind nur kleine Birkenblättchen, die der Wind quertreibend in den Tropfen des Geniesels verwirbelt, leise rieselt das Laub.

Die Sonne verschwindet jedenfalls für ein paar Tage, und sehr gut inszeniert ist das alles wieder.

Der Dienstagmorgen ist dann geprägt von großer Unlust bei allen, die Familie ächzt und knirscht und setzt sich nennenswert zu langsam und nur unter großen Mühen in Bewegung. Im Grunde ein Tag zum Liegenbleiben, für „Ich will in meine Mupfel“, das fühlen wir alle überdeutlich, aber was nützt es.

Der Wind heult währenddessen ums Haus. Weil wir weiter oben wohnen, hört sich das bei uns schön dramatisch an, schon ab Windstärke sechs, auch wenn es im Erdgeschoss vielleicht noch nicht auffällt, und der Regen auf den Dachfenstern klingt bei uns heute nach Sintflut. Zeit für eine solche wäre es auch, wie man spätestens nach Kenntnisnahme der Nachrichtenlage unweigerlich denkt.

An einer Straßenecke steht „Free Palestine“ an der Wand, direkt daneben steht „Palestine fuck off“. Das sind hier so die Zeitzeichen.

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Gelesen und gemocht: Alice Munro, Die Jupitermonde, Erzählungen. Aus dem Englischen von Heidi Zerning. Das Buch passt nicht in meine Reihe deutscher Autorinnen, die ich sonst gerade konsumiere, aber es lag da eben neben mir und ich war gerade zu erledigt, mir ein anderes Buch aus dem Regal zu holen, ich hätte dafür aufstehen müssen.

Solche Zeiten sind das nämlich.

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Im Tagesbild noch eben das Rathaus bei Nacht. Es ist doch überraschend, was man mit dem Smartphone auch bei Dunkelheit noch aufnehmen kann, fällt mir in diesem Herbst auf, und nicht nur mir. Ich lese den gleichen Gedanken mehrfach in den Timelines und Blogs. Da gab es wohl einen technischen Entwicklungssprung.

Das angestrahlte Hamburger Rathaus bei Nacht

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2 Kommentare

  1. Zu Nachtfotos, gelungenen, eine Ergänzung: ja, diese ganzen digitalen Kameras sind sehr viel lichtempfindlicher als früher die analogen Filme. Aber auch die Lampen sind insgesamt heller, und es gibt sehr viel mehr davon. Ich weiß noch, wie mühsam es in den 80ern war, ein paar stimmungsvolle Nachtfotos zu machen: ohne Stativ ging da garnix, einen Menschen stellte man besser vor ein möglichst helles Schaufenster, und da hatte er auch sekundenlang stillzuhalten.

    Heute sind unsere Städte andauernd illuminiert, von den großen Sehenswürdigkeiten bis zu kleinen Dönerbude, überall Lichterketten, Strahler und Glitzer. Daß LEDs sparsamer sind als Glühbirnen, hat sich herumgesprochen: „dafür nehmen wir jetzt ein paar mehr!“

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